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12.
Im Lazarett

»Traurig ist's an eines Menschen
Krankenbett und Sterbebette« –

doch wenn es umstanden wird von den teuren, geliebten Gestalten der Angehörigen, wenn jedes Auge, in Tränen schwimmend, sich müht, den letzen, letzten Blick des Scheidenden zu erhaschen, wenn warme Hände die erstarrenden des Vergehenden an heiß klopfende Herzen ziehen und süße, von der Wiege an lieb gewordene Stimmen schmerzlich flehen: ach stirb uns nicht, o scheide nicht von uns! – dann, wenn auch das Scheiden umso schwerer wird, dann ist das Sterben schön.

Das ist ein trauriges Sterben, einsam und allein in öder, dunkler Kammer, wie es den armen Erdenpilger anfällt, der ungeliebt durchs Leben gegangen und unbeweint stirbt, der allein ringt und verlassen mit dem blassen Tode in finstere Nacht, um ein Stündlein noch zu gewinnen und es zu benützen, um eine linde Hand zu suchen, die ihm die brechenden Augen zudrückt.

Doch das härteste und traurigste Sterben ist das des Kriegers, fern von der teuren Heimat im fremden Lande. Des Kriegers nicht, der da getroffen fällt in offener Schlacht auf grüner Heid' – der sinkt fröhlich nieder auf den blutigen Boden und seine erkalteten Lippen flüstern, indes die Schlacht ihre Wogen hinwälzt über ihn:

»Und wenn mein Stündlein kommen soll,
So bin ich frisch zur Hand:
Ich sterb' ja nicht für eitles Gold,
Ich fall' fürs Vaterland.
Was ich gesollt, hab' ich getan
Und hab's gelöst mit Blut –«

…aber jenes Armen Sterben, den die Kugel getroffen, aber nicht auf den Tod, den der bleiche Würger mit der scharfen Sense bezeichnet, damit sein Scherge, das hohläugige Siechtum käme, um mit grausamer Hand Faden auf Faden des Lebensgewebes abzuschneiden, bis der letzte reißt – das ist das härteste.

Da liegt der Arme, nicht allein, aber eben drum einsam und verlassen; denn seine Gefährten kämpfen ja alle gleich ihm mit den gebrochenen Waffen des Lebens gegen die grause Macht des Todes; und jeder von ihnen kehrt, des Todesengels Schwingenschlag vernehmend, im tiefsten Kämmerlein des Herzens ein, wo er dessen Allerheiligstes verschlossen hegt – die Liebe und die Erinnerung! Und tief drinnen weint er die blutigen Tränen der Sehnsucht und der Hoffnungslosigkeit, tief drinnen ruft er tausend und aber tausend Mal das herzinnige Lebewohl, während droben das starre Auge tränenlos erlischt und die bleiche Lippe schweigend für immer verstummt. –

So wehtuend es immer ist, durch die stillen Räume eines Friedens-Spitales zu wandeln, durch nichts belebt als durch die blassen, leidenden Gestalten der Soldaten und deren leise Schmerzenstöne, so verwischt doch die Ordnung und Reinlichkeit, die sichtbare Sorgfalt der Pflege zum großen Teil den schmerzlichen Eindruck, doch zu wandeln durch das unheimliche Lazarett einer Festung nach einer oder mehreren Schlachten, das ist ein herzerschütternder, grauser Gang, nur denen zu gönnen, die den Krieg zu entzünden und seine Furie zu entfesseln sich nicht scheuen.

Denn das ausgedehnteste Leichenfeld bietet, sobald die Verwundeten weggeschafft sind, bei Weitem keinen so grauenhaften Anblick als ein Notlazarett. – Die Toten klagen nicht!

Aber zwischen den Mauern des Lazaretts erheben tausend Schmerzensschreie die Anklage zu Gott, zu seinem Himmel emporschlagend unter dem Messer des Arztes oder im qualvollen Todeskampfe. –

Im Spitals-Cavaliere zu Mantua war alles bereits überlebt; die Tage von Goito und Volta und die Kämpfe an den Ufern des Mincio hatten vieltausend verwundete Krieger hier zurückgelassen. Sogar der offene, der heißen Sonne wegen mit Leintüchern verhangene Gang vor den Krankensälen war mit Blessierten und mitunter schweren belegt, die alle warteten, bis drinnen Platz werde. Ach, es wurden gar viele Betten drinnen leer, deren Inhaber allnächtlich still hinab getragen wurden in die weite Totenkammer, um Tags darauf mit den warmen Schollen des sonnigen Friedhofes der Zitadelle zugedeckt zu werden.

Durch die stillen Säle von Bett zu Bett schritten die Feldärzte mit aufgestulpten Ärmeln und schweißtriefenden Stirnen.

