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11.
Ein moderner Condottiere.

In Capo di Lago, dem Hafenorte der südöstlichen Bucht des Luganer Sees, schien sich nach der Aufforderung d'Aspres an die Mailänder zur Auswanderung, ein bedeutendes Depot von Exulanten bilden zu wollen.

Man darf sich aber unter den Milanesern, die damals das Exil dem Abwarten des Gerichtes in der Hauptstadt vorzogen, durchaus keine so armen Teufel denken, wie sie sonst vorzukommen pflegen, arm und traurig hinein pilgernd in das Land, wo ihrer das bittere Brot der Verbannung harret.

Die Botega an dem Landungsplatze der tessinischen Dampfboote hatte seit Langem schon keine so vornehme Gesellschaft beherbergt.

Da waren sie zu finden, die Professoren der Revolution, die edlen und aufopfernden Beglücker des Volkes! Hier saßen sie ganz gemütlich beisammen, die Träger jener Namen, die das Volk in Mailand seit dem 6. August an den Galgen geschlagen hatte, und mit dem Brandmale des Betruges und des Diebstahls bezeichnet! – Das Volk muss bleiben – seine Verführer können entfliehen! Drum ist das rentable Metier der Letzteren so in Schwung gekommen in neuerer Zeit!

Unter die zechenden, lärmenden Gruppen, die das Gastzimmer der Hafen-Ostaria erfüllten, alle guter Dinge und nur ein Thema abhandelnd: das Wiederkommen nach Mailand, trat unvermerkt eine lange, hagere Gestalt.

Unvermerkt; denn sie sah ganz so aus wie die anderen da; Revolutionäre pflegen, wenn auch nicht immer groß, so doch immer hager zu sein.

Der Mann sah sich die Gesellschaft eine Weile musternd an, ungewiss an wen er sich wenden solle; endlich musste er einen Bekannten gefunden haben, denn er durchschritt plötzlich rasch das Zimmer und pflanzte sich vor einem einzeln sitzenden, in Gedanken versunkenen Mann in mittleren Jahren auf und weckte ihn mit einem leichten Schlage auf die Schulter und dem Worte aus seinem Brüten: »Sauro! Du da?«

Der Angeredete fuhr auf; ein leichtes, freundliches Lächeln umspielte seinen schönen Mund, als er den Mann erkannte und mit der Frage begrüßte: »Ei, willkommen Marco! Wie kommst Du her?«

»Ich komme von Lugano her auf einen Brief des Generals. Ist er noch nicht da?«

»Er muss jeden Augenblick kommen; wir warten alle auf ihn, er hält in den Bergen von Varese Revue über die Trümmer der Legionen des Varus!« antwortete der Mailänder mit leisem Spotte, »also Du weißt schon?«

»Alles – alles!« bestätigte Marco mit tonloser, trauriger Stimme, »ich habe es so vorausgesehen – schon lange!«

»Ei, was konntest Du voraussehen? Du hättest gestern noch, wärest Du in Mailand gewesen, ohne sanguistisch zu sein, geschworen, dass es unmöglich sei!«

Marco lächelte bitter und schwieg.

»Nun, es ist noch nichts verloren, meine ich!«, fuhr der andere fort, »der König ist mehr als je entschlossen, alles, selbst seine Krone an die Befreiung Italiens zu wagen! Er wich dem Feinde nicht, nur dem Unglücke!«

»Hm! Das ist so ziemlich einerlei, für die Sache nämlich!«, sagte Marco kalt, warum versuchte er also nicht einmal, Mailand zu verteidigen, dessen Ressourcen, zu seinem Heere geschlagen, dem Marschall doch ganz anständig hätten opponieren können!«

Der Mailänder zuckte mit den Achseln und flüsterte: »Der König ist eine Art Fatalist, er fürchtete sich förmlich, sich um oder in Mailand zu schlagen: ich werde sie besiegen, sagte er noch vorgestern, aber hier nicht, ich fühle es – und sollte es meine Krone kosten, so erhebe ich noch einmal das Schwert Italiens zum letzten, entscheidenden Schlage!«

»Es dürfte ihm auch seine Krone kosten!« erwiderte Marco mit dumpfem Prophetentone hierauf, »denn es liegt heute schon in der Macht des Marschalls, ihn in dem eigenen Lande anzugreifen und ihn auch dort zu schlagen, denn, wie Gott überall, ist es auch die Viktoria, wo man sie zu fesseln weiß!«

Ein ungewöhnlicher Lärm vor der Botega und der Ausruf der aufspringenden Mailänder Flüchtlinge: »Der General!« unterbrach ihr Gespräch, und kurz darauf trat dieser ein, ein Mann, bisher wenig oder gar nicht genannt, aber bestimmt, über kurz an den Ufern der gelben Tiber die ephemere Rolle eines Diktators zu spielen – der General Garibaldi.

