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II. Inbu. Tänze mit geschlechtlichem Einschlag

Eine Eigentümlichkeit des japanischen Volkslebens sind die Tänze mit unverhüllten geschlechtlichen Anspielungen oder sogar mit einem wirklich ausgeführten Koitus als Beendigung. Wir werden versuchen anzudeuten, inwieweit solche Tänze als Überlebsel früherer ernsthafter Bräuche oder heiliger Handlungen, die eine spätere Zeit als Zauberhandlungen bezeichnete, angesehen werden können. Es handelt sich natürlich hier nur um Vermutungen, da wir heute etwas vor uns sehen, bei dem uns jeder Zusammenhang mit der Vergangenheit fehlt. Wenn uns aber Berichte über ähnliche Vorgänge aus anderen Gegenden vorliegen, die beglaubigt in früheren Zeiten sich zutrugen oder in deutlich erkennbaren Überlebseln sich bis heute erhalten haben, dann sind uns Vergleichspunkte gegeben, die unseren Rückschlüssen eine gewisse Wahrscheinlichkeit zukommen lassen.

siehe Bildunterschrift

28. Die Fraueninsel. Aus einer Bilderfolge von einem Schüler Hokusais. a) Die Besichtigung.

siehe Bildunterschrift

28. Die Fraueninsel, b) Das Vorspiel.

siehe Bildunterschrift

28. Die Fraueninsel, c) Die Befriedigung.

Ein solcher Tanz mit geschlechtlichem Einschlag ist das Asai-Kawa, zu deutsch: der seichte Fluß oder der flache Fluß. Dieser Tanz hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem französischen Cancan, den wir zum Vergleich in diesem Abschnitt noch einmal herangezogen finden. Das Asai-Kawa wird heute noch in den Machi-ai als Anreiz für die Gäste vorgeführt. Ein solches Machi-ai, eigentlich: Machi-ai-jaya, d. h. Wartehaus, ist ein Teehaus, in dem vornehmlich Zusammenkünfte von Liebesleuten stattfinden. Im allgemeinen werden solche Machi-ai von den Geishas, den Singmädchen, und ihrem derzeitigen Freund aufgesucht, um sich dort heimlich zu treffen. Als Machi-ai bezeichnet man auch ein von den Behörden nicht genehmigtes Bordell, denn das sind diese Machi-ai auch meistens. In der Provinz Kanzai (Kyōto und Ōsaka) nennt man ein solches Haus »Bonya«, zu deutsch: »Zimmer zu vermieten!« Ein anderer Name für ein solches »Teehaus« ist Deai-Jaya, zu deutsch: Ein Haus, wo man einander treffen kann. Dieser Name ist seit Ausgang der Yedo-Periode nicht mehr gebräuchlich. Damals standen solche Deai-Jaya zu beiden Seiten des Lotusteiches von Shinobazu im Bezirk Ueno von Tokyo, weshalb man sie auch Hasu-no-Chaya, d. h. Lotus-Teehäuser, nannte. Der Name dieser Absteigequartiere lebt noch in den Senryū fort, von denen wir hier eins bringen:

»Deai-jaya abunai kubi ga futatsu kuru.«

»In das Absteigequartier kamen zwei gefährliche Köpfe.« Unter Köpfen muß man Buhler verstehen, d. h. in geschlechtlicher Hinsicht leistungsfähige Kerle. Kubi, der Kopf, bezeichnet auch als volkstümliches Wort die Peniseichel. Auf alle Fälle will das Senryū sagen: Die werden euch schon etwas zeigen!

