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IV. Makurae und Makurazōshi Erotische Bilder und Bücher

Die gewöhnlichste und auch in Europa bekannteste Bezeichnung für ein japanisches erotisches Bild ist »Kissenbild«, Makurae, weil solche Bilder neben das Makura, das Kopfkissen, gelegt und beim Koitus betrachtet wurden. Solche Bilder wurden auch wohl in dem Kopfkissen der Frau aufbewahrt, weil ein solches Kopfkissen eine längliche abgestumpfte Pyramide aus Holz ist, also ein Holzkästchen, wie wir es auf mehreren unserer Bilder sehen. Auf einem solchen Holzkästchen liegt bei Benützung ein mit Kleie gefülltes längliches Polster, auf dem die Frau mit dem Nacken oder dem Hals liegt, damit die kunstvolle Haarfrisur nicht leidet und jeden Tag erneuert werden muß. Diese Kissenbilder werden auch als Anleitung für die Ausführung des Koitus betrachtet und daher jungen Leuten als Hochzeitsgeschenk gegeben und neben das Kopfkissen gelegt. Ein Senryū sagt:

»Makurae no tōri ni sureba samui.«

»Wenn wir den Koitus eines Kissenbildes nachahmen, werden wir uns erkälten.« Es handelt sich hier wahrscheinlich um den Spott über Darstellungen, auf dem die handelnden Personen ziemlich oder völlig nackt den Koitus ausführen. Im allgemeinen wurde der Koitus mit geöffnetem Kimono und Unterkleid ausgeführt und die Künstler legen fast immer großen Wert darauf, daß das Paar beim Koitus in prächtigen Kleidern dargestellt ist und äußerlich schön und nett aussieht. Daher lautet ein volkstümlicher Ausdruck »Makurazōshi-no- Tonosama«, ein Fürst, ein Edelmann aus einem Kissenbuch, d.h. er sieht so gut gekleidet und hübsch aus, wie die auf den Kissenbildern gemalten Herren. Das »Makurazōshi«, das Kissenbuch, ist eine Vereinigung von mehreren Kissenbildern mit Text, oder es sind Erzählungen mit erotischen Bildern. Für Makurae gibt Satow auch das Wort »Makurahari«; vielleicht abgeleitet von Haru, der Frühling?

 

»Shungwa,« das Frühlingsbild, war der allgemein gebräuchliche Name für diese Darstellungen, die auch unter dieser Bezeichnung in europäischen Werken erwähnt werden. Sie bedeuteten für die Japaner dasselbe, wie die Frühlingstäfelchen der Chinesen. Nach Satow geht die Bezeichnung »Frühlingsbild« auf einen Vers in dem klassischen chinesischen Buch »Shih-ching« zurück, der lautet: »yu nü huai ch'un«, die Frau ist es, die den Frühling erhält, d. h. die uns die Frühlingszeit des Lebens erhält. Vergl. hierzu den Aufsatz von Dr. Berthold Laufer, Ein japanisches Frühlingsbild, in Bd. IV der Anthropophyteia, Leipzig 1907, S. 279, der in dieser Hinsicht alles Wissenswerte über China und Japan enthält.s Man nennt ein solches Frühlingsbild auch »Tsugai-E«, ein Vereinigungsbild, ein Paarbild, weil es ein Pärchen beim Koitus darstellt.

 

In dem von Hayashi Moriatsu verfaßten Buch »Gwa-Sen« (Zeichenbuch), einer Anleitung zum Zeichnen und Malen, wird im fünften Band unter der Überschrift »Kōshoku Shungwa no Hō«, wie man Frühlingsbilder anfertigt, das Geheimnis verraten; er stellt bei dieser Gelegenheit fest, daß die japanischen Bilder mit geschlechtlichen Darstellungen immer in 12 Folgen gemalt wurden, im Anschluß an das geschichtliche Ereignis, daß ein Kaiser einmal zwölf Frauen geheiratet habe.

 

Die in Form einer Erzählung zu den Bildern gegebenen Erklärungen nennt man »Jorobanashi«, Liebeserzählungen (banashi, die Erzählung); heute bedeutet das Wort »unzüchtige« Geschichten.

 

Wir sind in der Lage, durch zwei Senryū; und eine lustige Geschichte die Arbeitsweise der Maler solcher Frühlingsbilder näher zu erläutern.

