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11.
Alte Mode.

Im Hotel Reichmann, dem von Deutschen am meisten besuchten in Mailand, war auch in diesen unruhigen Tagen ein starker Zusammenfluss von Fremden.

Viele Reisende, zwar zaghafter Natur, hatten den vulkanischen Boden, der so untrügliche Zeichen eines nahen Ausbruchs gab, bei Zeiten noch verlassen, während andere gerade dadurch angezogen wurden, das Drama, das sich hier vorbereitete, in seinen Anfängen zu belauschen; andere wieder, die industrielle Interessen hergeführt, diese zu wahren suchten, solange es Zeit war.

In welche dieser drei Gattungen von Gästen der junge Mann rangierte, der am Abend des 17. März vor dem Tore des Hotels stand, ließ sich schwer erraten.

Zu den ersten gehörte er nicht; er war viel zu jung und kräftig; zur zweiten auch nicht, er sah viel zu aristokratisch aus dazu; zur dritten gewiss nicht: denn die Diligence, die vor dem Hotel hielt, stand bereits eine Stunde, so lange wie der junge Mann selbst vor dem Tore und harrte seiner, um ihn weiter zu befördern, als er plötzlich seinen gähnenden Diener, der am Wagenschlage lehnte, zu sich rief, ihm befahl, die Diligence zu zahlen und wieder abzupacken: »Ich bleibe noch einige Zeit da!« sagte er gleichgültig.

»Gnädiger Herr!« wagte der Diener bescheidentlich einzuwenden.

»Ich bleibe!« wiederholte der junge Mann mit so bestimmtem Tone, dass der Diener sich verdrießlich entschloss, zu tun, wie ihm befohlen worden.

Der junge Mann kümmerte sich nicht weiter mehr um Diener und Wagen, steckte die feinen Hände in die Taschen seines Reisepaletots und schritt mit dem Schwalle der Korsospaziergänger der Porta Romana zu.

Da fühlte er plötzlich von rückwärts einen leichten Schlag auf die Schulter; er wandte sich rasch um, aber seine Frage erstarb in dem freundlichen Gruße: »Ah, Werner! Lieber alter Freund!« und er fiel in die Arme des uns bekannten Offiziers.

»Was führt denn Dich her von den Ufern des Mains an die Gestade der Olona in so verdächtiger Zeit?« fragte Werner erstaunt.

»Hm was!« war die Antwort, »Ihr erwartet die Revolution, und wir haben sie faktisch schon oben am Rhein und Main! Du kennst ja wohl noch von Deiner Garnison in Mainz her die wahnsinnigen Schwätzer mit deutscher Zunge und französischen Herzen; kannst also ermessen, wie die Nachricht der Februarrevolution lichterloh in sie geschlagen!«

»Ja, ja! Ich habe auch davon gesprochen mit mehreren Kameraden, die droben gelegen«, sagte Werner phlegmatisch, »aber das ist alles nichts gegen die Patsche, in der wir – mit uns natürlich Österreich – hier sitzen!«

»Wieso? Die Garnison ist doch brav?«

»Jawohl, gut. Aber klein, Bruderherz! Ungenüend! Nehmen wir gering an, so hat die hiesige Garnison wenigstens vierzig öffentliche Gebäude, Kassen etc. zu bewachen und zu besetzten; das nimmt ein Drittteil des Effektivstandes weg, und an einen ausgiebigen Sukkurs durch Nugent ist nicht zu denken, der steht, Dank der Ökonomie und Aktenreiterei des hohen Hofkriegsrates in Wien noch immer in Istrien. Sie glaubten es ja durchaus nicht, dass es hier anders sein könne, als in dem guten, alten Wien – >Der Radetzky will manövrieren<, hieß es immer, >das kostet schmähliches Geld und nützt nichts!< Gut, sie haben es auch auf dem Gewissen, wenn unsere Manöver eine retrograde Richtung nehmen!«

»Wie, Du sagst Wien, das gute, alte Wien? Ihr wisst also nicht, dass Wien in moralischer Rebellion begriffen ist seit acht Tagen? –

»Was? Wien und Rebellion?«

»Nun, nenne es, wie Du willst, Reformbewegung meinethalb; so viel ist gewiss, dass Petitionen der liberalsten Art vorbereitet werden – ich glaube, der Gewerbeverein war die erste Korporation, die selbständig auftrat!«

»Ah, mich trifft der Schlag! Und wir wissen kein Wort davon!«

»Unbegreiflich! Denn hier in Mailand ist das alles nichts Neues, ich hörte gestern erst darüber debattieren!«

»Hier? Wo?«

»Im Café Cova!«

»Ja, dann ist mir alles begreiflich«, rief Werner, dem plötzlich ein Licht aufging, »wenn der Jokeiklub davon unterrichtet ist, hatte er auch die Hand im Spiele dabei! – Mein Lieber, dann habe ich eine Bitte an Dich!«

»Sprich und dann Revange dafür, denn auch ich habe eine an Dich zu stellen!« sagte der Fremde.