In den dreißiger Jahren nach Amerika ausgewandert, hatte er da ein Albergo nach welscher Sitte gegründet und sich friedlich ernährt, als ihn die Kunde der abermaligen, diesmal »glorreichen« Erhebung Italiens traf und nebst anderen Verbannten in das unvergessliche Vaterland hinüber lockte.

Er warf die Schürze und den Bratenrock von sich, umgürtete sich mit dem Schwerte und – kam nach Mailand in einem Aufzuge, der alle Farcen der famosen Belgiojoso bei weitem überbot.

Er erschien in der Stadt, die des Lächerlich-Pompösen doch genug gesehen haben mochte seit dem 19. März, mit einem Gefolge von Mohren und rot gekleideten Kerlen, deren Aussehen an die alten Traditionen von »Flibustiern« und »Bukaniern« erinnerten, Gründe genug, um bald en vogue zu sein. Das Governo provisorio erteilte ihm das Patent eines Generals, von dem er jedoch erst seit dem Falle Mailands an Gebrauch genommen zu haben scheint, da bis dahin von seinem Wirken nicht das Mindeste verlautet. –

Er kommandierte gegenwärtig einen Teil der flüchtig gewordenen Mailänder Mobilgarde und einige Haufen jenes heimatlosen Gesindels, das wie überall, auch in Mailand sich, solange es ging, breit, und aus dem Staube gemacht, als es nicht mehr ging. –

Als er in das Schankzimmer trat, erhob sich die gesamte Gesellschaft desselben mit einstimmigem Zurufe, um dem Manne ihre Huldigung zu bezeugen, der unerschüttert von den Schlägen des Schicksals, es unternommen hatte, ein anderer Sforza, allein »den Barbaren« Stand zu halten.

Garibaldi dankte leicht und anmutig; er sah sehr angegriffen aus von dem langen, beschwerlichen Weg von Como her, welcher Stadt er soeben die nötige Energie zum Widerstande gegen einen etwaigen Angriff durch das Versprechen eingeflößt, vor Abend mit seinen »Truppen« da einzutreffen.

»Ich erwarte hier einen Mann aus Lugano –« sagte er endlich mit forschendem Auge durch das Zimmer blickend.

Marco, der sich ebenfalls erhoben hatte, schritt auf ihn zu.

»Ah! Ihr heißt Marco Creppi?«

»So ist's, General! Was steht zu Diensten?« fragte dieser.

»Kommt mit mir; ich habe Euch Wichtiges anzuvertrauen!« Er ergriff Marcos Arm und zog ihn mit sich in das obere Geschoß des Hauses, wo er ihn in ein kleines Zimmerchen führte und an einem Tischchen sich niederzulassen nötigte.

»Ihr seid mir aufs Dringendste empfohlen, als ein verlässlicher, kluger Mann und der Sache Italiens treu ergeben!« begann er mit einschmeichelndem Tone.

»Wisst Ihr auch, ob der verlorenen?« fragte Marco mit scharfer Betonung.

Garibaldi verfärbte sich ein wenig und biss die Lippen übereinander, dann aber rief er mit erzwungenem Lächeln: »Ei geht! Warum nennt Ihr unsere Sache eine verlorene?«

»Warum? Eine aufgegebene Sache ist immer eine verlorene!«

»Hoho! Wer sagt Euch, dass sie aufgegeben ist! Und wenn der König sie treulos fallen ließe, so – nehme ich sie auf mit kräftiger, kühner Faust und sterbe, ehe ich sie wieder sinken lasse oder aufgebe!«

»Ihr?«, rief Marco mit ungläubiger Miene.

»Ich, mit Hilfe der echten Patrioten!« war die Antwort, und der »General« rückte näher an den Mann, den er zu gewinnen suchte. »Ihr habt ja doch gehört von den Viscontis, den Gonzagas, Sforzas und anderen Helden unseres Volkes, die den Pflug verließen und zu dem Schwerte griffen, um sich Kronen zu holen? Was waren sie anderes, jene mächtigen Condottieri als ich, der ich heute über eine größere Macht gebiete als zu jener Zeit, wo ihr Glücksstern im Zenit stand?«

Marco sah lächelnd und sinnend vor sich nieder und antwortete lange nicht; dann fragte er plötzlich: »Und was soll ich dabei? Was verlangt Ihr von mir?«

Garibaldi ergriff die widerstrebende Hand Marcos und sprach mit eindringlichem, flehendem Tone: »Ich weiß, was Ihr dem Vaterlande geleistet zu Zeit der Erhebung, ich weiß, dass Gott Euch die Macht der Rede gab und dass Ihr durch sie im Stande seid, die einzelnen zu gewinnen und Massen zu gängeln. Ihr könnt am meisten dazu beitragen, uns zum Siege zu verhelfen, uns, die wir keinen Frieden schließen und keinen Waffenstillstand eingehen wie der perfide Sardenkönig. – Wir brauchen ihn nicht zu erwarten – der Mut und der rechte Augenblick sollen unser Messias sein – aber Ihr müsst Euren Beistand versprechen!«

