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16.
Adieu – arevoir!

Aus einem kleinen Zimmer des Kastells mit der Aussicht in den Corso Casari wurde der am Morgen des 19. Neu entbrennende Kampf gegen die insurgierte Bevölkerung geleitet.

Hier lebte der alte Marschall wie jeder gemeine Soldat von einer Reissuppe und einem Stück oft sehr harten Rindfleisches. Durch sechs Tage und Nächte kam er nicht aus den Kleidern und genoss vielleicht keiner Stunde ruhigen Schlafes! –

Aber dieses erhabene Beispiel wirkte elektrisierend auf die Soldaten, die Übermenschliches zu erdulden und zu vollbringen bestimmt waren durch die fünf Tage des Kampfes in Mailand.

Der Regen goss in Strömen; an ein Bequartieren war nicht zu denken; demnach dünkte das Bivonak auf den kotigen Boden des Foro vor dem Kastell dem Soldaten ein ganz gutes Logis: sah er doch zu allen Stunden aus dem ersten Stock der alten Viskontiburg ein Vaterantlitz bekümmert, aber immer freundlich lächelnd auf sich niederschauen, das milde, edle Antlitz des »Vater Radetzky«!

Die Ereignisse dieses und der folgenden drei Tage, verdüstert durch ebenso viele Züge barbarischer Wildheit der Rebellen als edler, hochherziger Tapferkeit von Seite der kaiserlichen Soldaten, lassen sich in Kürze also zusammenfassen.

Hätte der Marschall die rebellische Stadt nach Verdienst züchtigen wollen – die Hoffnung, den Aufruhr mit seinen ausreichenden Mitteln zu bewältigen, gab er schon den Ereignissen des zweiten Tages gegenüber auf – so lagen die Mittel dazu in seiner Hand.

Er verfügte über zwölf Haubitzen und einer größeren Anzahl Raketen, als erforderlich gewesen wäre, Mailand in einen Schutthaufen zu verwandeln.

Aber der Gedanke an Verwüstung lag seinem edlen, menschenfreundlichen Herzen ferne – er wollte erhalten – nicht zerstören.

Als der Kampf den ganzen 19. mit ununterbrochener Heftigkeit und auf immer ausgedehnterem Terrain forttobte, fasste der Marschall den Entschluss, das ganze flache Land zu räumen und alle Truppen um Mailand zu konzentrieren.

Da erst wurde es allen klar, worüber sich der Marschall keinen Augenblick getäuscht hatte – wie allgemein der Aufstand bereits war. Es hätte ja sonst aus andern Punkten des Reiches Nachricht kommen müssen, wie hier und dort das kaiserliche Konstitutionspatent aufgenommen worden – nichts von allem dem, und erst, als die an die detachierten Truppen- und Garnisonskommandanten abgesandten Boten im Laufe des Tages unverrichteter Sache mit der Meldung zurückkehrten, dass alle Straßen abgegraben, alle Brücken abgeworfen, alle Orte verbarrikadiert und alle Kommunikation unmöglich, wusste man gewiss, dass nicht Mailand, nicht die Städte – dass das ganze Land im Aufruhr begriffen sei.

Eines eigentümlichen Falles sei hier Erwähnung getan.

Von allen diesen Boten erreichte ein einziger auf bisher unbekannte Weise Bergamo, den Ort seiner Bestimmung. Die dortige Garnison verließ sofort die Stadt und erreichte wirklich, obgleich unter fortwährenden Kämpfen, endlich Mailand.

Es war ein Bataillon des Infanterie-Regimentes »Erzherzog Sigismund« und bestand aus lauter Italienern! –

Als der Abend kam, war das Militär bereits gezwungen, alle inneren Posten der Stadt zu räumen und sich auf die Behauptung des Walles und der Tore zu beschränken.

Diese Räumung war durch die Notwendigkeit geboten und nur mit den größten Schwierigkeiten auszuführen.

Sie fand in der Nacht statt; – die größten Schwierigkeiten machte die Rettung der Trabanten und Dienerschaft des abwesenden Vizekönigs, Erzh. Rainer, da ihr Weg über den Domplatz führte.

Generalmajor Rath führte auch dies mit der gewohnten Umsicht und Tapferkeit aus.

Bloß ein Hufkutscher fand den Tod dabei. Als der Morgen des 20. anbrach, wehte die Trikolore schon stolz von der Madonna des Domturmes; und abermals fingen die Glocken den Ruf zum Sturme an. –

Eine provisorische Regierung ward kreiert – Casti ihr Präsident! –

Dieser Tag war zur Ausführung einer Farce ausersehen, die an Jämmerlichkeit der Anlage und Schmach des Ausganges alles übertraf, was je in diesem Genre dagewesen!

Gegen Mittag nämlich kamen, zur größten Verwunderung und Ergötzung des bivonakierenden Militärs, trotz Regen und Kot die sämtlichen, in Mailand residierenden Konsule fremder Mächte en grande parade, der französische an der Spitze, vor dem Kastell an.