»Nun, Du wirst begreifen«, begann Werner hastig und drängend, »dass diese Mitteilung bei mir, als Offizier, unmöglich die Bedingnis der Diskretion beanspruchen kann – erlaubst Du mir davon, auf Deine Autorität hin, Gebrauch zu machen?«

»Ohne weiteres!« sagte der Fremde, »obgleich es mir unbegreiflich ist, dass die Post –«

»Ja, Freundchen! Das ist es eben«, fiel ihm Werner ins Wort, »hier sitzt der Verrat in allen Büros und Kanzleien; wir wissen das, und darum auch, dass Österreich hier nur einen Anker hat: Radetzky und das Heer!«

»Entsetzlich!« rief der Fremde, »aber das erklärt mir die Effronterie, mit der man hier oppositionelle Propaganda macht, und führt mich natürlicher Weise auf mein Anliegen!«

»Nun, Du wünschst?«

»Deinen Beistand in einer Ehrensache! Wie gut, dass ich Dich fand; ich ging auf gut Glück aus, mir einen Sekundanten zu suchen!«

»Hoho! Und wie und wo kamst Du dazu?«

»Eben im Café Cova; es ist eigentlich komisch; ich schlage mich faktisch für Österreich, ich der Preuße!«

»Bei Gott, Freund!« sagte der Offizier ernst, »nenne das nicht komisch! Das ist Dein Glück als Zivilist! Für uns, die natürlichen Verfechter der Vaterlandsehre, hat man kein Kartell, bloß das Stilett und die Schießbaumwolle – im Rücken! Doch erzähle, wie Du dazu kamst?«

»Ganz einfach! – Ich saß unter einem Rudel solcher welscher Fanfarons und konnte mich nicht enthalten, auch ein Wort mit drein zu reden. Natürlich zu Österreichs Gunsten. Plötzlich wandte sich der eine, ein ziemlich ältlicher Mann zu mir mit der impertinenten Frage, ob ich nicht ein Deutschtiroler sei; ich ließ mich dadurch nicht aus der Kontenance bringen, zog ohne ein Wort zu erwidern, mein Portefeuille und gab ihm meine Karte. Er fragte, ob es gilt, ich bejahte natürlich, darauf gab er mir die seine – hier ist sie! – Auf morgen früh sechs Uhr hinter dem Bahnhofe ward es bestellt!«

Werner nahm die Karte aus der Hand des Fremden und las: »Vitaliano Litta!«

»Nun, bravo, keine Mellasiance«, sagte er beifällig lächelnd, »es ist ein Prinzipe und noch dazu ein roter; da sekundiere ich Dir mit doppelter Lust; denn sollte Deine Kugel ihn verschonen, so bitte ich mir einen Gang mit dem Herrn aus! Also ich gehe zum Rapport, Du logierst?«

»Hotel Reichmann, 1. Stock, Nr. 28.«

»Gut! Also à revoir morgen vor sechs!«

»A revoir.«

Die Freunde schieden; der Offizier richtete seine Schritte gegen das General-Kommando, der Fremde schritt seinem Hotel zu.

Als er da angelangt, an der Loge des Portiers vorüber kam, steckte dieser den Kopf hinaus und sagte: »Herr Baron! Es ist ein Herr schon seit länger als einer Stunde da, der nach Ihnen fragt.«

»Wo ist er?« fragte der Fremde verwundert.

»Er harrt Ihrer Ankunft im Salon, Herr Baron!« war die Antwort des Portiers.

Der Fremde trat in den Salon, der gerade auffallend leer war.

Im Fonde des Saales saßen einige Gruppen mit dem Soupé beschäftigt; ein ältlicher Mann, der, die Hände auf dem Rücken, den Salon auf- und abging, schien die einzige Person hier, die man als mit »Warten« beschäftigt annehmen konnte.

Zu diesem Manne wandte sich der Fremde und fragte hastig: »Sie suchen mich, mein Herr?«

»Wenn Sie der Baron von Badern sind, allerdings!« antwortete der Mann, eine kleine, verwitterte Gestalt, abgetragen und verschossen wie der blaue Rock, der sie umhüllte.

»Der bin ich, und Sie wünschen?«

Da erhob sich der kleine Mann so hoch, als er nur konnte, und sprach gemessen und feierlich: »Der Herr Baron haben ein Cartel für morgen angenommen?«

»So ist's, und die Annahme ist von dem vis-à vis ratifiziert!« antwortete der Baron mit kühlem Tone.

Der kleine Mann verneigte sich leicht und fuhr fort: »Fürst Litta, dessen Sekundant zu sein ich die Ehre habe, bedauert ungemein, Ihre Generosität in Bestimmung einer anderen Stunde in Anspruch nehmen zu müssen, da er früh durch wichtige Angelegenheiten verhinder ist, zu erscheinen, wie dieser Zettel Ihnen des Breiteren besagen wird. Ich bin cidevant französischer Kapitän und heiße: Charles Dupont.« –

»Ihr Diener!« sagte der Baron, indem er flüchtig nach dem verschossenen roten Bande der Ehrenlegion sah, das in einem halb ausgerissenen Knopfloche des kleinen, alten Mannes hing, und nahm das Billet, das dieser ihm grazieuse offerierte.

