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Jorō. Das Freudenmädchen

Eine Jorō ist ein Freudenmädchen, die in einem staatlich beaufsichtigten Haus sich aufhält (Jo-rō bedeutet Freudenhaus-Weib, Weib ohne böse Nebenbedeutung genommen, also lediglich: weibliches Wesen), im Gegensatz zu den niederen Arten, den Yotakas, den Straßendirnen, oder den in einem Haus mit irgend einem Aushängeschild, das den eigentlichen Zweck nicht verrät, im Nebenberuf beschäftigten Mädchen, die sich der staatlichen Aufsicht entziehen, den heimlichen Dirnen.

siehe Bildunterschrift

Kayou-Kami der Miura Takao

Die Jorōs verfügen über eine gewisse Bildung, sie können schreiben und stammen zum Teil aus guten Familien, für die sie oft geldlicher Vorteile wegen in der »bitteren Welt« leben. Sie kehren meistens nach Beendigung ihres Vertrages in das bürgerliche Leben zurück und wenn sie heiraten, macht ihnen niemand aus ihrer Vergangenheit einen Vorwurf. Manche von ihnen sind berühmt geworden und gewissermaßen »geschichtliche Persönlichkeiten«. Wir geben im Bild das Briefsiegel der Miura Takao wieder, die im fünften Shōtoku-Jahr (1715 u. Z.) starb. Es muß auffallen, daß man die Erinnerung an solche Kleinigkeiten aufbewahrt hat. Aber diesen Siegeln, die während der Yedo-Periode (also bis 1867 u. Z.) bei den Jorōs üblich waren, haftete etwas Abergläubisches an, denn ein gesiegeltes Liebesbriefchen stand gewissermaßen unter einem Schutz, der der Miura Takao. die sichere Ankunft im Hause des Besuchers einer Jorō gewährleistete. Diese Siegel nannte man aus einem nicht mehr feststellbaren Grunde Kayou-Kami, Familiengott. Ein Senryū sagt:

»Yamanokami
         Kayoukami oba konamijin.«

»Sein Weib zeterte heftig gegen das Liebesbriefchen des Freudenmädchens.« Wörtlich übersetzt würde das Senryū lauten: »Die Berggöttin schrie, daß sie den Familiengott in tausend Stücke zerbrechen würde.« Von Yamanokami haben wir im Abschnitt »Götter und Geister« gesprochen und darauf hingewiesen, daß aus der »Yama-no-Kami«, der Berggöttin, in der Umgangssprache eine »Xantippe«, ein derbes Weibsbild usw. geworden ist. Wir könnten also auf gut Deutsch sagen: »Sein Hausdrachen schimpfte laut über das Liebesbriefchen der Jorō.« Denn das ist eben das Auffallende, was das Senryū darstellen wollte: daß sich eine Frau in die geschlechtlichen Verhältnisse ihres Mannes mischt, wozu sie bis vor kurzem gar kein Recht hatte. Daß es heute aber anders wird, werden wir noch sehen.

Ein heute veralteter Name der Jorōs war »Asobime«; Asobi ist Spiel, Vergnügen, und me ist Frau. Der Name wurde ihnen deshalb gegeben, weil sie im allgemeinen die musikalischen Instrumente spielen (das Samisen und das Koto), auch singen und tanzen konnten. Ursprünglich soll das Wort eine Schauspielerin bedeuten, da aber Asobi auch die Bedeutung hatte: seine Zeit mit Nichtstun hinbringen, die Zeit totschlagen, Ausschweifung, ein Freudenhaus besuchen, hat man schließlich unter Asobime die Jorōs verstanden. –

Die Reinlichkeit in den staatlich beaufsichtigten Freudenhäusern ist genau so peinlich, wie bei allen Japanern. Es sind besondere Orte vorhanden, an denen die Freudenmädchen ihre Geschlechtsteile waschen können; sie nennen sie in ihrer Fachsprache »Shimoyu-Ba«, der Untenwasser-Ort. In dem Buch »Yoshiwara Sodekagami« (Ein Taschenführer durch das Yoshiwara Wörtlich: Ein Ärmelspiegel durch das Yoshiwara. In den weiten Ärmeln der alten japanischen Tracht sind Taschen angebracht, in denen allerlei Kleinigkeiten untergebracht werden können; unser Taschenspiegel ist also in Japan ein Ärmelspiegel und ein Taschenbuch ist ein Ärmelbuch. steht folgendes zu lesen:

»Kirei narumono Jorō no Chatsubo.«

»Der Geschlechtsteil der Freudenmädchen ist rein und nett.« Chatsubo ist eigentlich eine Teebüchse, im übertragenen Sinn der Cunnus. Wir haben wiederholt gesehen, daß der Tee, der im Leben der Japaner eine so große Rolle spielt, nebst vielem, was mit der Verwendung des Tees in Verbindung steht, im Geschlechtsleben als umschreibende Bezeichnungen Verwendung findet (z. B. Chasen, Cha-usu, usw.).

Wir bringen im folgenden ein lustiges Geschichtchen (d.h. nach japanischer Auffassung lustig):

»Ein Kindermädchen geriet unachtsam in die Nähe der Freudenhäuser. Da kam eine Jorō herbei, die Kinder sehr gern hatte, und sagte zu ihr: ›Höre, Mädchen, laß mich dem Kleinen einen Kuß geben!‹ Sie nahm das Kind auf ihren Arm und frug das Mädchen: ›Oh, was für ein niedliches Kind! Ist es das Kind einer Jorō?‹ Da sagte das Kindermädchen: ›Nein! Es ist das Kind einer Jimono!‹«

»Jimono« bedeutet eine Einheimische; in der Volkssprache bezeichnet man damit eine rechtschaffene Frau. Für den städtischen Japaner liegt der Witz des Geschichtchens darin, daß dieses Mädchen vom Lande die Jorō für eine nicht rechtschaffene Frau hält. Vielleicht spielt auch die Vorstellung hinein, daß eine Jorō eigentlich keine Kinder hat, nach dem alten Sprichwort: »Impu ni umazume ooshi,« Leichtlebige Frauen haben keine Kinder, wörtlich: sind gewöhnlich unfruchtbar.

Viele Männer richten sich bei den Jorōs zu grunde oder haben kostspielige Abenteuer mit ihnen. Daher sagt ein Sprichwort von Honnō-machi (Stadt Honnō), Chōseigun (Landkreis Chōsei) in der Provinz Chiba:

»Jorō kau nara Momo wo kae.«

»Es ist besser, man bekommt einen Pfirsich (geschenkt), als man muß sich eine Jorō kaufen!« »Momo«, der Pfirsich, ist wegen seiner Ähnlichkeit mit dem weiblichen Geschlechtsteil ein volkstümliches Wort für die Vulva geworden, und nicht nur bei den Japanern, sondern auch bei den Deutschen, den Franzosen, den Italienern usw. Das Sprichwort will also zum Ausdruck bringen: »Es ist besser, man hat bei einer Frau den Geschlechtsverkehr umsonst, als man muß ihn bei einem Freudenmädchen teuer bezahlen.« Neben der Bedeutung von Vulva vergleicht man das Momo, den Pfirsich, auch mit den Oberschenkeln einer Frau, wie in der folgenden sprichwörtlichen Redensart:

»Momo nya Kemoaru Sanemoaru.«

»Ein Pfirsich ist behaart und hat einen Kern.« Sane ist der Kern einer Frucht, aber in der Sprache des niederen Volkes ist es die Bezeichnung der Klitoris, des Kitzlers, wie wir im Abschnitt über die Tänze gesehen haben; Ke, das Haar, wird in vielen Zusammensetzungen besonders für die Schamhaare verwendet. Damit ist der Nebensinn der Redensart deutlich geworden: »Zwischen den Oberschenkeln (der Frau) befinden sich die Schamhaare und die Klitoris.«

In dem oben angeführten Abschnitt über die Tänze hatte ich gesagt, daß man im Deutschen auch die Pflaume als Vergleich für den Cunnus heranzieht. Dafür kann ich jetzt auch im Japanischen einen Beleg beibringen, und zwar für die Dattelpflaume oder Kakipflaume (Diospyros, engl.-indisch Persimmon). Ein Hokku (ein Vers mit siebzehn Silben) der Dichterin Chiyo aus Kaga lautet:

»Shibu karo ka shiranedo
         Kaki no hatsu chigiri.«

»Ich pflücke eine frische Pflaume auf jeden Fall, ob sie herb schmeckt oder nicht.« Der Sinn dieses Verschens ist im Deutschen schwer nach der gedrängten japanischen Fassung wiederzugeben. »Chigiri« ist: Ehebund, Freundschaftsbund; in der erweiterten Bedeutung »eine Liebschaft haben« und schließlich »in enge Beziehungen zu einer Frau treten«, also geschlechtlichen Verkehr mit ihr haben. Nach Satow liegt in dem Verschen ein Hinweis darauf, daß die (eheliche) Verbindung angeknüpft wird, ohne Rücksicht auf die Leidenschaftlichkeit des Mannes, mit andern Worten: »Wenn die Mädchen einen Mann haben wollen, wissen sie nie, ob sie geschlechtlich befriedigt werden oder nicht.«

Im Japanischen werden die beiden Schriftzeichen, die »Pfirsich« und »Schenkel« bezeichnen, in gleicher Weise »Momo« ausgesprochen. Darauf beruht der Scherz der japanischen Redensart, die es dem Hörer überläßt, ob er sie wörtlich nehmen oder den Hintersinn heraushören will. In ähnlicher Weise ist das Bild eines Netsuke Die Netsukes sind verzierte Knöpfe, meistens Holz- oder Elfenbeinschnitzereien, die dazu dienen, allerlei Gegenstände, in erster Linie den Tabakbeutel, am Gürtel zu befestigen. Die Darstellungen sind manchmal sehr scherzhafter Art – nach japanischer Auffassung. aufzufassen, das ein Momo zeigt, als dessen »Kern« ein kleines Kind darin sitzt. Das könnte der kleine Däumling des japanischen Märchens sein, der Momotaro, der Pfirsichsohn. Aber auch diese sinnbildliche Deutung ist schon eher eine Verdeutlichung dessen, was das Netsuke darstellt. Der Künstler hat jedenfalls zunächst einen Pfirsich dem Beschauer dargeboten und er überläßt es diesem, sich sein kleines Kunstwerk auszulegen, wie er will. Die Kinder werden den Pfirsichsohn darin sehen und die Erwachsenen das Momo. Wenn man das Bild umdreht, ist der Scherz noch leichter erkennbar. –

siehe Bildunterschrift

Momo.

Es ist kaum bekannt, daß die japanischen Freudenmädchen eine teilweise Enthaarung der Schamteile vornehmen, aber nur so, daß man es an dem »haarigen Pfirsich« nicht bemerkt. Es handelt sich um den eigentümlichen Brauch, die Haare auszuziehen, die an der Comissura labiorum posterior, dem unteren Ende der Schamspalte, stehen. Es soll dadurch vermieden werden, daß diese Gegend bei einer etwas rauhen Behandlung seitens des Mannes Schaden leidet. Diese Maßnahme bezeichnet man gewöhnlich als »Kenuki«, ein in Anbetracht der gegebenen Beschreibung unübersetzbares Wort, da weder Enthaarung noch das wissenschaftliche Fachwort Depilation oder auch Epilation den Sinn von Kenuki wiedergeben. Heute führt man das Kenuki mit einem metallenen Federzängelchen aus, während man in der Yedo-Periode (also bis etwa 1867 u. Z.) die leeren Schalen einer Muschel dazu verwendete. Ein Senryū sagt darüber:

»Ke wo pakuri pakuri to
         Jorō himmushiri.«

»Ein Freudenmädchen zieht sich die Haare mit einem Knacks aus.« Pakuri pakuri ist die Bewegung, mit der die beiden Schalen der beim Ausziehen benutzten Muschel aneinandergebracht werden; das soll mit dem Wort Knacks gesagt werden.

