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6.
Vicenza

Am Fuße der Monte Berici, einer langen Reihe wahrhaft paradiesischer Hügel, liegt die »Elegie aus Marmor«, Vicenza, der Geburtsort Palladios, dessen Genie seiner Vaterstadt zu der schönsten Stadt und der Perle in der Krone Italiens erhob.

Hierher, an die immergrünen Waldgehänge des Bacciglione wälzten sich nach dem Tage von Goito die gewaltigen, blutigen Kriegeswogen.

In Vicenza stand der römische General Durando bis zu dem Tage der Übergabe der Stadt mit dem klassischen Titel »Cunctator« beehrt, hierauf »traditore« zubenannt.

Das Governo hatte diesem General die ehrenvolle Mission anvertraut, mit seiner Armee die Vereinigung Nugents mit Radetzky zu verhindern. Auf welche Art er sich dieser Aufgabe entledigte, ersieht sich am besten aus dem Soldatenwitze, der ihn »Nugents Schatten« nannte.

Wirklich verfolgte – nein, folgte er dem Feldzeugmeister mit seiner nahe an 20 000 Mann starken Armee, aus römischen Nationalgarden, Freischaren und 7 000 Schweizern bestehend, vom Isonzo an immer in einer »gemessenen« Entfernung nach und ruhte und rastete nicht eher, bis er Nugents Korps glücklich in Verona angekommen wusste, worauf er mit befriedigter Neugierde und ruhigem Gewissen kehrt macht, nach Vicenza zurückmarschierte und alldort sein Hauptquartier aufschlug.

Er fand, dass es sich in Vicenza ganz gut ruhe – man muss dies nicht immer nur auf Lorbeeren tun.

Es ruhte sich auch ganz sicher da; denn die Stadt war stark befestigt, und noch immer waren tüchtige Ingenieure beschäftigt, dieselbe selbst mit einem systematischen Barrikadennetze zu bedecken.

Der lange, auf hohen Pfeilern ruhende Bogengang, der die Stadt mit dem Kloster Madonna del Monte auf dem Kamme der Monte Berici verbindet, war durchgehend mit eisernen Kanonen armiert, auf der Bella vista erhob sich dräuend ein festes Blockhaus und an dem Eingang der Veroneser Straße ein Fort mit zwei Gallerien; kurz

»Wisst, Vicenza ist so fest,
Dass der Feind des Himmels Zinnen
Eher möcht' im Kampf gewinnen,
Als er hier sich baut ein Nest!«

Vederemo! Der Marschall sagte lächelnd: »Wir wollen's doch versuchen, und siehe da! Als am 10. Juni Vicenza erwachte, sah es sich in einem weiten Halbkreise von den Kolonnen der Österreicher umgeben.

Ei, das sind ja lauter bekannte Schlachtennamen und Gesicher! Von Pastrengo, Santa Lucia und Curtatone her! Dort Culoz, der Mann »vom festen Stahl« am äußersten linken Flügel der Höhen, dort Clam neben Strassoldo und Wolgemuth und unten zwischen Taxis und Lichtenstein der Korporal mit den Jägern vom Zehnten! –

Hei, Vicenza, aufgewacht! –

»Ich möchte doch wissen, warum es nicht losgeht, wir stehen ja schon an drei Stunden da wie die Narren!« rief ein junger Kanonier jener Batterie, die an dem Eingange der steilen Gefälle des Monte Berico nächst der Heerstraße aufgestellt war, unmutig schwang er die Lunte in schnellen Kreisen durch die Luft, dass die spitze Kohle rot aufleuchtete, und sein Blick hing fragend an dem Vormeister des Geschützes, der nachdenklich an der Lafette lehnte.

»Mich darfst Du nicht fragen, Bruderherz! Ich weiß so viel wie Du!«, gab dieser zur Antwort; »Es wird wieder irgendwo eine Überraschung herauskommen, gib nur acht!«

Er hatte kaum ausgesprochen, als er, durch einen auffallenden Lärm im Rücken aus seiner behaglichen Stellung aufgestört wurde.

Auf der Straße hin jagten zwei Adjutanten des Marschalls ventre à terre den Reserven zu, die unter Simbschens Kommando bei Altavilla hielten, und Augenblicks darauf erbebte die feste Straße unter dem Gedonner der heranbrausenden Batterien und den Tritten der im Geschwindschritte nachrückenden Reserve-Kolonnen.