»Ukiyo-eshi Bobo wo miru no mo kagyo nari.«

»Es liegt in dem Wesen eines Ukiyo-eshi, seine Augen auf den Cunnus zu richten.« Ukiyo-eshi bedeutet wörtlich: Maler der irdischen Welt. Das Senryū will besagen, daß ein Maler, der Frauen malt, sich den Geschlechtsteil einer lebenden Frau, also seines Modells, genau betrachten muß, damit er ihn richtig wiedergibt. Das Senryū nimmt also von vornherein an, daß ein »Maler der irdischen Welt« auch Frauen malt, deren Geschlechtsteil man sieht. Bilder, auf denen Penis oder Cunnus, wir wollen einmal sagen: idealisiert dargestellt sind, gibt es in Japan nicht. Das bringt auch das zweite Senryū zum Ausdruck:

»Shigeshige to Bobo wo mirareru
         Eshi no tsuma.«

»Der Cunnus einer Malerfrau muß (von ihrem Manne) sehr oft betrachtet werden.«

Zur weiteren Erklärung der vorstehenden Senryūs bringen wir die folgende lustige Geschichte:

»Ich habe die Ehre, Sie zu besuchen! Ich komme heute zu Ihnen, weil ich gehört habe, daß Sie ein ausgezeichneter Ritter des Pinsels sind, und deshalb möchte ich Ihnen eine Bestellung auf Bilder überbringen. Mein Herr ist ein großer Liebhaber des Bobo (des Cunnus) und der Basara-e (der erotischen Bilder) mit den achtundvierzig Stellungen beim Koitus; das ist ein Erbstück der Familie. Es sind vorhanden 360 Skizzen des Penis und 430 Skizzen des Cunnus, die vom Vater auf den Sohn vererbt sind und in einem Lagerhaus aufbewahrt werden. Aber auf allen diesen Bildern zeigt sich lediglich das äußere Aussehen, deshalb können wir nicht beobachten, was im Innern des Cunnus vorhanden ist. Deshalb wünscht mein Herr für seine Sammlung Skizzen, die alles vom Cunnus enthalten. Wie zum Beispiel: das Sane-ne-nemoto, das Kotsubo-no-arisama, das Fuchi-no-hida, das Naka-no-hida usw. usw. Deshalb schickte mich mein Herr zu Ihrem Hause, denn kein anderer Maler kann solche Bilder zeichnen! Wollen Sie diese Bestellung entgegennehmen?« »Ja, ganz gewiß!« erwiderte der Maler. Er erhielt als Unterpfand einen Geldbetrag und gleichzeitig wurde der Tag der Ablieferung der Bilder festgesetzt.

Der Maler hatte zwar die übliche Erfahrung, aber die inneren Verhältnisse des Cunnus konnte er nicht gut ohne Modell zeichnen. Eine Zeitlang wußte er nicht, wie er die Sache anfangen sollte, aber schließlich rief er seine Frau herbei und verlangte von ihr, daß sie ihn ihre Schamteile betrachten lasse. »Nein!« sagte die Frau. »Das kann ich nicht, denn ich schäme mich, meinen Unterleib zu entblößen!« Als sie sich in dieser Weise weigerte, faßte der Maler seine Frau um den Leib und hob ihr gewaltsam die Kleider hoch. Darauf legt er die Stirn in Falten und sagt mürrisch: »Oho! Das ist ja schrecklich! Da habe ich nun für einen Bu Bu ist der Name eines alten Geldstücks, das den Wert des vierten Teils eines Ryō oder Yen hatte. rote Farbe gekauft, aber das reicht nicht aus, um von diesem Cunnus eine Skizze zu machen!«

Wir möchten hier darauf hinweisen, daß fast alle Maler der Ukiyo-e-Schule für die Herstellung der Shungwas, der Frühlingsbilder, Modelle gehabt haben. Die Überlieferung berichtet, daß eine Tochter des Hokusai, des berühmten Malers der 48 Landschaften des Tōkaidō usw., zu diesem Zweck ihrem Vater ihren Körper angeboten habe.

