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Sojo-Ki und Waru. Jungfernschaft und Entjungfern

Besonderer Wert ist auf die Jungfernschaft in Japan niemals gelegt worden. Nach einem Bericht Astons wurde früher in den reichsten und bevorrechtetsten Adelskreisen der Nachweis verlangt, daß die Braut als Jungfrau in die Ehe getreten war. Die zum Hochzeitsfest versammelten Angehörigen und Freunde konnten nicht eher mit dem Mahl beginnen, bis von einer alten Frau die blutigen Beweise für die ordnungsmäßig vollzogene Ehe vorgezeigt worden waren. Auch finden sich im Kojiki, dem ältesten Geschichtsbuch Japans aus dem Anfang des achten Jahrhunderts u. Z. Andeutungen, als ob man damals strengere Ansichten gehabt hätte und zu einer Art Keuschheitsgürtel seine Zuflucht genommen hat, den die Frauen sicherheitshalber tragen mußten. Im Kojiki steht folgendes: »Wer wird das Mizu-no-Omono lösen, das du trägst?« Dieses Mizu-no-Omono ist dasselbe, wie das Shitahimo der späteren Zeit, eine Art Leibbinde.

Im »Manyōshū« (Buch der zehntausend Blätter) findet man viele Gedichte, die sich mit diesem Keuschheitsgürtel beschäftigen.

siehe Bildunterschrift

Ein Ema.

Die Darstellung eines vollständigen Keuschheitsgürtels auf einem Holzschnitt ist mir nicht bekannt geworden. Für sinnbildliche Zwecke genügte den Holzschnittmeistern das Vorhängeschloß allein. Nebenstehendes Bild stammt von Kunisada und ist dem Buch »Oshiegusa Nyōbo Katagi« (Sittenlehre für ehrbare Frauen) entnommen; sein Verfasser ist Santō Kyōzan und es erschien im 3. Kōka-Jahr (1846 u. Z.). Weiteres siehe Bd. 1, S. 228). –

Zu S. 440. Wir haben oben von einem ärztlichen Mittel gesprochen, das mißbräuchlich zu Abtreibungszwecken verwendet worden ist.

Ein eigentümlicher Brauch, der wohl ebenso alt, wenn nicht noch älter als das Shitahimo ist, hat sich bis heute in der Provinz Tango erhalten. Wenn ein Mädchen herangewachsen ist, geht sie mit einem Knaben, der unter dreizehn Jahren sein muß, auf einen benachbarten Berg, um dort ihre Jungfernschaft zu zerstören. Man bezeichnet diesen Brauch als »Tango no Sara oshi«, das Schüsselzerbrechen der Provinz Tango. Wenn ein Mädchen das »Sara-Oshi«, das Schüsselzerbrechen, nicht ausgeführt hat, nimmt sie kein junger Mann zur Frau.

 

Es sind Andeutungen vorhanden, die auch in anderen Provinzen sprachlich darauf hinweisen, daß ähnliche Bräuche bestanden haben. In der Provinz Kishū sagt man für das Entjungfern »Tane-Usu wo kiru«, den Samen-Mörser zerbrechen. Tane-Usu ist ein irdenes Gefäß, in dem Samenkörner zerstoßen werden; das Wort bedeutet in der Provinz Kishū die Jungfernschaft. Allgemein gebräuchlich für das Entjungfern ist »Suribachi-wo-waru«, den Mörser zerbrechen. Das Suribachi ist ein irdenes Gefäß, eine Art Mörser, in dem das Miso, eine Tunke aus Bohnen, Weizen und Salz, gerieben wird. Sara, die Schüssel, ist auch ein Gassenwort für den Cunnus; man sagt »Sara wo waru«, die Schüssel zerbrechen, in demselben Sinn, wie man in der Provinz Tango »Sara-Oshi« gebraucht. Das Zeitwort »Osu«, stoßen, zerstoßen, von dem Oshi abgeleitet ist, wird in der Volkssprache für »einen Koitus ausführen« gebraucht.

 

»Waru«, brechen, zerbrechen, ist ein viel gebrauchtes Wort für das Entjungfern. Man sagt auch »Arabachi wo waru«, eine neue Schale zerbrechen, wovon wir im Abschnitt über das Harikata gesprochen haben. Ein Senryū sagt:

»Atarashii Biidoro wo waru kāho mono.«

»Wer einen neuen Spiegel zerbricht, ist ein glücklicher Mensch.« Das klingt wie ein Sprichwort, bedeutet aber in Wirklichkeit: »Wer ein junges Mädchen entjungfert, ist ein glücklicher Mensch.« Biidoro, Aus dem portugiesischen Vidreo, Glas, japanisch zurechtgemachtes Wort. der Spiegel, ist ein volkstümliches Wort für eine hübsche junge Frau, die unverheiratet ist, weil das Volk annimmt, daß ihr »Spiegel« bald durch einen kräftigen Stoß zerbrochen werden wird.