Bandagenträger ihnen nach, mit kleinen, tragbaren Tischchen vor sich, auf denen die gewöhnlichsten Salben und Geister nebst den Operations-Instrumenten lagen.

Und nach den Männern der Kunst schritten die der Religion, der Trösterin der Betrübten, die Feldkapläne ernst einher, um an dem Krankenlager, über das die Hand des Arztes ein Kreuz gezeichnet hatte, sich niederzulassen und dem aufgegebenen Inhaber darin den letzten Trost der Kirche zu reichen, die Zehrung auf den Weg hinüber.

Zwischen allen denen aber schwebt wie ein Engel des Friedens ein weibliches Wesen in dunkler, nonnenartiger Tracht von Lager zu Lager, hier mit milder, weicher Hand einen Verband ablösend oder anlegend, dort eine weite, klaffende Wunde mit kühlendem Wasser waschend, überall aber mit herzlichem, dankbarem Lächeln empfangen und von innigem »Gott vergelt's« begleitet.

Es war eine Laienschwester des Hospitals delle Fatebenesorelle der Stadt Mantua, der die Soldaten ihres milden, geduldigen Wesens und ihres engelgleichen Aussehens wegen den Namen »Schwester Angela« gegeben hatten.

Sie hatte sich, wie man sagte, freiwillig zur Dienstleistung im Lazarett erboten. –

Sie kam endlich an das Ende ihrer beschwerlichen Wanderung, in den dritten der kasemattierten Krankensäle, eben als ein Kranker von dem Gange auf ein frei gewordenes Bett hereingebracht wurde.

Der Mann schlug in wilden Fieberphantasien heftig um sich, und die Ärzte schauten einander bedenklich an.

»Das ist der Oberleutnant von Gyulai, der nach dem Sturme auf Volta auf dem Schlachtfeld zum Hauptmann avancierte!« sagte der kontrollierende Chirurg und sondierte dessen Wunde.

Es war eine Stichwunde gerade unter dem Herzen; sie klaffte, als der Verband beseitigt war, weit auseinander und war bereits von jenem bläulichen Rande umzogen, der in Brand übergehende Wunden einzufassen pflegt.

Nach einer langen Pause, während der Arzt abwechselnd Puls- und Herzschlag prüfte, trat er kopfschüttelnd zurück und sagte leise: »Die Wunde ist zwar alt und vernachlässigt, jedoch nicht tödlich; aber der arme Herr muss lange in der heißen Sonne jenes Tages draußen gelegen sein, er hat den Sonnenstich, und zwar im höchsten Grad! Was Menschenhilfe aber noch kann, wollen wir versuchen!«

Und seine Chirurgen durch einen Wink um sich scharend, begann er zuerst den blauen Rand der Wunde wegzuätzen, dieselbe frisch zu tuschieren und zu verbinden, worauf er dem wachhabenden Arzte eine schleunig zu bereitende Arznei in die Feder diktierte und sich mit den Worten entfernte: »Zeichnen Sie ihn übrigens aus, aber es wird nichts nützen, er wird kaum mehr sprechen!« – Der Kranke hatte die ganze Operation hindurch sich nicht geregt.

Der Chirurg zeichnete schweigend an die Stelle des eben erst ober dem Lager verlöschten Kreuzes – ein neues, und der Kaplan trat an das verlassene Lager des Offiziers. –

Während dem war »Schwester Angela« in den Saal getreten; an ihr Ohr schlug nur noch einer jener unartikulierten Schmerzenslaute, die der Fieber-Paroxysmus dem Verwundeten entriss, aber der eine Laut bannte sie an die Schwelle, machte ihr Blut gerinnen und ihren Herzschlag stocken – der Kranke hatte mit gellender Stimme ihren Namen, Chiarina, gerufen, mit gellender Stimme gerufen, deren Ton noch immer in ihrem Herzen nachvibrierte seit jener Stunde, wo sie die um Liebe Flehenden mit den kalten Worten zurückstieß: »Weiche von mir, Du blutbeflecktes Weib!«

Chiarina war es, die die Soldaten »Angela« tauften um ihrer Milde, Geduld und Schönheit willen; sie wussten nicht, dass diese Milde und Geduld die Sühne für die Verbrechen jener Schönheit waren! –

Chiarina war, als sie jener gellende Schrei traf, mit vergehenden Sinnen leise an den Pfosten des nächsten Krankenbettes niedergeglitten, und ihre bleichen Lippen flüsterten ein leises, leises: »Mein Gott; Er!« –

Sie blieb lange an dem Bette knien, bis die Ärzte das des Verwundeten verließen und nur der Priester allein daran saß.