Marco sah verwundert in das erglühte Antlitz des Sprechers: »Und was soll ich?« fragte er zweifelnd, »ich bin ein alter, gebrochener Mann, mein Arm wird da den Ausschlag nicht geben!«

»Nein, nein, Marco!« rief Garibaldi, »nicht Euren Arm ruft das Vaterland auf – hört, in diesem Augenblick bereitet sich in dem fernen Ungarland eine große, umfassende Erhebung vor. – Eine nationale wie die unsere. Ein Drittteil der Söhne jenes Landes steht in den Reihen unserer Feinde; sie wissen es nicht, dass ihre Mutter ihrer bedarf, um ihr Recht zu verfechten, sie wissen nicht, dass die »legale« Regierung ihrer Nation sie auf- und zurückruft in die Reihen der Vaterlandskämpfer! – Ich bekam über Venedig her die Nachricht, dass eine Anzahl magyarischer Emissäre seit gestern im Hotel croce di Malta in Mailand logiert, um jene Proklamation ihrer Regierung unter den ungarischen Regimentern zu verbreiten und die Leute mit Gold und dem Erforderlichen zur Rückkehr zu versehen. – Ihr begreift, dass diesen Herren jemand, und zwar ein sehr umsichtiger und verlässlicher Mann beigegeben werden muss, damit sie sich ihrer Mission auf die geeignetste Art entledigen – Euch hat man mir hierzu vorgeschlagen – und Euch bitte ich nun darum im Namen des unglücklichen Vaterlandes!« –

Marco hatte mit gesenktem Haupte schweigend zugehört, jetzt erhob er den Kopf und sah den »General« lange und durchdringend an: »Wisst Ihr, dass diese Mission heute eine sehr gefährliche in Mailand ist?« sagte er dann langsam.

Garibaldi errötete unter dem forschenden Blicke Marcos leicht und nickte mit dem Kopfe.

»Nun, ich bin ein alter Mann«, fuhr dieser mit bitterem Lächeln fort, »und allein – ganz allein auf der weiten Erde! – Ihr sagt, Ihr wollt die Sache halten, Ihr sagt, Ihr hofft noch? Gut, ich glaube Euch und übernehme Euren Auftrag. Mögen die Feiglinge sehen, dass Marco Creppi noch immer der alte Rebell ist, derselbe treue, unbeugsame Patriot, der wie immer, wo sie fliehen, hingeht, dem Tode, der ihn zu fliehen scheint, entgegen. – Gebt Eure Vollmachten und Instruktionen her, ich gehe!«

Garibaldi sprang fröhlich auf und dem alten Manne an den Hals: »Mann! Nimm von meinem Lippen den Dank des Vaterlandes an und sei des reichsten Lohnes gewärtig, wenn das Schicksal mich an die Spitze des befreiten Vaterlandes stellt!«

Marco verzog den Mund in höhnische Falten und sagte kalt: »Lasst das, Herr, und macht schnell –«

»Noch eins, Marco!« rief Garibaldi, »Ihr müsst mich auch täglich durch den Podesta von Como mit den Erfolgen, die Ihr erringt, bekannt machen. Ihr werdet wohl meine Meinung teilen, die ich hier schriftlich des Breiteren auseinandersetzte; ich denke, die gewonnenen Magyaren unter der Garnison – und nicht desertieren lassen, damit wir bei dem nächsten Choc auf Mailand wenigstens auf Verbündete unter den Truppen zählen können!«

Marco sann eine Weile nach, dann sagte er kalt: »Übermorgen habt Ihr meine Meinung darüber wie über diese ganze Sache und die Eure. Addio, Condottiere!« setzte er lächelnd hinzu und verließ das Gemach und den verblüfften »General«, der sich rasch und unmutig an die heiße Stirn griff und ans Fenster trat, um dem Alten nachzusehen.

Marco schritt bereits längs den Rebengeländen des Sees gegen Riva San Vitale hin. –

Tags darauf stieß Garibaldi mit seiner Armee, die er nach Como zu bringen gedachte, auf ein Streifkorps der Österreicher unter dem Major Huin vom Generalstabe, das ihn unverweilt angriff und in die Flucht schlug.

Die Mailänder ließen sich freiwillig gefangen nehmen, und der Überrest, emeritierte Crociati, folgte dem Condottiere über die Schluchten und Berge des Lago di Lugano hinüber in die Heimat aller Heimatlosen – den Kanton Tessin. –


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