Die Entjungferung eines nicht mannbaren Mädchens (Kawarake no komusume, ein Mädchen, das noch keine Schamhaare hat) nennt man »Kawarake wo waru«, ein unglasiertes irdenes Gefäß zerbrechen. Näheres hierüber im Abschnitt »Harikata«.

Statt zu sagen: »Sie hat ihre Jungfernschaft schon verloren,« sagt man: »Sie ist bereits getauft!« Senrei, die Taufe, bedeutet hier den Verlust der Jungfernschaft.

Da es doch trotz Volkssitte viele Männer gibt, die Wert darauf legen, eine unberührte Frau als Gattin heimzuführen, hatten früher, d. h. in der Yedo-Periode (bis 1867 u. Z.), weise Frauen einen Beruf daraus gemacht, die Jungfräulichkeit junger Mädchen zu prüfen. In dem erotischen Buch »Shikidō Kimpishō« (Die Geheimnisse der Liebeskunst), das von Tokakusai verfaßt ist und während der Kayei-Periode (1848–1853 u. Z.) erschien, ist das folgende Kapitel enthalten, das die Überschrift hat: »Die Kunst der Jungfernschaftsprüfung.«

»Um zu prüfen, ob eine mannbare Frau noch Jungfrau ist, legt man Asche der Hanfpflanze in ein Sitzbecken und läßt die Frau sich quer darüber setzen. Dann bedeckt man ihren Unterleib sorgfältig mit ihren Kleidern, um jeden Luftzug fern zu halten. Dann führt man ein zusammengedrehtes Papier in ihre Nase ein. Hat sie geniest, dann betrachtet man das Innere des Sitzbeckens. Hat sie Geschlechtsverkehr mit einem Mann gehabt, dann ist ihr Jungfernhäutchen zerbrochen und daher entweicht Luft aus der Scheide, so daß die Asche in dem Sitzbecken auseinandergetrieben wird. Ist jedoch das Jungfernhäutchen nicht zerbrochen, dann entweicht keine Luft aus der Scheide und du wirst an der Asche keine Veränderung finden.« Ob das Verfahren sich als zuverlässig erweist, wollen wir nicht entscheiden; jedenfalls sind die physiologischen Voraussetzungen interessant, unter denen das Experiment angestellt wird.

Über Versuche, die verlorene Jungfernschaft wieder herzustellen, sind wir aus allen Zeiten und Zonen unterrichtet; Vorschriften sind in Mengen vorhanden und mehr noch mögen geheimgehalten worden sein. Daß man aus Ländern, in denen auf die Jungfernschaft kein Wert gelegt wird, wenig oder nichts erfährt, ist eigentlich selbstverständlich. Es gibt aber überall Männer, die aus irgendwelchen Vorstellungen heraus den Trieb haben, unberührte Jungfrauen zu bevorzugen. In dem erotischen Buch »Keichū Hizakurige«, Verfaßt von Azumaotoko Itchō und veröffentlicht gegen Ende der Yedo-Periode (1867 u. Z.) Bd. III, wird erzählt, wie ein Reisender von einer verheirateten Frau verführt wird und wie sie ihm beim Geschlechtsverkehr auf dem Abort glauben macht, daß sie eine vollkommen unberührte Jungfrau sei. Zu dieser Stelle seiner Erzählung gibt der Verfasser ein Geheimmittel zur Wiederherstellung der Jungfernschaft an, das zweifellos alt ist:

»Zuerst zerreibt man eine abgeworfene Schlangenhaut zu Pulver. Dann stellt man eine Abkochung von Chrysanthemumblüten her, die man beim Drogisten kaufen kann, entfernt den Bodensatz nach dem Auskühlen und mischt dann davon 6–7 Gō (etwa 1 bis 1¼ l) mit einer kleinen Menge von der gepulverten Schlangenhaut und Alaun. Wenn du eine Vulva wie eine Arca inflata (Akagai) mit diesem gekochten Wasser waschst, dann werden selbst die geheimen Teile einer alten Frau wie der Cunnus einer Jungfrau werden.« Akagai, die Muschel Arca inflata, gleicht in geöffnetem Zustand sehr dem Cunnus einer Frau, die nach vielem Geschlechtsverkehr schlaffe große Schamlippen hat. Weiteres findet man im Abschnitt »Das Vorspiel«. –

In sprachlicher Hinsicht ist auffallend, daß im Japanischen kurze, deutliche Bezeichnungen für Jungfrau, Jungfrauschaft und Entjungfern fehlen. Eindeutig ist lediglich »Shojomaku wo toru«, das Jungfernhäutchen pflücken oder wegnehmen, für entjungfern; verschwommener der Ausdruck »Shojo ni sessuri«, einem Mädchen sich nähern. Jungfrau heißt »Wakai onna«, junge Frau; oder »Mikon no onna«, ledige Frau; oder »Kimusume«, reines Mädchen. Das gebräuchlichste Wort »Shojo«, ist Sho-jo, Anfang-Weib, eine die anfängt, eine Frau zu werden. Bei Jungfernschaft oder jungfräulich wird die Ausdrucksweise noch umständlicher, um das deutlich zu machen, was wir darunter verstehen. »Shojo de aru koto« bedeutet etwa: Das Ding ist bei dem Mädchen noch vorhanden; »Mada otoko ni sesshita koto no nai koto«, das Ding, das das Mädchen dem Mann noch nicht gegeben hat. Jungfräulich wird mit »shojo taru koto no« umschrieben, Mädchen für den Mann noch nicht geeignet. Koto ist ein vielseitiges Wort; es kann Harfe, Leier, Ding, Sache, Geschäft usw. bedeuten; in der Volkssprache ist Koto der Koitus.

