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13.
Radetzky in Mailand.

Von den Wällen Mailands und von seinem herrlichen Dome wehte also abermals die schwarz und gelbe Fahne Österreichs.

Der zweiköpfige Aar hatte diesen, seinen Horst doch nicht verlassen, obwohl er gar scharf herum hauen gemusst mit seinen mächtigen Krallen, ehe es ihm gelungen war, die Geier Italiens, die ihn meuchlings angefallen hatten, zu verjagen in die Schluchten des Tessins.

Die stolze Trikolore war in den Staub gesunken und durch die Straßen Milanos, die ein Zeitlang nur der »heldenmütige« Legionär oder Crociato durchrasselt, wandelte abermals der stramme Grenadier, der agile Jäger, der ernste Kanonier und der braune Grenzer.

Sogar das unschuldige »Kaiserwasser«, das unter dem Governo provisorio in »Limonada vegetabile« umgetauft worden war, ward bereits wieder unbeanstandet wie vorher unter dem Namen »aqua imperialis« in den Cafés verabreicht.

Alles war wieder in den Status quo gekommen, nur die Mailänder selber nicht; sie hörten viel zu viel über die Grenze aus Piemont, von den großartigen Rüstungen dort, von dem Enthusiasmus, mit welchem man das Kündigen des Waffenstillstandes erwartete, von den Opfern, die die Bürger Turins und Genuas freiwillig niedergelegt auf den Altar des einen Vaterlandes, von dem – kurz: von dem Wiederbeginne des Feldzuges und der endlichen »Befreiung« Oberitaliens.

Venedig hatte inzwischen seine Anschlusserklärung an Sardinien wieder zurückgenommen; (durch eine eigene Ironie des Zufalls übernahmen die piemontesischen Regierungs-Kommissare die Verwaltung der Provinz Venedig aus den Händen des Diktators Manin an demselben Tage, an dem Radetzky in Mailand einzog – 6. August.) und in Neapel und Sizilien war die Insurrektion unterdrückt worden. –

Aus dem sechswöchentlichen Waffenstillstande war ein unbestimmter geworden, denn beide kriegführenden Mächte hatten die Friedensvermittlung Frankreichs und Englands angenommen.

So war der Winter unter bedeutenden Rüstungen beiderseits verstrichen, und abermals nahten die seit 1848 verhängnisvoll gewordenen Märzen-Idus heran.

In Turin und Piemont schrie alles nach Krieg! Der König, in die Hände der demokratischen oder vielmehr der Kriegspartei gegeben, musste antworten – durch eine abermalige Kriegserklärung.

Der Marschall sah diesem Getriebe guten Mutes und die Hand an dem Degen zu.

Seine Armee, aus lauter Kerntruppen bestehend, brannte vor Begier, der leidigen Halbheit zwischen Krieg und Frieden ein Ende zu machen: »Nach Turin!« war die Losung im Heere geworden. –

Es war am 16. März nach der Mittagszeit, als in das Café San Carlo am Corso frencesco, das derzeit fast ausschließlich von Offizieren besucht ward, ein Major des Genie-Korps mit freudeglänzendem Gesichte und den Worten eintrat: »Wisst Ihr schon, meine Herren! Der Waffenstillstand ist gekündigt!«

Wie von einem Blitzschlag getroffen, sprangen sämtliche Offiziere auf, und ein fröhliches »Gott sei Dank!«, durchhallte den Salon.

Darauf umdrängte alles den Überbringer dieser fröhlichen Botschaft, Details verlangend, die dieser folgendermaßen gab:

»Wir sollten gerade zu Tische gehen«, – der Major gehörte zur Suite des Feldmarschalls – als ein Kurier in den Hof der Villa reale einfuhr. Ihr könnt denken, dass wir Essen Essen sein ließen, als wir ihn aussteigen sahen; es war ein piemontesischer Stabsoffizier. Wir alle, den Marschall nicht ausgenommen, riefen wie aus einem Munde: »Die Aufkündigung des Waffenstillstandes!«

