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11.
Die Gräfin.

Sollte das schöne Geschlecht, das vor und während der Revolution Italiens – übrigens auch anderswo – nicht die unbedeutendste Rolle spielte, bei der Expedition nach Südtirol ohne Repräsentation geblieben sein, hier, wo das moderne Rittertum par excellence seine Banner am freitätigsten entfalten konnte, ohne dem uniformen Zwang der Regimenter und Brigaden, jeder unter eigener Devise und der Farbe seiner Dame?

Damen sind von jeher Freundinnen und eifrige Beförderinnen aller Revolutionen gewesen; wenn sie gleich nicht mehr im Genre der »Damen der Halle« von anno dreiundneunzig zu manifestieren beliebten, so kam dafür die Mode der heroines en barricades von anno dreißig und achtundvierzig in Schwung, die es erfanden, den Pulverrauch mit eau des milles fleurs zu plattieren und den Spatenstiel mit Glaceehandschuhen und graziöser Noblesse zu dirigieren.

Die famose Belgiojose trat schon im Entreakt der Revolution wieder ab vom Schauplatze, weil sie, die starre Republikanerin, nicht gewillt war, einen royalistischen Kandidaten zu unterstützen und flüchtete »Gesinnung und das freie Herz … gerettet« mit ihren beaux restes in die Lazarette, soeur grise geworden dem Alter nach und aus humanem Tick.

Nach ihr trat die »Gräfin« auf, wie man sie vorzugsweise und allgemein hieß.

Da mit den eifersüchtigen Piemontesen nichts zu machen war, auch die ersten Lorbeeren etwas anrüchig schienen, wandte sie sich mit ihren Rittern und Minnesängern den Bergen zu – ich halte es für Verleumdung, dass »man sagt, sie habe sich ihren Flügel nachführen lassen, um von einem Felsen herab ihre Paladine mit einem >Sul campo della gloria< in die Schlacht zu geleiten!« Aber das ist erwiesen, dass sie in Folge eines stummen Übereinkommens faktisch das Kommando, wenn auch nicht das taktische, über die Freikorps in den Bergen führte, bis jener General Allemandi es zugewiesen erhielt, den ein dunkles Gerücht »il traditore« zubenamst hatte.

Man wusste nicht, woher es kam dies on dit, auch lag nicht ein Grund offen am Tage, der es hinreichend zu motivieren genügt hätte, aber es wollte nicht verklingen und hinkte, ein nimmer müder Marodeur, den Legionen auf allen Zügen nach, die Allemandi mit eiserner Konsequenz und ungetrübter Heiterkeit zwischen den Weingärten des Sarcatals und der Hütten des Ronsberges zu promenieren beorderte, während der Landsturm Tirols und Weldens Korps ungeniert heranrückte über die Mendola und Vezzano. –

Diese Übelstände bildeten den Stoff des Gespräches, in dem sich zwei Personen in einem eleganten Salon der ersten Etage in der »Sonne« ergingen.

Die Gräfin und Marco Creppi.

Wer durch den langen, mit Dienern und Camerlengos gefüllten Korridor und das mit antiker Pracht möblierte Vorgemach in den Salon der Dame trat, ohne deren Charakter zu kennen, musste wohl wie angedonnert an der Schwelle halten, um sich darein zu finden, dies sei wirklich das Boudoir einer Frau und nicht das Penetrale eines Arsenals.

Denn rings an den Wänden lehnten Waffen aller Zeiten und Arten, an den kostbaren Girandolen hingen Stilette und Terzerole, in den blinkenden Lustres staken Fähnlein und Fahnen, auf dem blanken Mosaikparkett des Marmorbodens standen offene, rohgezimmerte Kisten mit einer Unzahl feiner Lütticher Gewehre, und inmitten dieses militärischen Pallmall stand sie in Amazonentracht eine moderne Zenobia oder Penthesilea.

Die Gräfin, obwohl hoch in den Dreißigern, war noch immer eine schöne Frau, aber mit so entschieden männlichem Akzent, dass man beim ersten Anblick schon jedweden Zweifel fahren ließ, ihr Einfluss basiere auf etwas anderem als ihrer politischen Präponderanz; obwohl man ihr allerwege zugestehen musste, sie stehe in den »besten« Jahren, was übrigens Damen sonst anders zu taxieren pflegen.

