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8.
Am Gardasee

An dem flach abgedachten Ufer des Sees, am Ausgange der »duftenden Zitronenwände und gold'nen Hesperidengärten« Solos, steht die berühmte »Ca Ca – Abbreviatur für Casa oder Casino (Landhaus). Berotti«, wie sonst von Touristen, so heute von Legionären aller Nationen des »einigen Italiens«, mit Inbegriff der freundnachbarlichen Schweiz wimmelnd.

Besonders die Terrasse vor dem Casino, von der aus sich die entzückende Fernsicht über den »Amethist der Wogen« öffnet, war gedrängt voll bunter Gestalten in so abenteuerlich altertümlicher Tracht, dass es einen unwillkürlich gemahnte, die droben dürfen keine Stunde beieinander stehen, so müsse es abermals heißen:

»Ich bitte Dich, Mercutio, lass' uns gehen!
Der Tag ist heiß – die Capulets sind draußen –«

Worauf es anders nimmer antworten könne als mit einem »Hie Montague!« und »Tybalt zieht vom Leder«.

Doch das war nicht zu befürchten! Die Herren droben hatten sich wohl gemerkt, wie man sich damals trug – aber nicht, wie man sich damals schlug, ehe der marmorne Sarkophag sich über der Leiche Julias schloss im öden Garten des Orfanotrofio zu Verona.

Sie klirrten mit den Schwertern und Pokalen und erschlugen zu Hunderten Barbaren mit geschwätziger Zunge – sonst nichts.

Ganz abseits von der lärmenden Masse der Freischärler, im Hintergrunde der Terrasse, fast verdeckt von den tief niederhängenden Limonenzweigen, saß einsam ein schweigendes Paar.

Es waren ein Mann in einem kurzen, grauen Wams, den grauen unbedeckten Kopf tief auf die Brust niedergebeugt, und eine schwarz gekleidete, dicht verschleierte Dame.

Die Sorbetschalen standen noch unberührt vor beiden, und man wäre versucht gewesen, sie für die Statuen des Schweigens und der Trauer zu halten, wenn nicht plötzlich beide bei dem Klange einer Stimme, die selbst das laute Geschrei des Haufens gellend übertönte, mit einem leichten, kurzen Rufe in die Höhe gefahren wären.

Aber der unbefangene Beobachter hätte auf einen Blick erkannt, dass der Mann aufsprang mit der Miene befriedigter Erwartung, während der leise Schrei der Dame die Natur der Angst und des Schreckens trug; wirklich sank sie sogleich wieder in den Schatten der Zitronenwand zurück und wickelte sich fester in ihren Schleier, während der Mann aufstand und gebückt unter den Zweigen hervortrat.

Als er sich zur vollen Höhe aufrichtete, zeigte er ein Gesicht, lang, tiefgefurcht und grabesbleich und voll des Ausdrucks fanatischer Energie – das Gesicht, das von der Veranda des Café Cora herab grinste, als die ersten Funken flogen in die aufblitzende Pulvertonne der Empörung; das Gesicht, das wir erblassen gesehen haben, nicht vor – erst nach misslungenem Brudermorde und zum letzen Male strahlend von Rachelust, im Triumphe einher ziehend und umtanzt von einer wahnsinnigen, verblendeten Masse – das Gesicht Marco Creppis.

Die Stimme aber, die ihn aus seinem Brüten störte, gehörte einem noch ziemlich jungen Manne von äußerst verschmitztem Aussehen an, der um die Schärpe, Troddeln und vielen Bändern besorgt, mit denen er behängt war wie ein Maibaum, sich mit dem ewigen Rufe: »Zum Teufel, wann kommt denn das vermaledeite Dampfschiff!«, langsam und vorsichtig durch die Menge wand.

»Buon di, Capitano!« rief Creppi ihm entgegen und lenkte seine Aufmerksamkeit auf sich.

