Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

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Beilagen

Geheimer Rath Loebell in Bonn an den Verfasser.

Den Brief, verehrter Herr und Freund, in welchem Sie mich um einen kleinen Beitrag zu Ihrem Buche über Tieck angehen, habe ich mit wahrer Freude gelesen. Schon nach frühern Andeutungen, die mir Andere gaben, habe ich von diesem Buche schöne Hoffnungen gefaßt, sie haben sich mir jetzt bestimmter gestaltet. Es gehört Muth dazu, in dem Sinne, wie Sie es vorhaben, über unsern verewigten Freund zu reden. Ich weiß nicht, ob es in der gesammten Literatur ein zweites Beispiel gibt von einer die lautwerdende Kritik so beherrschenden Gehässigkeit gegen einen solchen Autor. Man findet ein wahres Behagen daran. So hat man z. B. für Tieck's kritische Meinungen das niederdeutsche, sonst in der Schriftsprache kaum vorkommende Wort »Schrullen« aufgestöbert. Schrull erklärt das bremisch-niedersächsische Wörterbuch durch »Anfall von Unsinn, toller Einfall, böse, närrische Laune«. – Tieck selbst hat diese Mishandlungen stärker empfunden, als er es sich merken zu lassen pflegte; doch berührte ihn das Bittere und Feindselige der Angriffe selbst weit weniger, als der Mangel an Anerkennung seiner Poesie, wie er sie mit so großem Rechte erwarten zu dürfen glaubte, und diesen Mangel leitete er, wie leise Andeutungen 260 zuweilen zeigten, theilweise von den feindlichen Urtheilen ab. Wer die Elemente der Tieck'schen Poesie recht kennt, wird längst überzeugt gewesen sein, daß in die begeisterte Stimmung, die ihm den »Tod des Dichters« eingab, Tropfen geflossen sind von dem wehmüthigen Gefühle seines eigenen Schicksals seiner Nation gegenüber. Und in der That liegt in dieser Verkennung etwas recht eigentlich Tragisches, wie denn die Geschichte ihre Trauerspiele auf allen Gebieten des Lebens und nach allen Richtungen hin ausführt.

Man kann sagen, daß diese unermüdlichen, immer wieder von neuem gemachten Angriffe und eingelegten Lanzen auf einen ziemlich starken Unglauben an die Vollständigkeit des errungenen Sieges schließen lassen. Ich gebe das zu; aber wie viele Leser achten auf den Zusammenhang der kritischen Bestrebungen genugsam, um einen solchen Schluß zu machen? Es gibt für den Schutz unbefangener Gemüther gegen den Einfluß des lauten Siegesjubels der Angreifenden kein besseres Mittel, als ihre Aufmerksamkeit fürs erste von der Poesie des Mannes auf den Mann selbst zu lenken. Und hier erwarte ich von Ihrem Buche viel, da es aus unmittelbaren Lebensanschauungen geschöpft sein wird, in einer Zeit, wo Wissenschaft und Kunst auf der einen und das Leben auf der andern immer mehr auseinandergehen, die Durchdringung des Lebens der Einzelnen von ihrer Wissenschaft oder Kunst immer weniger zur Erscheinung kommt. Es wird zwar in unsern Tagen viel Rühmens gemacht von einer Annäherung der Wissenschaft und des Lebens; aber dies bezieht sich auf sehr materielle Gebiete, die mit dem, von welchem ich hier rede, nichts gemein haben.