Sie war nicht sehr groß und ohne Embonpoint sehr stark gebaut, was umso mehr auffiel, da sie jetzt gerade der langen pfahlartigen Gestalt Marcos zur Folie dienen musste.

Mit diesem schien sie auf sehr vertrautem Fuße zu stehen, dies zeugte wenigstens der nonchalante Ton, in dem er mit ihr sprach, während sie Arm in Arm mit ihm im Salon auf- und niederging.

»Doch wie gesagt, Freund!« fuhr sie im Gespräche fort, nachdem sie dem alten Rebellen das ganze Sündenregister Allemandis vordeklariert; »trotz alledem befürchte ich noch immer kein Fiasko hier für die Korps, besonders wenn unsere Freunde in Mailand so tätig sind wie Du sagst: unter allen denen, die Du mir da vorgeschlagen, gebe ich Giacomo Durando am liebsten meine Stimme, er ist ein echter Mann, nicht Marco?

»Ich halte ihn dafür, sein Ruf ist makellos wie sein Degen!« versetzte Creppi nach kurzem Bedenken darauf.

»Hm! Ihr sagt mit den Lippen ja und mit Ton und Miene nein!« brauste die Gräfin auf. »Warum seid Ihr zweideutig gegen mich?«

»Durchaus nicht, meine Gnädige!« sagte Marco mit bitterem Tone, und seine gefurchte Stirne legte sich in noch düsterere Falten: »Den Namen Jacob Durandos in Ehren – aber zwei Dinge sind es, die meine Seele mit den trübsten Ahnungen füllen und mich zu der traurigen Prophetie drängen, dass auch Durandos Arm erlahmen wird, die Oriflamme der Lombardia sieghaft wehend zu halten auf den blauen Bergen der Giudicaria – und dass – wenn alles ehrlich geht, auch seiner, wie der tapferen Legionen, nichts wartet als ein ruhmlos Grab unter den Eiswänden des Tonale!«

»Ve – ve! Was ficht Dich an, Marco, Mann der Tat!« fuhr die Gräfin unwillig auf. »Redest Du doch, als lägen die Fahnen der tapferen Korps zerbrochen und zertreten in den Schluchten der Täler, die da so lustig flattern und stolz rings um uns her?«

»Noch flattern! Meine Gnädige, müsst Ihr sagen; heute noch flattern – wer weiß, was das Grauen des morgigen Tages bringt!«

»Bei Gott! Ihr macht mir Angst! So sagt doch einmal, was denn das für entsetzliche zwei Dinge sind, vor deren Furcht Ihr – Ihr zur Memme geworden seid!«

Marco schüttelte traurig das graue Haupt und erwiderte ohne Bitterkeit auf diesen Schimpf: »Sagt anders, Madame, sagt: die mich zur Erkenntnis gebracht haben; ich will sie Euch nennen: das erste ist die Indolenz, der Indifferentismus dieser Krautwelschen, die, abgerechnet die Jugend der Städte Trient und Roveredo, bar aller Sympathien für uns sind, und um die Freiheit willen keinen Finger rühren. Gebt mir das getrost zu, Madame, Ihr wisst, dass ich, als Deserteur von der Race der Barbaren, ihr Naturell wohl kennen mag«, setzte er mit Bitterkeit hinzu.

»Gut – zugegeben! Wer weiß, ob diese Indifferenz nicht ersprießlicher für uns ausfällt, als wenn sich diese ungeschlachte Masse in Allianz oder Mesallianz an die Fersen der Sieger hängen würde!« sagte die Gräfin stolz.

Marco sah langsam auf und sprach mit allem Nachdrucke seiner harten Stimme: »Der Sieger sagt Ihr? – Das ist der zweite Punkt: was denn, wenn wir nicht siegen dürfen?«

»Dürfen? Marco, um Gotteswillen! Was wisst Ihr, dass Ihr zu fragen wagt, ob wir dürfen?« rief die Gräfin erbleichend.