»Und so war es auch; als der Kurier eintrat, ging ihm der Marschall sehr freundlich mit den Worten entgegen: »Ich weiß schon, was Sie mir bringen und danke Ihnen dafür!« – Ihr könnt denken, was hierauf erfolgte, ein unmenschliches »Vivat Redetzky!« so dass es den Kurier sogleich vertrieb, ohne dass er die dringende Einladung des »Alten«, zu Tische zu bleiben, annahm, natürlich – und während ich Euch hier erzähle, weiß schon die ganze Garnison, was geschehen ist, denn mit mir zugleich sind sämtliche Adjutanten auf und davon, um ihre Leute mit der Neuigkeit zu überraschen; für wen Meister Jean heute gekocht hat, das weiß Gott; denn ich möchte wetten, der Marschall isst heute selber nichts vor Freuden!«

Diese Freude machte sich denn auch hier im Café San Carlo geltend: »Champagner«, erklang es rundum, und die, durch die erfreuliche Nachricht aufgestörten Gruppen formierten sich aufs Neue um die kleinen Tischchen, und hundert lustige und ernste Toaste erklangen rundum, zu denen der Cafetier ein gar dummes Gesicht machte, weil sie ihn erinnerten an die, die vor Kurzem noch an denselben Tischen, aber ganz anders erklungen. –

Das ist der Lauf der Welt!

Da trat plötzlich wie ein Gespenst, in den Kreis der fröhlichen Zecher ein totenblasser Mann, ein Offizier von den Jägern.

»Fiduzit, Werner! Weißt Du schon? Es geht wieder los!« riefen ihm die der Türe des Salons zunächst Sitzenden zu, indem sie ihm die schlanken, schäumenden Pokale reichten.

Werner wies sie mit ausgestreckter Hand zurück und sah mit stierem Blicke durch den Salon.

»Hoho, Du wirst doch nichts dagegen haben?« rief ihm ein lustiger Infanterie-Leutnant zu, indem er ihn an der Säbelkuppel fasste und neben sich niederzog.

»Ach, lasst mich! – ich –«, stammelte Werner widerstrebend und wollte fort.

»Na, so bleib, was für ein Teufel ist denn in Dich gefahren?« schmollte der Leutnant.

Da fiel ein Hauptmann von den Jägern, der an dem anstoßenden Tischchen saß, dem Leutnant in die Rede und sagte halblaut: »Der arme Werner wird angegriffen sein von der Exekution, die er heute oder eigentlich jetzt kommandierte –«

»Wieso, was denn für Exekution?«, fragte es ringsum neugierig.

»Nun, jene vier Falschwerber, die unter den gefangenen Fünfzehn zum Tode durch die Kugel verurteilt wurden!«

»Ah, die von den ungarischen Grenadieren von »Ernst« selbst angehalten wurden? Es waren ja auch Italiener dabei?«

»Ich glaube nicht und denke gehört zu haben, der Capo der Emissäre sei sogar ein Deutscher!« sagte der Hauptmann und sah mit sonderbarem Blicke auf Werner, der schweigend und in sich versunken da saß.

Da fasste ihn der Leutnant lachend und schüttelnd bei der Schulter und rief: »Ei, so erwache doch, Bruder, oder lege Dich vollends schlafen; wir saßen so fröhlich beisammen, und da kommst Du her und verdirbst uns mit dieser Armensündermiene die ganze Fassade! So tue doch das Maul auf! Du hast doch nicht Deinen Bruder erschießen lassen müssen?«

Werner erhob das bleiche Gesicht langsam zu seinem Kameraden empor, dann sagte er leise: »Meinen Bruder nicht, aber den meines armen Freundes! – Ihr Herren! Es gibt ein Gericht!«

Der Leutnant sah ihm mit unmutigem Erstaunen an und rief: »Mein Lieber, was sind denn das für Flausen? Du entwickelst da ein sehr schätzbares Talent zu einem Feldpater, und wenn wir nicht –«

»Ei, lassen Sie ihn, Leutnant!« fiel der Hauptmann ein, »wenn er nicht will, so erkläre ich es Euch, warum er so sehr »weg« ist! Werner! Ich habe ihn auch erkannt! Erinnerst Du Dich noch vom vorigen Jahre unserer Razzia nach ihm in Mailand, hinter dem Spitale der Barmherzigen?«

Werner sah erstaunt dem Hauptmann ins Gesicht; dann rief er rasch: »Bei Gott, Du warst ja mit! Ach, Freund, der starb einen schweren Tod.«

»Aber so erzählt uns doch einmal etwas Zusammenhängendes, wir hören schon die längste Weile wie die Narren zu, ohne zu erfahren, was es eigentlich gibt!« riefen die Offiziere rundum.