siehe Bildunterschrift

28. Die Fraueninsel, d) Die Orgie.

siehe Bildunterschrift

28. Die Fraueninsel, e) Ermattung.

Den Tanz Asai-Kawa führt gewöhnlich eine Hangyoko, eine junge Geisha, aus. Hangyoku bedeutet »Halbedelstein«, d. h. eine solche Anfängerin bekommt nur die halbe Bezahlung wie eine voll ausgebildete Geisha, deren Lohn als »Gyokudai«, Edelsteinpreis, bezeichnet wird. Es sieht fast aus, als ob man diese nicht ganz sauberen Einnahmen gewissermaßen mit einem poetischen Schimmer umkleiden wollte, auch »Edelstein« ist für diese Tanzmädchen eine sehr gewählte Benennung. Satow ist der Ansicht, daß diese Hangyokus, so lange sie noch »jugendlich«, das heißt wohl noch nicht mannbar sind, ihre Keuschheit nicht verkaufen. Es mag aber auch sein, daß die vollberechtigten Geishas nicht dulden, daß die »Halbedelsteine« ihnen ins Handwerk pfuschen. Diese werden wohl zu einer bestimmten Zeit, wie Lehrlinge, losgesprochen werden, d. h. in die Zunft als vollberechtigt aufgenommen werden. Satow führt für seine Ansicht das folgende Senryū an:

»Doromizu no Shijimekkai wa mada kuezu.«

»Die Corbicula im schmutzigen Wasser ist noch nicht eßbar.« Die Corbicula ist eine Muschelart, die japanisch Shijimekkai, Shijimegai oder Shijimi genannt wird. Es handelt sich jedenfalls um eine Wasserschnecke. Im Japanischen ist es ein Gassenwort für die Geschlechtsteile eines heranwachsenden Mädchens. Doromizu, schmutziges Wasser, bedeutet im bildlichen das, was wir als »Sumpf« bezeichnen, das Leben der Freudenmädchen; das Senryū würde also demnach den Sinn haben: Wenn die Hangyoka auch im Sumpf lebt, so ist sie doch nicht verkäuflich.

Den Tanz der Hangyoka begleitet folgendes Liedchen:

»Asai-Kawa nara hiza made makuru
         Fukaku naruhodo Obi wo toku;
Oya nimo misenai kono manko
         Omae ni bakkari tan-to tanto!«

»Wenn ich einen seichten Fluß durchschreite, werde ich meine Kleider bis zu den Knien hochheben und ich werde den Gürtel lösen, wenn ich die tiefste Stelle erreiche. Ich habe niemals meine geheimen Teile hergezeigt, nicht einmal meinen Eltern! Aber jetzt will ich sie gern Euren Blicken aussetzen, so lange als Ihr es wünscht!« Die beiden ersten Zeilen dieses Tanzliedchens bringen in sinnbildlicher Weise zum Ausdruck, daß das Mädchen erst nur die Kleider bis zu den Knien hebt, daß sie sich aber ganz nackt zeigen will, den Gürtel lösen will, wenn sie intimer miteinander werden. Diese fortschreitende Enthüllung ist ja ein bekannter Kniff der Halbwelt. Das Intimerwerden liegt auch schon in den Worten: Obi-wo-toku, den Gürtel lösen, denn in der Volkssprache ist damit ohne weiteres der Sinn verbunden, daß das Berühren des nackten Körpers gestattet wird.

Das für den Geschlechtsteil des Mädchens von ihm selbst gebrauchte Wort Manko gehört der Kunstsprache, dem Slang der Freudenmädchen, an. In der Umgangssprache sagt man Omanko oder etwas verbogen Omancho. Satow leitet Omanko von Oman = Omanjū, einem Wort der Kindersprache, ab, das einen kleinen Kuchen oder ein Brötchen bedeutet, das mit gesüßtem Bohnenmus gefüllt ist, weist aber gleichzeitig darauf hin, daß Omanko aus Omeko verderbt sei (s. unten). Das Wort Omanko hat eine große Verbreitung gefunden, es kommt auch in vielen Volksliedern vor. Hierfür die folgenden Beispiele:

»Omanko dokkoi Sane-guruma
         Naka no mi wa makkai na,
Kodomo ni misereba kuitagari
         Otona ni misereba yaritagari!«

»Hoppla, Brötchen, mit dem Kitzler mitten zwischen hochrotem Fleisch als Vorhut! Das Kind will zu essen haben, wenn es sich zeigt, und, sieh mal an, der Erwachsene hat das Bedürfnis zu vögeln!« – Hier ist Omanko (Brötchen) doppelsinnig aufgefaßt und darin liegt der Scherz des Verschens.