Marco antwortete kalt: »Das ist es, was man will, und ich fürchte, man hat in Allemand den rechten Mann zur Erreichung dieses frommen Wunsches gefunden!«

»Um Gott! So erzählt doch, was Ihr wisst?«

»Das ist's: man sieht mit Missvergnügen, dass die Nation und Italien mit Anerkennung auf die Erfolge der Legionen in den Alten schauen, während dem Entreakt »unserer Befreiung«, vom Ticin bis an den Mincio noch nicht ein Bravo nacherscholl; man will nicht, dass hier eine Handvoll junges Blut die alten Grenzmarken zertrümmert und ein Reich erobert, während drunten vor dem staunenden Auge der Nation Brigade auf Brigade in schmählicher Flucht vorüberziehen vor den verlorenen Kindern Österreichs – kurz, die Spada d' Italia will nicht, dass das Lorbeerreis der Befreiung eine andere Klinge umranke als ihre jungfräuliche, bislang noch nicht blank gewordenen, als vor einer Kavalkade und paradierenden Automaten!«

»Hm, Ihr seht schwarz, mein Freund! Zu schwarz, wovon ich ein gut Teil dem zuschreibe, dass Ihr, wie immer malcontent, es diesmal besonders mit dem Governo seid, und mit Recht, denn Euch hätte jedenfalls ein Kommando gebührt.«

»Ihr irrt, Signora!« sagte Marco mit eisigem Tone, »wenn Ihr meint, ich meliere irgendwie meine Sache mit der des Landes – ich habe meine Anhänglichkeit an Italien auf eine Art; wie wenig andere Patrioten erhärtet – wenigstens mit schwereren Opfern als tausend andere!« er seufzte tief auf und sah vor sich nieder.

Die Gräfin ahnte einen wunden Fleck in dem Herzen des alten Rebellen berührt zu haben und sprang mit echt weiblicher Routine auf ein anderes Thema über: »Ich bitt' Euch, Marco, Ihr kommt von Salo«, sagte sie freundlich, »und erwähnt mit keinem Worte, ob Ihr Odoardo traft?«

»Odoardo, Euren Sohn?« fragte Marco erstaunt.

»Nun ja, er ist seit drei Tagen mit einem Detachement von Mannaras Korps zu einer Razzia gegen Peschiera ausgezogen, sie landeten, glaube ich, in Lacise –«

»Ich weiß kein Wort, auch verlautete weder in Salo noch sonstwo etwas von dieser Expedition!«

»Unmöglich! Wir erwarten sie heute zuversichtlich, und das Boot ging schon gestern zu ihrer Rückfahrt ab!«

»So wahr ich lebe, gnädige Frau!« sagte Marco aufmerksam werdend, »außer dem Boote, das uns herbrachte, sah ich nicht eine Nussschale auf dem blauen Rücken des Sees!«

»Unmöglich Marco, unmöglich, sage ich Euch!« rief die Frau erbleichend und zog mit zitternder Hand an dem Glockenzuge.

Ein junger Edelmann aus ihrem Gefolge trat ein.

»Nun, Marchese, brachtet Ihr mir nicht gestern die Nachricht, ein Boot sei gen Lazise hin, um die Guardia zurückzuholen?« rief sie diesem zu.

»So ist's, gnädige Contessa, aber der Capitano erhielt später Contreordre!« war die Antwort.

»Contreordre! Von wem?«

Der junge Mann zuckte schweigend die Achseln. Da trat Marco langsam zu der angstbleichen Frau und sprach leise: »Möge ich diesmal nicht schwarzsehen und der Himmel Euren hoffnungsvollen Sprossen schirmen, aber mir schwant, dass meine Prophezeihung –«

Er konnte nicht enden, denn plötzlich erhob sich ein entsetzliches Geschrei vom Landungsplatze her und die Worte tradimento und Castelnuovo stiegen wie rollender Donner grollend in die heitere Luft empor, die Anklage einer Nation gegen Himmel gesandt.

»Gott, was ist das? Marco, ums Himmelswillen!« schrie die Dame auf den Tod erbleichend und lauschte mit stockenden Pulsen des lawinenartig anwachsenden Rufes »tradimento!«

Marco sprang ans Fenster und rief hinab: »Was gibt es, ihr Leute?«

»Castelnuovo brennt, und unsere Freiwilligen werden geschlachtet von den Österreichern durch den Verrat des Generals! Hört ihr die Sturmglocken!« scholl es von unten herauf.