Wahrend der Meiji-Ära (1868–1911 u. Z.) wurde das Schamhaar dieser Frauen entweder mit der Schere abgeschnitten oder mit einem Rasiermesser entfernt. Wenn aber die Haare etwa 3 bis 6 mm lang geworden waren und sich an der Haut der Schenkel unangenehm bemerkbar machten, wurden sie mit einem Räucherstäbchen abgebrannt oder ausgerissen. Vorher rieb man die Haut an dieser Stelle mit Holzkohlenasche ein, weil dann die Vornahme der nicht sehr angenehmen Enthaarung weniger oder keine Schmerzen bereitet. Anstatt der Holzkohlenasche nahm man auch zuweilen Salz; das nannte man »Akagai no shiomigaki«, die Muschel mit Salz einreiben, verstand aber darunter die Vornahme der Enthaarung. Über Akagai, die Muschel, eigentlich eine bestimmte Muschel, die Arca inflata, als volkstümliches Wort für den Cunnus, haben wir im Abschnitt »Shijū-Hatte« ausführlich gesprochen.

 

Mit der Reinlichkeit hat das Kenugi nichts zu tun, obwohl sonst die Enthaarung des Schamberges vielfach zu diesem Zweck vorgenommen werden soll. Das Waschen mit Wasser ist die Hauptsache, wenn auch, wie wir im Abschnitt über das Papier gesehen haben, Papierpfropfen teils aus Gründen der Sauberkeit, teils in der Absicht gebraucht werden, sich gegen ansteckende Krankheiten zu schützen. Daß das zwecklos ist, leuchtet denjenigen, die über die Art der Übertragung solcher Krankheiten unterrichtet sind, ohne weiteres ein. Früher kümmerte man sich zunächst nicht darum, bis die äußeren Erscheinungen das Verbleiben im Hause unmöglich machten, wenn eine Heilung nicht gelang. Dann sank die Jorō zum Straßenmädchen, zur Yotaka, herab, deren abschreckende Schilderung uns zeigt, daß bei ihnen solche Krankheiten in großem Ausmaß vorhanden waren.

siehe Bildunterschrift

Fune.

Heute geht die Jorō in ein Hospital, sie wird vorübergehend eine Dokku-Iri, eine, die ins Dock gegangen ist. Dokku ist das japanisch zurechtgemachte englische Wort dock, das wir in seiner ursprünglichen Schreibweise übernommen haben und das auch in seiner eigentlichen Bedeutung durch kein deutsches Wort zu ersetzen ist. Dokku-Iri ist abgeleitet von Dokku ni ireru, docken. Sie ist ins Dock gegangen, um das Schiff wieder instand setzen zu lassen. Denn das Schiff oder Boot, »Fune«, oder das Kriegsschiff, »Gunkan«, sind in der Umgangssprache Bezeichnungen der Vulva; in Japan wie auch sonst in vielen Ländern ist die Verwendung von Namen für Schiff, Boot und ähnlichem für den weiblichen Geschlechtsteil sehr verbreitet.

 

Satow ist der Ansicht, daß Fune der Redensart »an Bord gehen« oder »an Bord nehmen« (Fune ni noru) entnommen ist. Aber es liegt doch näher, an den Vergleich der Vulva mit der äußeren Form eines Schiffes oder Bootes zu denken. Daß dies wirklich der Fall war, beweist Satow selbst mit dem von ihm beigebrachten Bild, das in sinnbildlicher Darstellung die Vulva als Schiffchen oder Boot und den Penis als wohlhabenden Mann zeigt, der in diesem Boot spazieren fährt, man könnte sagen: in seiner Lustyacht spazieren fährt. Den Sinn des Bildes bringt auch hier das in Gestalt zweier Fahnen wiedergegebene Toilettenpapier deutlich zum Ausdruck, denn ohne dieses Papier ist, wie wir wiederholt betont haben, die Vornahme geschlechtlicher Handlungen nicht üblich. Wir haben also die sinnbildliche Darstellung eines Koitus vor uns: Der Lustfahrer im Boot. Das Bild stammt aus einem sogenannten abgekürzten Kalender, also aus einem öffentlich verkauften Buche. Das Original ist ein in sieben Farben ausgeführter Holzschnitt.