Der Marschall empfing sie ebenso verwundert, protestierte jedoch, an den Degen schlagend, gegen den angemaßten Protest, den sie wegen Bedrohung des Eigentums ihrer Schutzbefohlenen einlegen zu müssen glaubten.

Nach langem Hin- und Herreden kam endlich des Pudels Kern heraus – der französische Konsul erklärte und erwies sich als ermächtigt, einen Waffenstillstand vorzuschlagen, den der edle Marschall mit der einzigen Bedingung annahm: Einstellung aller Feindseligkeiten bis zu einer Entscheidung von Wien!

Aber es stand anders geschrieben im Buche des Schicksals.

Als die Deputation der Konsule dem Podesta den Erfolg ihrer Sendung mitteilte, gab er ihnen stolz zur Antwort – es sei nun an ihm zu diktieren und zu gewähren, denn in drei Tagen wehe das Banner Piemonts diesseits des Ticino!

Der Waffenstillstand ward nicht angenommen und der Kampf mit erneuter Wut begonnen.

Als dem Marschall diese Neuigkeiten mit der Nachricht hinterbracht wurden, dass bereits an mehreren Punkten Freischaren aus dem Tessin die Grenze überschritten hätten, wusste er, dass nicht Karl Albert und die empörte Lombardei allein – dass ganz Italien ihn bedrohe, und der fasste seinen Entschluss danach.

Er zog die beiden Brigaden »Maurer« und »Strassoldo« an sich und befahl – den Rückzug aus Mailand.

Er wusste, er werde nun für so lange auf einen Verteidigungskrieg angewiesen sein, als ihm die Konzentration und Organisation aller seiner Streitkräfte nicht gelang – er sah, dass jede Stunde Verweilens in Mailand ihre Opfer fordere und hatte im Rücken Festungen und neue Kräfte – am Abende des 22. war der Entschluss, Mailand zu verlassen gefasst, der Befehl gegeben und um zehn Uhr abends standen sämtliche Truppen in fünf Kolonnen auf der Piazza d'armi hinter dem Kastelle aufmarschiert.

Dennoch war es bereits nahe an Mitternacht, als sich der großartige Train, den die Wägen und Bagage flüchtender Beamten- und Offiziersfamilien, überhaupt aller zur Flucht gezwungener Deutschen bildete, er reichte weitab vom Friedensbogen bis zur Arena.

Die Avantgarde war bereits eine halbe Stunde voraus, als sich die erste Kolonne in Bewegung setzte. –

Die Nacht war kalt und finster – noch immer heulte von allen Türmen der Sturm und krachte in den Gassen das Gewehrfeuer, als ein riesiger Mann langsamen Schrittes und von Zeit zu Zeit stille haltend, um sich zu verschnaufen, längs dem Giardino publico der Porta orientale zuschritt.

Er trug eine lässig und wie ersterbend an seinem Halse hängende Gestalt mit starken Armen dahin.

Es war Braun, der Schmied, der den Baron trug.

»Herr! Herr Baron! Lebt Ihr noch?« fragte er leise und lehnte, den Fuß unter den Leib des Barons schlagend, sich mit diesem auf einen Augenblick an die Gartenmauer.

Der Baron gab keine Antwort.

»Na, macht nur keinen schlechten Spaß und sterbt mir etwa, das Tor und die Rettung vor der Nase!« räsonierte Braun in seiner derben Weise. »Hört, Herr Baron! Soll ich weiter?«

Ein leises, schmerzlich gestöhntes »Ja« entrang sich den Lippen des Verwundeten.

»Na, also! – ist halt kein Soldat – ja, ja!« sagte der alte Grenadier achselzuckend und lud den Baron schonend wie eine Mutter wieder auf die Schulter.

»Mir fällt es natürlich nicht ein«, sagte er für sich im Gehen, »an dem Worte des Offiziers zu zweifeln, der uns mit dem Wagen an der Porta zu erwarten versprach – na da sind wir! Wo steckt denn der Thomas?« –

»Wer da?«

»Gut Freund und flüchtig aus Mailand!«

»Passiert!«

Der Schmied wandte sich gerade an den Korporal, um nach Werner zu fragen, als er den freudigen Ruf, »der Vater, der Vater!« hörte und zwei vermummte in Pelzen vergrabene Frauengestalten, gefolgt von einem Manne, auf sich zustürzen sah.

Es waren Thomas, die Putzmacherin und ihre Mutter, die als österreichisch gesinnt bekannt, keine rosigen Tage in Mailand zu erwarten hatten und sich freudig dem Zuge des Marschalls anschlossen.

