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Zweites Buch

 

»Ihr habt nicht lang gezögert und beraten,
Die Ehre war der Odem Eurer Lungen:
Den Degen hoch und mutig vorgedrungen!«

Zedlitz, Soldatenbüchlein.

 

»Jusque a la Brenner!«

Voix du peuple.

 

1.
Mantua.

»Bei meiner Seele! Eine recht nette Lage, in der wir uns befinden! Aufs Haar so, wie es anno zehn dem treuen Sandwirt ging:

»Zu Mantua in Banden…«

Also ließ sich ein junger, trotz dieser Jeremiade sehr munter aussehender Leutnant von H. Infanterie vernehmen, der mit vier Offizieren desselben Regimentes am Nachmittage des 24. März 1848 auf dem Walle der Zitadelle von Mantua auf – und abging, vermutlich um die Arbeitsmannschaft zu überwachen, die längs den ganzen langen Facen beschäftigt war, Bettungen zu legen und Geschütze einzuführen.

»Ja wirklich!« sagte ein anderer darauf, »wir sind förmlich gefangen im eigenen Land! Wenn man zum Teufel nur einmal etwas Solides erfahren könnte und was es eigentlich abgesetzt hat rundum uns draußen in der lieben Welt! Denn da gehörte mehr als ein Köhlerglaube dazu, um nur ein Zwanzigstel von dem als wahr anzunehmen, was uns der edle Podesta hiesiger Stadt so schonend beigebracht: Ganz Österreich in Revolutionen, Venedig republikanisch, und Redetzky mitsamt seinem Heere vernichtet – total, bis auf den letzten Gamaschenknopf!«

»Nun jedenfalls ist etwas, und ich denke sogar viel an der Sache«, warf der Älteste der Offiziere ernst ein, »wenigstens was die Ausdehnung der Revolution anbelangt – aber was die »Vernichtung« Radetzkys betrifft, das ist eine helllichte Lüge – Buffando, wie man sie hier seit jeher gewohnt ist! Der Marschall hat Mailand keinesfalls gezwungen verlassen, und wenn er es überhaupt tat, so hatte er die Absicht dabei, die Mincio-Linie zu halten; aber wenn ihm dies gelingen soll, muss Gorzkowsky Mantua halten – und zwar bis auf den letzten Mann!« Die Stimme des Offiziers war tief gesunken bei diesen letzten Worten, aber desto höher und trotziger erhob sich sein ernstes, graues Haupt, aus dessen blitzenden, mutigen Augen drohende Blicke über den See hinflogen, der zwischen Mantua und der Zitadelle liegt, auf die empörte Stadt hin, auf deren Kathedrale seit gestern früh die Trikolore sich stolz im Frühlingswinde blähte.

»Der Marschall muss dieselbe und weit größere Not als wir gehabt haben«, meinte ein anderer, »er konnte die ausgedehnten Werke um Mailand nicht besetzen – da gehörte eine eigene Armee und eine Unmasse Geschütze dazu – und wo sollte er sich halten? Das Kastell ist nicht armiert und wäre das auch, sie hatten ja in Mailand nicht einmal Projektile auf ein sechststündiges Bombardement! Dagegen ist es hier ein Spaß – wir haben außer der Zitadelle noch St. Giorgio und Pietole, also die Stadt auf allen Seiten flankiert, Munition ist da in Hülle und Fülle, und wenn es an Kanonieren fehlt, ei, so debütieren wir einmal als Konstabler!«

Das heitere Gelächter, das diesem Vorschlage folgte, wurde durch den Ausruf des jungen Leutnants unterbrochen: »Da schaut, der Adjutant des Generales, der bringt etwas Neues!«

Auf der Auffahrt zur Batterie erschien ein Offizier von W. Chevaurlegers, durch die, über die Schultern geschlungene Feldbinde des Adjutanten kenntlich.

»Nun, was Neues?« scholl es ihm entgegen.

»Neues genug – aber Tröstliches nichts!« antwortete der Adjutant, indem er unter die Gruppe trat, »die Herzogin von Modena kommt heute flüchtig hier an, in einigen Stunden schon, soeben ist der General in die Stadt ihr entgegen!«

»Allein doch nicht?«

»Hm, so ziemlich; er ging zu Fuß und bloß mit einer Ordonanz!«

Die Offiziere sahen sich erstaunt und bedenklich an; denn Mantua befand sich damals bereits in offenbarer Empörung.

