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8.
Zwei Brüder.

Der Abend war wunderschön herabgesunken auf die marmorne Olonastadt.

Es war kurz vor vier Uhr nach italienischer Zeitrechnung, als von der Kirche St. Marco sowohl als vom Palazzo della Contabilita her an dem Canale, der die innere Stadt von den Borgos abgrenzt, zwei Gruppen von Militärs sich dem Spitale der Barmherzigen zu bewegten.

Die eine, die von der Kirche herkam, bestand aus zwei Offizieren und einem kleinen, in einen Mantel gehüllten Manne vom Civile. Die andere war eine Militärpatrouille, von den gewöhnlichen, die seit Neujahr die Straßen überwachten, nur durch ihre bedeutendere Stärke – sie bestand aus zehn Mann – und durch den sie begleitenden Gend'armen unterschieden.

Beide Gruppen schienen einverständlich einen Zweck zu verfolgen; denn als die Offiziere mit ihrem Begleiter von der Strada des Foro hinauf in der Mündung der, gegen das Spital laufenden Gasse erschienen, blieb die Patrouille an der Ecke des Corso di P. nouva stehen, wie um Verhaltungsmaßregeln abzuwarten.

Der eine der Offiziere trat auch alsbald in die Mitte der Gasse und begann den Telegrafen seiner Hände in jener leicht verständlichen Art spielen zu lassen, welche im gewöhnlichen Leben so oft vorkommt; die Patrouille kapierte und verschwand in dem Schatten des hohen Eckgebäudes.

Auch der andere Offizier und der Mann im Mantel blieben auf dem öden Trottoire zurück, während der eben erwähnte, welcher der Führer der Expedition zu sein schien, allein und sehr eilig den Weg an dem Spitale vorüber gegen die Kirche St. Angelo einschlug.

Als der Turm der Kirche mit der Uhr über den Dächern sichtbar wurde, sah der Offizier, dass noch einige Minuten bis vier fehlten; er wandte sich also um und schritt langsam auf dem rechten Trottoire der engen Gasse wieder zurück, ohne jedoch ein kleines, nettes Häuschen mit grünen Jalousien aus den Augen zu lassen, das ihm gegenüber, fast inmitten der linken Gassenfronte lag.

Es war dies eines jener Gebäude, die man fast in allen Städten Italiens außer dem eigentlichen Stadtrayon antrifft und Casini nennt; die Aufenthaltsorte begüterter Stadtbewohner für die Zeit, die der mit April und Mai beginnenden Villensaison vorangeht; halbe Landhäuser, deren Gärten größtenteils bloß jene Gewächse enthalten, die mit der primula veris des Südens an- und fortkommen.

Das Haus lag am Ende einer langen, nicht sehr hohen Gartenmauer, es war geschlossen und schien unbewohnt, wenigstens drang aus den zugezogenen Jalousien ebenso wenig ein Lichtstrahl als aus den Haus- und Hofräumen ein Ton des Lebens.

Dem war aber nicht so: denn in dem vorderen Zimmer der oberen Etage des Hauses befanden sich in diesem Augenblicke zwei Personen in heimlichem und leidenschaftlich geführtem Gespräche; es war ein großer, hagerer Mann und ein wunderliebliches junges Mädchen: Marko Creppi und Chiarina.

Die Unordnung, die in dem Zimmer, das nebst den Jalousien noch durch Blechläden von innen verschlossen war, herrschte, schien ihren Grund weniger in dem Mangel einer ordnenden weiblichen Hand als in der Lage zu haben, in der wir diese beiden Personen finden. Sie waren vor kaum einer Stunde mit einer Franchetta (Privatdiligence) angekommen, und das Zimmer noch mit all' den Säcken und Koffern verstellt, die ihre Equipage ausgemacht hatten.

Auf dem Gesimse ober dem Kamine, den kein helles Feuer belebte, stand eine kleine, matt leuchtende Bronzelampe, deren Schein gerade genügte, die Konturen des Gemaches und seiner Bewohner erkennen zu lassen.

Der Mann lehnte an einem Fauteuil und sprach mit gedämpfter, aber offenbar erregter Stimme zu dem Mädchen, das, den blühenden Kopf tief auf die Brust gesenkt, auf einem Koffer vor ihm kauerte.

