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14.
An den Barrikaden.

Es mochte gegen vier Uhr sein, als um das Gubernialgebäude und an den ringsum aufgeworfenen Barrikaden eine erhöhte Lebhaftigkeit bemerkbar wurde.

Die bisher herumlungernden und deklamierenden Banden organisierten sich förmlich hinter den Steinwällen, die Schützen traten voran und an die Fenster der angrenzenden Häuser, sogar aus Keller- und Dachluken schauten dunkle Gewehrmündungen hervor: der »Feind« war angesagt.

Und wirklich hörte man im nächsten Augenblick den dumpfen, gemessenen Schlag des Manövriermarsches vom Linienwalle der Porta orientale her erschallen.

»Seht Ihr, dass wir Recht hatten, als wir früh schrien, »vane promessi!« so hält Österreich Wort: Die dort bringen uns Wiens Errungenschaften – aber auf den Spitzen der Bajonette!« schrie ein großer, bleicher Mann, der neben der wehenden Nationalfahne auf dem höchsten Punkte der Barrikade vor dem Gubernium stand und den ganzen Wall übersehen konnte. »Braune Röcke meist«, fuhr er höhnisch fort, »das sind Grenzer, Kroaten und – hintendrein Kanonen!«

Eine unheimliche, bange Stille legte sich auf einmal auf die erregten Volksmassen, als der Redner die gefürchteten Namen »Kroaten und Kanonen« ansprach, um in nächsten Augenblicke einem wilden, hohlen Schrei zu weichen, der gellend ringsum aufstieg, als die Avantgarde der Grenzer sichtbar wurde, die soeben von den Vorbauten des Bahnhofes vor dem Walle in die enge Straße einschwenkte, wo das Gubernialgebäude liegt.

»Aux armes, aux armes, citoyens!« riefen die Schweizer und Franzosen, die meist an den Barrikaden befehligten, »coraggio, va via!« die Italiener; eine Totenstille trat ein, die nichts unterbrach als das Knacken der Hähne und das Aufstoßen der Ladstöcke hinter den Barrikaden von der Gasse her, aber die ernste Kommandostimme des General Wohlgemuth, der seiner Kolonne »Halt« gebot, um die Artillerie vorzulassen.

Gerade in dem Momente, als ein Tambour vor die bereits abgeprotzten Geschütze trat, um den üblichen Appellstreich zu schlagen – die Aufforderung an das Volk, sich zu zerstreuen – fiel der erste Schuss.

Er kam aus dem ersten Stockwerke des Hauses neben dem Gubernium, in das, der Kommunikation wegen, eine Gallerie gebrochen war.

Der Schuss streckte den Tambour tot nieder.

Der Mann fiel lautlos ins Herz getroffen, zu Boden, nur der metallene Reif seiner Trommel erklang wie in wehmütiger Klage um diesen barbarischen Friedensbruch.

»Feuer!« ertönte es im selben Momente hinter den Geschützen, die, dem Kommando gehorchend, alsbald die Flammenrachen öffneten, um Tod und Verderben in die Gruppen der Barrikadenkämpfer zu tragen.

Die Kartätschen- und Flintenkugeln schlugen knarrend in die Steinwälle und an die Mauern, Fenster fielen klirrend nieder, Schmerzens- und Wehrufe erfüllten die Luft, in Todesröcheln ersterbend, Decharge fiel auf Decharge, und nicht nur auf der Gasse, wo man sich Aug' im Aug' gegenüber stand, hielt der Tod reichliche Ernte, auch aus den Kellerluken – aus denen man vorzugsweise mit Schießbaumwolle feuerte, kroch er leise, wie auf Socken hervor und würgte in den Reihen der verratenen Soldaten.

Endlich war die Barrikade gebrochen und ihre Verteidiger getötet oder verjagt.

Wohlgemuth ließ unverweilt den Gubernialpalast stürmen; nach einer Viertelstunde des heißesten Kampfes und nicht ohne bedeutende Opfer fiel er in die Hände des Militärs, das einerseits viele Gefangene machte, andererseits viele zu befreien hatte, die der plötzliche Sturm des Pöbels hier erreichte.

Es waren dies meist Gubernialbeamte, darunter der Graf P. und die Gemahlin es abwesenden Gouverneurs, Gräfin S., die sich bei der Überrumplung des Palastes unter das Dach gerettet und in dessen Gebälke versteckt hatte.

