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12.
Die fünf Tage.

Und er brach trüb und nebelig an, der Tag der »glorreichen Erhebung« Mailands – der 18. März 1848.

Sein Morgengrauen beleuchtete riesige Anschlagszettel an den Straßenecken, die telegraphische Nachricht enthaltend: Wien sei im Jubel, eine Konstitution proklamiert, Pressefreiheit und eine Nationalgarde bewilligt.

Was ganz Österreich wie ein Pulsschlag der Freude durchzuckte, ward in Mailand mit finsterem Trotze aufgenommen.

Kaum an den Straßenecken affigiert, ward das Plakat schon wieder unter den wütenden Äußerungen von dem Volke abgerissen.

»È troppo tardi!« schrie man durch die Gassen. »Wir wollen keine Versprechungen, wir wollen gar nichts mehr von Österreich! Krieg! Krieg! Solange noch ein Deutscher Italiens Boden betreten will!«

Die Revolution war ausgebrochen.

Es dürfte jetzt an der Zeit sein, einen Blick auf die Mittel zu werfen, die der legalen Macht zu Gebote und auf die, so ihr drohend gegenüberstanden.

Der Feldmarschall hatte sich längst aller Illusionen entschlagen, dass diese Wirren anders als mit dem Schwerte gelöst werden könnten. Er hatte alles getan, was in seinen Kräften stand, und die umsichtigsten Maßregeln getroffen, nicht die Revolution aufzuhalten, das war nicht zu hoffen, aber ihr zu begegnen und zu stehen. Er war auf einen Kampf vorbereitet, aber zu keinem Kriege gerüstet, der auch voraussichtlich nicht zu befürchten war, denn die einzige Macht, die ihr Banner gegen Österreich erheben konnte, war Sardinien, dessen König mit dem österreichischen Regentenhause befreundet war und dessen Regierung jenem Kabinette gegenüber von den wärmsten Freundschaftserklärungen überfloss; die unerhörteste Perfidie, zu deren gerechter Würdigung die Aufzählung bloß folgender Daten genügen wird: am 18. März brach die Empörung in Mailand aus, am 20. kam diese Nachricht nach Turin, wo man an demselben Tage offen die Bildung von Freikorps beschloss, um den Mailändern zu Hilfe zu eilen; alle Journale forderten zur Teilnahme an dem Kreuzzuge gegen die »deutschen Barbaren« auf. Der kaiserliche Gesandte forderte Rechenschaft darüber, erhielt am 22. erneute Freundschaftsversicherungen und – Tags darauf den 23. die Kriegserklärung!

Und am 29. schon betrat Karl Alber den Boden der Lombardei – der erste offene Schritt auf dem dunklen Pfade des Verrats, an dessen Ende ihn – kronenlos und besiegt, der Tod erwartete – auf fremder Erde. –

Die Besatzung von Mailand betrug zehn Bataillons Infanterie, fünf Schwadronen Kavallerie und außer den schweren Geschützen bloß sechs mobile Feldbatterien unter dem Kommando des Feldmarschallleutnant Graf Wratislaw.

Das Regiment Erzh. Albrecht und das 8. Feldjägerbataillon bestanden durchgängig aus Italienern.

Die Befestigung Mailands ist so unerheblich, dass man bloß das Kastell, und in diesem selbst nur die Rocheta, die alte Burg der Viskontis, als irgend haltbaren Punkt bezeichnen kann.

Hätten noch die Bastionen und Ravelins, die das Kastell in den neunziger Jahren schützten und von den Franzosen rasiert wurden, dasselbe umgeben, so würde die Insurrektion rasch haben unterdrückt werden können.

Allein die gegenwärtige Stärke des Kastells bestand bloß in der Massivität seiner Mauern und zwei unvollendeten, gemauerten Tambours, die der Marschall vor den beiden Toren erbauen ließ, ohne dazu von Wien ermächtigt zu sein, da man dort an einen Ausbruch nicht glauben wollte.

Die Behörden waren, wenn nicht korrumpiert in ihren überwiegenden Elementen, doch völlig machtlos. Die städtischen, den Podesta an der Spitze, offen für die Rebellion, die politischen ohne einem andern Halt als das Militär.

Der Vizekönig hatte am 17. Mailand verlassen, ohne noch eine Ahnung von den Vorgängen in Wien zu haben, deren Kunde ihn erst den zweiten Tag auf der Reise erreichte.

Der edle Marschall war also rein auf sich allein und auf die Armee angewiesen, deren großer Teil, weil aus Landeskindern bestehend, von zweifelhafter Treue war.