Der Mann sprach immer eindringlicher, seine Hand, die auf der Lehne des Sessels lag, zitterte ersichtlich, und seine grauen Brauen zogen sich immer drohender zusammen, sooft das Mädchen seine Reden mit einem kaum hörbar geflüsterten, immer kurzen und trotzigen Worte erwiderte.

»Wirst Du es wenigstens versuchen, ihn für meine – unsere Pläne zu gewinnen?« fragte Creppi finster und grollend, uns seine Brust hob sich fieberisch im mühsam verhaltenen Grimme.

»Ich werde versuchen, seine Liebe zu gewinnen!« antwortete Chiarina monoton und ohne aufzusehen.

»Fluch!« knirschte der Hagere und erhob sich rasch und mit blitzenden Augen wie der Panther, der sich auf seine Beute stürzt; aber er bezwang sich wieder, und mit einem falschen, stechenden Blick auf das Mädchen flüsterte er wieder: »Denke daran, mein Kind! Was Du mir geschworen, an dem Sarge Deiner Mutter, Deiner armen Mutter, deren Blütenleben der Sturm brach, der auf Deines Vaters Haupt den frühen Schnee des Alters gelegt!«

Das Mädchen senkte den Kopf tiefer und antwortete nicht.

»Denke daran!« fuhr Creppi erwarmend fort, »was Deine Mutter Dich beten lehrte, als ich im fernen, kalten Norden die Kette des Verbrechens schleppte hinter dem Karren des Sklaven – denke daran, Chiarina! Gott hat uns nicht erhört, nicht Dein Gebet, nicht unsern Fluch! – Aber er gab Dir die Macht – der Verführung – der Vorläuferin der Stunde der Tat! Willst Du dienen der Rache und dem Vaterlande?«

Chiarina gab noch keine Antwort, aber sie fuhr mit einem leisen Schrei auf, denn in diesem Augenblicke ertönte der erste Schlag der vierten Stunde von S. Angelo, und mit dem letzten Glockenschlage ertönte die Schelle des Hauses, kurz und kräftig gezogen.

Das Mädchen sprang auf und dem Fenster zu: »Er ist's!« rief sie freudig, »verlass mich, unversöhnlicher Vater!« und mit bebenden Händen riss sie den Blechladen des Fensters auf, gerade als unten der Riegel und eine Stimme erklang, die flüsternd fragte: »Che segno?«

»Speranza!« ertönte es darauf von einer vollen, kräftigen Mannesstimme – die Türe ging auf und ward wieder verriegelt.

Die Jungfrau wandte sich nach ihrem Vater um, der mit fest über der tobenden Brust gekreuzten Armen und erdfahlem Gesicht unschlüssig in der Mitte des Zimmers stand: »Verlass mich Vater – geh', er kommt!« rief Chiarina in namenloser Angst –

Creppi stand noch eine Weile unbeweglich da, dann fuhr er auf, hob die magere Hand feierlich empor und sagte langsam und leise: »Gedenke Deines Schwures – der Offizier verlässt dies Haus nur als ein Mann der Unita – oder des Todes!« Und als auf dem Gange die Schritte des Ankommenden ertönten, sprang er rasch über die Koffer an dem Kamine vorüber in ein kleines, offenstehendes Türchen daneben, das er leise hinter sich zuzog.

Das Gemach hatte außer der Gangtüre keinen andern Ausgang, und dieser erwies sich, nun geschlossen, gut und ganz unkennbar gefügt in die dunklen Tapeten.

Als der Offizier die Türe öffnete und eintrat, blieb er überrascht stehen, denn Chiarina lag halb ohnmächtig neben dem Fauteuil auf den Knien; sie war totenblass und nicht im Stande, ein Wort hervorzubringen, als Bernard, dieser war es, mit etwas höhnischem Lächeln sprach: »Seid gegrüßt, Signora – erhebt Euch und vergönnt diesen Platz dem Sklaven der Reize der Königin der Schönheit!« Damit näherte er sich der noch immer Knienden und wollte sich mit spöttischer Miene neben ihr niederlassen, als sie plötzlich ihr schönes Haupt erhob und er in ihre Augen sah, die in rührender Schönheit wie verlöschende Sterne, in Tränen schwimmend, flehend zu ihm aufblickten.