Von dem gefangenen Vizepräsidenten fand sich nirgends eine Spur. Er musste bereits durch Casati abgeführt worden sein, vermutlich um die Revolution legalisieren zu helfen und noch zum weiteren Missbrauche seiner Autorität durch Todesangst gezwungen zu werden.

Das Gebäude war nun freilich gerettet, aber das Übel war geschehen: Das Gubernium in Mailand war aufgelöst.

Eine schwierige Aufgabe hatte General Roth zu lösen; die nämlich, den Palast des Vizekönigs, hinter dem Dome gelegen, und den Justizpalast samt dem Kriminalgefängnisse, von jenem Punkte entlegen und durch zwei verbarrikadierte Gassen und die Piazza Fontana getrennt, zu besetzen und zu verteidigen, vielleicht erst zu erobern, denn diese beiden Gebäude waren zu wichtig für die Empörer, und die gewöhnliche Bewachung zu leicht zu überwältigen, als dass man annehmen konnte, sie wären nicht bereits in den Händen der Rebellen.

Der General marschierte mit dem ungarischen Grenadierbataillon Weiler und zwei Jägerkompagnien aus dem Kastell dahin ab, und zwar, ohne aufgehalten zu werden, bis er in die Contrada St. Margerita einbog, die er mit Barrikaden versperrt fand und wo ihn aus allen Fenstern der Straße der heftigste Kugelregen empfing.

»Jäger vor!« kommandierte der resolute und tapfere General, und während diese geübten Schützen mit den sicheren Kammerbüchsen die Fenster und Dächer säuberten, stürmte und nahm er im Fluge, aber leider mit bedeutendem Verluste, die erste große und alle andern in fabelhafter Schnelligkeit aufgeworfenen Barrikaden, bis der Weg zum Dome und dem Palaste des Erzherzogs frei stand.

Einige Minuten darauf war der eherne Mund des Domturmes verstummt und die Trikolore oben verschwunden; dafür schauten von droben die mutigen, bärtigen Gesichter der Jäger gar keck und trotzig unter den flatternden Federbüschen herab auf die mit Blusenmännern gespickten Fenster und Dächer der umliegenden Häuser, und bald darauf, als die Jäger auch das platte Dach des Domes besetzt hatten, entspann sich ein Kampf, durch Eigentümlichkeit und gewisse Züge an die Kämpfe der Czernogorzen oder der spanischen Guerillas erinnernd. –

Besonders mokiert durch ein wohl unterhaltendes, wirksames Feuer erschien ein kleines Häuschen, gleichsam ein Anbau an das Palazzo Boromeo!

Es war eine Botega der ordinärsten Gattung, sonst, wie bekannt, fast ausschließlich nur von Soldaten besucht.

Wo die sonst hingingen, konnte man fast immer annehmen, der Wirt oder die Wirtin sei von deutschem Stamme, meist Tiroler oder ausgediente und invalide Unteroffiziere.

Der Wirt jener Botega gehörte der letzteren Sorte an. Er war Unteroffizier gewesen und hatte nach vollendeter Kapitulation mit Hilfe der Mitgift seines Weibes, einer alten Kammerjungfer, diese Boutique im Vertrauen auf seine Bekanntschaft mit dem Militär etabliert.

Die ewigen Krawalle seit dem Beginne des Jahres und das permanente Alarmieren oder Konsignieren der Garnison hatte natürlich dem Wirtshausbesuche der Soldaten gewaltigen Abbruch getan, und so kam es, dass der gelangweilte, verlassene Boutiquier den nimmermüden Aposteln und Missionaren der Propaganda in die Klauen fiel, wie alle Demokraten jener Zeit, zechlustig und immer bei Gelde, keine verächtliche Kundschaft für eine leere Schenke.

Den Wirt, gewohnt an die mäßigen Zechen der Soldaten, verblüffte, ja verzauberte förmlich das viele Geld, das er in den Händen von diesen Vagabunden sah; das Sirenenlied: »Bei uns geht's immer so!« tönte gar zu verführerisch in seine Ohren, und – schon lange vor dem 18. hatte sich der Mann dem Teufel angelobt – der alte Soldat war zum Verräter und Verschwörer geworden.

Seit einigen Tagen schon war sein Haus zur Herberge einer Rotte wilder Gesellen aus dem Tessin geworden und zum Waffendepot für deren Kameraderie.

Gegen dieses Haus, den meisten Soldaten bekannt, richtete sich nun besonders der Zorn und demgemäß das Feuer derselben.