»Nun, den ersten Akt des Dramas kann ich Euch erzählen –«, sagte der Hauptmann, indem er neben Werner trat: »Wer von Euch im vorigen Jahre, ganz zu derselben Zeit wie heute, im halben März, hier garnisonierte, wird von einer gewissen Geschichte gehört haben, die später unter dem Namen >Die Geschichte der Dame mit den roten Nelken< bekannter wurde?«

»Ja, ja, wir entsinnen uns!«

»Nun – unter die damals von jener Dame Dupierten gehörte auch unser Kamerad da!« der Hauptmann schlug dabei Werner auf die Achsel.

Dieser sah vor sich nieder und erwiderte kein Wort.

»Nun«, fuhr jener fort, »ein braver Bursche, seltsamer Weise ein Italiener – er ward später Soldat und fiel, glaube ich, bei Goito – führte den wackeren Oberleutnant Stark von Gynlai, der im Herbste in Mantua starb, auf die Spur der Absichten der schönen Dame. – Stark verstand keine Spaß und arretierte die Dame samt ihrem Vater und dem ganzen Apparate, den sie mit sich führte, um junge Offiziere zu ködern und entweder zum Treubruche zu verlocken – oder zu verderben; nur stellte es sich leider heraus, dass der Vater jener Dame Starks eigener Bruder war, ein schon einmal amnestiertes Subjekt, das unter dem Namen Marco Creppi eine nicht unbedeutende Rolle bei der Insurrektion damals und selbst jetzt letztlich noch spielte; die in der Kaserne San Franzesco gefangen wurden. – Jetzt ist's an Dir, Werner!«

Werner richtete sich auf und begann mit matter Stimme: »Ihr kennt mich und wisst es alle, dass ich ein unverzagtes Soldatenherz in der Brust trage, aber – zehn Schlachten schlag' ich lieber mit, als noch einmal eine solche Exekution zu kommandieren. – Als ich die Delinquenten übernahm – die pardonierten Elf gingen als Publikum mit – sah ich mich nicht viel um um sie und marschierte langsam durch den Wallgraben bis gegen die Porta Vercellina hin, wo die vier Sandhäuschen der armen Kerle harrten. – Meine Jäger stellten sich auf; ich und der Auditor auf die Seite, und auf den Aufruf seines Namens trat der erste vor. Ein schöner Bursche, ein echter Magyar; war ein Jurat, glaube ich, auf mein »An, Feuer!« knallten drei Schüsse, und er sank lautlos in den Sand. – Er hatte sich die Augen nicht verbinden lassen, ebenso auch die zwei folgenden Ungarn nicht, sie starben alle männlich und ohne einen Laut der Klage.

Doch wie ward mir, als der Profoss den Namen des vierten aufrief: »Rudolf Stark – alias: Marco Creppi!« und aus dem Haufen der Pardonierten, jene merkwürdige Gestalt heraustrat, die ich nie aus meinem Gedächtnisse verwischen konnte seit jenem Abend – und jetzt erst! – Er trat gefasst und mit festen Schritten vor und bestieg den Sandhaufen, als sein Blick auf mich fiel. Ich fühlte das Blut in meinen Adern gerinnen unter diesem scharfen, stechenden Blicke und sah, dass seine fahle Wange sich höher färbte und seine Lippe zitterte; plötzlich erhob er die Hand zu mir, und mit hohler, grollender Stimme rief er aus: >Du, der Du sie kennst, der Du sie suchen wirst, weil Dich die Liebe an ihre Ferse bannt, übernimm die letzte Botschaft eines Sterbenden!< – Ich wusste nicht, wie mir geschah, ich sah nicht, dass die Jäger anschlugen und hörte nur wie im Traume, dass der Auditor mir zuraunte: >Enden Sie die Komödie, lassen Sie Feuer geben!< – Ich sah nur die hohe, hagere Gestalt des Mannes, der mit gellender Stimme rief: >Bringe Ihr meinen Fluch!< – darauf blitzte es auf neben mir, und als sich der Rauch verzog, hielt er kniend, aus einer Halswunde blutend, den hageren Leib noch immer hoch aufrecht, und abermals schrie er: >Bring' ihr meinen Fluch!< – Da sandte die zweite Rotte der Jäger ihre Kugeln in sein Herz, und er sank in den blutigen Sand. – Ich weiß nicht, wie ich hergekommen bin –«