Ein eigener Taumel bemächtigte sich seiner Sinne, und eine magische Beklommenheit seines Herzens; eine unnennbare Glut durchloderte den sonst kalten, gewiegten Mann, und ihm war in diesem Momente wie dem Schiffer, dem der Nixe zauberisches Bild erscheint in grüner Flut, ihn bannt und nachzieht hinab – hinab –

Er mochte so, sprachlos und verloren eine geraume Weile, die nur von den brennenden Seufzern Chiarinas unterbrochen wurde, neben ihr gestanden sein, als plötzlich ein lang gehaltener, feiner, gellender Pfiff von außen her ihn weckte – zur Besinnung und zur Tat. Aber obwohl schnell gefasst, hatte er doch den sicheren Takt verloren, mit dem er hier vorgehen wollte, und seine Stimme zitterte merklich, als er endlich sprach: »Signorina, nehmt meinen wärmsten Dank für die Güte, mit der Ihr mir, dem Fremden, erlaubtet, mich zu sonnen in dem Glanze Eurer Augen – aber nennt mir nun den Preis, den Ihr gesetzt auf dies unschätzbare Vorrecht!« Und er trat einen Schritt zurück, denn das Mädchen hatte sich erhoben, neigte sich gegen ihn und eine Stimme, süßer als Musik, lispelte ihm zu: »Ich liebe Euch, Herr!«

Bernard griff unwillkürlich an sein Herz, und ein leichter Schauer überflog ihn, als dieser Sirenenton sein Inneres traf. –

Er hatte eine Komödie erwartet, als er herging, er hatte sein Herz und seine Sinne gepanzert gegen den sinnberückenden Nimbus eines Boudoirs, dessen Herrin er sich verlockend dachte und verlangend, wie eine Odaliske des Orients: und er fand nun eine Magdalena, demütig und durch Tränen verschönt; er hörte sie seufzend flehen um Liebe, die, wie er jetzt fühlte, eingezogen wäre mit allen ihren Himmeln in sein Herz, hätte dies nicht mit Abscheu erfüllt sich abwenden müssen von einem Wesen, dessen Jugend und Schönheit Verrat und – Blut befleckten.

Dieser Gedanke brachte ihn völlig zu sich; er wehrte mit ausgestreckter Hand das sich nähernde Mädchen von sich ab und fragte mit eisigem Tone: »Und wann kommt die Reihe an die anderen, die nebst mir den Selam von Eurer Leibfarbe, der blutroten, tragen, Signora?«

Das Mädchen zuckte bei dieser Frage schmerzlich und ächzend zusammen, und ihre Hände falteten und erhoben sich wie unwillkürlich um Erbarmen bittend gegen ihn.

Bernard schlug die Arme übereinander, und abermals fuhr sein kalter, höhnischer Ton wie eine Schwertschneide in ihr Herz: »Habt Ihr nicht gehört von der Lagunenfee, die neulich wieder gespukt in Venedig? Und lautet die Zauberformel, mit der jene Hexe ihre Opfer hinabzog in das tiefe Grab der Adria nicht auch: Ich liebe Euch, Herr!«

»Erbarmen!« rief das Mädchen mit herzzerreißender Stimme, fiel vor Bernard nieder und umklammerte seine Knie: »Erbarmen, Herr! Darum, weil ich die Liebe erst erkannt, als mir ihr Missbrauch bereits auf immer ihre Himmelspforten verschlossen! Erbarmt Euch meines Lebens, das die Liebe ist zu Euch – seit ich Euch sah!«

»Weiche von mir und verstumme, Du blutiges Weib!« rief Bernard mit empörtem Herzen und stieß die Kniende von sich: »Entweihe mit Deinen meineidigen Lippen den Namen des heiligen Gefühls nicht, des einzigen Himmelsgutes, das der Mensch hinaus gerettet auf die öde, arme Welt, als das Paradies er verlor!«

Chiarina wand sich ächzend zu seinen Füßen; immer und immer wieder entrang sich ihren bebenden Lippen nur das eine Wort: »Ich liebe Euch!« – Aber Bernard machte sich gewaltsam los von ihr und rief mit verächtlichem Tone: »Weiche von mir! – und wäre ich allein mit Dir auf dem weiten Erdenrund, so zöge ich den Tod dem Fluche vor, mit Dir die Sünde fortzupflanzen!«