Der Priester lauschte lange den unruhigen, röchelnden Atemzügen des Offiziers, dessen Brust in Fieberschauern erzitterte, während auf der Stirne der kalte Todesschweiß seine Perlen hervortrieb.

Als er sah, dass der Kranke, wie der Doktor vorausgesagt, den Gebrauch der Sprache nicht mehr erlangen werde – denn der ungleichförmige Atem wurde immer kürzer, und nur stoßweise erhob sich noch die wunde Brust, während das Antlitz jener graue Schleier überzog, den man den Schatten des Todes nennt – machte er, sich erhebend, das Zeichen des Kreuzes über den Sterbenden und salbte dessen Schläfe, Stirne, Mund und Brust mit dem heiligen Öle, worauf er sich an dem Bette niederließ, um für den einsam von dem schönen Leben Scheidenden ein Vaterunser zu beten.

Als er sich erhob, taumelte er entsetzt zurück; denn an seiner Seite vor dem Bette stand die dunkle Gestalt der geisterbleichen Chiarina, die Hände krampfhaft auf die Brust gepresst und mit zurückgebogenem Leibe nach dem Sterbenden starrend.

Der Ausdruck voll unendlichen Leidens im Antlitz der Laienschwester bewegte den Kaplan zu einer raschen Gebärde, wie um sie zu stützen und zu halten; aber sein Erstaunen wuchs, als er sie plötzlich wie irrsinnig sich an ihn anklammern und in die Knie niedergleiten sah. »Fasst Euch, gutes Kind! Fasst Euch! Was ist Euch begegnet?« sprach er, zu der Knienden sich niederbeugend, um sie zu erheben.

»Nein, nein!« rief Chiarina mit leidenschaftlicher Hast, »ich stehe nicht früher auf, bevor Ihr mir nicht sagt, ob er – sterben muss!«

Der Feldkaplan erwiderte nach kurzem Besinnen mit einiger Verlegenheit: »Alles steht in Gottes Hand; er kann gesunden!«

Chiarinas Augen hingen durchbohrend an dem gütigen Gesichte des Priesters: »O lügt nicht, Herr!« rief sie abermals und noch dringender, »sagt, was die Ärzte für Hoffnung geben!«

»Stehe auf, mein Kind, und versuche Gott nicht, für den ist keine Hoffnung mehr!« war die Antwort.

Chiarinas zarter Leib knickte bei diesen Worten wie vom Blitze getroffen zusammen, doch in einem Augenblicke sprang sie auf und dem Sterbelager des Verwundeten zu, an dem sie weinend mit dem leisen Rufe »Bernard!« niedersank.

Der Priester sah erstaunt dem rätselhaften Gehaben des Mädchens zu, das plötzlich mit erhobenen Händen laut zu beten begann: »Mein Gott! Du Gott der Gnade und der Erbarmung! Höre das Flehen, das inbrünstige Gebet Deines unwürdigen, aber dennoch Deines Kindes! Lass ihn, den ich einzig und allein geliebt, nicht sterben, ohne mir vergeben zu haben! Lass ihn nicht scheiden von dem Leben, ohne zu wissen, dass er mich gerettet! Lass seine Augen nicht brechen, ohne dass sie einen Blick – nur des Mitleids auf mich fallen lassen; lass diesen Mund nicht für immer verstummen, ehe er ein Wort der Verzeihung gesprochen; lass dieses Herz nicht stille stehen, bevor es nicht von dem Schatze der Liebe, den es birgt, einen Brosamen für mich Arme abwirft! – Erhöre mich, mein Gott! Hilf, mein Gott!« und sie erfasste in unheimlicher Ekstase die erkaltende Hand des Sterbenden, zog sie an ihre Lippen, und ihr schweres, glühendes Haupt sank müde darauf.

Da trat der Priester leise zu ihr und sprach, ihre Schulter berührend, mit erregter Stimme:

»Amen, mein Kind! Sieh, Dein Glaube hat Dir geholfen!« und er wies mit bebender Hand auf den Sterbenden, der langsam die schweren Augenlider aufschlug, tief aufseufzte und mit leiser, aber klarer Stimme rief: »Chiarina!«

Chiarina schoss mit einem wilden Schrei des höchsten Entzückens auf: »Bernard!« rief sie mit jubelndem Tone – da war aber auch ihre Kraft dahin, und sie sank auf das Lager des vergehenden Mannes nieder. – Als sie endlich das bleiche Antlitz wieder zu Bernard erhob, hörte sie noch einmal ihren Namen sich leise den sich bläuenden Lippen entringen – ein kurzes Ächzen – und die Stimme des mittlerweile hinzutretenden Arztes, der die Augen Bernards mit gelindem Drucke schloss und sagte:

»Er ist tot!« –


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