Auch das in der Überschrift gebrauchte Wort »Shojo-ki« hat erst im übertragenen Sinn die Bedeutung »Jungfernschaft«; wörtlich ist es als »Jungfrauenzeit« zu erklären, bringt also auch nicht zum Ausdruck, was wir unter Jungfernschaft verstehen. Dies kann man allenfalls aus »Kimusume«, das reine Mädchen, herauslesen. Das Volk drückt sich deutlicher aus; es bezeichnet eine Jungfrau als »Teirazu«, eine, die man noch nicht angerührt, nicht gebraucht hat. Die Jungfernschaft nennt das Volk »Hatsu-mono«, die Erstlingsfrucht; auf die körperliche oder geistige Reinheit des Mädchens wird also gar nicht hingewiesen; die Jungfernschaft ist lediglich eine Erstlingsfrucht, die irgendeiner einmal pflücken wird. Wenn man sich feiner ausdrücken will, sagt man »Makura wo Hajimu«, das Kissen zum erstenmal benutzen, d. h. zum erstenmal zusammen in demselben Bett schlafen; zum erstenmal den Beischlaf ausführen.

Daß bei einem Inselvolk, das viel Schiffahrt treibt, entsprechende Fachwendungen ins Geschlechtsleben übertragen werden, haben wir wiederholt gesehen. Die Entjungferung einer unverheirateten Frau nennt man »Funaoroshi«, Stapellauf eines Schiffes oder Bootes. Beim Mann nennt man im Anklang an dieses Wort den ersten Koitus »Fudeoroshi«, das Ansetzen des Pinsels zum Schreiben. Fune oder Funa, Schiff, Boot, als Bezeichnung für die Vulva, ist in den Unterlagen nicht nachgewiesen, wohl aber nennt man den Cunnus umschreibend »Funadama Sama«, die Schutzgottheit (eines Schiffes). »Mizuage«, das Entladen eines Schiffes, das Löschen der Ladung, wird nur für die Entjungferung einer Geisha gebraucht; die entsprechende Handlung nennt man »Mizuage-wo-suru«, die Ladung (einer Geisha) löschen. –

Zum Schluß müssen wir der Entjungferung eines Freudenmädchens noch einige Worte widmen. Man nennt ein Freudenmädchen, das zum erstenmal einem Gast zugeführt wird, eine »Shinko«, Neuling, die zum erstenmal auf der Bühne erscheint, oder, wie wir mit einem treffenden deutschen Ausdruck sagen können, die ihre Jungfernrolle spielt. Da eine Shinko für ihren Besitzer ein wertvoller Gegenstand war, suchte man sie bei dieser Gelegenheit möglichst vor Verletzungen zu schützen. Wir haben an anderer Stelle vom Nerigi-Kon, der aus der getrockneten Wurzel des Tororo Imo (Dioscorea japonica) hergestellten Salbe gesprochen, die angewendet wurde, um die Vulva einer solchen Shinko schlüpfrig zu machen. Die Entjungferung eines Freudenmädchens nennt man »Hatsu-Doko« oder »Hatsu-Toko«, das erste Zubettgehen.

In dem Buch »Sentetsu Igen« (Ärztliche Ratschläge der alten Weisen) findet sich die folgende merkwürdige Angabe über die Entjungferung einer Shinko:

»Shōfu hajimete Giin ni iri kyaku to sessuru tō-ka amari kanarazu onetsu fukutsū wo hassu, zoku ni sōshite Infukutsū to iu, Kairo yoku kore wo jisu.«

»Wenn ein Freudenmädchen zum erstenmal mit einem Gast Geschlechtsverkehr im Bordell hat, dann wird sie etwa zehn Tage später sicherlich von einem bösen Fieber gepackt werden und Schmerzen im Unterleib haben. Das nennt man in der Volkssprache ›In-fuku-tsū‹ und es kann nur durch die Anwendung des Kairo geheilt werden.« In-fuku-tsū bedeutet wörtlich: Leibschmerzen, die von geschlechtlichen Ausschweifungen herrühren. Das Kairo (oder Kwairo) ist eine mit heißer Asche gefüllte kleine Blechdose, die im Winter unter den Kleidern getragen wird, um sich daran zu wärmen. Bei dem entjungferten Freudenmädchen sollen also die Leibschmerzen durch die Hitze eines Kairo geheilt werden. Was medizinisch unter dem bösen Fieber und den Schmerzen im Unterleib zu verstehen ist, scheint nicht ganz klar zu sein.


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