Er hatte noch nicht ausgesprochen, als das Mädchen plötzlich aufsprang, ängstlich gegen den Hintergrund des Gemaches horchte und nach einer sekundenlangen Pause aufschrie: »O so flieh, flieh! Wenn Du mich nicht lieben willst – flieh! Sie kommen! Sie wollen Dir ans Leben!«

»So! Hoho?« sagte Bernard gleichgültig und zog aus seiner Brusttasche ein silbernes Pfeifchen hervor, setzte es an den Mund, und – kaum war der feine, gellende Ton desselben, ein gleiches Echo erweckend verklungen, so tat sich die Tapeten-Türe neben dem Kamine auf und wie ein Dämon, den die Stimme des Meisters gerufen, tauchte aus ihrem Dunkel die trotzige Gestalt Marko Creppis auf – und nach ihr zwei stämmige Faccini. –

Bernard unterdrückte einen leichten Schrei, den ihm die Überraschung auspresste und sprang instinktartig gegen das Fenster zu – zu guter Zeit: denn in demselben Momente hörte und fühlte er etwas an seinem Kopfe vorüberschwirren und neben sich niederfallen – es war eine dünne, aber starke Schnur, nach Art eines Lassos zur Schlinge geformt und ganz genau berechnet nach seinem früheren Standorte geworfen.

»Banditenvolk! Das soll Euch reuen!« rief er mit erhobener Stimme und zog den funkelnden Degen, indem er sich in der Zimmerecke in Positur stellte.

»Keine Umstände, Mann! Und weg mit dem Messer! Du bist unser!« sprach Marko Creppi, ohne sich von dem Platze zu rühren, aber mit erhobener Hand seine Henkersknechte an ihre Arbeit beordernd.

Ein leises Gelächter Bernards antwortete dieser mit echt italienischer Emphase gesprochenen Rede Creppis; aber es erstarb in einem unnatürlichen, grauenhaften Schrei, den zuerst Bernard ausstieß, als die hagere Gestalt Marcos in den Schein der Lampe vortrat – der aber auch, und ebenso markerschütternd von Creppis Lippen erzitterte, als er das totenbleiche Gesicht des Offiziers erblickte.

»Rudolf!« –

»Bernard!« rief einer nach dem anderen.

»Mein Gott!« schrie Chiarina und brach besinnungslos zusammen. –

So sahen sich die beiden Brüder nach siebzehn Jahren wieder! – Beide nach den ewigen Gesetzen der Natur dem Ende des Anfanges näher gekommen: der eine, der ehrliche Knabe – ein ehrlicher Mann, der andere, der meineidige Mann – ein blutbefleckter Greis geworden! –

Wiedersehen! Du zartes Kind des heiligsten und des zähesten aller menschlichen Gefühle, der Liebe und der Hoffnung! Sind das Deine süßen, wonnigen Erkennungslaute, mit denen diese zwei Brüder sich riefen? – Ist dies die Stimme und der Zug des Herzens, mächtig bis zu dessen letztem Schlage, was sie Schemen gleich sich einander gegenüber stehen lässt? –

Niemand sprach und regte sich in dem Gemache; selbst die beiden Bravo waren erschüttert durch die ahnungsvolle Gewalt, die aus dem Rufen der beiden Männer hervorbrach, bewegungslos, die blanken Stilette in den Fäusten mitten im Zimmer stehen geblieben. – Da ward es laut im Hause und die Treppe heran stürmten schnelle, gewichtige Tritte. –

Creppi hatte den Pfiff gehört und wusste nun, was seiner harrte. Er schlug die mageren Hände vor das Gesicht, und ein qualvolles Ächzen entrang sich seiner Brust.