»Na, na, hallo! Achtung!« rief der alte Mann abwehrend, »hab' ich den armen Lazarus deshalb so weit herausgeschleppt mit heiler Haut, dass Ihr mir ihn da erdrückt – macht lieber, dass wir zum Wagen kommen, ich habe den Arm schon ganz lahm!«

»Nur einige Schritte noch, lieber Vater!« sagte Thomas eilig, »der Wagen hält an der Brücke; die beiden Frauen setzen sich mit dem Baron hinein, Ihr auf den Bock und ich marschiere mit dem Heere nach!«

»Ei! Schönen Dank für Deinen Bock, Du Neidkragen!« rief der Alte unwirsch, »sitze Du und das Weibsvolk, wo Ihr wollt, das weiß ich, dass ich nicht anders tue als mit den Soldaten! Immer mit den Soldaten! Bin neugierig, wie sie den kleinen Unfall nehmen mit der Retirade! – Ho, werden schon wieder kommen, wie damals der kleine Korporal aus Elba, glorieuse – aber auf länger, auf immer!«

Jetzt hatten sie den Wagen erreicht, eine elegante, erbeutete Karosse, wie gemacht, um einen Verwundeten zu transportieren.

Der Baron ward sanft hineingehoben und verpackt, die Weiber mit ihm: Thomas blieb bei dem Wagen, und der Alte nahm Abschied von ihm mit den Worten: »In Vigentino sehen wir uns!« worauf er sich auf den Weg machte, um den abziehenden Truppen entgegenzugehen, deren festen, hallenden Tritt man bereits herab tönen hörte von den Alleen der Circumpalationslinie.

Er stellte sich auf eine Auffahrt der Esplanade und sah sich das Schauspiel an.

Ein großartiges Nachtstück!

Noch immer wimmerten und heulten die Glocken von den Türmen, noch immer krachten die Schüsse in den Straßen und auf den Wällen; die brennenden Barrikaden, die Lohe der Häuser auf dem Walle, die genommen und zerstört werden mussten, um den Rückzug auf dieser Seite zu sichern, warfen ihre roten Streiflichter unheimlich herab auf die, im nächtigen Dunkel dahinziehenden, vom fünftägigen Kampfe müden, aber unverzagten Soldaten.

Zuerst zog die Avantgarde an dem Schmiede vorüber. Dann folgte still und ernst Kolonne um Kolonne.

An der Spitze der dritten ritt, umgeben von seinem Stabe mit der Lager-Mütze und dem grauen, einfachen Mantel – der Feldmarschall.

In tiefer Ehrfurcht zog der Schmied seine Kappe, als der greise Held an ihm vorüber kam.

Gerade in diesem Augenblicke war eine kleine Stockung eingetreten; der Marschall hielt seinen Schimmel an, wandte sich um auf die brennende Stadt, und sah lange ernsten, trüben Blickes auf das düstere Bild.

»Wir werden bald wiederkehren!« waren die einzigen Worte, die er beim Abschiede von Mailand sprach. Der Zug setzte sich wieder in Bewegung, und nach der dritten Kolonne kamen der endlose Train und die Bagagen der Auswandernden.

Clam führte die Nachhut.

Wie viele Tränen mögen still niedergeronnen sein auf diesem nächtlichen Zuge! Wie viele brave Soldaten hatten ihr Liebstes in Gefahr und ihre Kameraden im Blute und im Todeskampfe zurücklassen müssen in der treulosen Stadt!

Tief betrübt und traurig zog die Armee in finsterer Nacht hinaus in das völlig insurgierte Land.

Aber so wie der Herr einst den Kindern der Verheißung vorausgesandt seine Lichtsäule durch die trostlose, öde Wüste, so ging auch vor der Armee her leuchtend und tröstend die Glorie des Namens jenes Heldengreises im grauen Röcklein auf dem kleinen Schimmel.

Sein Stern erschien in tiefer, dunkler Nacht flammend am düstern Horizonte und goss die Silberstrahlen des Mutes und des Vertrauens in die gedrückten Herzen der Söhne Österreichs – ein Stern, vor dessen reinem Glanze gar bald und schmählich die Feuerwerkssonne der »Spada d' Italia« erbleichte und verlosch. –

Nur wer Italien kennt, kann sich einen Begriff machen, welch' ein Jubel ganz Mailand durchtönte und welch' tolles Getreibe begann, als es mit dem Morgen bekannt wurde, dass die Garnison abgezogen sei!

Der nachherige Kriegsminister Litta sandte an alle Pfarrer und Ortsvorsteher die Freudenbotschaft: »dass der Feind geschlagen und in wilder Flucht begriffen sei; dass es jetzt nur noch gelte, die letzten Überreste dieser Barbarenhorden zu vernichten!«

Die provisorische Regierung verfügte, dass von zwei, sofort mobil zu machenden Legionen »der fliehende Feind bis auf die Gipfel der Alpen, die natürliche Grenze Italiens« verfolgt werden sollte. –

Der Anfang vom Ende hatte begonnen.

Es war gegen Mittag, als die »Märtyrer der Freiheit«, die zurückgelassenen politischen Gefangenen in feierlicher Prozession und in den prachtvollsten Wägen aus dem Justizpalaste abgeholt und im Triumphe durch die Straßen der Stadt geführt wurden.

In dem ersten dieser Wagen saß ein totenblasser, hagerer Mann – ernst, fast finster auf die ihn umtanzende Menge blickend. Neben ihm eine dicht verschleierte Frauengestalt – es war Rudolf Stark und seine Tochter Chiarina.

 

Ende des ersten Bandes.

 


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