Zugleich ertönt es unten längs den Ständen der Geschütze »Avanciert!«, und das ganze Tal regte und bewegte sich wie lebendig geworden. Die Attacke hatte im Rücken der Vicentiner begonnen und war vielleicht schon gelungen, denn soeben erschallte am Fuße der Höhen rundum der Sturmruf auf diese hinan.

Ein Bataillon Latour unter dem Obersten Hahne hatte diesmal den ehrenvollen Auftrag erhalten, vor Vicenza die Ouvertüre zu »geigen«.

Mit welcher Präzision sich die tapferen Böhmen dieses Auftrages entledigten, beweist die kurze Zeit von dritthalb Stunden, binnen welcher sie den Höhenzug von Santa Marguerita nahmen, sämtliche Barrikaden und Verhaue bis zur Villa Rombaldi abtrugen, auch dieses kastellartige Gebäude nahmen und die römischen Legionäre in das Blockhaus an der Bella vista warfen, das sie anzündeten.

Erst das empor lohende Feuer der Blockhausseiten verriet dem Marschall, dass der Anschlag gelungen und die Verteidigungslinie der Vicentiner von rückwärts durchbrochen und gestört sei. –

Der Monte Berico war mit Schweizern und Freiwilligen aus dem Adel der Romagna besetzt, die durch volle drei Stunden unseren überlegenen Kräften mit einer Bravour widerstanden, die einer besseren Sache würdig gewesen wäre.

Und noch wäre die Entscheidung um Vieles langwieriger und kostspieliger geworden, wenn nicht Clam und Wohlgemuth an dem Bacchiglione vorgerückt wären, um die Rotonda anzugreifen.

Die Villa Rotonda ist eines der größten Meisterwerke Paladios – und dem Vandalismus seiner Landsleute, nicht dem der Österreicher ist es zuzuschreiben, wenn dies herrliche Denkmal einer größeren Zeit unter den Schüssen der Kanonen und den Würfen der Raketen und Granaten erbebte und zertrümmerte: es war Gebot der Not, um den Kampf zu Ende zu führen, der besonders von der Rotonda aus, deren Gallerien und Bedachung mit den erlesensten Schweizerschützen besetzt war, mit der größten Erbitterung unterhalten wurde.

Während hier unten noch das Zünglein der Waage schwankte, hatte sich Culoz mit seinen Tapferen aufgemacht, um seine Aufgabe zu erfüllen. – Es galt, die Verteidiger des Monte Berico aus ihren Verschanzungen herauszulocken und zu schlagen. – Dies geschah also:

Culoz ließ die gesamten Batterien seiner Brigade vor den feindlichen Schanzen auffahren und eröffnete aus denselben ein mörderisches Feuer gegen diese. Seine Front maskierte er durch eine Aufstellung Freiwilliger aus den Jäger- und anderen Bataillonen, hinter denen er seine Brigade, die Kolonnen formiert, so aufstellte, dass der Feind, der Felsenvorsprünge des Monte Berico wegen, weder seine Position enfilieren noch seine Stärke beurteilen konnte. –

Da die Schweizer oben auf dem Berge nach einer ziemlichen Weile, die wohl durch eine lebhafte, aber ganz nutzlose Kanonade von unten her gegen sie ausgefüllt war, noch immer keine attackierende Truppe anrücken sahen, nahmen sie die verlorenen Posten der Freiwilligen unten für die ganze und alleinige Bedeckung der Batterien und ergriffen die Offensive selbst.

Bald sah Culoz mit freudeleuchtendem Auge über das Gelingen seines kühnen Planes, die Kolonnen der Schweizer en massa auf der, über den Bergkamm führenden Straße, im Sturmschritte herankommen.

In dem, durch die gewaltsame Biegung der Straße gebildeten Defilé stand eine zwölfpfündige Batterie, die bisher geschwiegen hatte, die dunklen Rachen mit Kartätschen geladen.

Die hitzigen Schweizer waren der Batterie, ohne sie zu bemerken, bis auf fünfzig Schritte nahe gekommen, als es plötzlich mit greller Lohe vor ihnen aufblitzte und die Kartätschenkugeln ihre Kolonnen zerrissen! Schuss auf Schuss schlug hinein in ihre erschreckten, überraschten Reihen, Kolonne auf Kolonne entfaltete sich im Fonde des Tales Culzozs Macht – und dicht vor ihnen, wie aus der Erde gewachsen, erhoben sich die Jäger vom Zehnten, die bislang auf dem Boden der Defiléabdachung versteckt gelegen hatten, und stürzten sich mit ihrem Feldgeschrei: »Kopal und Santa Lucia« auf den bestürzten dezimierten Feind.