»Omanko ni Marne kuwashō,
         Mappira gomen da ha ga nai yo,
Sonnara Matsudake naze kutta,
         Otsuyu bakkari suttan da.«

»Laß mich die Vulva mit Bohnen füttern!« »Ich bitte ernstlich um Verzeihung, aber sie hat doch keine Zähne!« »Weshalb ißt sie denn da den Pilz?« »Oh, mein Lieber, sie schlürft ja nur Suppe aus ihm!« Wir haben oben gesehen, daß das Omanko eigentlich ein mit Bohnenbrei gefüllter kleiner Kuchen ist; Mame, die Bohne, ist an sich schon ein Gassenwort für den Cunnus. Von dem Matsudake, dem Pilz in der Bedeutung Penis, haben wir oben gesprochen. Das Mädchen wehrt sich also gegen die Behauptung, daß sie den Penis verschlingt.

»Imba-numa no yona Ōki na Omanko mochitai mono yo,
         Shokoku Daimyō ni horasetai.«

»Ich hätte gern eine Vulva so groß wie Imba-numa, dann würde ich alle reichen Lehnsherren darin graben lassen.« Imba-numa ist ein großer Sumpf (numa) im Landkreis Imba in der Provinz Chiba. Die Daimyōs waren reiche Großgrundbesitzer, die ein Einkommen von mindestens 18 900 Hektoliter Reis haben mußten, wenn ihnen dieser Titel als Lehnsherren zustehen sollte. Das Mädchen sagt also in dem Liedchen weiter nichts als: Ich möchte mit meiner Vulva recht viel Geld verdienen!

»Imba-numa no yō na Ōkina Omanko oya mochinagara,
         Tsubaki nado towa nanno nanno.«

»Ach, was hast du für eine große Vulva! Die ist ja fast so groß, wie der Imba-Sumpf!« »(Sei doch froh!) Dann brauchst du sie wenigstens nicht mit deinem Speichel anzufeuchten!« Die japanischen Männer feuchten nämlich beim Koitus häufig den weiblichen Geschlechtsteil mit Speichel an, um ihn schlüpfrig zu machen. Wodurch gerade der Sumpf von Imba ein so beliebter Vergleichsgegenstand für die Vulva geworden ist, wissen wir nicht.

Wenn Omanko in Verbindung mit einem Zeitwort gebraucht wird, bedeutet es den Koitus. Man sagt dann Omanko suru, sich paaren, sich begatten, vögeln, oder Omanko wo suru, mit jemandem den Koitus ausüben, jemanden beschlafen. Im japanischen Volke gebraucht man diese Ausdrücke in der täglichen Unterhaltung, wenn man vom Geschlechtsverkehr spricht. In einem Volkslied wird Omanko in der Bedeutung von Koitus in folgender Art verwertet:

»Omanko shitai tote Tentō-sama ogami,
         Ten kara Omanko wa furyashōmai.«

»Mit dem Verlangen nach einem Koitus betet er die Sonne an, aber wie du siehst, fällt niemals eine Vulva vom Himmel herunter!« Tentōsama, die Sonne, ist ein Wort, das meist von Frauen und Kindern gebraucht wird (Fujisawa's Wörterbuch). Der Anbetende scheint also gewissermaßen zu erwarten, daß ihm die Sonnengöttin Amatarasu eine Vulva verschafft. In dem nachstehenden Bilde ist dies dadurch zum Ausdruck gebracht, daß der Künstler den Mann die ersehnte Frau über der Sonne erblicken läßt. Das Bild stammt aus dem ersten Band einer Sammlung von Volksliedern »Sumō Jinku«, die von der Benten Geisha Kokichi, der schönen Frau Geisha, veranstaltet worden ist.

