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Prolog.
Vor siebzehn Jahren

1.
Ein Reiterstücklein

Der 5. März des Jahres 1831 war mit einem frischen, hellen Morgen aufgegangen über der schönen Mark Bologna.

Doch obwohl die Sonne schon ziemlich hoch hing an dem wolkenlosen Himmel, standen Fels und Garten ringsum öde und leer; dafür tummelte es sich in hellen, lustigen Haufen rundumher auf allen Wegen und Straßen der Stadt zu, besonders an dem reizenden Gelände des Canale naviglio von Malaberga und Minorbio her und auf den Straßen von Anzola, St. Giovanni und an den lachenden Ufern des Reno rechts und links des Modeneser Straßenzuges. Alle im Festtagsstaate, erhöht durch die fantastischsten Aufputze von Bändern und Kokarden in rot, grün und weiß, die, abgesehen von den trikoloren Fahnen, welche jedem Häuflein voranflatterten, zur Genüge besagten, es gebe wieder einmal revolutionäres Spektakel in den alten, finsteren Bonnouia.

Und so war es auch! – Heute sollte die Stimme der sieben föderierten Landschaften, die sich vom hl. Stuhle losgerissen, den Mann bezeichnen, der fortan beherrschen – nein, leiten sollte zwei Millionen »freier« Italiener.

Was nicht pfiff und sang unter den rasch antrabenden Gruppen, das war in Diskussionen über die bevorstehende Wahl versunken, die ganz in der nur Italienern eigenen Art geführt wurden, nämlich gewürzt mit Heiligenanrufungen, Flüchen und Buffonaden und begleitet von der eifrigsten Mimik.

Die Frage, welche die Nachkömmlinge des von der Wölfin gesäugten göttlichen Heroen beschäftigte, war die: ob dem Kandidaten Bolognas, Giovanni Vicini, der Vorzug zu geben sei bei der Präsidentenwahl oder dem Führer und Vertreter des »jungen Italiens«, Giuseppe Mazini, dessen energischem Talente vorzugsweise die raschen Erfolge des Aufstandes der Marken zugeschrieben wurden.

Aber das Schicksal hatte an diesem Morgen eine eigene Demütigung zugedacht diesen Männern, deren jeder ein Curtius war – nach seiner Erzählung – an dem glorreichen Tage der Erhebung und Teilhaber aller diesem Tage rasch gefolgten Heldentaten: Der Entsetzung der päpstlichen Behörden, Verjagung des Legaten und dreier Bischöfe, nebstdem der unblutigen Einnahme mehrerer Forts, besetzt – nicht verteidigt – von feigen Soldtruppen, die freudig die Trikolore umhingen und sich unter Zuechis Fahnen enrollierten, ohne dass man bedachte, welch gefährlicher Alliierter ein Soldat sei, der einmal Pflicht und Eid vergaß.

Denn etwa eine halbe Stunde vor der Porta Procula mitten auf der Straße hielt ein ernster, schweigender Reiterzug, aus ungefähr acht Männern bestehend.

Stutzend und wie vom Donner gerührt, hielt jede der einzelnen, vorüberziehenden Scharen an, ihr Gesang stockte und ihr Wahlstreit verstummte: denn der in trotzigem Schweigen vor ihnen haltende Reitertrupp trug österreichische Uniform und gehörte, nach den reichen Schabraken und bordierten Hüten zu schließen, den höchsten Chargen der Armee jenes Landes an.

Ein unerhörtes, unglaubliches Ereignis!

Österreichische Offiziere mitten im Herzen der »befreiten« Landschaften, kaum eine Schussweite von der Stadt, in der ihr Kongress tagte und an dem Wahltage des Oberhauptes der föderierten Marken!

Welch' ein Los musste dieser Armen, Verlorenen warten? –

Doch alle die Helden, deren Lippen soeben noch überströmten von Mut, Todesverachtung und Aufopferung für das »freie Italien« – sie zogen stumm und scheu in weit ausweichenden Bogen an den Reitern vorüber, wie in die Flucht gejagt bloß von dem strengen Blicke des alten Mannes, der an der Spitze der Truppe hielt und auf seinem courbettierenden Rappen mit sichtlich herausforderndem Hohne jeder ankommenden Schar entgegen tanzte! – Immer dasselbe Schauspiel! Rasches Verstummen des Gesanges, Senken und Verstecken der Fahnen und hui! Mit gewaltigen Angstsprüngen rechts und links der Straßengräben längs den taunassen Reisfeldern hin der Stadt –.

»Nun! Hab ich's nicht gesagt?« rief er mit lustigem Spotte, »rede mir einer noch einmal von »Wagen und Gefahr« unter diesen Seidenwebern und Käsekrämern! Ich kenne meine Pappenheimer! Da hat ein Lombarde mehr Courage als ein Schock solcher After-Römer! – Ist noch nichts zu hören?«

Mehrere Offiziere, deren über die Schulter geschlungene Feldbinde sie als Adjudanten kennzeichnete, horchten scharf hin gegen die Stadt; aber ihr Lauschen erwies sich fruchtlos, denn eben begannen die Glocken von St. Petronio ihren melodischen Ruf erschallen zu lassen, als Zeichen, dass die religiöse Vorfeier der Präsidentenwahl im Dome beginne.

»Wie spät ist's?« fragte etwas missmutig der General, denn diesen Rang bekleidete der alte Herr nach der goldstrotzenden Uniform, über der ein leichter, grauer Regenmantel hing.