Mit lautem Hurrah und alles niederstürzender Rage stürmten die Regimenter Latour und Reisinger den Jägern nach, die Schweizer wurden gegen die Schanze gedrängt, die ihr Feuer einstellen musste, um nicht die eigenen Verteidiger zu vernichten: sie ward genommen, aber um hohen Preis – Kopal, einer der Ersten auf dem Walle, fiel in dem Augenblicke, als seine Jäger das Banner Italiens zu Boden rissen und die Fahne Österreichs auf der erstürmten Schanze aufpflanzten. –

Mit der Wut von Tigern drangen nun die verwaisten Söhne des zehnten Bataillons unwiderstehlich vor, gefolgt von den Infanterie-Kolonnen, bis auch das letze Bollwerk der Vicenziner, das für uneinnehmbar gehaltene Kloster Madonna del Monte gefallen war.

Ehe es jedoch fiel, gab es einen harten Kampf.

Man ist gewohnt, seit der Erfindung des Pulvers persönliche Tapferkeit nicht mehr als einen Hauptfaktor des Kriegshandwerkes anzunehmen, indem man den Sieg an das Übergewicht an Krieger- und Geschützmassen gebunden hält.

Dem ist aber nicht so, denn Massen lassen sich wohl nur durch Massen bezwingen, und Schlachten im engeren Sinne werden wohl nur durch Kanonen entschieden, aber wo das Terrain die freie Entwicklung großer Truppenkörper hindert und das Platzieren der Geschütze auf wirksame Weise nicht gestattet, da tritt abermals und immer wieder wie vor Berthold Schwarzs reformierender Erfindung die Handwaffe in ihre Rechte und der stärkere Arm, die sicherere Faust gibt den Ausschlag. –

Aber – es mag furchtbar sein und grauenerregend, den Tod aus weiter Ferne donnernd einherbrausen und wüten zu sehen unter gegen diese Macht wehrlosen Kriegern – entsetzlicher ist der Einzelkampf beim Sturm, wo Mann an Mann sich drängt, Säbel und Bajonett sich kreuzen, und wo der Raum sich engt, selbst die Faust zur Waffe wird. –

Von dieser Art war der Kampf um den Säulengang und das Kloster Madonna des Monte.

Von dem Ufer des Bacchiglione herauf war eine Abteilung Grenadiere von Paumgarten den Verteidigern der linken Klosterflanke in den Rücken gekommen.

Es waren meist Freiwillige von der Reserve, selbst Offiziere darunter mit dem Gewehre in der Hand. Als sie auf dem Plateau des steilen Felsens ankamen und mit lauthallendem Hurrah dem Kloster zustürmten, wich die Besatzung dieses Teiles, dem wütenden Anpralle nachgebend, in den bedeckten Säulengang zurück; nur ein kleines Häuflein alter, bärtiger Schweizersöldner hielt treu bei der Trikolore aus, die von diesem hohen Punkte stolz in das Tal niederwehte und ihrer Bewachung und Verteidigung anvertraut war.

Zu stolz, dies Häuflein mit ihrer Übermacht anzugreifen, sonderte sich von den Freiwilligen mit echt chevalesker Ehrlichkeit eine gleiche Anzahl ab, die jenen Fahnenstand angriff, und ein alter, sonngebräunter Grenadier-Feldwebel war es, der die dreifärbige Oriflamme erstritt und triumphierend mit lautem Jubelschrei schwang, als plötzlich die Szene sich änderte.

Während die in den Säulengang Geflohenen ein wohlunterhaltenes Feuer gegen die Freiwilligen auf dem Plateau richteten, rückte aus dem Kloster herab eine weit überlegene Anzahl von Schweizern, Priester mit aufgeschürztem Habit voran, gegen den verlorenen Posten an, dem, zu schwach, en front durchzubrechen, bloß zu kämpfen übrig blieb – bis auf den letzten Mann.

Um die Trophäe, die der Feldwebel erbeutet herum, scharten sich, eine bajonettstarrende Phanlanx bildend, die tapferen Grenadiere. »Mit Gott und Österreich!« erbrauste es durch die Reihen, und langsam bewegte sich der dem sicheren Tode verfallene Hauf' den Angreifern entgegen. –

Der Kampf in der Länge des Säulenganges an der Straßenseite stockte auf einmal, als der Zusammenstoß der beiden Haufen auf dem Plateau erfolgte, das den Kampf wie auf einer Tribüne ringsum sehen ließ, und einen Augenblick lang waren die Kombattanten auf diesem Punkte fast die einzigen auf dem weiten Schlachtfelde.

