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Dōkin – der Koitus

Der Koitus im Volksmund und im Schrifttum

siehe Bildunterschrift

37. Verführung am Fenster. Holzschnitt aush einem erotischen Buch von Shigemasa (1739 – 1819)

Das Volk hat sich für viele Besonderheiten bei der Ausübung des Geschlechtsverkehrs seine eigenen Ausdrücke geschaffen, die wir zunächst besprechen wollen, soweit sie nicht die eigentlichen Stellungen beim Koitus betreffen.

Ein unflätiger Ausdruck für den ersten Koitus zu Beginn eines neuen Jahres, d. h. am Abend des zweiten Januar, ist »Hime-Hajime«, die Eröffnung des Abtritts, oder, wie man auch sagen kann, zum erstenmal auf dem Abtritt. In dem Buch »Karukuchi Banashi« (Witzige Geschichten), verfaßt von Sakurakawa Jihinari und in der Yedo-Periode erschienen, steht die folgende Geschichte mit dem Titel »Himehajime«:

Der Gast: »Ich wünsche Ihnen ein glückliches neues Jahr, Herr Gombei! Was ich sagen wollte, Sie sind ja so gut gelaunt! Ich nehme also an, daß Sie schon den Anfang gemacht haben!«

Der Hausherr: »Ich bitte um Verzeihung! Sagen Sie es noch einmal!«

Der Gast: »Ach! Mit jener Sache!«

Der Hausherr: »Mit jener Sache!? Was meinen Sie denn eigentlich?«

Der Gast: »Ach, du mein Gott! Es ist doch Himehajime!«

Der Hausherr: »Hi-me-ha-ji-me? Das verstehe ich wirklich nicht!«

Der Gast: »Sie sind nicht aufrichtig! Wissen Sie denn nicht, daß wir das neue Jahr des Wildschweins Das Wildschwein, I, ist das zwölfte Zeichen des japanischen Tierkreises, den wir im Abschnitt »Götter und Geister« ausführlich besprochen haben. In dieser Reihenfolge werden immer zwölf aufeinanderfolgende Jahre bezeichnet, also das Rattenjahr, das Rindjahr, das Tigerjahr usw.; der Erzähler nimmt das Wildschweinjahr, um den Witz mit dem lauten Schnaufen des Wildschweins beim Angriff auf einen Menschen, verglichen mit dem Schnaufen des Mannes beim Koitus, anbringen zu können. haben, nachdem eine Nacht vorbei ist? So haben Sie also jene Sache mit Ihrer Frau wieder angefangen!«

Der Hausherr: »Haben wir jetzt ein Wildschweinjahr?«

Der Gast: »Ja! Ja!«

Der Hausherr (ganz begeistert): »Gestern abend habe ich tüchtig geschnauft!«

Ein Senryū lautet:

»Himehajime sā shōgatsu to
        Gejo makuri.«

»›Ah! Heute ist ja Himehajime! Laß uns ein Stößchen machen!‹ sagt das Dienstmädchen und hebt die Röcke in die Höhe!« Von der sprichwörtlichen Geilheit der Dienstmädchen ist an verschiedenen Stellen die Rede gewesen.

siehe Bildunterschrift

38. Bei der Zitterspielerin. Holzschnitt aush einem erotischen Buch von Shigemasa (1739 – 1819)

Den letzten Koitus im Jahr nennt man mit einem volkstümlichen Ausdruck »Kanjō-Bobo«, den Abrechnungskoitus. Kanjō ist ein kaufmännischer Ausdruck, der Rechnung, Abrechnung, Bezahlen der Rechnung bedeutet.

Von der Auffassung des Koitus als »Matsuri« oder »Omatsuri« haben wir an anderer Stelle gesprochen. Dieses »Fest« hat zweifellos ursprünglich eine religiöse Bedeutung gehabt, denn dieser Begriff ist heute noch in dem Wort enthalten; so sagt man z. B. Tenjin Matsuri, das Fest der himmlischen Götter. Auch die häufige Verwendung des Wortes in Volksliedchen, Senryūs und Redensarten, wofür wir verschiedene Beispiele anführen, bezeugt, daß es sich um einen althergebrachten, allen geläufigen Ausdruck handelt. Wir erinnern hier an das im Abschnitt »Götter und Geister« erwähnte Fest des Gottes Daikokuten, das Nematsuri, das Rattenfest, dem das Volk eine auf den Koitus bezügliche Auslegung gegeben hat. An dieser Stelle sind auch weitere Belege zu Matsuri beigebracht.