»Zehn Uhr gerade!« war die Antwort.

»Dann muss der Feldzeugmeister Geppert mit der Avantgarde in einer Viertelstunde da sein!« sagte mit blitzenden Augen und drohend zusammengekniffenen Brauen der General, sich hoch im Sattel aufrichtend, »wir wollen ihm Quartier machen in der Stadt; allons, Ihr Herren!« – und er trieb sein Pferd an die Tete der Truppe.

»Exzellenz! Es ist doch nicht ratsam – Dero kostbares Leben–«, warf einer der Offiziere ehrerbietig ein.

»Pah«, unterbrach ihn der General, »für mich ist keine Kugel gegossen im lieben Italien, das weiß ich von Mailand her! – Wir versuchen eben nur ein keckes Reiterstücklein, und Gepperts Corps macht eine Promenade militaire – nichts weiter; denn ich wette, es fällt kein Schuss dabei!« und mit einem eigenen Lächeln setzte er seinen Rappen in Galopp und sauste, gefolgt von seiner Suite, die schöne Straße hinab gegen die Porta Procula. –

Unaufgehalten gelangte der kühne Reiter durch das Tor und die mit Menschen besäete Strada Procula auf den großen Platz, wo er vor dem Albergo d' Italia anhielt und vom Pferde sprang, während ein Offizier des Quartiermeisterstabes dem Wirt befahl, die Zimmer der oberen Etage zu öffnen.

Aber das starre Erstaunen, das sich der überraschten Menge bemächtigte, als sie österreichische Uniformen über den mit Trikoloren geschmückten Haufen auftauchen sah, machte schnell einem anderen Gefühle, dem des Schreckens und Entsetzens Platz, als sich aus den gedrängten Volkshaufen eine dumpfe, zitternde Stimme mit dem Rufe: »Frimont! Frimont!« erhob, der allüberall sein furchtbares Echo fand, wie des Donners Stimme durch die Stadt hingrollte und hinanschlug an die hohen Fenster des Palazzo publico, aus dessen Sälen soeben die Deputationen entquollen, dem Dome zu.

Und so war es auch! Der kühne Reiter, der es gewagt, mit einer Handvoll Offizieren die in vollem Aufruhre gegen ihren Fürsten begriffene Stadt zu betreten, nicht als Gast, sondern als Sieger und Triumphator – war Graf Frimont, Fürst von Antrodocco und Kommandierender in der Lombardei – der Mann, dessen eherne Ferse die Carbonaria zertreten.

Hui! Welch' heillose Verwirrung richtete der gefürchtete Name allein an unter den Helden »der jungen Italiens«! Wie schnell schloss er die geschmückten Läden und Cafeterien mit dem Schlüssel der Angst? – Wie ein Wetterschlag schlug er herab von den Balkonen und Fenstern die stolzen Trikoloren, die wallenden Tapeten und blühenden Sträucher! Alles, bunt durcheinander drängte sich der Porta Stiera und dem Reno zu, eilig, eilig – in wilder Flucht.

Und der alte Marschall stand mit verschränkten Armen und einem verächtlichen Lächeln an einem offenen Fenster des Gasthauses und sagte nichts als einige Male nachdenklich: »Ja, ja! Die Schlange beißt sich immer wieder in den Schwanz!« –

Dann wandte er sich an einen Adjudanten und diktierte ihm den kurz gedrängten Bericht an den Kaiser: »Dass er Bologna ohne eine Schuss genommen und in der Lage sei, die Okkupation des empörten Teiles der Romagna durch Geppert als vollendet berichten zu können, weshalb er nach Mailand eile, um dem Ausbruche einer Emeute dort zuvorzukommen.«

Die Depesche war noch nass und ungesiegelt, als ein abermaliger Schreckensruf die Stadt durchzitterte: denn lustiger Trompetenton scholl herauf vom Tore und der Gasse, und im Augenblicke darauf kam eine Schwadron Husaren im vollen Galopp herangesprengt und schwenkte vor dem Gasthofe auf, während aus der Tiefe des Defilees vor der Porta Procula die hellen Klänge der Musikkorps der österreichischen Avantgarde herauf drangen. –

Das war das Ende der »glorreichen dreißig Tage« der föderierten Landschaften, herbeigeführt durch die unglaubliche Kühnheit und Energie Frimonts, die ebenso überraschend war wie die unglaubliche Verzagtheit und Feigheit der Führer des »Einigen Italiens« – damals wie immer bloß einig im politischen Fiasko.

Wären damals die gedankenschnellen Kommunikationsmittel unserer Tage zu Gebote gewesen, so würde dem Hesperien Europas viel Leid und Unglück erspart worden sein – so aber war es bei der Allgemeinheit der revolutionären Bestrebung fast unerlässlich, dass noch immer einzelne Erhebungen stattfanden, als die Sache bereits eine verlorene und das Zentrum des Aufstandes lange schon der rechtmäßigen Gewalt unterworfen war.

Einige Stunden nachher stiegen vor dem Gasthofe des Marschalls die erhebenden Klänge des österreichischen Volksliedes – des soldatischen Te deums – majestätisch empor in die heitere Frühlingsluft – sie galten dem Abschiede Frimonts, der mit seiner Suite in einigen Kutschen im raschen Laufe die öde, friedhofsstille Stadt verließ.

Sie trugenden Marschall der Lombardei zu.


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