Bereits am 19. hatte sich ein Revolutions-Komitee gebildet, an dessen Spitze der Podesta der Stadt trat, und das von nun ab allen behördlichen Einfluss usurpierte, ohne dass es der Festungskommandant, General Gorzkowsky, zu hindern vermochte. Denn der Zustand der Garnison und Festung war ein so bedenklicher und bedrohlicher, dass es aller Umsicht und Energie bedurfte, um jene in Disziplin zu erhalten und diese zu behaupten. Die Garnison Mantuas bestand nämlich aus lauter italienischen Truppen, mit einziger Ausnahme zweier Eskadron Kavallerie; besonders mussten die beiden Bataillone H. in Betreff der Treue, gegenüber den Tagesereignissen und den unausgesetzten Verführungsversuchen die gerechtesten Besorgnisse erregen, da sie durch lauter Brescianer ergänzt wurden, durch Söhne der Provinz, in der die Flammen des Aufruhrs am heftigsten empor lohten und auch am schwierigsten und letzten, darum aber auch am strengsten gedämpft und unterdrückt wurden.

Die Festung war ganz in jenem Zustande, in dem Festungen nach langen – hier dreißigjährigen – Friedensjahren zu sein pflegen – nicht verfallen, aber auch nicht kriegsgerüstet. –

Dies waren zwei Übelstände, zu deren Paralisierung es eines Kommandanten wie der »eiserne Gorzkowsky« bedurfte, und selbst dessen Energie absorbierten sie so gänzlich, dass er die Idee einer Einflussnahme auf die Stadt vor der Hand fallen lassen musste.

Alles dies erklärt aber die Besorgnis der Offiziere um ihren geliebten Führer noch nicht, denn zwischen dem 19. und dem heutigen Tage liegen Ereignisse weit ernsterer Natur – die Konsequenzen der Empörung Mailands.

In der Nacht des 21. nämlich war die Guardia civica auch hier ins Leben getreten, und dieselbe Nacht gleich war benützt worden, das A B C aller Revolutionen zu erlernen: Barrikadenbauen und das Stellen peremtorischer Forderungen.

Die Andreaskirche wurde verbarrikadiert und in ein Waffendepot umgeschaffen, der Zugang zum Brückenkopfe verrammelt und hierdurch die Kommunikation zwischen Stadt und Zitadelle, wenn auch für einzelne Personen nicht unmöglich gemacht, doch für jedes Truppendetachement gestört.

Die Aufforderung des Festungskommandanten, die Barrikaden abzutragen, blieb ohne Erfolg – desto mehr Effekt brachte das, von dem Artilleriekommandanten, Obersten Baader, absichtlich verbreitete Gerücht hervor, die Stadt sei bis zur Kathedrale unterminiert; dies allein und die Bemühungen des Bischofs verhinderten einen Konflikt zwischen der fanatischen Bevölkerung und der Garnison, die seit jenem Tage unter Waffen blieb.

Unter diesen Umständen war es erklärlich, dass die Offiziere mit Bangen vernahmen, der Festungskommandant habe sich allein in die empörte Stadt gewagt.

Allein dieser Nachricht folgte noch eine andere Hiobsbotschaft.

Der Adjutant erzählte nämlich, eben der Kurier, der die Ankunft der Herzogin von Modena gemeldet, habe die Nachricht gebracht, dass, und zwar im Auftrage des Mantuaner Revolutions-Komitees, die drei Straßenzüge von Suzzara, Borgoforte und S. Benedetto gegen Mantua zu abgegraben und durch Verhaue von Maulbeerbäumen unwegsam gemacht, alle Pontons längs des Po entfernt und die fliegenden Brücken über den Strom, mit Ausnahme einer einzigen, zwischen Dosolo und Vila strada vernichtet worden seien.

Diese Nachricht entriss allen Offizieren einen Ruf der Entrüstung und Besorgnis, denn sie drohte die einzige Hoffnung der gefährdeten Garnison zu vernichten, die auf Succurs durch das aus Parma zurückkehrende Regiment Este, durch welches komplettiert allein ermöglicht werden konnte, die weitläufigen Werke der Festung genügend zu besetzen und mit Erfolg zu halten. Je länger das Regiment aufgehalten wurde, desto schwieriger ward dessen Fortkommen durch das bereits vollständig insurgierte Land, und marschierte es, wie vorauszusehen war, geraden Weges über Suzzara auf Mantua zu, so kam es nicht über den Po, indem die fliegende Brücke weit ab gegen Quastalla zu lag.