»Herr des Himmels, mein Odoardo!« kreischte die Gräfin, in die Knie brechend, und erhob die Hände flehend gegen Marco, der mit grauenvoll verzerrtem Antlitze den Blick über den See hin sandte, an dessen äußerstem Gestade sich lange, weiße Rauchwolken wie die Geister der Erschlagenen erhoben, während rechts und links auf den Türmen von Limone, Malcesine, Gargnano und Torri die Glocken ihre ehernen Zungen regten, um die Kunde des Verrats und den Notruf hinan zu schreien in die Biwaks auf den Bergen zu den Brüdern der Bedrängten.

Er trat rasch zu der Frau und sprach, sie erhebend: »Ermannt Euch Madame! Hier tut schleunige Hilfe not. Verlasst Euch auf mich, ehe der Abend vergeht, bring' ich Euch Euren Sohn!«

»O nein! Ich bleibe nicht, ich gehe mit Euch! Heute sollen die, die mir ihre Schwerter weihten, zeigen, was ihnen ihre Herrin gilt! Fort und fürchtet nichts, eine Mutter ist's, die mit Euch geht, kein Weib!«

Marco beugte sich tief vor der Frau und geleitete sie, gefolgt von ihrem Gefolge, das sich rasch gewaffnet hatte, die Treppe herab.

Ganz Riva schien hier in Waffen auf einem Wege begriffen, ein endloser, dunkler Schwarm bis hinab an die Terrassenplattform des Sees. Die drängenden Menschenwogen erfassten und umgaben sogleich das Häuflein der Gräfin und zogen es mit hinab.

Da fuhr Marco plötzlich auf und riss sich von dem Arme seiner Dame los: »Verzeiht, – mein Kind – ich vergaß in der Aufwallung –«

»Wie, Chiarina hier?« rief die Gräfin erstaunt.

Marco antwortete flüchtig: »Sie ist hier; erlaubt nur einen Augenblick, dass ich sie der Obhut des Wirtes empfehle bis zur Nacht!« damit begann er sich mit kräftigen Armen Bahn durch die Menge zu brechen.

Als er vor der Sonne ankam, war der Platz ganz leer, bis auf die bestürzten Camerieri und einen Burschen, der auf der Marmorbank trotz des ungeheuren Lärmens fest zu schlafen schien.

»Herr Wirt!« rief Marco eilig, »meine Tochter logiert: erste Etage Nr. 4, nehmt sie in Eure Hut bis zu meiner Wiederkehr; dies als Vorschuss!« er warf ihm eine volle Börse zu.

Der Wirt verneigte sich bis zur Erde und sagte grinsend: »Sono tutto ai suio commandi; di Fide pure di me!«

Marco stand noch einen Augenblick unschlüssig, als ob er doch Abschied nehmen wollte von ihr – dann sprach er leise: »Nein, es ist so besser!« und wandte sich dem See zu. –

Kaum hatte der Wirt sich entfernt, um seiner Schutzbefohlenen die Aufwartung zu machen, als der Bursche, der bisher auf der Bank gelegen hatte, aufsprang und an einen der Kellner die Frage richtete, ob er den generösen Cavaliere kenne, der soeben von dannen gegangen.

Der Kellner sann eine Weile nach, dann antwortete er: Er kommt von Milano her und heißt, glaube ich Marco Creppi; wird ein Capitano von den Legionären sein.«

»Muss Geld haben, der Herr!« sagte der Bursche – der Geier von Albian verschmitzt lächelnd. »Ich denke wohl; der Beutel in Maestros Hand wog schwer!«

»Schön, schön! Nun kann ich gehen. Sollte der Herr wieder kommen, so könnt Ihr ihn mit dem alten Sprichwort trösten: Chi paga avanti tratto, ha il lavoro malfatto!« Vorausbezahlte Arbeit wird schlecht. Damit wandte sich der Geier lächelnd der Kirche zu und verschwand in dem Gässchen daneben.


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