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Die Besucher der Jorō

Wenn es auch zum Beruf der Freudenmädchen gehören mag, gegen alle Gäste, die zu ihnen ins Haus kommen, freundlich zu sein, so macht die Einzelne doch Unterschiede im Verhalten den Männern gegenüber, die sie in Anspruch nehmen. Das Verhalten der Jorōs, solange sie in ihren Käfigen für die Öffentlichkeit ausgestellt sind, kann man nicht in Betracht ziehen, denn hier verlangt das Herkommen von ihnen äußerliche Zurückhaltung.

 

Wenn aber eine Yujō für einen Besucher ihres Hauses eine Zuneigung empfindet, dann zeigt sie ihm es auch, und es kann angenommen werden, daß sie den Geschlechtsverkehr mit ihm sucht, um eben etwas empfinden zu können. Dies geschieht sogar dem Gast einer Kollegin gegenüber, wenn sich auch der Geschlechtsverkehr in aller Eile und im geheimen abspielen muß. Das ist das »Ochazuke«, die hastige Mahlzeit, von der wir schon gesprochen haben, der Imbiß, der im gewöhnlichen Leben aus mit Tee übergossenem gekochtem Reis besteht.

Ein ganz merkwürdiges Zeichen der Anhänglichkeit ist das »Kae-Fudoshi«, das Austauschen des Lendenschurzes. Zur Erinnerung an den Geschlechtsverkehr tauscht man die Lendenschurze aus.

Bleibt ein Gast eine ganze Nacht im Freudenhaus, dann nimmt er dort auch mit seiner Bettgenossin die Abendmahlzeit ein. Bei dieser Gelegenheit zeigt eine Jorō ihrem Besucher häufig auf eine eigentümliche Weise, d. h. nach unseren westlichen Begriffen eigentümliche Weise, ihre Zuneigung oder man kann auch sagen, ihre augenblickliche Verliebtheit: Sie bringt durch eine Art von Kuß das Sashimi aus ihrem Mund in den Mund ihres derzeitigen Liebhabers. Das Sashimi, mit Vorsetzung der Höflichkeitssilbe O das Osashimi, ist eine Speise, die aus in dünne Streifen geschnittenem rohem Fisch besteht, worüber Sojabohnenwürze gegossen ist; gewöhnlich wird sie mit geriebenem Meerrettich (Wasabi) schmackhaft gemacht. Aus dieser Sitte der Freudenmädchen heraus sind Sashimi und Osashimi zu Gassenwörtern für den Zungenkuß geworden und werden auch in der Umgangssprache dafür gebraucht. An anderer Stelle bringen wir Weiteres darüber. Andere Bezeichnungen des Zungenkusses, die hieher gehören, sind »Kinari«, das Übereinkommen, im Sinn: Festlegung des Kommenden, nämlich des Koitus, und »Tetsuke« oder »Tezuke«, das Pfand, das Handgeld, die Anzahlung; Tetsuke ist nur in den Yūkakus gebräuchlich, man darf es hier aber nicht etwa im rein materiellen Sinn auffassen, denn die Jorō gibt das Handgeld! Sie will ihrem Besucher zeigen, daß sie ihn höher schätzt, als andere, denen gegenüber sie lediglich ihren Beruf ausübt.

 

Mit einem Mann, der ihr augenblicklich nahe stand, vermied die Jorō alles, was irgendwie an das Geschäftliche erinnerte. Dies kommt auch in der Sprache zum Ausdruck. So war z. B. bis zum Ende der Yedo-Periode und noch einige Zeit nachher, für den Geschlechtsverkehr mit einem augenblicklichen Geliebten das Wort »Shigeri« im Gebrauch, das »dicht zusammengedrängt sein« bedeutet. Es war nur bei den Jorōs und den Geishas gebräuchlich. Das Wort »Kinuginu« für den Abschied zweier Liebenden am Morgen nach der gemeinsam verbrachten Nacht, ist heute noch in den Yūkakus gebräuchlich, namentlich im Yoshiwara. Eine Erklärung dafür ist in den Unterlagen nicht enthalten, scheint also nicht bekannt zu sein. Es handelt sich wahrscheinlich um eine dichterische Ausdrucksform aus alter Überlieferung.