In einem Volksliedchen aus West-Mino im mittleren Japan heißt es:

»Osayo no Bobo ni
         Hiru ga sambiki tottsuita,
Yabureta Fune ni kasugai ja.«

»Drei Blutegel haften fest an der Vulva der Osayo; sie sehen aus wie die Eisenklammern, die einen Riß an einem Schiff zusammenhalten.« Osayo ist der Name eines Mädchens; Bobo ist die Vulva, über dieses Wort und seine Ableitungen haben wir im Abschnitt »Götter und Geister« ausführlich gesprochen. Leider geht aus den Unterlagen nicht hervor, aus welchem Grunde die Blutegel angelegt worden sind; wir dürfen aber wohl annehmen, daß es zur Behebung irgendeiner Krankheit der Vulva geschehen ist, so daß wir ein volkstümliches Mittel vor uns hätten. Auch der Vergleich mit der Beschädigung des Schiffes weist auf eine Erkrankung hin.

Über »Gunkan«, das Kriegsschiff, ist nichts weiter zu sagen, als daß auch hier die Vorstellung der äußeren Form den Vergleichspunkt abgegeben hat. Ob es sich vielleicht um ein Gassenwort für eine besonders stark hervortretende, kräftige Vulva handelt, der man die Bezeichnung »Kriegsschiff« wegen ihrer Größe gegeben haben könnte, oder ob darin irgendwie ein Hinweis auf den Koitus als Kampf liegt, geht aus den Unterlagen nicht hervor.

Zu den gefürchtetsten Krankheiten der Freudenmädchen gehört auch die in Japan sehr verbreitete Syphilis, die um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts u. Z., wahrscheinlich von den Portugiesen, eingeschleppt wurde. Die japanischen Ärzte waren über das Wesen dieser Krankheit auf Grund chinesischer Werke sehr gut unterrichtet und besaßen auch Heilmittel, ausschließlich pflanzliche, wie es scheint, die zum Teil auch aus China stammten. Aber ausgestorben ist deswegen die Syphilis in Japan ebensowenig wie anderswo, da sie wohl schon durch die Seeleute der fremden Handelsschiffe immer wieder neu eingeschleppt wurde. Über staatliche Maßnahmen in älterer Zeit ist nichts bekannt. Im September des 4. Meiji-Jahres (1871 u. Z.) wurde zum erstenmal die Untersuchung auf Syphilis bei den staatlich beaufsichtigten Freudenmädchen zu Senju, einem Postort im Kosugeken (im Regierungsbezirk Kosuge), heute Senju-Tōkyō, durchgeführt. Im nächsten Jahr (1872) erschien eine Verordnung, durch die die Untersuchung auch auf die Geishas (die Singmädchen) und die staatlich beaufsichtigten Freudenmädchen an allen anderen Orten ausgedehnt wurde. Jedoch erhoben die Freudenmädchen von Ōsaka Einspruch gegen diese Verfügung und viele wendeten sehr nachdrücklich ein, daß sie ihr »Geschäft« aufgeben würden, wenn man die Untersuchung mit Gewalt durchführen wolle. Die Wirte der Freudenhäuser sprachen daraufhin in einer Eingabe die Bitte aus, daß man die Untersuchung auf die unter unmittelbarer staatlicher Aufsicht stehenden Vergnügungsviertel beschränken möge. Die Ursache dieses Einspruches kann in dem Schamgefühl der »besseren« Freudenmädchen gelegen haben, aber es ist sehr wohl möglich, daß abergläubische Vorstellungen dabei eine große Rolle spielten. Irgend jemand hatte unter den unwissenden Insassen der Freudenhäuser das Gerücht verbreitet, die Untersuchung habe lediglich den Zweck, in dem Cunnus nach der »Perle« zu suchen und wenn diese »Perle« herausgenommen würde, sei ein Mädchen nicht mehr fähig, noch länger am Leben zu bleiben! Wir haben es hier durchaus nicht mit einer neuen Erfindung zu tun, denn die abergläubige Vorstellung von Perlen in dem Cunnus war schon in der Gedankenwelt des alten Japan vorhanden. In den erotischen Büchern aus der Yedo-Periode (bis 1867 u. Z.) findet sich häufig die Angabe, daß in dem Cunnus drei Perlen vorhanden sind, die sich während des Koitus bewegen. Ob dahinter irgendwelche sinnbildlichen Anspielungen stecken, vermag ich nicht zu sagen; jedenfalls haben die Freudenmädchen den alten Glauben ganz wörtlich genommen.