Zur Erläuterung der in der Erzählung gebrauchten Ausdrücke diene folgendes: Sane, der Kern einer Frucht, ist in der Sprache des niederen Volkes die Bezeichnung der Klitoris, des Kitzlers. Wir würden im Deutschen, in Anlehnung an einen weit verbreiteten Ausdruck für den Cunnus, den Kitzler »Pflaumenkern« nennen können. Nemoto ist die Stelle, an der die Wurzeln eines Baumes in den Stamm übergehen. Sane-no-nemoto würde man also etwa mit »Wurzelgrund des Kitzlers« übersetzen können. Der Sammler der Vulvaskizzen will sich demnach über etwas unterrichten, was man gewöhnlich nicht zu sehen bekommt. Daß man sonderbarerweise auch die kleinen Schamlippen, die Nymphae, als Sane bezeichnet, werden wir später noch sehen.

Von Kotsubo, der Gebärmutter, sprechen wir an anderer Stelle. Arisama bedeutet »der Zustand«. Der eifrige Sammler will also über das Aussehen der Gebärmutter eine Skizze haben, und das ist von einem Maler eigentlich etwas viel verlangt.

Fuchi-no-hida und Naka-no-hida sind die äußeren und inneren Falten der Vulva. Satow sagt: paries anterior et posterior. Es handelt sich da um einen alten Volksaberglauben, über den wir im Abschnitt über die Vulva im Volksmund sprechen werden. –

Was wir als pikant, also kitzelnd, reizvoll, anreizend bezeichnen, nannte man in der Meiwa-Anyei-Periode (1764-1780 u. Z.) »Abuna«; das Wort ist von Abunaki, gefährlich, gewagt, abgeleitet. Abuna hat sich in »Abuna-E«, pikantes Bild, erhalten. Die Japaner verstehen darunter Holzschnitte, die erotische Situationen darstellen, jedoch ohne geschlechtliche Handlungen, wie z. B. das Bild einer Frau, deren Röcke durch den Wind hochgehoben werden, so daß man die Schenkel sieht, oder eine Frau, die ihre Fußnägel schneidet und dabei ein verschmitztes Gesicht macht, oder eine nackte Frau, die sich badet usw. Als Muster möge das Bild dienen, das aus dem Buch »Konsei Reimu Den« (Geschichten von wunderbaren Träumen) stammt. Nach dem Buch »Kitai Ryūkō Shi« (Die Geschichte einer sonderbaren Mode) von Miyatake Gaikotsu tauchten solche Holzschnitte nicht vor dem siebenten Kyōho-Jahr (1722 u. Z.) auf, als die erotischen Bücher öffentlich von den Buchhändlern verkauft wurden. –

siehe Bildunterschrift

Albuna-e.

Die japanische Auffassung vom Geschlechtlichen, das in vielen Fällen etwas Lächerliches an sich hat, zeigt sich auch den erotischen Bildern gegenüber, in den Namen die sie im Volksmund führen. Das gewöhnlichste Wort ist »Warai-e«, ein lächerliches Bild, d. h. ein Bild, worüber man (herzlich) lacht; man sagt auch kurz »Warai«, Lachen, Gelächter, denn wer ein solches Bild ansieht, wird sicherlich darüber lachen. In demselben Sinn ist ein erotisches Buch ein »Waraibon«, ein Buch zum Lachen. Wir wollen hier auch darauf hinweisen, daß man den künstlichen Penis, das Harikata, Warai-Dōgu, das lächerliche Ding, nennt. Ebenso bezeichnet man ein Shungwa auch als »Oko-e«, ein närrisches, lächerliches Bild, oder als »Hitori-Warai« ein Bild, über das man selber lachen muß.

Ein volkstümlicher Ausdruck für ein Shungwa ist auch »Wa-Jirushi«, die Marke des Ringes, wie in dem folgenden Senryū:

»Makura-no-sōshi wo
         Wa-jirushi ka to Gejo omai.«

»Die Dienstmagd wollte nicht glauben, daß das Makura-no-sōshi ein erotisches Bilderbuch sei.« In diesem Senryū ist ein Wortspiel enthalten zwischen Makurazōshi, dem Kissenbuch, und Makura-no-sōshi, das gleichfalls Kissenbuch bedeutet, aber ein ernsthaftes Geschichtenbuch ist, das eine Frau Seishōnagon verfaßt hat. Die Dienstmagd hatte anscheinend noch kein richtiges Kissenbuch zu Gesicht bekommen.