Wenn eine Jorō einem Gast nicht gewogen ist, dann zeigt sie ihm einen der weiten Ärmel ihres Kimono, Sode-ni-suru; wir würden sagen: sie zeigt ihm die kalte Schulter oder den Rücken. Wir können uns vorstellen, daß ein Freudenmädchen, die mit ausgestrecktem Arm einen der sehr weiten Ärmel vor ihrem Kopf hochhebt, für den nicht erwünschten Gast gewissermaßen nicht vorhanden ist.

Besonders unbeliebt sind die Besucher eines Freudenhauses, die nichts an Speise oder Trank zu sich nehmen, sondern gewissermaßen nur ihren Koitus erledigen. Früher hatte man dafür den besonderen Ausdruck »Katakui«, die einseitige Zerstreuung oder der einseitige Zeitvertreib. Einseitig deshalb, weil die Jorō von einem solchen Gast nichts für sich hatte, da sie andernfalls an Speise und Trank ihren Anteil gehabt hätte. In dem Buch »Haikai Tsūgen« (Das Kauderwelsch der Haikais), erschienen im vierten Bunkwa-Jahr (1807 u. Z.), steht folgendes: »Ein Katakui ist ein Gast, der in aller Eile seinen Beischlaf ausübt und nichts an Getränk zu sich nimmt.« In den Freudenhäusern von Tōkyō hat man einen besonderen Ausdruck für den Umstand, daß es gelingt, einen knickerigen Gast durch allerlei Kniffe dazu zu bringen, Geld auszugeben; man nennt das »korosu«, (einen Besucher) töten, oder, wie wir sagen könnten, abschlachten.

Wenn die Abneigung gegen einen Gast sehr groß ist, dann läßt ihn die Jorō nicht zum Koitus zu, sondern er muß sich mit dem Koitus inter femora begnügen. Man hat dafür die Bezeichnung »Sumata«, die leeren Schenkel, und die Ausübung des Koitus inter femora bezeichnen die Freudenmädchen in ihrer Fachsprache als »Sumata wo kuwaseru«, die leeren Schenkel zu fressen geben. Wie weit darin eine Anspielung auf den Gast liegt, der im Freudenhaus nichts verzehrt, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Im Abschnitt »Nanshoku« ist von dem Brauch der Hooligans, der Rowdys von Yokohama, den Koitus inter femora als gleichgeschlechtliche Handlung auszuführen, bereits die Rede gewesen. –

siehe Bildunterschrift

Okefuse.

Während der Yedo-Periode (bis 1867 u. Z.) bestand im Moto-Yoshiwara das Gewohnheitsrecht, daß man einen Zechpreller auf der Stelle bestrafen konnte. Versuchte ein Gast, der morgens früh aus dem Hause gehen wollte, sich der Bezahlung der Rechnung für sein nächtliches Abenteuer zu entziehen, so setzte man ihn unter ein altes Badefaß und stellte ihn vor dem Hause auf der Straße des Moto-Yoshiwara öffentlich an den Pranger, bis seine Freunde oder seine Familie das geschuldete Geld herbeibrachten. Während der Haft bekam der Zechpreller täglich nur eine Schale mit gekochtem Reis, auf den etwas Salz gestreut war. Brachte niemand das Geld, so blieb er fünf bis sechs Tage zur Strafe unter dem Faß sitzen. Dieses Gewohnheitsrecht nannte man »Okebuse« oder »Okefuse«, ins Faß stopfen, d. h. im Faß einsperren.