Was sich beim Vernehmen dieser Kunde in dem Sinne aller Offiziere feststellte, die Alternative, entweder müsse das Regiment durch detachierte Kolonnen eingeholt und auf die richtige Marschroute gewiesen – oder auf eine andere Art von den Hindernissen unterrichtet werden, die seiner warteten – das sprach der Adjutant also aus: »Der Kommandant hält ein Detachieren von Kolonnen nicht für rätlich, da eine kleine Anzahl nicht genügen und über eine größere nicht verfügt werden kann, sowohl des ohnehin schwachen Garnisonsstatus wegen als vorzüglich darum, weil er Italiener dazu kommandieren müsste, wodurch der Verführung Tür und Angel geöffnet würde; er hat deshalb entschieden, mit diesem Geschäfte einen verlässlichen Mann vom Civile zu betrauen – sollte keiner unter Euch von einem solchen Individuum etwas wissen?«

»Ich wüsste in ganz Mantua nicht eine Seele, die es ehrlich mit uns meint – es wäre denn, dass man im Ghetto suchen wollte!« sagte einer der Offiziere und sah mit einem sonderbaren, stechenden Blicke nach dem jungen Leutnant hin.

Dieser zuckte leicht zusammen, als er das Wort Ghetto hörte, eine flammende Röte flog über sein blühendes Gesicht, und sein Auge fing den hämischen Blick jenes Offiziers trotzig auf. Aber in demselben Momente streckte er auch schon die Hand, die bereits wie mechanisch an den Degen geflogen war, dem Adjutanten entgegen, und er sprach mit festem Tone: »Wenn meine Garantie genügt, so steht in einer Stunde ein Mann, Österreich ergeben, treu wie Gold, klug und verschwiegen zur Disposition des Generals, aber er ist ein – Jude!«

»Ei, Freundchen, goldener Junge, meinethalben der Teufel, wenn er nur der Mann dazu ist, die Avantgarde zu finden und ihr die Route anzugeben, das andere macht sich von selbst!« meinte lachend der Adjutant.

»Dafür stehe ich!« sagte der Leutnant ernst, »ich weiß keinen Mezzario Lohnkutscher im Lande, der Wege und Stege weitum besser kennt, als Reb Abram vom See!« Er sah nach diesen Worten trotzig und herausfordernd in dem Kreise seiner Kameraden herum, aber er stieß nur auf ernste, nachdenkliche Mienen – der Augenblick war viel zu kritisch, als dass man ihn zu einem gewöhnlichen Witze hätte benützen sollen.

»Aber, lieber Ernst!« sagte der Adjutant, »ich muss mit dem Manne reden und das gleich.«

»Ich habe die Inspektion auf dieser Flanke, wenn einer der Herren mich zwei Stunden substituieren will, so bringe ich Dich sogleich zu ihm!«

»Hoho! Ich soll zu dem Juden?«

»Ganz natürlich, da Du ihn brauchst! Fürchte nicht, Dich zu kompromittieren, es hat schon so mancher ehrenhafte Mann die Klingel vor Abrams Hause in Not ertönen lassen und ging getröstet von dannen«, sagte Ernst mit stolzem Tone und nach einem kurzen Bedenken setzte er hinzu: »Ich bin ein Freund des Hauses!«

Der Adjutant zwinkerte pfiffig mit den Augen, unterdrückte aber wohlweise den Spaß, der ihm sprungfertig auf den Lippen saß, und sagte freundlich, indem er seinen Arm in den des Leutnants legte: »Wohlan denn! So lass uns die Wallfahrt antreten zu unserem Gedeon! Zu Reb Abram, der Perle Israels in Mantua!«

Damit verließen die beiden die Bastion und schritten durch ein offenes Ausfallstor der Brücke zu. –

Der Offizier, der zuerst das Ghetto vorgeschlagen hatte, übernahm den Posten Ernsts und sagte lächelnd: »Ein Teufelskerl, dieser grasgrüne Leutnant! Hat's ganz gut gemacht – aber wahr ist wahr: ist der Alte eine Perle, so ist sein Töchterlein der Kohinur!«

»Gebe Gott, dass der Jude geht!« sagte der Älteste der Offiziere: »Ich stehe Euch dafür, uns geht es ärger, wenn Este nicht kommt, als dem alten Wurmser anno 96 in diesem miserablen Rattenneste!« –

Einige Minuten darauf durchschritt eine gelb und schwarz bemalte Gondel, von zwei kräftigen Pionieren gelenkt, den See gegen die Stadt zu. –


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