Wir haben oben gesehen, daß Satow angibt, Omanko sei aus Omeko verderbt. Omeko wird in der Umgangssprache für den Cunnus gebraucht. Eine Erklärung des Wortes wird nicht gegeben, wir dürfen also annehmen, daß es sich um ein selbständiges Wort für Cunnus handelt. In einem Volkslied aus der Provinz Fukushima kommt folgender Vers vor:

»Kaze mo nai no ni Fundoshi ga yuragu
         Omeko dete miru Mara ga kita.«

»Das Lendentuch bewegt sich vorwärts und rückwärts, obwohl gar kein Wind weht. Cunnus, komm doch einmal heraus und sieh nach, ob ein Penis draußen steht!« Wenn man annimmt, daß der Penis sich dadurch bemerkbar macht, daß er es ist, der das Lendentuch des Mannes vorwärts und rückwärts in Bewegung setzt, müßte man sinngemäß übersetzen: »Cunnus, komm du auch hinter deinem Lendentuch hervor« usw. Mara, das männliche Glied, wird auch von den buddhistischen Priestern gebraucht und wir werden seine Auslegung durch diese in einem späteren Abschnitt kennen lernen.

siehe Bildunterschrift

Omanko suru.

In einem Kinderliedchen aus der Provinz Hyōgo wird Omeko in ähnlicher Weise mit Mara zusammengestellt:

»Omeko hachi ga sasu,
         Mujō fukureru,
                 Oisha yonde kuru.
Oisha bikkuri shite,
         Aka-mara deko deko!«

siehe Bildunterschrift

Omeko.

»Eine Biene hat die Vulva gestochen, die ist ganz fürchterlich angeschwollen, und da ließ das Mädchen den Doktor holen. Der Doktor war so erschrocken, daß sein roter Penis steif wurde und er Herzklopfen bekam.« Wenn das Liedchen nicht ausdrücklich als Kinderliedchen bezeichnet wäre, würde man es kaum glauben.

 

In dem Kinderliedchen liegt auch eine Anspielung auf eine andere Bezeichnung der Vulva, nämlich Fukurami, die schwellenden Teile. Sprachlich wird zwischen fukuramu und fukureru kein Unterschied gemacht, beide Zeitwörter bedeuten: anschwellen. Mit Fukurami meint man vorzugsweise die großen Schamlippen; es ist aber ein Wort der Gassensprache. Ein entsprechender, veralteter Ausdruck für den Penis war Tsuno-no-fukure oder Tsunu-no-fukure, das schwellende Horn.

In einer eigenartigen Verbindung kommt das Wort Bobokko, das Füllwort für Bobo, von dem wir schon im vorigen Abschnitt gesprochen haben, in dem folgenden Senryū vor, das aus der Yedo-Periode stammt:

»Kanko kokemushi Bobokko to kaimei shi!«

»Das Kanko ist mit Moos bedeckt und ändert seinen Namen in Bobokko um!« Kanko muß man als »die Beschwerdetrommel« wiedergeben. Dies Wort war in dieser Bedeutung nur im alten China üblich, als noch der Brauch bestand, eine solche Beschwerdetrommel vor dem kaiserlichen Palast aufzuhängen. Ein Beamter war beauftragt, auf diese Trommel zu schlagen, sobald ein Beschwerdebrief dem Herrscher überbracht werden sollte. Heute ist das Wort noch im Gebrauch als Bezeichnung für den Cunnus, in erster Linie für den Geschlechtsteil eines jungen Mädchens. Das Senryū bringt also zum Ausdruck: »Das Kanko ist mit Moos bedeckt,« mit anderen Worten: »Der Cunnus dieses Mädchens ist mit Schamhaaren bedeckt,« »und ändert seinen Namen in Bobokko um,« weil Bobokko der Geschlechtsteil einer erwachsenen Frau ist. In dem ersten Teil des Senryū liegt eine Anspielung auf das chinesische Sprichwort: »Die Beschwerdetrommel ist mit Moos bedeckt!« Dies bezieht sich auf die Herrscherzeit eines chinesischen Kaisers, der bei seinem Volke so beliebt war, daß während seines ganzen Lebens kein einziger Beschwerdebrief abgegeben wurde. –