Wa-jirushi, das Zeichen des Ringes, ist ebenfalls ein doppelsinniges Wort. Die Entstehung scheint nicht ganz klar zu sein. Man sah anscheinend Wa als eine Abkürzung von Warai-e an, so daß also der Sinn des Wortes war: Marke »erotisches Buch«. Während der Tempō-Bunsei-Periode (1830–1859 u. Z.) gebrauchten die Verfasser und Herausgeber von erotischen Büchern Wajirushi als eine Art Geheimwort ihrer Fachsprache, das man später bei Hausschildern und in Anpreisungen verwendete, indem man als Aufschrift »Wajirushi Tonya«, Großhändler (gewöhnlich Toiya geschrieben) in erotischen Büchern, am Haus oder auf den Anpreisungen anbrachte. Die Altbuchhändler machen heute noch mit Daumen und Zeigefinger einen Ring, wenn sie von dieser Art Literatur sprechen, und gebrauchen auch in ihrer Fachsprache das Wort Wajirushi. In Tōkyō haben die Antiquitätenhändler, die sich mit dem Vertrieb von erotischen Bildern abgeben, für ein solches Bild das Wort »Yōchi-en«, ein Kindergarten, geprägt. –

 

Eigentümlich ist die Angabe von Prof. Dr. Grube, daß nach mündlicher, in China ziemlich allgemein verbreiteter Überlieferung die Frühlingstäfelchen während der Ming-Dynastie (1368–1644 u. Z.) als Wahrzeichen gegen Feuersgefahr dienten. Richtiger wäre, als Abwehrzauber gegen Feuersgefahr dienten. Wahrscheinlich wird es sich auch um das Fernhalten aller bösen Einflüsse durch Geister, Krankheiten usw. gehandelt haben, auch Blitzgefahr käme in Betracht. Daß man auch in Japan früher solche Gedanken mit den Frühlingsbildern in Verbindung gebracht hat, geht aus bisher unbekannten Nachweisen, die Satow sammelte, deutlich hervor. Früher legte man den Kriegern in die Kasten, die ihre Rüstungsgegenstände enthielten, diese Bilder mit Darstellungen aus dem Geschlechtsleben oder, wie wir sagen würden, unzüchtigen Bilder. Dem Glauben nach sollte dadurch ein Krieg zum siegreichen Ende geführt werden. Deshalb nannte man diese »obszönen« Bilder »Kachi-e«, Siegerbilder oder Triumphatorbilder. Der Gedanke, daß diese Bilder irgendeinen unzüchtigen oder, besser gesagt, zum Geschlechtsleben in Beziehung stehenden Zweck gehabt haben könnten, muß selbstverständlich von vornherein fallen gelassen werden. Es handelt sich einfach um den glückbringenden, Böses abwehrenden Zauber solcher Darstellungen, ein Glaube, der wohl in abgelegenen Gegenden Japans heute noch lebendig ist. Mit ihrem klassischen Namen, d. h. bei den klassischen Schriftstellern, heißen diese Frühlingsbilder »Osokuzu-no-e«, Bilder, die durch ihre Zauberkraft das Böse fernhalten. Deutlicher kann man die Auffassung von dem Sinn dieser Bilder nicht zum Ausdruck bringen und damit ist auch das Kachi-e im Rüstungskasten des Kriegers einwandfrei erklärt. Denn der Sieg konnte nur errungen werden, wenn böse Einflüsse abgehalten wurden; das war damals die Auffassung und ist auch die Auffassung der älteren Schriftsteller gewesen. Wir können hier an den Glauben an die Abwehrkraft des Phallos bei den Römern erinnern. Die Verbreitung dieses Glaubens war so groß, daß noch heute bei jeder Ausgrabung phallische Amulette gefunden werden. –

In früheren Zeiten hatten die Händler mit Bilderbüchern erotischen Inhalts den Fachausdruck »Kagami-e«, Spiegelbild, für ein erotisches Bild. In den Unterlagen findet sich keine Erklärung hierfür, aber man wird wohl annehmen können, daß diese Händler ihre Koitusbilder als Spiegelbilder des wirklichen Lebens betrachteten.


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