Das Bild stellt eine Dokku-Iri, ein ins Dock gegangenes Freudenmädchen, dar, das vom Arzt, der wie ein böser Geist mit dem Kopf eines Insekts aussieht, untersucht werden soll. Das Mädchen liegt auf einer Art Tisch, sucht mit dem Ärmel ihr Gesicht schamhaft zu verdecken und streckt eine Hand abwehrend gegen den Arzt aus, der mit einem Finger auf die für eine Untersuchung in Betracht kommende Stelle deutet. Die Kranke ist durch ihren Haarschmuck als ein Freudenmädchen gekennzeichnet. Das Bild stammt aus dem ersten Band des Buches »Karyu Jijo« (? »Kariū Jijō« würde bedeuten: Angelegenheiten der unteren Volksschichten); es ist verfaßt von Suita Doshi und erschien am 26. Dezember des 13. Meiji-Jahres (1880 u. Z.). –

Wie bei jeder Frau, scheint der Japaner auch bei Freudenmädchen Gefühlsäußerungen während des Koitus besonders zu schätzen, wie aus dem folgenden Senryū hervorgeht:

»Bunya no yasu Hime naku node
         Yoku ureru.«

»Ein billiges Freudenmädchen der Bunya-Art wird sehr gut verkauft, weil sie im Schlafzimmer laut seufzt.« Die Bezeichnung »Hime« für ein Freudenmädchen, eigentlich: die Prinzessin, ist uns schon wiederholt begegnet. Unter »Bunya«, die Bunya-Art, der Bunya-Stil, versteht man im allgemeinen eine Frau, die während des Koitus ihre Befriedigung in lauten Äußerungen kundgibt. Das Wort geht zurück auf einen Sänger, namens Okamoto Bunya, dessen »Operngesang« auf der Bühne von Itō Dewajō zu Ōsaka in die Jahre der Kyōho-Periode fällt (1716–1735 u. Z.). Dieser Okamoto Bunya ist durch seinen Tonfall beim Singen, der dem weinerlichen Stöhnen einer Frau beim Geschlechtsverkehr ähnlich war, damals so aufgefallen, daß man von einem »Bunya-bushi«, dem Bunya-Gesang, sprach. Der Ausdruck hat sich erhalten und das Buch »Haikai Tsūgen« (Eine Sammlung von Regeln zum Gebrauch bei den Haikais, den Versen, die aus siebzehn Silben bestehen), zusammengestellt von Namiki Gohei und erschienen im November des sechsten Kayei-Jahres (1853 u. Z.) gibt in dem Abschnitt »Redewendungen« folgende Erklärung:

»Bunya. Neya nite naku Jorō no koto nari.«

siehe Bildunterschrift

Dokku-Iri.

»Bunya. Das ist ein Freudenmädchen, die im Schlafzimmer laut seufzt.« Das Wort, das hier für »laut seufzen« gebraucht ist, »naku«, bedeutet sowohl singen als auch bellen und schließlich weinen. Aber bekanntlich kann man auch vor Freude weinen und im Stil »Bunya« wird mehr Nachdruck auf die lauten Äußerungen in weinerlichem Ton gelegt, als auf die Tränen.