Damit wäre der weite Weg, der uns von dem Worte Manko im Tanzlied der Hangyoku bei dem Asai-Kawa über eine Menge Namen für den Cunnus zu Bobokko führt, zurückgelegt. Dieser Weg war aber nötig, um im folgenden Wiederholungen zu vermeiden, die sonst zur Erklärung der gebrauchten Ausdrücke erforderlich wären.

In dem Tanzlied stellt die Hangyoko in der letzten Zeile die Entblößung ihres Schamteils in Aussicht und sie hebt dann wirklich, sobald der letzte Ton des Gesanges verklungen ist, alle ihre Röcke ganz rasch bis über den Leib in die Höhe und setzt ihren »Unterleib« den Blicken der Gäste aus, die ausnahmslos den besseren Ständen angehören. Mit dem Entblößen des Cunnus der jungen Tänzerin ist das Asai-Kawa zu Ende. Wir werden aber beim Chonkina-Tanz sehen, daß es noch eine Fortsetzung gibt. –

Das Ameshobo ist derselbe Tanz, wie das Asai-Kawa. Besonders beliebt war er während der Kōka-Kayei-Periode (1844–1853). Bis zum Ende der Meiji-Ära rechnete man das Ameshobo zu den Tänzen, in denen die jungen Geishas, die Tanzmädchen, ihre schönen Beine in Tōkyō und Yokohama zur Schau stellten. Dieses Zurschaustellen der Schönheiten der nackten Beine der Hangyokos beim Tanzen war damals die Hauptsache; heute sieht man es nur noch sehr selten. Das Wort Ameshobo ist aus den folgenden beiden Worten zusammengesetzt: Ame bedeutet Regen und Shoboshobo ist das Geräusch, das bei einem heftigen Regenschauer durch die auffallenden Tropfen entsteht. Im Volksmund erhielt nun dieser Tanz seinen Namen deswegen, weil die Frauen bei solchem Wetter die Röcke hochheben, um sie nicht zu beschmutzen. Wir könnten also im Deutschen diesen Tanz den »Regengeprasseltanz« nennen.

Das Liedchen, das zu diesem Tanz gesungen wird, lautet so:

»Ame wa shobo shobo,
         Inazuma pika-pika,
Kaminari ya goro-goro,
         Kaka yo Kaya tsure ...«

»Der Regen prasselt hernieder! Der Blitz flammt auf! Und der Donner rollt! Oh, mein Weib, hänge ein Moskitonetz auf, ein Moskitonetz! ...« Und dann folgt während des Tanzes die merkwürdige Stellung mit dem Hochheben der Röcke.

Es war nicht möglich, festzustellen, wann dieser Tanz aufgekommen ist. Wahrscheinlich wird er im Anschluß an das Liedchen, bald nach dessen Abfassung, entstanden sein.

Es gibt noch ein ähnliches Lied, mit dem Namen »Momiji Bansho«, das Ahornwächterhäuschen, dessen Text folgendermaßen lautet:

»Ame wa shobo shobo,
         Momiji Bansho wo suta-suta tōreba.
                 ›Kō, Hachi yo,
Yube no Onna wa moteta ka?‹
         ›Ōmote yo! E-e, warui michi dewa nai ka na!‹«