»Ah, che Fortuna! Marco!« schrie der edle Capitano und stürzte mit Aplomb in die Arme des Hageren, »wie kommt Ihr hierher?« fragte er weiter.

»Wie? Mein Gott, wie alle, die vor mir und Euch den Weg in diese Berge oder in die Sümpfe vor Mantua zu suchen gezwungen wurden, um nicht Teil zu haben an den Lorbeeren der Piemonteser –«

»Hoho! Wie das, erzählt, wir können hier nichts Gründliches erfahren!«

»Ei, auf den Grund sollt Ihr alsogleich sehen, mein Alter! Die Sache ist kurz diese: seit der Krankheit des ehrlichen Litta ist das Kriegsministerium nominell an Collegnao und Lucchi – faktisch aber an eine Horde Schurken übergegangen, die offen eine Sinekure daraus und die Geber der Nation sich zu eigen machen, während die Wehrkraft darbt an allem, besonders aber an Waffen!«

»Bei Gott! Es ist eine Schande, wie die Leute herkommen!« warf der Capitano dazwischen ein.

»Was Wunder!« rief Creppi höhnische, »sämtliche Ämter im Kriegsministerium sind mit der Kreaturen eines Bava und Sognaz besetzt! Man manipuliert nicht ungeschickt in Mailand, und es soll mich gar nicht wundern, wenn die liebe provisorische Regierung eines schönen Morgens sans façon dekretiert, sie habe befunden, der Armee des Sarden das Monopol der Befreiung Italiens zu überlassen –«

»Hoho! Dahin soll es nicht kommen, bei allen Teufeln!« rief der Capitano entrüstet, und seine Hand fuhr an den Degen.

»Pst! Nicht so laut! Tretet hier herein!« sagte der Hagere und wies nach der Laube, in deren Dunkel die Dame noch immer regungslos lehnte.

»Ah! Die Signora!« rief der Freischärler und eine dunkle Glut schoss in sein Gesicht.

»Ja, Freund! Aber leider noch immer dieselbe, wie Ihr sie kennt von Milano her seit dem – dem verfluchten Tage!« flüsterte Marco mit gesenkter Stimme und gefurchter Stirne.

»Noch immer stumm?«

Marco nickte schweigend mit dem Kopfe und trat in die Laube. »Chiarina, unser Freund Mauro!« sprach er dann, den Capitano vorstellend.

Chiarina regte sich nicht.

Der Fremde stand tief geneigt vor der dunklen Gestalt des unglücklichen Mädchens und harrte eine Zeitlang ihres, wenn auch stummen Willkommens; dann richtete er sich auf und seinen Blick auf das Antlitz ihres Vaters, der sich rasch zu ihm niederbeugte und ihm ins Ohr flüsterte: »Lasst das sein – ich erzähle Euch bei Gelegenheit…«

»Also Ihr glaubt, die Regierung der Perfidie anklagen zu können?« unterbrach ihn der Capitano mit einem eigentümlichen Zwinkern der grauen Augen und nahm so das frühere Gespräch wieder auf.

»Jawohl und leider mit gutem Grunde!«

»Lasst hören!«

»Einige Daten werden genügen, meinen Verdacht zu rechtfertigen: Ihr wisst, dass es der allgemeine Wunsch der ganzen Bevölkerung ist, ins Feld zu rücken, seit die Armee Radetzkys Mailand verließ! Man wendete dagegen ein, dass es an Waffen fehle, versprach aber, für deren sofortige Anschaffung zu sorgen. Nun hört, wie unsere liebe Regierung sich dieser Sorge entledigte: die Brescianer Waffenfabrikanten erboten sich, der Regierung wöchentlich fünfhundert Stück Gewehre zu liefern: man mäkelte mit ihnen und wurde nicht einig; die Tuchfabriken Comos wollten binnen vier Wochen grünes Tuch für das gesamte lombardische Aufgebot fertigen: man schlug ihr Anerbieten aus –«

»Nicht möglich!« rief Mauro.