Daß solche Empfindungen, wenn sie laut geäußert werden, einen großen Reiz auf den Mann ausüben, ist selbstverständlich, und ein Freudenmädchen, das »wie ein Stück Holz« daliegt, wird sich nie beliebt machen. Das kommt in einem Senryū, das wie die obige Stelle auch das Zeitwort »naku« verwendet, deutlich zum Ausdruck:

»Nake kikō kiki ni kita zoto hayaru nari.«

»Nun schreie los! Ich bin hergekommen, um es zu hören!« So erfreut sich ihr Geschäft »allgemeiner Beliebtheit«! Daß auch bei diesem »Weinen« während des Geschlechtsverkehrs Enttäuschungen vorkommen, darf man ohne weiteres annehmen, und ein solcher Enttäuschter macht in einem Senryū seinem Herzen durch einen Stoßseufzer Luft:

»Okyāgare najin de mire ba Nakijōgo.«

»Was bin ich doch für ein dummer Mensch! Okyāgare ist eigentlich ein Stehaufmännchen; unter »Okiagari-koboshi« versteht man eine Puppe, die sich von selbst aufrichtet, wenn man sie umstößt. Als ich besser mit ihr bekannt war, fand ich heraus, daß sie gewöhnlich weint, wenn sie betrunken ist!« Von einer solchen Enttäuschung, die allerdings ganz anderer Art war, berichtet die folgende lustige Geschichte, die »Yogarinaki« überschrieben ist. Es handelt sich darin zwar nicht um ein Freudenmädchen, sondern um eine Ehefrau, aber wir bringen sie hier, weil sie zeigt, wie beliebt solche Frauen, die »Naku« machen, bei den Männern sind.

»Es ging das Gerücht, daß das Yogarinaku der Frau eines Hausbootsbesitzers zu Yanagibashi so laut war, daß man es außerhalb des Hauses hören konnte. Einer der Gäste hatte den Wunsch nach Geschlechtsverkehr mit dieser Frau und er sagte deshalb zu ihrem Mann: ›Willst du mir nicht mit gegenseitigem Einverständnis deine Frau für eine Nacht leihen? Ich werde dir dafür auch ein neues Boot bauen lassen!« Der Ehemann überlegte sich, daß es wohl besser sei, die Frau leihweise herzugeben, da das Boot sich in keinem guten Zustand mehr befand. So ging er denn an jenem Abend fort, um dem Gott Fudō (sanskrit: Achala) zu Narita in der Provinz Chiba seine Verehrung zu bezeugen, und der Gast übernachtete im Bootshaus. Er hatte auch wiederholt Geschlechtsverkehr mit der Frau, aber in dieser Nacht schrie sie nicht, wie er erwartet hatte. Er stellte nachher die Möglichkeit überhaupt in Abrede, erfuhr jedoch schließlich, daß die Schreie beim Koitus mit dieser Frau aus dem Munde ihres Mannes kamen.«

Das als Überschrift der Geschichte gebrauchte Wort »Yogarinaku« ist zusammengesetzt aus »Yogari«, Befriedigung, Wohlbehagen, und »Naku«. Yogari bedeutet in der Volkssprache an sich schon die nicht in Worte gefaßten Laute und Schreie, die von Frauen beim Koitus ausgestoßen werden, wie auch das Zeitwort »Yogaru«, sich behaglich fühlen, diese Nebenbedeutung hat. Daß nicht immer nur Laute ohne wörtliche Bedeutung beim Koitus ausgestoßen werden, zeigt das nachstehende Senryū; es erteilt der betreffenden Frau dafür aber auch eine Rüge:

»Gyōsan na Yogari
         Hitogoroshi hitogoroshi!«

»Es ist doch eine starke Übertreibung, wenn eine Frau aus Befriedigung: ›Oh, Mörder! Oh, Mörder!‹ ruft.«

Ein anderes Senryū stellt einfach die Tatsache der Befriedigung so fest:

»Omatsuri ni naku wa
         Kigen no yoi no nari.«

»Eine Frau, die beim Koitus laut seufzt, bringt dadurch zum Ausdruck, daß sie sich wohl fühlt.« Über »Omatsuri«, das Fest, die Festlichkeit, als Gassenwort für den Koitus haben wir an anderer Stelle ausführlich gesprochen.

Die Freudenmädchen von Nagasaki bezeichnen eine Kollegin, die beim Koitus schreit, als eine »Chishinkebu«; eine Erklärung war für dieses Wort nicht zu erhalten.