»Als er an der Vorderseite des Momiji Bansho im herniederprasselnden Regen vorbeiging, frug ihn der Wächter: ›Hören Sie mal, Herr Hachi! Sind Sie gestern abend von Ihrer Liebsten gut aufgenommen worden?‹ ›Ja! Ich wurde wie ein berühmter Mann behandelt! Ach, was ist das für ein schlechter Weg!‹« Dieses Momiji Bansho lag während der Yedo-Periode in der Ecke eines Kreuzweges von Shichiken-chō nach Nezu Miyanaga-chō, Shitaya, Tōkyō. In der Zeit, als dieses Lied entstand, war in diesem Bezirk ein Viertel mit geheimen Freudenmädchen und der Weg dahin war bei Regenwetter sehr schmutzig. Damit ist der Schlußvers des Liedes verständlich: »Ach, was ist da für ein schlechter Weg!« Daher ist es auch begreiflich, daß eine Frau, die diesen Weg an Regentagen benutzen muß, ihre Röcke bis zu den Knien hochhebt, und wahrscheinlich wird auf diese Weise das Entblößen der unteren Körperteile bei diesem Tanz seinen Ursprung genommen haben. Anscheinend soll in der etwas boshaften Frage des Wächters zum Ausdruck kommen: »Wie können Sie nur bei diesem Hundewetter nach dem Viertel der Freudenmädchen gehen? Sie sind wohl gestern abend von Ihrer Liebsten weggeschickt worden?« Der Herr Hachi verneint diese Frage, sagt aber zum Schluß, auf den Gedankengang des Wächters eingehend: »Ach! Das ist wirklich ein schlechter Weg.« –

Wir haben oben gesagt, daß der Chonkina-Tanz eigentlich ein Asai-Kawa oder Ameshobo mit Fortsetzung ist; das wird sich aus dem Schluß, wie er im folgenden beschrieben ist, ergeben. Chonkina bedeutet nach dem dabei gesungenen Tanzliedchen: Schmetterling (chon) komm (kina)! Es handelt sich also, wie bei allen diesen Tänzen, um einen zufälligen Namen, der dem zufällig zugrunde liegenden Text des Tanzliedchens entnommen wurde. Satow bezeichnet das Chonkina als eine Art japanischen Salome-Tanzes.

 

Das Lied, das die sogenannten Chonkina Onnas, die Tänzerinnen des Chonkina-Sanges, bei Beginn der Meiji-Ära in Yokohama in den Chopsui-Häusern, den Speisehäusern für die Fremden, gesungen haben, lautete so:

»Chonkina, Chonkina, Chon, Chon, Kina, Kina,
         Chochon ga, Nanno ha de, Chochon ga – Hoi!«

»Komm, Schmetterling! Komm, Schmetterling! Schmetterling! Schmetterling! Komm! Komm auf die Blüten des Rapses! Schmetterling, hallo!« Während sie dieses singt, zieht die Tänzerin vor dem Gast ihre Kleider aus, wie es in der Novelle »Kimono« beschrieben ist, und geht rückwärts auf ein Bett zu, wobei sie den Gast mit der Hand heranwinkt. Sobald das Lied zu Ende ist, fällt das Mädchen rückwärts auf das Bett und nun findet eine geschlechtliche Umarmung mit dem Gast statt. Dieser Abschluß des Tanzes ist der Unterschied zwischen dem Chonkina und den Tänzen Ameshobo und Kankan Odori der Yedo-Periode.

Zu dem Chonkina-Liedchen möchte ich eine Vermutung aussprechen. Ich halte das Auseinanderreißen des Wortes Chonkina in Chon und Kina nicht für zufällig, obwohl »Chon, Chon, Kina, Kina« einen Sinn hat, der zu dem Endergebnis des Tanzes in Beziehung steht. Es ist die Einladung des Gastes zu dem Koitus auf dem Bett, wohin er durch eine entsprechende Handbewegung gerufen wird. In der Gassensprache ist aber »Chon chon«, das eigentlich: Nur einen Augenblick! bedeutet, zum Begriff: »Koitus innerhalb kurzer Zeit« geworden. Man sagt dafür auch »Chon-no-ma«, d. h. Innerhalb einer kurzen Zeit. In der Mundart von Hakata in der Provinz Hizen nennt man die Vulva »Chonchon« und in der Gassensprache ist Chonchonsuru (Chonchon mit dem Hilfszeitwort suru, tun) ein Wort für die Ausübung des Koitus. Chonko ist in der Mundart des oben genannten Bezirkes Hakata gleichfalls ein Wort für den Cunnus, bezeichnet aber auch manchmal den Koitus, wie aus dem folgenden Volksliedchen hervorgeht:

»Oya ga Chonko shite
         Washi koshiraete,
Washi ga Chonko surya
         Iken suru.«

»Obgleich mich meine Eltern in die Welt setzten, nachdem sie miteinander den Koitus ausgeführt hatten, reden sie doch ernstlich auf mich ein, wenn ich selbst einmal einen Koitus zu machen versuchen will.« Chonko suru ist hier wie oben Chonchon suru gebraucht. Für Chon chon in der Bedeutung »Koitus in einer kurzen Zeit« liegt in einem ländlichen Volksliedchen ein Beleg vor:

»Yama de Chon-chon surya
         Kinone ga makura,
Ochiru Konoha ga
         Yogi to naru!«

»Wenn man in den Bergen rasch einen Koitus macht, dann dient ein Baumstumpf als Kopfkissen und die fallenden Blätter kann man als Bettdecke ansehen!« In der Mundart der Provinz Hajima ist Chonbo ein etwas gewöhnlicher Ausdruck für den Koitus. Statt Chon-no-ma oder Chonno-maku sagt man auch Chonchon-maku. Nach Satow ist maku ein altertümlicher Ausdruck für »einen Koitus machen«, man hätte also damit Chonchon-maku deutlich gemacht als: Koitus in kurzer Zeit.

Wir sehen aus vorstehendem, daß es sich bei Chon immer um den Begriff Koitus handelt und daß die Verdoppelung der Silbe auf einen Koitus in ganz kurzer Zeit hinweist. Wenn also die Tänzerin singt: »Chon Chon,« dann muß sich allen Einheimischen unwillkürlich der Gedanke an einen raschen Koitus aufdrängen.

Bei Kina liegt die Sache nicht so einfach, hier müßten wir schon an das ähnlich klingende Wort Kine denken. Kine ist die hölzerne Mörserkeule, die zum Zerstoßen des Reises in einem Mörser benutzt wird. Mörserkeule, in Deutschland Stößel oder Stößer (von stoßen) genannt, und Mörser sind allbekannte Sinnbilder für Penis und Cunnus, und so ist es auch in Japan. Im nördlichen Teil der Provinz Saitama spielt der Stößel heute noch bei den Hochzeitsbräuchen eine Rolle. Man nennt diese Sitte »Kine-matagi«, über den hölzernen Stößel hinwegschreiten. Am Abend der Hochzeit werden die Fackeln angesteckt und das mochi, der Reiskuchen, wird am Eingang zum Hause des Bräutigams in einem Mörser zerstoßen. Dann wird der Stößel in den Torweg gelegt und die Braut schreitet darüber hinweg. Daß der Stößel in diesem Falle als Stellvertreter des glückbringenden, aber auch befruchtenden Phallos getreten sein muß, ist ohne weiteres klar. Am nächsten Tage besucht die Braut das Haus des Dorfoberhauptes oder des Vorstehers ihres Stadtbezirkes, den Familienfriedhof und den Schutzgott des Ortes in Begleitung des Mittelsmannes. Damit ist allen maßgebenden und einflußreichen Instanzen die Eheschließung angekündigt.

Wir dürfen also annehmen, daß die Zuschauer beim Chonkina-Tanz unter »Chon, Chon, Kina, Kina« neben der eigentlichen Bedeutung: »Schmetterung! Schmetterling! Komm! Komm!« ganz gut verstehen konnten: »Ein rascher Koitus! Einen Stößel! Einen Stößel!«

Daß das Zerstoßen des Reises im Mörser mehr als eine rein sinnbildliche Handlung ist, geht auch daraus hervor, daß Mochi-wo-tsuki, den Reiskuchen zerstoßen, in der Gassensprache als Ausdruck für »den Koitus ausüben« gebraucht wird. Man sagt auch kurz: Mochitsuki. Ob bei dem oben erwähnten Heiratsbrauch auch ein Hinweis auf die bevorstehende Entjungferung der Braut enthalten ist, läßt sich aus den vorliegenden Unterlagen nicht entnehmen. –