Wenigstens war alles geschehen, was diese Treue wankend machen konnte. Der Einfluss der Geistlichkeit war in Anwendung gekommen, und was im »Namen Gottes« nicht gelang, vollendeten – die Weiber und der Wein.

Und sich gegenüber hatte man eine vollständig organisierte Revolution, in deren Rücken das einzige schlagfertige Heer Italiens stand – das piemontesische.

Der Teil des Kantons Tessin, der wie ein Keil zwischen dem Lago maggiore und di Lugano bis an Chiasso eingetrieben ist in das Herz der Lombardei, war das Hauptquartier des elenden Wühlers Mazzini.

Die Kantonalregierung selbst war in den Händen der enragiertesten Demokraten. Unter ihrem Schutze legte die junge Carbonaria hier die großartigsten Waffenmagazine und Zeughäuser an, unter den Flügeln ihrer Souveränität fanden die Raben Schutz, die von dort aus den Totengesang Österreichs anstimmten und ihre Doktrinen durch zahllose Pamphlete und Revolutionskatechismen nach Italien verpflanzten.

Durch mehrere 1821 und 1830 geflüchtete, hier angesiedelte Mailänder Familien, besonders die Gebrüder Ciani und ihre Verwandten in der Lombardei, ward der Verkehr mit den Malcontenten Italiens unterhalten, die Villen an den Seen von Como und Varese wurden zu stehenden Revolutionsbüros, und von hier aus wurden die bewährtesten professeurs en barricades aus der Schweiz, Frankreich und Polen verschrieben, und als es Zeit war, nebst Waffen und einem erklecklichen Cortege der in der Schweiz immer disponiblen Freischaren trotz Polizei und des strengen Passwesens nach Mailand eingeschmuggelt.

Den glaubwertesten Angaben nach standen dem kaiserlichen Militär, an 15 000 Mann stark, aber zersplittert durch der ganze Stadt in Kasernen, Toren und öffentlichen Gebäuden, bei dem Ausbruche der Rebellion wenigstens ebenso viel Combattanten – nach Bewilligung der allgemeinen Bewaffnung, den 19. März, schon an diesem Tage von dem Podesta in energischer Weise durchgeführt, aber bereits an 32 000 Mann bewaffneter Bürger und Freischärler gegenüber.

So standen die Sachen.

Der Marschall, der erst die Nacht zuvor durch den, in Abwesenheit des Grafen S. fungierenden Vizepräsidenten die telegraphische Depesche aus Wien erhalten hatte, war mit den lakonischen Worten, »Na so geht es morgen desto gewisser los!« zur Ruhe gegangen und morgens um einige Stunden früher als sonst in sein Büro gekommen.

Der edle Greis ging kummervollen Antlitzes, aber unverzagt mit seinem Generaladjudanten im Kabinette auf und nieder und nahm den einander jagenden Ordonanzen die Rapporte über Stimmung und Gebaren der Bevölkerung ab.

Alle konstatierten eine unruhige, düstere Bewegung, brachten aber keine Nachricht von Exzessen oder Konflikten mit dem Militär.

Die merkwürdigste dieser Mitteilungen war die, welche die Nachricht brachte, dass die Schulen geschlossen seien und deren Besuch schon gestern für diesen Tag – einen Schultag – abgesagt worden wäre, ein Beweis, dass der 18. auch ohne der hinzugekommenen Konstitutionsnachricht zum Losschlagen prädestiniert gewesen war.

Gegen acht Uhr ward dem Marschall ein dringendes Schreiben des Vizepräsidenten überbracht, worin dieser die Bitte an ihn stellte, durchaus keine militärische Macht zu entwickeln, solange es nicht nötig sei, und er nicht darum ansuchen würde, »damit das Volk nicht in seinen, natürlich vorausgesetzten Freudenbezeugungen über die glorreichen Errungenschaften gestört werde.«

Mit einem mitleidigen Lächeln las der Marschall diese Zuschrift und reichte sie dem General Sch. mit der Frage: »Was denken Sie davon?«

»Nichts«, antwortete dieser, als er gelesen hatte, kalt, »als dass diese Herren nicht zu kurieren sind und Ew. Exzellenz die Ereignisse mit der Hand an dem Degen erwarten müssen!«

»Ja, ja! Na vederemo!« sagte der Marschall nachdenklich und beauftragte den General, den Befehl zur Consignation der Garnison zu geben.

Um zehn Uhr etwa nahm plötzlich das Treiben auf den Straßen eine ernstere, bedenklichere Physiognomie an. Es zeigte sich ein ungewöhnliches Laufen in den Gassen, und mit dem Glockenschlage zehn schlossen sich auf einmal, wie verabredet, alle Läden und Haustore.