siehe Bildunterschrift

39. Die Umarmung. Holzschnitt aus einem erotischen Buch von Toyonobu (1711-1785).

In einem erotischen Buch »Onna Saigaku Eshō« (Abc-Buch mit Bildern, Führer zu einer Frau) lesen wir folgendes: »Am siebenten Tage des Januar sagt man von jedem Koitus: das Fest feiern.« Da für »Omatsuri wo watasu« keine Erklärung dahin gegeben ist, weshalb gerade der siebente Tag des ersten Monats besonders bezeichnet wird, möchte ich die Vermutung äußern, daß es sich um die übertragene Bedeutung eines Festes des Shintō-Glaubens handelt. Der siebente Tag eines Monats ist ein Pferdetag Siehe oben die Anmerkung über die Kalenderzeichen. und der oben angegebene Tag ist der erste Pferdetag des Jahres. Das Pferd spielt eine große Rolle im Shintō und es ist wahrscheinlich, daß der erste Pferdetag des Jahres sein besonderes Fest hatte. Es kommt noch hinzu, daß das japanische Wort für Pferd, Uma, in bezug auf das Geschlechtsleben mehrere Nebenbedeutungen hat, von denen an anderer Stelle die Rede ist. – Statt Omatsuri wo watasu sagt man auch kurz »watasu«, feiern. Watasu hat auch die Bedeutungen: überschreiten (einen Fluß usw.), über einen Fluß setzen, einen Weg kreuzen usw.

siehe Bildunterschrift

40. Die Hochzeitsreise. Ein Kissenbuch in 13 Bildern von Kunisada (1787-1865) a) Das Titelbild.

Einen Koitus, der vor der Mittagsstunde ausgeführt wird, nennt man ein Morgenfest, Asamatsuri, wofür die Freudenmädchen in ihrer Fachsprache das Wort »Asamairi«, die Morgenhuldigung, haben, wie in dem betreffenden Abschnitt näher erläutert ist. Ein volkstümlicher Ausdruck für den Morgenkoitus ist auch »Asagomi«, das etwa besagt: am Morgen mir nichts dir nichts (in ein Zimmer) hineingehen.

siehe Bildunterschrift

40. Die Hochzeitsreise, b) Coitus inversus.

Einen Koitus während des Tages nennt man »Hiru-dori« oder »Hiru-tori«, Tageskoitus; Hiru hat auch die Bedeutung nachmittags. Ein Senryū sagt:

»Hiru-dori ni Goze wa
         Shigeshige Bobo wo mise.«

»Eine blinde Frau zeigt auch während des Koitus am Tage ihren Cunnus ganz offen her.« Mit anderen Worten: Für eine blinde Frau, für die es ja immer Nacht ist, bleibt es sich gleich, ob sie den Koitus am Tage oder in der Nacht ausführt; ein nicht sehr gefühlvoller, aber immerhin origineller Gedanke. –

In dem erotischen Buch »Naniwa Kagami« (Naniwa's Spiegel) von Seisuian Muteikoji Erscheinungsjahr unbekannt; die Vorrede ist vom März des achten Empō-Jahres (1680 u. Z.).steht folgendes:

»Sate inemasuto sono mama matsuri wo watashimasu, ki wo mora shite otoko nokan to suredomo chiwa gakaride mata muri ni nozomimasu.«

 

»Während sie im Bett liegt, hat sie, wie üblich, einen Koitus gehabt. Wenn aber der Mann sich anschickt wegzugehen, nachdem er die Luft hat entwischen lassen (volkstümlich für Emissio seminis), dann verleitet sie ihn durch einen scherzhaften Wortwechsel zu einem zweiten Kampf.« Wir wollen darauf hinweisen, daß in dieser 250 Jahre alten Erzählung bereits der Ausdruck »Matsuri wo watashi« vorkommt. Dann aber müssen wir uns etwas ausführlicher mit dem »zweiten Kampf« beschäftigen, d. h. mit dem zweiten Koitus kurz nach dem ersten.

siehe Bildunterschrift

40. Die Hochzeitsreise, c) Die Rivalen.

Dafür gibt es viele volkstümliche Ausdrücke. Einfache sind: »Niban-dori,« zweimal nehmen, wofür wir im Deutschen zweimal hernehmen sagen würden, wenn es sich dabei auch um eine mundartliche Redewendung handelt; »Nizen-gomi,« den Tisch zweimal mit Speise versehen. Zen ist das kleine Tischchen mit dem Essen, das vor den am Boden Hockenden gestellt wird.