»Hört nur weiter«, begann Creppi wieder, »der Herzog Visconti hat auf eigene Kosten ein ganzes Regiment angeworben; man macht ihn, den Mann des Geldes und Friedens zu dessen Obersten und die pauversten Piemontesen zu seinen Offizieren. Der Graf Caccia engagierte ein Chevauxlegers-Regiment, detto für eigenes Geld – es ist jetzt zwei Monate her – und die Reiter sind da, aber keine Pferde – was Wunder also, wenn die tapfere Jugend den Fahnen der Freikorps zueilt, da an eine Organisation der Linie nicht zu denken ist, dass sie aber auch dort ohne alle Unterstützung gelassen wird – hinc illae lacrimae! Da seht sie an draußen, diese Musterkarte von Strolchen! Und wagt es, etwas anderes zu hoffen, als dass die bei dem ersten Choc der Österreicher zerstäuben, wie Spreu vorm Winde! Aber der Fluch über sie, die Schuld daran tragen!«

»Ja, ja! Ihr habt Recht! Die Piemontesen wollen sich notwendig machen – wie wird das enden!« sagte der Capitano nachdenklich.

»Wie das enden wird?« rief Creppi und legte seine Hand auf die Schulter des Freischärlers, »mit einem Fiasko zum so und so vielten Male!« sagte er mit Nachdrucke.

Der Capitano zuckte, wie von einer Viper gestochen zusammen und sah eine Weile starr vor sich nieder, dann fragte er leise: »Und wo wollt Ihr hin?«

»Heute nach Riva; ich muss die Allemandi und Manara sprechen –«

»Apropos Allemandi?« unterbrach ihn Mauro wieder, »was haltet Ihr von unserem neuen Chef?«

Marco zuckte mit den Achseln und antwortete bedächtig: »Ich kenne ihn aus der Schweiz her als einen ehrlichen Mann und halte ihn für einen fähigen Offizier – aber seine Mission hier ist eben abermals ein Beweis der Perfidie unserer Regierung – er ist ein Piemontese – und es genügt, meine Behauptung zu begründen, wenn ich Euch sage, dass man auf die Idee, ihm die Führer der Freikorps zu subordinieren, erst kam, als es in Mailand bekannt wurde, dass Manara, Anfossi und Arcioni Südtirol schon besetzt halten, was jedenfalls mehr nach Waffenruhm riecht, als die lächerliche Flucht der Piemontesen vor den Müllerburschen von Maccaria, und deshalb gerechte Eifersucht erwecken muss –«

»Bei Gott, Ihr habt wieder Recht, Marco!« rief der Lombarde erhitzt, »wir trauen dem Allemandi auch nicht –«

»Wie gesagt, er ist Piemontese und wird nach Kräften dafür sorgen, dass das glänzende Heer seines Königs nicht in Schatten gestellt werde von einigen barfüßigen Vagabunden!« – versetzte Creppi trocken. »Doch da kommt das Boot!«

Pfeifend und schnaubend und mit den gewaltigen Radflossen die blauen Wellen an die Ufer der schmalen Bucht von Salo hinan ziehend, schwamm jetzt das Dampfboot von Maderno heran.

Ein entsetzliches Geschrei und Getümmel erhob sich unter der die Terrasse herabströmenden Menge von Legionären, deren jeder im Gefühle seiner zweifellosen Unentbehrlichkeit und aufopfernden Vaterlandsliebe den ersten Platz auf dem Boote beanspruchte.

»Hoho! Capitain! Ich gehöre zu Thamberg mit zehn Mann!«

»Oh, padrone! Chi è di la? Verso dove ho io dandare?« (auf welche Seite soll ich gehen?) so scholl es bunt durcheinander.

»Kreuzdonnerwetter! Wo tun wir unsere Bündel hin! Wir gehören zur Legion Borri!« riefen einige stämmige Schweizer, denen man auf den ersten Blick den weiten Weg vom Albulatale her ansah.