Der Marschall sah ruhig von dem Fenster auf das Getriebe in der Straße nieder und sagte mit dem greisen Haupte nickend: »Es kommt – es kommt schon! Die Sturmvögel umkreisen bereits die Masten!«

Da trat eilig ein Unteroffizier ein, stellte sich in Positur und meldete: »Euer Exzellenz! Der Major Plietz von Albrecht lässt gehorsamst melden, dass am Broletto eine trikolore Fahne hängt und der Posten dort Gewehre an das Volk verteilt!«

Der Marschall neigte einen Augenblick schmerzlich das Haupt, dann erhob er es hoch und kräftig und blitzte den Unteroffizier mit den schönen Augen freundlich an: »s' ist gut! Jetzt wissen wir, woran wir sind!« sagte er mit einem leichten Lächeln, »Wo ist der Major?«

»Auf Bereitschaft in der Kaserne S. Francesco, Euer Exzellenz!« antwortete der Korporal.

»Gut, alle Ordonanzen von jetzt an ins Kastell!« sprach der Marschall und entließ den Unteroffizier; doch als dieser kehrt machte, rief er ihn nochmal und sprach mit der ihn charakteristischen Güte: »Halt, mein Sohn! Die Nachricht vergess' ich Dir nicht; jetzt brauchen wir nicht mehr zuzuschauen; wie heißt Du?«

»Franz Heller, Euer Exzellenz!« antwortete die Ordonanz, feuerrot im Gesichte.

Der Marschall schlug ihm schmunzelnd auf die Achsel und sprach: »Nun, holen Sie sich's Rohr, Sie sind Feldwebel, Heller!«

Nach Atem schnappend, aber ohne ein Wort zu erwidern, wie das Reglement gebietet, salutierte Heller, schöner als je in seinem Leben, machte rechtsum und schritt der Türe zu. Er hatte diese noch nicht erreicht, als schon wieder zwei Ordonanzen eintraten, deren Meldung er noch vernehmen konnte.

Die eine zeigte an, dass soeben der Podesta in Begleitung des ganzen Munizipalrates nach dem Gubernialgebäude gefahren sei, um dort, wie die ihn begleitende Masse verkündete, die sofortige Verwirklichung der kaiserlichen Versprechungen für die Lombardei zu begehren – die zweite Ordonanz brachte die Nachricht, dass in der Contrada larga, auf dem Corso Margherita und an dem Dome Barrikaden aufgeworfen würden. –

Der Marschall wandte sich auf diese Nachrichten lächelnd zu seinem Adjudanten und sagte: »Das sind wohl die >vorausgesetzten Freudenbezeugungen des Volkes<. Wir werden nicht warten, bis es das Präsidium für gut befindet, uns zu alarmieren, lassen Sie die Kanzleien sperren und besetzen, wir gehen ins Kastell!«

Der Befehl des Marschalls durchflog die weiten Räume des Generalkommando-Gebäudes, und einige Minuten darauf langte der greise Held mit seinem Stabe auf der Esplanade des Kastells an.

Immer bedenklicher, immer drohender wurden die Nachrichten, die hier einliefen; den Ausschlag gab die, welche ein halb ohnmächtiger Guberniumsbeamter brachte.

»Sie kommen vom Präsidium?« rief ihm der Marschall entgegen, der die Aufforderung dieser Behörde zum militärischen Einschreiten erwartete.

»Nein, Exzellenz!« keuchte der Beamte hervor, »der Vizepräsident ist gefangen, das Gubernium in den Händen des Volkel –«

»Unmöglich – und die Wache?«

»Getötet!« war die monotone Antwort.

Da erhob der Marschall den milden Blick zornsprühend zu seiner Umgebung und fragte mit hohler Stimme und bitterem Tone: »Nun, meine Herren, glauben Sie, dass der Augenblick zur Alarmierung der Garnison gekommen sei?«

Der Generaladjudant antwortete gemessen: »Das ist kein gewöhnlicher Volksauflauf mehr, Exzellenz, das ist – eine Revolution!«

»So geben Sie den Befehl, dass die Kanonen donnern sollen!«

Ein Wink – die Kanoniere bei den Alarmkanonen auf den beiden Türmen der Rochetta – senkten die glühenden Lunten auf die Zünder und zwei dröhnende Schüsse flogen grollend über das schöne Olonatal hin als Boten – des Krieges.

Die Würfel liegen – der Kampf hat begonnen.


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