»Mushikaesu«, noch einmal dämpfen (eine Speise), wird im übertragenen Sinn für »noch einmal etwas tun« gebraucht und ist so zu einer Bezeichnung für das Ausüben des Koitus zweimal hintereinander geworden. Das Hauptwort hierzu ist »Mushikaeshi«. Ein Senryū sagt:

»Mizukusai hazu Hamaguri
         wa Mushikaeshi.«

»Die Muschel muß geschmacklos sein, da dies das zweite Dämpfen ist.« Satow gibt zu Mizu-kusai die Erklärung »nach Wasser (mizu) schmeckend (kusai)«, also geschmacklos. Das ist vielleicht etwas zu viel, denn die Wörterbücher haben nur »wässerig« (von Geschmack, wie etwa schwacher Tee). Das zunächst ganz harmlos klingende Senryū sagt jedenfalls, daß die Muschel, die Vulva, beim zweiten Koitus nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Diese Ansicht des Volksdichters wird aber in der erotischen Literatur nicht geteilt.

siehe Bildunterschrift

40. Die Hochzeitsreise, d) Überraschung beim Bad.

Ein scherzhafter Ausdruck für einen zweimaligen Koitus ist »Futatsu-dama« (-tama), der doppelte Schuß; wir könnten dafür den in der Jägersprache gebräuchlichen Ausdruck »eine Doublette«, ein Doppeltreffer, anwenden. Ein Senryū lautet:

»Futatsu-dama komete
         Yotaka ni nijirareru.«

»Als er den zweiten Schuß anbringen wollte, wurde der Nachtfalke böse.« Der Witz des Senryū besteht darin, daß der Nachtfalke, Yotaka, eine nachts herumstreifende Straßendirne bezeichnet, die nur gegen Barzahlung sich hingibt. Deshalb wird sie böse, weil der Mann den zweiten Koitus versucht, ohne ihn vorher berappt zu haben.

siehe Bildunterschrift

40. Die Hochzeitsreise, e) Unliebsame Störung..

Einen wollüstigen und dabei kräftigen Mann nennt das Volk »Nukaroku«. Dieses Wort ist eine willkürliche Abkürzung aus »Nukazu roppon«, wörtlich: sechsmal ohne herauszutun, d. h. den Koitus sechsmal hintereinander ausführen, ohne den Penis aus der Vulva zu ziehen. Das ist natürlich eine groteske Übertreibung, aber das Volk liebt solche Scherze.

Andererseits zeigt aber das Volk Mitleid mit einem Mann, den eine wollüstige Frau veranlaßt, den Koitus mehrere Male hintereinander auszuführen, und nennt ihn »Heta-na-Yaneya«, einen armen Strohdachdecker. In dem erotischen Buch »Onna Saigaku Eshō« (Abc-Buch mit Bildern, ein Führer zu einer Frau) wird in dem Abschnitt »Die regelmäßigen Arbeiten während eines Jahres« die folgende Erklärung für diesen Ausdruck gegeben:

»Im Mai setzen wir die Ayames auf das Dach; dabei muß man wiederholt auf das Dach hinauf und wieder herunter klettern. Deshalb nennt man einen Mann, der den Koitus mehrere Male nacheinander ausführen muß, mit einem Volksausdruck »Heta-na-Yaneya«, einen armen Strohdachdecker, weil er mehrere Male auf den Leib seiner Frau hinauf und wieder herunter klettert.« Das Ayame ist der Kalmus, Acorus calamus, oder die sibirische Schwertlilie, Iris sibirica. Mit dem Verschwinden der Strohdächer in den Städten ist der alte Brauch dort ausgestorben, aber das Wort hat sich erhalten. –

siehe Bildunterschrift

40. Die Hochzeitsreise, f) Der stürmische Gatte.

Nach japanischer Sitte ist der Koitus erst 75 Tage nach der Geburt eines Kindes für die Frau zulässig. Dieser erste Koitus heißt im Volksmund »Owari-Hatsumono«, nach der ersten Frucht. Ein Senryū sagt:

»Shichijū-gonichi me
         Hatsu-mono no yā na aji.«

»Wenn die fünfundsiebzig Tage vorüber sind, dann schmeckt es so gut, als wenn man eine erste Frucht ißt.« Mit andern Worten: die Vulva ist wieder wie neu.