 

Von einem Aberglauben der Freudenmädchen im Yūkaku haben wir im Abschnitt »Götter und Geister« bereits gesprochen. Es ist das Shitahimo-no-Soradoke, das von selbst aufgegangene Unterleibchen. Es handelt sich um das mit einem Band um den Leib gebundene Schamtuch. Löst sich das Band von selbst auf, dann glauben die Freudenmädchen, daß sich ihr Liebhaber bald einfinden wird. In diesem Aberglauben kommt eine Wunschvorstellung zur Geltung, denn wenn der Geliebte da ist, muß das Band des Schamtuches gelöst werden. –

Eigentümliche Verhältnisse ergeben sich in den japanischen Freudenhäusern durch die dünnen Wände und die auf beschränktem Raum zusammengedrängten Zimmer. Wer darauf ausgeht zu horchen, kommt sicher auf seine Kosten. In einem Volksliedchen, das wir bereits erwähnt haben, schildert ein solcher Horcher den Koitus im Nebenzimmer unter der Gestalt eines Kampfes:

»Tonari zashiki wa Ikusa no sanaka
         Are sa Are sa no toki-no-koe.
Inochi kagiri no rangun ni
         Shinogi wo kezuru teki mikata.«

»In dem benachbarten Zimmer sind sie (wie ich höre) mitten im Kampfe drin. ›Ah! Ah!‹ Wie sie den Schlachtruf ausstoßen! Es ist fast als wenn ein in Aufregung geratenes Heer um sein Leben kämpft, so schlagen Freund und Feind beim Fechten wild die Schwerter aneinander!« Ikusa, der Kampf, ist ein volkstümliches Wort für den Koitus und darauf baut der Dichter sein Bild auf. Da es gewiß auch Männer gibt, die mit dem Hören allein nicht zufrieden sind, sondern auch etwas von dem, was im Nebenzimmer vor sich geht, sehen wollen, scheint es Brauch gewesen zu sein, manchmal das Licht zu löschen. Damit beschäftigt sich das folgende Volksliedchen, das ebenfalls oben bereits angeführt wurde:

»Tonari zashiki no rampu ga kieta,
         Itete ka, Netete ka, homma ka e,
Oya, Omatsuri ka, Ake nakya don don.«

»Im Zimmer nebenan ist die Lampe ausgegangen! Seid Ihr da? Ihr schlaft gewiß? (Keine Antwort.) Oh, dann seid Ihr jetzt beim Feiern! Aber ich kann darüber kein Urteil abgeben, wenn die Tür nicht aufgeht! Bumm, bumm!« Das soll bedeuten: Er versucht die Tür aufzustoßen. Das Volksliedchen schildert also einen boshaften Menschen, der die beiden im Nebenzimmer stört, nachdem er nichts hört, weil es ganz ruhig ist, und nichts sieht, weil die Lampe ausgelöscht ist. Omatsuri, die Feier, ist ein volkstümlicher Ausdruck für den Koitus.

Wir wollen hier eine Redensart der Tsūjin, der Lebemänner, einschieben, die sich auf den Geschlechtsverkehr bezieht, und wohl in erster Linie auf den mit Freudenmädchen. Gewissermaßen im Gegensatz zu der oben geschilderten Situation, bei der die Lampe erlischt, man also annehmen kann, daß das Paar zur Ruhe gegangen ist, verwenden die Tsūjins etwa seit dem Ende der Yedo-Periode (1867 u. Z.) das der Umgangssprache angehörende Wort »Tobosu« oder »Tomosu« für den Geschlechtsverkehr. Tobosu bedeutet »eine Lampe, ein Licht usw. anzünden« und hat in der gewöhnlichen Sprache gar keinen Nebensinn. Man hat eine Erklärung versucht, indem man Hoto, die Vulva, als Vergleichspunkt heranzog, weil Hoto mit chinesischen Schriftzeichen geschrieben, als »Feuerstelle« gelesen werden kann, wie es in alten Schriften, z. B. dem Kojiki (Berichte über die alten Dinge) geschieht. In diesem Sinne wird auch »Toboshi tatsu«, ein Licht einstecken, für das geschlechtliche Vergnügen gebraucht. Dieses Lichteinstecken entspricht vollständig unserem deutschen Wort »ficken«. In des »Benedict Edelpöck Comedie von der freudenreichen Geburt Jesu Christi«, etwa 1568 erschienen, bei Karl Weinhold, Weihnachtsspiele und Lieder, Graez 1853, S. 212, steht folgendes: »Hie zündet, er (das liecht) wider an und fickt das liecht in die latern.« Ficken ist gleich hineinstoßen; vgl. auch Frisch, Teutsch-lateinisches Wörterbuch, 1, 265 und Schmeller, Bayrisches Wörterbuch, 1, 510.