Als aber der Wirt selbst gesehen wurde in einem Dachfenster und die Büchse in der Hand, da erscholl ein Schrei der Wut aus den Reihen der gegenüber haltenden Grenadiere, und ein bärtiger Korporal trat heraus und an den kommandierenden Offizier mit der Bitte, ihm und einigen Freiwilligen zu erlauben, Strafe zu üben an dem ehrlosen Manne und der Bande, die er beherbergte. Der Offizier lächelte beifällig und sagte freundlich: »Vom Herzen gern, ich gehe selbst der erste als Volontär mit!«

Mit einem schallenden Hurrah ward dies Wort aufgenommen, und im Nu stand ein achtbares Häuflein brauner Pußtasöhne mit gefälltem Bajonette hinter dem Offizier.

»Marsch, marsch!« erscholl es, und mit kurzen, schnellen Schritten stürmte es los auf das Haus.

Hei, wie das knallt und kracht! Wie die Fenster klirren und Tür und Läden splittern! Immer drauf, immer dran!

Hurrah! Viktoria! Das Haus ist genommen, und der Wirt nebst acht Galgenvögeln gefangen!

»Bravi, bravi!« tönte es den rückkehrenden Magyaren vom Turme, vom Dache und allen anderen Posten entgegen, »hängt sie auf, die Banditen!«

»Nein!« sagte der Offizier ernst, »sperrt sie in die Sakristei ein, der Marschall mag Gericht halten über sie!« –

Während dies alles im Innern der Stadt vorging, es war bereits der Abend angebrochen – hatte der Marschall die Esplanade vor dem Kastell noch immer nicht verlassen; in einem Feldstuhle sitzend, empfing er die Nachrichten von den Führern, die an verschiedenen Punkten der Stadt manövrierten.

Da erschien plötzlich ein Mitglied der Munizipal-Kongregation mit einem Schreiben Casatis vor demselben.

»Na, da bin ich neugierig, was der mir schreibt!« sagte der edle Greis mit bitterem Lächeln und griff nach dem Briefe.

Er las und reichte das Blatt seinem Adjudanten mit der Frage: »Was halten Sie davon?«

Dieser las den Brief und gab ihn achselzuckend mit den Worten zurück: »Diese Frechheit ist unerhört!«

Der Marschall drehte sich mit seinem Stuhle um, indem er das Schreiben nahm und in der Hand zerknitterte; dann rief er den städtischen Deputierten näher und sprach ernst, aber mit größter Bestimmtheit: »Sie, Herr Rath, hören Sie meine Antwort und merken Sie sich sie gut: der Podesta hat die Unverschämtheit, mich zu bitten, dem Blutvergießen ein Ende zu machen – er – mich! – Sie verstehen mich, er benachrichtigt mich ferner, dass der Vizepräsident ihm, dem Podesta, die Polizei zugewiesen habe; darauf sagen Sie ihm folgendes: ich anerkenne zur Stunde keinen anderen Herrn in Mailand als mich. Des Vizepräsidenten Dekrete sind ungültige Wische, weil erzwungen, und wären sie auch das nicht, ganz illegal – er ist noch gefangen! Ich warte eine Stunde noch, dann muss der Graf frei und die Ruhe hergestellt sein oder der Belagerungszustand, den ich jetzt über Mailand verhänge, wird in seiner vollsten Strenge gehandhabt. So – jetzt können Sie gehen!«

Der Deputierte verbeugte sich blass wie der Tod und verschwand.

Eine freudige Bewegung machte sich unter der Umgebung des Marschalls über die würdige und energische Sprache desselben bemerkbar, sie wurde aber noch gesteigert und überging in lauten Jubel, als er jetzt aufstand und sprach: »Jetzt muss es aber Ernst werden, Ihr Herren! Sie werden mir schon zu keck. Diese Stunde muss benützt werden, wir können ihnen nur diktieren, wenn wir ihnen imponiert haben. – Der Broletto muss in unsere Hände kommen.« –

Er sah sich forschend um, er begegnete nur feurigen Augen um sich, aus denen Kampflust leuchtete.

»Paumgarten war noch nicht im Feuer heute!« fuhr er lächelnd fort, »wollen Sie das Rathaus nehmen, Obrist Döll?«

»Exzellenz!« stammelte dieser, die Hand ans Herz gelegt und trat freudig näher.

