Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

15.
Noch einmal der alte Grenadier.

Es regnete, nein, es goss förmlich in Strömen am Morgen des 19. März. – Radetzdys Namenstag! –

Es war kaum ein Morgengrauen zu nennen, das bleiche Dämmern, das rings mit dem Regennebel rang, auch hätte es nicht genügt, uns die dunkle, lange Gestalt des Mannes, dessen Wanderung wir verfolgen wollen, erkennen zu lassen, wenn nicht die Wachfeuer, die sich vor dem Gusse unter die Vorsprünge oder Torbögen der Häuser geflüchtet hatten, zeitweise mit zischendem Aufflackern helle Lichtstreifen durch das Dunkel geworfen hätten.

Endlich, aber auch erst vor Kurzem war es still geworden in den Gassen.

Gerade erst hatten die Flintenhähne sich zur Ruhe begeben, wie ihre biederen Brüder auf den Ständer der Kasinos, aber ebenso entschlossen wie diese, beim ersten Dämmern wach zu rufen den Tag mit gellendem Sang und Flügelschlag! Gerade erst hatten die Glocken den Erzmund zugetan und ließen die Eisenzungen müde und lässig niederhängen, während es um sie herum noch rumorte, wiederhallend im metallenen Gehäuse, was es heute für harte Arbeit gegeben, und der noch immer schwankende Glockestrang telegraphierte hinauf, er wisse bestimmt, in einer Stunde gehe der Lärm und Sturm wieder los.

Um alles dies aber kümmerte der Mann sich wenig, der drunten eine Barrikade nach der anderen überstieg und gerade bei der letzten, an der Ecke der Strada a St. Nicolo ankam, von wo aus der freie Plan bis zur Piazza d'armi und dem Kastell sich öffnet, als ihm plötzlich ein bewaffneter, breitschultriger Kerl, vom Regen triefend, entgegenkam und mit heiserer Stimme anrief: »Parole!«

»Ja freilich, Parole!« sagte der Mann verdrießlich, »ich weiß keine; geht mich auch nichts an, ich bin schon außer Dienst!«

»Teufel! Und was wollt Ihr da?« fragte die Wache im Zweifel, worüber sie mehr erstaunen sollte, über den Humor, der sich in der Antwort des Mannes kund gab oder über ihn selbst, das heißt, über seine auffallende Gestalt.

»Und was hast Du danach zu fragen, Maulaffe!« gab der Wanderer grob zur Antwort; »schau mich einmal gut an und überlege Dir's, ob ich wohl einer bin, der sich von so einem Flederwisch den Pass verrennen lässt! Überlege Dir's und fahr' ab, sonst schlag' ich Dich nieder!«

Die Barrikadenwache war mit dem Überlegen noch lange nicht fertig, da hatte sie schon einen Schlag, wie von einem Hammer über dem schlappen Ernanihute und lag am Boden.

»Dummer Kerl!« sagte der alte Braun, dieser war der Wanderer, stieg über die Steinhaufen und schritt eilenden Ganges durch die breiten Alleen dem Kastell zu.

Hinter dem Foro ward er abermals angerufen. Diesmal hieß es: »Halt! Wer da!«

Das war ein wirklicher Soldat im Dienste.

Der Veteran stellte sich unwillkürlich in Positur und antwortete prompt und mit militärischem Akzent: »Gut Freund!«

»Hoho! Gut Freund und kommt aus Mailand?« rief die Schildwache lustig zurück, »steh' ruhig, bis die Patrouille kommt, wir haben einigen Grund, unsern guten Freunden in Mailand zu misstrauen!« damit rief der Soldat laut nach der Patrouille.

Braun rieb sich vergnügt die Hände, als er den echt soldatischen Witz der Wache verdaut hatte. »Ja, ja!« sagte er vor sich hin, das Gesicht durch ein stolzes Lächeln verklärt, »das ist eine Wache, Respekt! Halt ein Soldat! – Der Thomas hat recht, ich halt' es von heut' an mit den Soldaten! Ein köstlicher Bursche das!« und er warf dem Manne Liebesblicke zu, die seine Selige im Grabe verdrießen mussten.

Da kam die Patrouille und ein langweiliges Examen.

