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Ananashi. Die Gynatresie

Unter Gynatresie versteht man die Atresie der weiblichen Geschlechtsteile, das vollständige Fehlen der weiblichen Geschlechtsöffnung oder Verschluß einzelner Mündungen oder Kanäle der Geschlechtsorgane. Die Atresie kann angeboren oder durch Verklebung von Wunden und Geschwüren an der betreffenden Stelle entstanden sein. Das Volk kennt wohl nur die angeborene Gynatresie, den Scheidenverschluß, der in vielen Fällen nicht vollständig sein wird, sondern lediglich in einer so starken Scheidenverengerung besteht, daß der Geschlechtsverkehr unmöglich ist. Im allgemeinen ist die Japanerin eng gebaut, so daß die Möglichkeit, daß angeborene Scheidenverengerung verhältnismäßig häufig vorhanden ist, vorliegt, und gewissermaßen durch die Häufigkeit der in der Volkssprache vorhandenen Ausdrücke bestätigt wird. Dies ist um so auffallender, als in keinem der mir bekannten Wörtersammlungen von Sprachen oder Mundarten sich ein volkstümlicher Ausdruck für den Scheidenverschluß oder die Scheidenverengerung findet.

»Ananashi« bedeutet wörtlich: »Es ist kein Loch da«; wir haben das Wort als Überschrift des Abschnittes gewählt, weil es sowohl die Gynatresia vaginae als auch im Volksmund eine Frau bezeichnet, die an diesem körperlichen Fehler leidet.

Die berühmteste »Verschlossene« war die Dichterin Ono-no-Komachi oder auch kurz Komachi genannt; man kann sie auch die berühmteste unter den vielen Dichterinnen Japans nennen. Sie gehört in die Heian-Periode (784–1192 u.Z.) und lebte von 834 bis 880 u.Z.; sie wird zu den »Sechs Genien« gezählt. Viel weiß man von ihren näheren Lebensumständen nicht; sie hat aber im Volke eine bleibende Erinnerung hinterlassen durch ihre Schönheit, ihre Begabung und ihr elendes Alter, das die Belohnung für ihren hochmütigen Stolz und ihr Gebrechen war. Jeder Zweig der Kunst hat dem Leben der Komachi Motive entnommen.

Das Andenken der »verschlossenen« Dichterin hat sich im Volk erhalten und so ist ihr Name ein Gassenwort für die Gynatresia geworden. Auch in Redensarten ist ihr Name aufbewahrt; man sagt »Ono-no-Komachi nya Ana ga nai«, Ono-no-Komachi hat kein Loch, oder wenn man von einer Frau spricht, die an diesem Gebrechen leidet, sagt man »Ono-no-Komachi de ana ga nai«, wie Ono-no-Komachi hat sie kein Loch. Und ein Senryū sagt von der unglücklichen Dichterin:

»Goku nai de Komachi mo
         Ichido Geka ni mise.«

»Komachi hat einstmals im geheimen einen Wundarzt aufgesucht.« Weshalb das Senryū diese Feststellung macht, ist nicht recht erfindlich. Man könnte höchstens darin die Ansicht vermuten, daß den Frauen, die an dem Ananashi leiden, nicht zu helfen ist. Es könnte aber auch unpersönlich gemeint sein, und dann müßte man übersetzen: »Eine Komachi hat einstmals« usw., wie in dem folgenden Senryū, das auch persönlich und allgemein aufgefaßt werden kann:

»Ai watashya Komachi sa
         nado tsui to tachi.«

»›Gewiß! Ich bin (eine!) Komachi, wie du zu mir gesagt hast!‹ Mit diesen Worten erhob sie sich gleich.« Hier könnte man auch annehmen, daß die Sprecherin »Komachi« hieß.

Eine eigentümliche Sage verknüpft den Namen der Ono-no-Komachi mit einem Felsen, der im Volksmund den Namen führt »Ono-no-Komachi no Shōben-Ishi«, d. h. der Felsen, auf den Ono-no-Komachi gepißt hat. Wir geben im folgenden einen kurzen Bericht über diesen Felsen:

»In Bitchū Kuboyagun Misumura Ōaza Akahama Aza Himeko ist ein Felsstück, das man ›Hime Iwa‹ nennt. Der Frauenfelsen. Hime, eigentlich Prinzessin, ist auch ein Ehrentitel für eine Frau, kann aber auch ein Freudenmädchen bezeichnen. Es ist etwa 6 bis 7 Ken Ein Ken ist gleich ll-9/32 Zoll englisch, das Felsstück war also etwa 11 bis 12 m groß. groß und liegt auf der südlichen Seite einer Straße, die zwischen Himeko und Utsugun Kamomura die Verbindung herstellt. Die Oberfläche des Felsstückes ist leicht nach Süden zu geneigt. Nach der Volksüberlieferung ist Ono-no-Komachi einmal diesen Weg gegangen und hat sich auf dem Felsen ausgeruht. Währenddessen meldete sich ein natürliches Bedürfnis, so daß sie ihr Wasser über die Oberfläche dieses Felsens hinunterlaufen ließ. Während des Ablaufens teilte sich der Harn in mehrere Streifen, und das war die Ursache, daß sich an diesen Stellen Rinnen bildeten. Wenn man sich das Felsstück genau betrachtet, sieht man tatsächlich in der Mitte der Oberfläche eine Vertiefung, die eine Länge von etwa zwei bis drei Shaku (60 bis 90 cm) hat und eine Tiefe von einem Sun (3 cm). Und es klingt sonderbar, wenn man sagen muß, daß dieser Teil des Steines rein weiß ist, während sonst der ganze Fels eine pechschwarze Farbe hat; es kommt hinzu, daß sich seit den uralten Zeiten niemals Moos an dem Stein angesetzt hat. So liegt der Stein heute noch ohne jede Veränderung da und von den Alten her gibt es eine abergläubige Überlieferung, daß noch jedem, der den Stein angerührt hat, ein Unglück zugestoßen ist.«

siehe Bildunterschrift

Totate.

In dem Abschnitt »Schaustellungen« haben wir ein erotisches Buch mit dem Titel »Kōshoku Aka Ebōshi« (Die wollüstige rote Kappe) erwähnt, in dem ein Kapitel »Ono-no-Komachi« sich ganz allgemein mit den Umständen beschäftigt, die den Koitus bei der Frau verhindern. –

Ein sehr naheliegender volkstümlicher Ausdruck für das Ananashi ist »To-Bobo«, die zugeschlossene Vulva, wofür man auch »Kamnuki-Bobo«, die verriegelte Vulva, sagt. Weiterhin bringen den Begriff des Verschlossenseins zum Ausdruck: »Totate« oder »Todate,« die Tür ist geschlossen, und »Totate-Bobo,« die Vulva, deren Tür geschlossen ist. Das Bild, eine erotische Karikatur aus der letzten Zeit der Yedo-Periode, die im Jahre 1867 u. Z. zu Ende ging, zeigt in grotesker Weise die Nachteile des Totate für die Frau. Der Mann, der auf eine Ananashi angewiesen ist, kann sich zwar durch die Fellatio befriedigen lassen, aber die Frau geht dabei leer aus. Diesem Übelstand sucht ein Mann abzuhelfen, der anscheinend mit einem Holzstück und einem Holzhammer den Scheidenverschluß sprengen will. Daß wir es bei dem Maler mit einem bedeutenden Künstler zu tun haben, beweist die Charakteristik der Gesichter der drei Personen, in der mit wenigen Strichen das Gefühl, das sie im gegebenen Augenblick beherrscht, in wunderbarer Weise zum Ausdruck gebracht ist. Und trotz allem Grotesken haben wir ein lebenswahres Bild vor uns.

Im folgenden bringen wir zwei Senryūs, die sich mit dem Totate beschäftigen:

»Atsui ban Todate mo
         maru de Akehanashi.«

»In einer drückend heißen Nacht steht selbst bei einer verschlossenen Frau die Vulva weit offen.« Das Senryū will damit sagen, daß diese drückende Schwüle auch eine solche Frau geschlechtlich so erregt, daß die Schamlippen auseinanderklaffen, obwohl diese Erregung ganz zwecklos ist.

Wir müssen hier auf ein Senryū zurückkommen, das wir im Abschnitt über das Harikata bereits erwähnt haben:

»Mame-dorobō ga kojite iru Totatebobo.«

»Seht euch den Ehebrecher an, der zu einer Frau mit Scheidenverschluß geht!« Das bedeutet: Der Ehebrecher ist an eine Frau mit Scheidenverschluß geraten; er hat also mit seinen Bemühungen Pech gehabt. Das übrige lese man oben nach.

Im Volke kennt man noch eine besondere Art des Scheidenverschlusses, der in einer Entartung der Schleimhautfalten der Vagina besteht, der Columnae rugarum, so daß diese aus der Scheidenöffnung hervorragen und sie gewissermaßen verschließen. Der volkstümliche Ausdruck hierfür ist »Sudare« oder »Sudare-Bobo«. Unter Sudare versteht man einen Fenstervorhang, der aus gespaltenem Bambusrohr besteht; solche Blenden sind ja auch nach europäischen Ländern eingeführt worden. Sudare-Bobo wäre also eine Vulva mit einer Blende. Wir haben oben davon gesprochen. –


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