Ein veraltetes Wort für diesen ersten Koitus mit einer Frau nach einer Geburt ist »Aota-Hattan«, eigentlich Aota-Hachitan, d. h. acht Tans grünes Reisfeld, etwas mehr als 80 deutsche Ar. Also immerhin ein beträchtliches, wertvolles Stück Land, dem ein solcher Koitus gleichgesetzt wurde. –

siehe Bildunterschrift

40. Die Hochzeitsreise, g) Gegenseitige Befriedigung.

Nach den Unterlagen zu urteilen schenkt der Japaner der Bewegung des Hinterteils beim Koitus eine ganz besondere Beachtung. Man nennt das »Koshi wo tsukau«, den Hintern gebrauchen, und bezeichnet einen Mann, der beim Koitus den Hintern besonders hoch hebt, als »Takagoshi«, als einen »Hoch-den-Hintern«. Die Tätigkeit selbst nennt man »Ohogoshi«, das große Hochheben. Damit beschäftigen sich folgende Senryūs:

»Motto Ohogoshi to Teishu
         Shita de ii.«

»›Hebe doch den Hintern höher!‹ befahl der Ehemann unter ihrem Leib.« Wir haben hier eine Anspielung auf die Stellung beim Koitus, bei der sich die Frau oben befindet; im Abschnitt »Cha-usu« werden wir mehr darüber zu sagen haben.

»Ohogoshi ni tsukau to
         Mugi no ue e dem.«

»Wenn er seinen Hintern ordentlich hoch hebt, so erscheint er über den Weizenähren!« Wir erhalten hier einen kleinen Einblick in das Geschlechtsleben der Landleute, die zwischendurch auch einmal den Geschlechtsverkehr in den Kornfeldern ausüben. Als Erklärung hierzu möge ein weiteres Senryū folgen:

»Mugi-batake zawa zawa zawa to
         Futari nige.«

»Das Liebespärchen rannte lärmend aus dem Weizenfeld hinweg.« Zawa-zawa bedeutet das Geräusch, das entsteht, wenn viele Menschen auf einem Platze zusammengedrängt sind. Zawa zawa zawa gibt ungefähr die Laute wieder, die bei den Meininger Schauspielern als »Volksgemurmel« durch das andauernde Wiederholen von »Rhabarber, Rhabarber« in allen Tonarten hervorgerufen wurden. Das nachstehende Bild zeigt die beiden Liebenden, die von dem Besitzer des Weizenfeldes beim Stelldichein gestört worden sind. Es stammt aus dem Buch »Ehon Yanagi-daru« (Bilderbuch der Trauerweide), einer Sammlung von erotischen Senryūs mit Bildern von Tani Bunchō.

siehe Bildunterschrift

Die Flucht aus dem Kornfeld.

Ein harmlos klingendes Wort für die Bewegung des Hinterteils beim Koitus ist »Hekotsuku«, worfeln, schwingen, nämlich Getreide, wozu man dann Hintern ergänzen muß. In der Verbrechersprache ist Pekotsuku daraus gemacht worden. –

Ein Wort, das in den erotischen Büchern der Genroku-Periode (1688–1703 u. Z.) und danach in den Erzählungen der Yedo-Periode und der Meiji-Ära (bis 1911 u. Z.) viel vorkam, ist »Yūbeke«, wörtlich: die Stimmung nach der letzten Nacht. Es bezeichnet eine Frau, die infolge der Anstrengungen im Geschlechtsverkehr sich am andern Morgen müde und matt fühlt. Heute ist das Wort fast ausgestorben; Inouye führt es nicht auf. –

Wenn beim Koitus in besonderen Fällen durch die Bewegung des Penis in der feuchten Vulva ein Geräusch entsteht, so nennt man das »Neko-no-mizu-nomu-oto«, Geräusch, wie wenn eine Katze Wasser trinkt. Das scheint in Japan öfter vorzukommen, denn man hat noch den Ausdruck »Neko ga kai kū oto«, ein Geräusch, wie wenn eine Katze eine Muschel frißt, womit natürlich das Tier in der Muschel gemeint ist. Es handelt sich in beiden Redensarten darum, einen schmatzenden Ton seinem Wesen nach wiederzugeben. –

Wenn sich ein Mann beim Koitus Zeit nimmt, oder der Koitus sich aus irgendeinem Grunde in die Länge zieht, dann nannte man ihn »Naga-Baba«, einen langen Ritt. Man findet das Wort noch in den erotischen Büchern der Tempō-Periode (1830–1843 u. Z.).


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