»Na, so gehen's – und nehmen's eine halbe Batterie mit – ohne Geschütz wird's nicht gehen!« sagte der Marschall freundlich, »derweil such' ich mir ein Quartier aus da im Kastell, denn es wird keine Ruhe sobald, das weiß ich so gewiss, als dass es bald regnen wird!«

Er wollte eben dem Kastell zuschreiten, als ihm ein militärischer Konvoi stutzen machte, der soeben unter den Bäumen der Fero-Alle sichtbar wurde.

»Hoho! Wen bringen's denn da?« fragte er erstaunt, »das sind ja Leut' vom Weiler-Batillon!«

Indessen war die Truppe näher gekommen.

Es waren die ungarischen Grenadiere, die den Wirt und die Gäste der Botega auf dem Domplatze gefangen hatten.

Der Kommandant der Eskorte überreichte ehrerbietig den lakonischen Bericht des Offiziers über den Verhalt und Hergang der Sache.

Da flog eine finstere Wolke über das Gesicht des ehrwürdigen Greises, und sein Blick blitzte drohender als damals, wo er die Kanonen zum Alarm donnern ließ.

Er schwieg eine Weile, als hätte die Unnatur des Verbrechens ihm die Sprache geraubt, dann aber rief er mit erregter Stimme: »Alles recht, die wollen's nicht anders, die Italiener, sie sollen rebellieren! Aber der Mann da, meine Herren, hat geschossen auf die Soldaten, auf seine Landsleute! Auf seine ehemaligen Kameraden – er ist ausgedienter Kapitulant.« –

Ein Schrei des Unwillens und Entsetzens ertönte ringsum, und jedes Auge suchte unter den neun Delinquenten den zu erraten, den die Anklage des Grafen Radetzky traf.

»Welcher ist's denn?«

Der Eskortekommandant bezeichnete den Wirt.

»Gott erbarme sich seiner!« sagte der Heldengreis mit zitternder Stimme, »die anderen Burschen führe man ins Stockhaus; den aber – nicht den Insurgenten – den alten Soldaten, der auf seine Waffengefährten schoss, den Mörder seiner Brüder – verurteile ich zum Tode! Schnellen Prozess – ich gehe!«

Der Befehl des Marschalls ward sogleich vollzogen.

Er hatte noch nicht den ersten Hof des Kastells erreicht, als drei Schüsse, fast zu gleicher Zeit, fielen.

Sie trafen das Herz und Leben Pauls, des Bruders der Kollektantin; das Schicksal, das ihm Heller prophezeit, hatte ihn erreicht – schneller als beide gedacht.

Fluch dem Andenken des Verräters! Möge es Italien versuchen, auch diesen Namen mit der Gloriale des Märtyrertums zu umgeben!

Es war bereits spät in der Nacht, als Oberst Döll sich des Auftrages erledigte, den Broletto zu nehmen. Aber vier Stunden hatte der Kampf gedauert, ehe es gelang, und auch dann erst, als das massive Tor desselben durch einen Zwölfpfünder zerschmettert worden war.

Man machte eine Menge Gefangene, die aber wegen Mangel an Unterbringungslokalen bis auf einige am schwersten Gravierten freigegeben werden mussten, ferner eine vollständig eingerichtete Ambulanz, einem Masse Gewehre und Munition und – eine Buchdruckerpresse.

Von den Leitern des Aufstandes wurde man auch hier ebenso wenig als im Gubernialsgebäude eines einzigen habhaft.

Man erfuhr erst später, dass der Palazzo Boromeo damals sowohl Casati und Konsorten als auch den militärischen Lenker der Revolte beherbergte, den cidevat napoleonischen General Lecchi.

Als die Nacht des 18. März anbrach, trübe und regnerische, war der Kampf schwächer, aber nicht unterbrochen, viel weniger geendet worden.

In den Händen des Militärs waren die Wälle und Tore, im Innern der Stadt bloß der Dom und die daran stoßenden öffentlichen Gebäude, die Münze, das Gubernium, der Justizpalast, die Kasernen, Spitäler und die Post.

Vor und in diesen Gebäuden lag und biwakierte das Militär.

In allen anderen Stadtteilen war das verblendete Volk Meister und bewies seine Kraft und Tätigkeit im Aufwerfen von Barrikaden zu erneuten Kampfe für den morgenden Tag – immer noch sangen die Glocken dazu ihr dumpfes, trauriges Lied:

»Schwer und bang

Grabgesang!«


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