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Osashimi. Der Zungenkuß

In dem erotischen Buch »Kōshoku Tabi-makura« (Wollüstiges Reisekissen), das im achten Genroku-Jahr (1695 u. Z.) erschien, findet sich ein Abschnitt »Kyūkō-ken« (Die Kunst des Küssens), worin der Zungenkuß beschrieben wird, und zwar hauptsächlich als Anreizmittel für eine geschlechtlich schwer erregbare Frau. Daneben werden aber die Männer davor gewarnt, beim Koitus ihre Zunge der Frau zwischen die Zähne zu stecken, da sie leicht beim Orgasmus in die Zunge einbeißen und sie so verletzen könne. Diese Warnung scheint heute noch am Platz zu sein, denn manche japanische Frauen verlangen den Zungenkuß des Mannes, wenn sie den Orgasmus herannahen fühlen. Andererseits wechseln aber auch die meisten Japaner heute den Zungenkuß während des Geschlechtsverkehrs mit der Frau, um sie anzuregen und den Orgasmus möglichst gleichzeitig hervorzurufen.

siehe Bildunterschrift

Aibore.

Osashimi oder ohne die Höflichkeitssilbe O: Sashimi ist eigentlich, wie wir im Abschnitt »Die Besucher der Jōros« ausführen, in Streifen geschnittener roher Fisch, der mit Sojabohnenwürze übergossen ist. Aus dem Brauch, diese Speise durch eine Art Kuß in den Mund des Geliebten zu bringen, ist für Osashimi die Bedeutung des Zungenkusses entstanden. Die Freudenmädchen machen selbstverständlich von diesem Reizmittel ausgiebigen Gebrauch, allerdings nur den Kunden gegenüber, zu denen sie in einem näheren Verhältnis stehen. Deshalb nennt man in den Vierteln der Halbwelt den Zungenkuß auch »Aibore«, gegenseitige Liebe, weil nach japanischem Brauch nur ein Paar, das durch gegenseitige Liebe verbunden ist, den Zungenkuß wechselt. Das vorherstehende Bild, das dem Buch »Kōshoku Wadachi Monogatari« (Wollüstige Wagenspur-Erzählungen) Durch diesen Titel soll zum Ausdruck gebracht werden, daß man dieses Buch während einer langweiligen Reise lesen kann. entnommen ist, zeigt ein Liebespaar, bei dem die Frau der handelnde Teil ist. Aus dem Kopfputz der Frau geht hervor, daß sie kein Freudenmädchen ist, denn sonst hätte der Künstler nicht unterlassen, als ihr Abzeichen mehrere Schmucknadeln im Haarputz anzubringen.

Im folgenden einige Senryūs, die sich mit dem Osashimi beschäftigen:

»Osashimi mo haha no mae dewa
         Chito enryo.«

»In Gegenwart der Mutter ist das junge Paar mit dem Zungenkuß doch lieber etwas zurückhaltend.« Aus diesem Senryū können wir entnehmen, daß Verliebte nicht nur beim Koitus den Zungenkuß wechseln, sondern daß er auch sonst Brauch war; daß gerade die Mutter genannt ist, könnte darauf hinweisen, daß man vor andern Anwesenden nicht so zurückhaltend zu sein braucht. Mit der Mutter ist selbstverständlich die Mutter des jungen Ehemannes gemeint, die ja, wie bekannt, meistens der Schwiegertochter, die ihr zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet ist, keine große Liebe entgegenbringt. Deshalb gibt das Senryū den Rat, etwas zu unterlassen, was ihren Ärger erregen könnte.

»Osashimi no mae ni Dote oba chotto nade.«

»Vor dem Zungenkuß reibt er ihr leicht die Vulva.« Dies soll ein Ratschlag sein, in dem Sinn: »Das sollst du tun!«, um die Erregung der Frau durch das Reiben zu steigern.

»Makura hazusasu Osashimi no shimai giwa.«

»Wenn der Zungenkuß zu Ende ist, läßt sie den Kopf von dem Kissen heruntergleiten.« Damit soll die große Erregung der Frau gekennzeichnet werden; bei der Form des japanischen Kopfkissens, das mehr eine Kopfstütze ist, läßt sich das Herabgleiten des Kopfes sehr leicht begreifen.

Wir müssen hier noch einen Ausdruck erwähnen, der im erotischen Schrifttum des japanischen Mittelalters (bis 1867 u. Z.) sehr häufig vorkam, nämlich »Kōchū-no-Chigiri«, eine Vereinbarung innerhalb des Mundes, d. h. durch den Zungenkuß wird gewissermaßen der Koitus vereinbart.

Während des Koitus wird der Zungenkuß bei den Stellungen angewendet, bei denen er möglich ist; wir werden im Abschnitt »Shijū-hatte« das Weitere hierüber beibringen.


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