In dem Horchen auf das, was im Nebenzimmer vorgeht, besteht zweifellos für viele Männer ein großer geschlechtlicher Anreiz. Das weiß man in den Freudenhäusern sehr genau und hat das Wort »Morai-doko« für Männer geprägt, die nach dem ersten Koitus sehr bald zum zweiten fähig sind, wenn sie die Geräusche im Nebenzimmer hören.

In viel besuchten Freudenhäusern oder wenn zu wenig Mädchen vorhanden sind, hat man im Yoshiwara Yūkaku seit Ende der Yedo-Periode die Einrichtung des Mawashi getroffen. Mawashi bedeutet eigentlich die Patrouille, die Runde, im Yoshiwara versteht man aber darunter ein Freudenmädchen, das in derselben Nacht mehreren Besuchern Gesellschaft leisten muß und nun die einzelnen Schlafzimmer abpatrouilliert, mit andern Worten: die Runde macht. Im westlichen Teil Japans soll dieser Brauch unbekannt sein. Ein Senryū sagt:

»Kami no hedo tsuite wa saseru
         Mawashi-bobo.«

»Das Freudenmädchen, das die Runde macht, vollzieht den Koitus erst, nachdem sie den Papierpfropfen aus der Vulva entfernt hat.« Von der Sitte, sofort nach dem Koitus die Scheide mit zartem Papier zu verstopfen, um die Beschmutzung der Kleider und des Lagers zu vermeiden, haben wir im Abschnitt über das Toilettepapier gesprochen. Das Senryū will nur feststellen, daß das Mädchen nach jedem Koitus, sobald sie zum nächsten Mann geht, den Papiertampon entfernt. Dies geschieht natürlich so, daß der Mann von der ganzen Sache nichts merkt, wie es im folgenden Senryū zum Ausdruck gebracht ist:

»Omachi nanshi to Shinadama sotto dashi.«

»›Warte einen Augenblick!‹ sagt sie und nimmt den Papiertampon heimlich heraus.« Shinadama ist ein Taschenspielerkunststückchen mit Kugeln; hier wird der geschickt verschwindende Papierpfropfen mit einer solchen Kugel verglichen.

Daß bei den Patrouillengängen der Freudenmädchen mancher Besucher ungeduldig wartet, bis er an die Reihe kommt, ist ohne weiteres verständlich. Es befinden sich häufig Männer darunter, die ihr Zimmer verlassen, und auf dem Gang herumstreichen, das sind die »Rōka-Tombis«, die Korridorbummler, wie sie in der Sprache der Yūkakus genannt werden. Es liegt aber in dem Ausdruck auch der Sinn einer gewissen Eifersucht, daß das Mawashi-Mädchen nicht gerade zu ihm kommt. Ein Senryū lautet:

»Ore no su wa doko da to
         Rōka-tombi yui.«

»›Wo ist mein Zimmer?‹ schreit der eifersüchtige Korridor-Wanderer.« Die Frage: »Wo ist mein Zimmer?« ist nicht so aufzufassen, als ob der Rōka-tombi auf der Suche nach seinem Zimmer ist, sondern er ist auf der Suche nach dem Mädchen und sein Schreien gilt ihr, in der Bedeutung: »Weißt du nicht, wo mein Zimmer ist?« –


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