»Was gibt's? Was wollt Ihr? Wer seid Ihr?«

»Ein ehemaliger Soldat, gegenwärtig Bürger und Grobschmied in Mailand, beauftragt mit einer Botschaft an den Oberleutnant Werner vom Regimente N.«

Nach diesem Entrée machte die Patrouille dem alten Braun keine Schwierigkeiten in der Passage zum Kastell, zeigte ihm den Weg zu dem vermutlichen Aufenthalte Werners, der großen Cantine, und ging weiter.

Braun tat desgleichen, jedoch nicht, ohne sich der humoristischen Schildwache bestens zu empfehlen und den ganzen Weg lang brummend: »Ein köstlicher Bursche das! Bei meiner Seele, von heut an nur mit den Soldaten! Ein köstlicher Bursche das!« –

In der Kantine wimmelte es von Gästen, deren wohl keiner heute noch ein Bett gesehen hatte.

Was gab es da zu erzählen! Was zu besprechen, was zu kombinieren!

Zu befürchten nichts! Denn es waren meist junge Offiziere und Kadetten da, lauter natürliche Feinde des »süßen Friedens«!

Übrigens musste es ja jedem lieb sein, dass es endlich einmal »alle« geworden mit dem Temporistieren, dem militärischen far niente; es musste als ein willkommener Fortschritt betrachtet werden, das Aufgeben des »Stilett-Provisorium« und das Engagement des Streites »Mann gegen Mann«.

Und wenn es wahr ist, was die Leute munkeln, das die »gottgeweihte Spada d' Italia« zu funkeln sich vermessen gegen den alten Ehrendegen des Marschall Radetzky: dann Hurrah, regnet es Avancement und Auszeichnung!

Nur heraus aus diesem verfluchten Banditennest! Heraus auf grünen Plan!

Also erscholl es wirr und lärmend durcheinander, als die Türe des Offizierszimmers sich weit auftat und die Gigantengestalt des alten Schmiedes einließ.

Als er die Türe, sich zu bücken genötigt, passiert hatte, richtete er sich zur vollen Größe auf und ließ den barschen Ruf: »Oberleutnant Werner!« donnernd durch das lärmerfüllte Zimmer hin erschallen.

Der Gerufene sprang erstaunt und entrüstet auf, um sich nach dem Sans Façon umzusehen, der ihn also zu rufen wagte.

Er musste aber bei sich gestehen, dass solch' einem Koloss solch' eine Art zustehe, und trat nicht unfreundlich näher an ihn: »Was bringt Ihr mir, Freund?«

»Bei meiner armen Seele, das bin ich«; rief der Alte launig, »wüsste nicht, warum ich sonst mit meinen invaliden Füßen über hundert Barrikaden gestiegen und ebenso oft dabei mein altes Fell riskiert hätte! Doch ich will's kurz machen! – Also einen schönen Gruß bring ich Euch vom Baron von Badern, Eurem Freunde, den habe sie bös getroffen, die feigen Halunken, er liegt sterbenskrank bei meiner – hm, hm – zukünftigen Schwiegertochter, in guter Pflege wohl, aber voll Sehnsucht, aus der Stadt zu kommen!«

»Gott, meine Ahnung!« rief Werner erbleichend, »es muss ihm das Unglück schon vor Ausbruch der Emeute zugestoßen sein!«

»I freilich, schon nachts zuvor! Als die ersten Kugeln flogen, hatte er das Übelste vom Fieber schon hinter sich.«

»Mein Gott! Was ist da anzufangen?« sagte der Offizier halblaut mit bekümmertem Blicke; »Wir wissen selbst nicht, wo wir morgen sind und, selbst wenn er transportabel ist, wie bringen wir ihn durch die verbarrikadierten Straßen?«

Da lächelte der Schmied auf ungemein stolze Art und breitete seine beiden Riesenarme vor Werner aus: So mein ich, wird es gehen!« sagte er wichtig, »ich trag' ihn her oder wohin Sie wollen!«

»Bravo, Freund! Hierher! Hier ist er sicher, geschehe, was da wolle!« sagte der Offizier mit trübem Lächeln und setzte flüsternd hinzu: »Aber eile, eile, es dürfte leicht und bald zu spät werden!«

Braun nickte wie einverstanden mit dem großen Kopfe, griff an die Mütze und verschwand ohne Adieu.

Werner setzte sich stumm und nachdenklich zu den Kameraden.


 << zurück weiter >>