Da sagte der Hauptmann ernst: »Gott hat seinen Fluch nicht gehört, doch lasst uns gehen, es ist so ängstig hier geworden –«

Als die Offiziere auf den Corso hinaustraten, begegneten ihnen jubelnde Scharen von Soldaten, auf den Tschakos und Hüten bereits das grüne Feldzeichen aufgesteckt. –

Der Waffenstillstand aufgekündigt! Hurrah! –

Als der Abend hereinbrach, wälzten sich die gewaltigen Wogen der militärischen Bevölkerung Mailands von den Toren hinaus der freundlichen Wohnung des Feldmarschalls zu, der ehemaligen Villa Buonaparte – jetzt Villa Reale geheißen. Der große Hof der Villa füllte sich mit Tausenden von Soldaten und Offizieren, die summend und brummend unter den rauschenden Platanen auf und nieder wogte, bis endlich die Stunde des Zapfenstreiches schlug.

Da wurde es draußen hell und immer heller; endlich kam eine Unzahl Soldaten mit Fackeln und Windlichtern und hinter ihnen sechs Musikbanden festen Schrittes in den Hof herein marschiert.

Sie kamen, um dem Marschall ein Ständchen zu bringen an dem Tage, wo die längst und glühend gehegten Hoffnungen der Soldaten in Erfüllung gingen.

Und was sie wollten und hofften, das sprachen sie gar treuherzig aus, als die Volkshymne und die Vivats auf den Kaiser vorüber waren, und der Radetzky-Marsch kam!

Ein tausendstimmiger Vivatruf erschütterte die Luft und »Nach Turin!« erscholl es darauf mit einer Macht, dass die Herzen der »prodi Lombardi« drinnen in der marmornen Metropole erzittern mussten in banger Angst.

Aber erst, als dann die Balkontüre oben aufging und die freundliche Gestalt des angebeteten Feldherrn heraustrat in den roten Schein der sprühenden Fackeln, als er mit herzlichen Worten seinen »Kindern« dankte und versprach, er werde nicht warten, bis die Feinde kämen, er werde ihnen entgegengehen, da wollte der Jubel gar nicht mehr enden, den alten schnurrbärtigen Soldaten gingen die Augen über – und sie konnten kein Vivat mehr herauspressen aus den bewegten Herzen.

Hierauf zog der Zapfenstreich durch die Straßen der Stadt, die verwundert und gar mürrisch den lustigen Kriegsmärschen und den Klängen der Volkshymne lauschte, die mächtig an die hohen Häuser emporschlugen, dass die Fensterscheiben zitterten. –

Tags darauf erschien der Tagesbefehl des Marschalls, der also begann:

»Soldaten!

Eure heißesten Wünsche sind erfüllt. Der Feind hat uns den Waffenstillstand aufgekündet. Noch einmal streckt er seine Hand nach der Krone Italiens aus; daher soll er erfahren, dass sechs Monate nichts an Eurer Treue, an Eurer Tapferkeit, an Eurer Liebe für Euren Kaiser und König geändert haben etc.«

… und schloss also:

»Vorwärts also, Soldaten! Nach Turin lautet die Losung, dort finden wir den Frieden, um den wir kämpfen. Es lebe der Kaiser, es lebe das Vaterland!« –

An demselben Tage, dem 17. März, wurde eine Proklamation des Herzogs Eugen von Savoyen in den Delegationen verbreitet, die das Volk zu den Waffen rief – gegen Österreich. –


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