Das oben erwähnte Kankan-Odori, der Kankan-Tanz, ist ein »unzüchtiger« Tanz, der bei der öffentlichen Schaustellung (Misemono Shibai, eigentlich Schaustellungstheater) nahe beim Ufer des Fuchiyachō-Flusses während der Yedo-Periode im Herbst des dritten Bunsei-Jahres (1820 u. Z.) zum erstenmal gezeigt wurde. Anfangs nannte man diesen Tanz »Ōsaka kudari Nagasaki Tatsu Odori«, d. h. der Drachentanz von Nagasaki, der aus Ōsaka kam. Die Bezeichnung Kankan-Odori hat der Tanz nach dem Klang der begleitenden Musikinstrumente erhalten. Kankan ist japanisch etwa das, was wir als kling-klang, bim-bam, bum-bum usw. bezeichnen. In jener Zeit wurde das Kankan-Odori verboten, weil das Lied dazu »sehr unzüchtig« war. Kyokutei Bakin, ein berühmter Novellenschreiber, ging in einem Brief an einen Freund den Spuren dieses Tanzes nach und schrieb auch in seinem Buch Kyokutei Zakki (Kyokutei's Vermischte Schriften) davon, daß dieses Verbot wegen des unzüchtigen Liedes erfolgt ist. Dieser »Sang des Kankan Odori« und seine Auslegung durch Kōjirō, den Erklärer, lauten wie folgt:

»Kankan nō Schaut her! Schaut her!
Kyū no rensū ich schmachte nach Liebe seit langer Zeit,
Kyū rensū schmachte in Liebe seit langer Zeit,
Kyū wa kyū rensū schmachte in Liebe seit langer Zeit,
Sancho nara e es ist der dritte Sohn, den ich liebe,
Saihō eines Stammesoberhauptes,
Niikan san eines zweiten Sohnes,
Inhī taitai einen Fingerring mehrmals,
Yan a rō angeboten,
Menkon fu hōte ein häßliches Gesicht,
Sinkon san eine dunkle Haut,
Moemon to ha ii einen großen Penis,
Hi hō hō!« genügend für Cunnus.

In verständliches Deutsch gebracht lautet der Text des Kankan-Odori-Liedes so: »Schaut her! Schaut her! Ich schmachte seit langer Zeit, ja seit langer Zeit schmachte ich in Liebe zu dem dritten Sohn eines sehr hohen Mannes. Ich habe ihm meinen Fingerring mehrere Male angeboten, weil ich ihn wirklich liebe. Er ist wohl sozusagen kein hübscher Mann, denn er hat ein häßliches Gesicht und eine dunkle (dunkelblaue!) Haut. Aber sein Penis ist sehr hübsch groß und paßt gut zu meinem Cunnus!«

Der Erklärer Kojirō beruft sich jedoch bei der Auslegung dieses Liedes auf das »Manyōshū;« (eine berühmte Sammlung alter Gedichte); das scheint aber eine etwas gekünstelte Meinung zu sein, denn das im sechzehnten Band des Manyōshū; stehende Gedicht lautet:

»Umashi mono izuku akanu wo
         Sakato ra ga,
Tsunu-no-fukure ni
         Shigui ai ni kemu.«

»Ich möchte gern wissen, was sie eigentlich an diesem häßlichen Menschen liebt! Die Tochter des Sakato schwärmt aber für solche Sonderbarkeiten; und daher begreife ich, daß sich ihre Liebe auf den aufgerichteten Penis jenes häßlichen Mannes richtet. Aber es ist trotzdem grillenhaft, sich mit einem solchen Schreckensbild zu verheiraten!« Von Tsununo-fukure, das geschwollene Horn, dem altertümlichen Wort für Penis, haben wir oben schon gesprochen.


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