Rings um das Kloster herum und aus der Tiefe des Tales herauf erscholl ein Schrei des Mitleids mit den Hilflosen. – Aber schon regte es sich auch rundum zum Succurs: »Haltet Euch!« scholl es von dem Säulengange her, wo die Jäger und Latour standen, und Culazs Kugeln und Raketen schlugen dichter und immer dichter in die Klumpen der Schweizer: »Haltet Euch!«, ertönte es aus den Schluchten des Bacchiglione herauf, und Trupp um Trupp klomm und kletterte die Klippen des vulkanischen Bergbodens hinan!

Aber schon war es zu spät! Immer lichter wurde der Keil der Grenadiere, immer enger drängten die erbitterten Schweizer heran, immer seltener wurden die Schüsse, immer häufiger die krachenden, schmetternden Kolbenschläge.

»Rette die Fahne! Wir wollen hier sterben! Rette nur die Fahne, Heller!« ertönte es dumpf aus dem schwindenden Häuflein um den Feldwebel herum, der die teure Beute an das Herz gedrückt, mit wütenden Schlägen die kurzgefasste Muskete auf die Schädel der Angreifenden nimmermüde niedersausen ließ.

»Rette die Fahne, Heller! Noch ist der Rücken frei!«, erscholl es drängender und – hohler.

Da raffte Heller sich auf – »noch einen Schlag für Österreich!«, rief er keuchend, tat ihn – und sprang, die Fahne hochgeschwungen, an die Kante des steil abfallenden Plateaus – und hinab!

Er hörte das Siegesgeschrei der Jäger oben nicht mehr, die in diesem Augenblicke den Säulengang stürmend durchbrachen – er sah die Flucht der Römer unten nicht mehr, die, verfolgt von den Siegern, der Stadt zurannten – er lag zerschlagen auf dem grünen Rasen unter dem Monte Berico, die blutenden Arme noch im Tode getreu, krampfhaft um die blutige Trophäe geschlagen.

Da sprengte Culoz heran mit rauchgeschwärztem, glühendem Gesichte; an der Stelle angekommen, wo Heller lag, sprang er vom Pferd und trat hinzu.

»Wie heißt der tapfere Mann, Korporal, und ist noch Leben in ihm?«, fragte er mit einem gerührten Blicke niederschauend Jakopo, der das Haupt des Sterbenden unterstützte, während ein Arzt seine Wunden sondierte.

»Franz Heller, Herr General!«, antwortete Jakopo schluchzend – der Arzt zuckte die Achseln.

In diesem Augenblick schlug Heller mit schmerzlichem Ächzen die blutunterlaufenen Augen auf, und sein erstarrender Blick fiel auf den Divisionär. Dieser aber trat rasch heran, riss sein eigenes Porteépée von dem Gefäße, neigte sich freundlich nieder zu dem Veratmenden und legte es mit den Worten auf seine tapfere Brust: »Diesen Gruß vom Feldmarschall an Sie, Herr Leutnant!«

Darauf erhob er sich rasch und sprengt davon.

Ein seliges Lächeln verklärte die Züge des Sterbenden, der die matten Augen dankbar gegen die Umstehenden drehte, die diesen Anerkennungsakt der Tapferkeit mit einem lauten Vivat Radetzky! Vivat Leutnant Heller! begleiteten.

»Jakopo!« flüsterte er mit erblassenden Lippen. Der weinende Bursche neigte sich tiefer nieder zu ihm.

»Bring' das mit meinem letzten Gruße der Mutter, sag ihr – ade!« – ein dumpfes Röcheln erstickte seine Stimme – er starb. –

Dieselbe Nacht noch kapitulierte Durando mit Annahme der Bedingnis, mit allen seinen Truppen über den Po zurückzukehren und drei Monate nicht gegen Österreich zu fechten.

Tags darauf verließ er mit seinen Scharen Vicenza. –

Eines seltsamen Umstandes sei hier noch erwähnt: Vor Vicenza wurden die beiden nachherigen Ministerpräsidenten der beiden kriegführenden Souveräne verwundet – und zwar beide am Arme!

Fürst Felix Schwarzenberg und Marquis Azeglio.


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