 

Eine geschichtliche Erinnerung sei der Merkwürdigkeit halber hier mitgeteilt. Sowohl die Jorōs als auch die Geishas hatten von alters her ein Gewohnheitsrecht, wie man es bei solchen besonderen »Körperschaften« sehr häufig findet. Satow nennt es das Lynchrecht oder Lynchgesetz, im Gegensatz zu dem öffentlichen Recht. In dem von Miyatake Gaikotsu verfaßten Buch »Shikei Ruisan« (Ein Buch über das Gewohnheitsrecht) steht folgendes:

»Während der Temmei-Periode (1781–1788 u. Z.) hatten die Freudenmädchen der Maruyama-Häuser regelmäßig auch Beschäftigung in den holländischen Bordellen in Dejima, Nagasaki. Wenn sie erwischt wurden, zog man sie nackt aus und strich sie mit schwarzer Farbe an, wie es durch das Gewohnheitsrecht bei einer Ehebrecherin der Fall war.«

Diese japanischen Freudenmädchen, die mit Ausländern Geschlechtsverkehr hatten, wurden demnach wie Ehebrecherinnen behandelt, deren Strafe nach dem Volksrecht im Anstreichen mit schwarzer Farbe bestand. Diese Lynchjustiz hat offenbar den Verkehr der Freudenmädchen des Maruyama in holländischen Bordellen unterbunden. Es handelt sich hier sicher um das Treiben geldgieriger japanischer Wirte von Freudenhäusern, wenn die Jorōs außerhalb des Yūkaku von Nagasaki beschäftigt wurden. Heute wäre das ganz unmöglich, schon weil sie zu den »besseren« Freudenmädchen zählen. Das geht aus dem bereits angeführten Senryū hervor:

»Tanyū wa iya yo to
         Maruyama no Jorō.«

»›Ich mag das Befingern gar nicht haben!‹ sagt das Freudenmädchen von Maruyama.« Das bedeutet: »Dafür bin ich nicht da! Das kannst du anderswo machen!« Sie lehnt sich auch damit gegen den allgemeinen japanischen Brauch auf, den das nachstehende Senryū schildert:

»Ningyo no shosa wa
         Omatsuri mae no koto.«

»Das Befingern wird jedesmal ausgeführt, ehe man mit dem Geschlechtsverkehr beginnt.« –

Schließlich seien aus der Fachsprache der Jorōs noch einige Ausdrücke wiedergegeben:

»Kurōto«, der Fachmann, der Sachverständige, bedeutet im Yūkako die Fachfrau, die Sachverständige, d. h. eine Jorō, die in ihrem Beruf geschickt ist, die ihr Handwerk versteht. Der Gegensatz dazu ist »Shirōto«, die Anfängerin.

Wenn die Jorō ihren Beruf aufgibt, dann wird sie in der amtlich geführten Liste des Ortes gestrichen. Im Yūkaku nennt man diesen Vorgang »Rakuseki«. Seki ist die Eintragung in das amtliche Register und Raku bedeutet Behaglichkeit, Muße, Ruhe. Eine Jorō läßt sich also nicht »ausstreichen«, sondern als »zur Ruhe gehend« eintragen. Sie geht gewissermaßen in den Ruhestand, da sie doch als Freudenmädchen im Yūkaku unter staatlicher Aufsicht ihren »Dienst« getan hat.

Auf den »Dienst« bezieht sich auch das Wort »Kuragae«, Abkürzung von »Kuragae-suru«, den Dienst oder die Stellung wechseln, das nur von den Freudenmädchen und den Geishas gebraucht wird.

Die Entjungferung eines Mädchens im Freudenhaus nennt man »Mizuage«, das Ausladen des Schiffes, oder fachmännisch ausgedrückt, das Löschen der Ladung. Dementsprechend ist »Mizuage-wo-suru« die Ladung des Schiffes löschen, d. h. der jungfräulichen Unschuld berauben. Fujisawa bezieht den Ausdruck auf eine Geisha.

Für die berufliche Tätigkeit des Freudenmädchens kommt auch einmal das Ende, sie wird zum Agari-Namazu, zum toten Wels.


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