Als er aber die Tritte sich der Türe nähern hörte, sprang er mit einem gewaltigen Satze durch das Zimmer an die Seite Bernards, der noch immer regungslos dastand: »Ich bin ein verlorener Mann, ich weiß es!« flüsterte er diesem hastig zu und versuchte seine Hand zu ergreifen: »Aber ein Wort gibt's Bruder, was mir die Kerkernacht erhellen und den Todesdrang versüßen kann: sprich Bernard! Nur dies eine Wort! Nahm der Vater seinen Fluch von mir, als er die müden Augen schloss!«

Und die gewaltige Gestalt des Mannes beugte sich tief, als wollte sie in die Knie sinken, zu Bernard nieder. –

Dieser rückte ihn scheu und erbebend von sich und antwortete langsam: »Er nahm ihn nicht zurück.« –

Rudolf fuhr mit einem wilden Schrei zurück, und Bernard fuhr mit blitzenden Augen fort: »Und hätte er ihn zurückgenommen, so träfe Dich jetzt der meine, hinan schreiend zu dem Throne des rächenden Gottes, Weh und Fluch über Dich, der des Vaters Herz gebrochen und des eigenen Kindes Blütenleben geknickt« – Er blickte wehmütig nieder auf Chiarinas ohnmächtige Gestalt zu seinen Füßen, und eine Träne des Mitleids zitterte in seinem getrübten Auge.

Da war die Türe aufgestoßen, und die Patrouille trat ein.

Bernard hatte mit Werner schon seit einigen Tagen die ganze Belegenheit des Casinos zu seinem Zwecke ausgespäht und die Patrouille beordert, den Garten durch das Hinterhaus des Spitales zu besetzen. Der erste Pfiff, der von außen erklang, zeigte ihm an, dass die Patrouille ihre Mission erfüllt; sein Signal rief sie in das Haus. –

Vor Bernards geistigem Auge stand in diesem Augenblicke jener unvergessliche Moment, wo sein alter Vater, von dem Verrate seines Sohnes überzeugt, sich aufmachte in tiefer Nacht mit blutendem Herzen, um die Hand des Gesetzes zu bewaffnen gegen sein eigenes Kind – und nun, nach langen Jahren stand Bernard, der Erbe der Treue seines Vaters seinem Bruder wieder in demselben traurigen Falle gegenüber.

Sein Herz war beklemmt und schwer, aber seine Hand zitterte nicht, und seine Stimme bebte nicht, als er der eintretenden Patrouille befahl, Rudolf und seine Schergen festzunehmen.

Aber ein tödlicher Kampf entbrannte in seinem Innern, als er sich gezwungen sah, auch Chiarina, die noch immer leblos dalag, den Händen der Soldaten zu übergeben. Immer und immer wieder erklangen und widerhallten in seinem Herzen ihre süßen, klagenden Worte: >Ich liebe Dich!< Es war ihm, als habe sie ihn damit angerufen, ihr Leben in seine milde Hand zu nehmen und es auf andere Bahnen zu führen als ihr wahnsinniger Vater. –

Aber nur kurz war das Schwanken; sein ehrliches Soldatenherz begriff sogleich, was es müsse – er befahl einen Fiaker zu holen, um die Ohnmächtige fortzubringen.

In einer Viertelstunde war alles bereit.

Das Haus wurde geschlossen und ein Mann als Wache dagelassen.

Chiarina und der Gendarm rollten in dem Fiaker der Polizeioberdirektion zu.

Rudolf und seine Banditen folgten in Mitte der Patrouille.

Als diese an die Ecke der Contrada kam, stieß sie auf den Mann im Mantel, der noch immer mit Werner hier harrte.

Der im Mantel hatte Rudolf kaum erblickt, als er mit einem wütenden Satze auf ihn zusprang, den Mantel fallen ließ und Rudolf sein bleiches Gesicht zeigte: »Denke an Luigi Sala! Verführer!« schrie er ihm zu.

»Ruhe!« gebot Bernard, der hinter der Patrouille ging, ernst und mit strafendem Blicke – Rudolf senkte den Kopf tiefer auf die Brust und schritt vorüber.

Werner ergriff Bernards Arm und fragte mit neugieriger Hast: »Nun, was ist's?«

»Frage nicht! Es ist mein Bruder!« war die monotone Antwort –

Kurz darauf hielt der düstere Zug vor dem Portale des Polizeidirektions-Palastes. –

Drei Stunden später verließ eine Diligence im vollen Galoppe die Stadt durch die Porta Romano – sie führte Bernard in seine Garnison nach Pavia.


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