Das Billet enthielt folgende lakonische Worte:

»Mein Herr Baron!

Ich habe Sie beleidigt, Sie mich gefordert; Da ich aber morgen eine Schlacht hoffe, ersuche ich Sie, das Duell bis nach dem Ausgange derselben zu verschieben. Meine Gegner dort haben das Recht der Anciennetät – denn morgen ist der 18. März und ich heiße –

Vitaliano Litta.«

Das war alles.

Der Baron war für den Augenblick verblüfft, als er die Hand mit diesem rätselhaften Schreiben sinken ließ.

»Herr Kapitän!« rief er dann entrüstet, und seine Augen schossen drohende Blitze auf den Kartellträger: »Was soll das bedeuten? Dieser Herr Litta ist entweder ein Schuft oder ein Narr?«

»Oh, keines von beiden, Herr Baron!« sagte der ehemalige Kapitän und Ritter der Ehrenlegion mit einem leichten Zucken der Oberlippe, »aber es gibt Fälle, wo gewisse Unternehmungen, solange sie kein fait accompli sind, zwischen Verbrechen und Heldentat so lange in der Schwebe sind, bis sie eben das eine oder andere werden – und in solch' einem Falle eben befindet sich der Fürst Litta!« Und nach dieser Explikation richtete der Kapitän seine stechenden Augen mit einer solchen Unverschämtheit auf den Baron, dass dieser vor Wut erbebte.

»Was soll mir das?« rief er zornig, »was gehen mich des Herrn Schlachten, Heldentaten und außerordentliche Fälle an – er hat mich beleidigt, also stehe er mit Mann!«

»Mein Gott, Sie verstehen mich nicht, Herr Baron!« sagte achselzuckend der Kapitän, »der Fürst ist Italiener, ist Lombarde, ist Milaneser –«

»Ja, was geht das mich an?« fragte erstaunt der Baron.

»Ach, ach! Ich weiß nicht –« flüsterte der Kapitän und fuhr mit den Händen über die faltige Stirn: »Wissen Sie was, Herr Baron: ich mache Ihnen auf eigene Faust ein Zugeständnis – regnet es morgen früh – so hat es sein Bewenden bei sechs Uhr und dem Duell!« und er hielt dem verdutzten Baron die Hand hin, als hätte er ihm als Käufer die Hälfte des Preises nachgelassen.

»Mein Herr!« sagte der Baron entrüstet, »ich hatte nicht die Ehre, unter dem großen Kaiser zu dienen, aber ich halte mich für kompetent genug in Würdigung von Ehrenhändeln, um Ihnen zu sagen, dass es einem napoleonischen Offizier übel lässt, Duelle von dem Barometerstande abhängig zu machen!«

»Mein Gott, wie kann ich Ihnen das mehr erörtern?« rief der Kapitän verlegen; »also noch ein größeres Zugeständnis, aber ich bitte um Ihr Ehrenwort auf Diskretion!«

»Was bei allen Teufeln wollen Sie denn, mein Herr?« sagte der Baron unmutig, »hat der Fürst keine Courage, so sage er's!«

»Pah, Courage, Courage!« rief der Kartelträger in gelinder Verzweiflung: »na, damit Sie es wissen, wenn es regnet morgen, so geht es nicht los –«

»Herr, glauben Sie, dass ich Ihr Narr bin – was geht nicht los?«

»Nun, die Emente – die Revolution! Morgen ist ja der achtzehnte! Und im Regen revoltiert sich's schlecht!«

Der Baron erblasste und trat zurück, nur ein langsam gestammeltes »Morgen« entrang sich mühsam seiner Brust.

»Reinen Mund, reinen Mund!« raunte ihm der Kapitän zu, »ich habe Ihr Ehrenwort.«

»Was Ehrenwort!« schrie der Baron, ohne Rücksicht auf die übrige Gesellschaft im Salon zu nehmen, »in einer ehrlosen Sache gilt kein Ehrenwort – und ich habe nicht einmal eines gegeben! – Dass Sie es wissen, Herr Ritter der Ehrenlegion, ich zeige das, was ich weiß, in dieser Stunde noch an!« und damit wandte er sich zur Türe und verließ den Speisesaal.

»Herr Baron, Herr Baron!« schrie ihm der Kapitän nach und suchte ihn aufzuhalten; da fühlte er sich selbst festgehalten und ein heißer Atem streifte seine Wange.

Er sah auf und erblickte einen ihm ganz fremden Mann an seiner Seite, der ihm zuflüsterte: »Lass ihn gehen, Freund, der plaudert nichts aus!« und dabei erhob sich der Mann und winkte einem Burschen, der an der Türe saß.

Dieser nickte und verließ den Salon. –

Und draußen, hoch droben an der Azurdecke des Himmels ging der bleiche Flaneur, der Mond spazieren wie sonst, und er schaute gerade so mild nieder wie sonst, als er in der Contrada des Carmine einen einsamen Wanderer durch einen feigen Meuchler von rückwärts niederstoßen sah! –

Was lag denn da auch viel daran? Ein Menschenleben! – Morgen – morgen! – Morgen ist – der achtzehnte!


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