Der unglückliche Kapitän des Bootes schoss hin und her, rastlos wie ein Weberschifflein, um seine ungestümen Gäste in dem unteren Raume der zweiten Kajüte und auf dem Verdecke unterzubringen; denn sein erfahrener Blick hatte bereits Leute auf der Terrasse oben bemerkt, die von besserem Schlage und des exquisiten Komforts der ersten Klasse würdig seien.

Unter diese zählte auch Marco, seine Tochter und der Capitano, der mit gröblich verletzten Gefühlen das Boot bestieg, zu dem er Chiarina seine Begleitung angetragen hatte, und stumm aber offenbar abweislich beschieden wurde.

Chiarina stieg in die Damen-Kajüte hinab, ihr Vater aber zog Mauro an die Barriere oberhalb des Maschinenraumes zwischen den beiden Radkästen, wo er ihn beim Bandelier fasste und dringend also ansprach: »Lasst es sein, Herr! Mit dem Mädchen vor der Hand, wenn Ihr es liebt! Ich kenne die trotzige Natur Chiarinas – sie ist die Tochter ihrer Mutter!«

»Aber Marco!« begann der Capitano mit unmutiger Miene, »wie kann ich auf einen Sukzess hoffen – ach, auf endliche Erhörung, ich, der schlichte, raue Soldat, wenn es Euch, dem feinen Manne und mächtig über sie, als ihr Vater, nicht gelungen ist – und diese lange Zeit her – sie mir geneigt zu machen?

Marco sah finster vor sich nieder und kniff die Lippen übereinander, dann sprach er langsam: »Ich habe versprochen, dass sie die Eure wird, verlasst Euch auf mein Wort!«

»Hm, Euer Wort und Ihr bringt sie nicht dazu, zu sprechen!« sagte Mauro bitter und zweifelnd.

Da beugte sich Marco zu dem Capitano nieder und sprach mit gedämpfter Stimme: »Hört, Freund! Es gibt Dinge, finstere – nächtige – die einem Vater beten lernen könnten, es möge sein Kind zu keinem andern Worte mehr den Mund gegen ihn auftun, als zu dem des letzten Lebewohls! – Wisst, ich will aufrichtig sein, ich ahne ein schlimmes Ende unserer Sache – einige Wochen werden genügen, meine Ahnung zur Gewissheit zu machen und dann – dann – nehmt Ihr mein Kind, das vor meiner blutigen Hand zurückschaudert in die Eure – denn mein Weg geht von Riva entweder in das republikanische Italien oder über die Pässe und die Adda nach Tusis – horcht, mich dünkt, wir werden belauscht!« rief er plötzlich und trat rasch an das Gitter über dem Maschinenraum, aus dem sich ein anderer Ton erhob, als jener der sich schwingenden Maschinenhebel.

Ein kurzer Schrei war von unten empor gestiegen, und sein Falkenauge sah in dem Spiegel der polierten Kessel eine zusammengekauerte Gestalt sich erheben und verschwinden.

»Sie war's, verflucht!« sagte er viel blässer als sonst und fügte traurig hinzu: »wieder aus, auf lange Zeit – wohl auf immer!«

Mauro lächelte bitter: »Ihr macht es gut – so sagt mir wenigstens, was es denn eigentlich ist zwischen Euch und der, die Ihr mir zugedacht als mein Weib?«

Marco versetzte schwermütig: »Verlange nicht, Dein Herz damit zu beschweren, was ich zu tun mir auferlegte, ich, der Heimatlose, um ein Vaterland zu gewinnen – ich fürchte, ein undankbares. Sie mag es Dir erzählen, wenn sie Dein wird – wenn sie nicht, wie ich befürchte, den Tod in den blauen Wogen des Sees vorzieht einem Leben, verfallen einer blutbefleckten Vergangenheit – doch lasst uns abbrechen und nach ihr sehen hier ist Riva!« –

Das Boot hielt an dem Landungsplatze, dem Cafehause unter den Arkaden. –


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