Gern gäbe ich Ihnen ein Bild von Tieck's Leben und Wesen während seines Aufenthalts in Dresden in der Art, wie Sie es von den letzten berliner Jahren gezeichnet haben werden; dazu reichen aber meine Beobachtungen nicht aus. Ich war in jenen beiden Jahrzehnden allerdings oft in Dresden, und habe zuweilen mehrere Wochen in Tieck's Hause zugebracht, wo er es denn sehr ungern sah, wenn man nicht den allergrößten Theil des Tages in seiner Nähe verweilte, ein Verlangen, dem zu willfahren wahrlich nicht schwer ward. Wie häufig und reich aber die Gespräche, welche die Zeit des Beisammenseins ausfüllten, bald unter vier Augen, bald in Gegenwart und mit der Theilnahme Anderer, auch waren, 261 so erinnere ich mich doch nur gelegentlicher und ganz fragmentarischer Aeußerungen über seine eigene Entwickelungsgeschichte, wenn man auch jeden Anlaß ergriff, sie herbeizuführen. So sehr liebte er es damals, seine Person in den Hintergrund zu stellen, und den Inhalt des Gesprächs ganz objectiv zu halten. Mein Aufenthalt in Dresden hätte ein durch Jahre dauernder sein müssen, wenn die persönliche Berührung mit diesem seltenen Geiste mir von der Entwickelungsstufe, auf welcher er sich damals befand, und von seiner eigenen Betrachtung derselben ein so vollständiges Bild hätte gewähren sollen, daß ich mir getraute, es mit Sicherheit nachzuzeichnen.

Die Gespräche bezogen sich nicht nur auf Poesie, die ganze belletristische Literatur und bildende Kunst, sondern auch auf Geschichte, Religion und Philosophie, und waren – wie ich Ihnen kaum zu sagen brauche – überreich an Belehrung und Anregung. Wie oft habe ich bedauert, daß ich diesen Reichthum von tiefen und eigenthümlichen Ansichten über so viele Zweige der menschlichen Geistesthätigkeit nur meinem Gedächtnisse anvertraute, nicht vieles davon gleich niederschrieb! Und noch ungleich mehr ist es zu beklagen, daß sich nicht ein in Dresden lebender junger Mann fand, der täglich niedergeschrieben hätte. Sie, verehrter Freund, werden in Ihrer Weise manches nachgeholt haben. Wenn ich aber die Gespräche, wie sie Tieck in den letzten Jahren seines Lebens führte, mit jenen dresdener vergleiche, so wird es doch nicht viel mehr sein als eine Nachlese, eine ohne Zweifel höchst dankenswerthe, aber eine, zu der leider die eigentliche Ernte fehlt. – Doch ist dies Urtheil vielleicht ein übereiltes, da ich Tieck in Berlin im Ganzen nur selten gesehen habe.

Denke ich aber an Dresden, und daß dort Jemand für Tieck ein Eckermann hätte werden wollen, so muß ich sagen, daß dieser eine viel schwierigere Aufgabe zu lösen gehabt haben würde, als der Goethe'sche Eckermann. Seine eigene Person würde ganz anders ins Spiel gezogen worden sein. Tieck beherrschte das Gespräch nicht, noch strebte er es zu beherrschen. Er besaß eine bewundernswerthe Gabe, Andere zu selbstthätiger Theilnahme zu bringen, und es war ihm Bedürfniß, sie zu üben. Er gab dem Mitredenden den reichsten Anlaß, seine Gedanken zu entfalten und das Unreife 262 zur Reife zu bringen. Er ging auf alles Vorgebrachte mit der größten Aufmerksamkeit ein. Nie habe ich Jemand gekannt, der die Gabe des Hörens besessen hätte wie er. Es gibt Naturen, die man entschieden monologische nennen kann, Leute die sehr gut sprechen und vortreffliche Sachen sagen, aber für alle Welt auf dieselbe Weise, denen jede Unterbrechung, jede Nöthigung ihren zusammenhängenden Vortrag zu individualisiren, nur lästig ist, die daher auch den Geist und die Urtheilskraft der Menschen, an die sie ihre Reden viele Jahre gerichtet haben, oft nur sehr unvollständig, oder auch gar nicht kennen lernen. Eine solche ganz monologische Natur besaß ein Mann, an den man bei Tieck immer leicht denkt, wegen alter vertrauter Verbindung und mannichfacher Uebereinstimmung in den kritischen Meinungen und Bestrebungen, während ihre Sinnesart und Methode grundverschieden waren – Wilhelm Schlegel. Tieck war eine durchaus dialogische Natur, und hätte gern in Jedem, dem er seine Theilnahme zuwandte und von dem er etwas erwartete, eine solche wachgerufen. Als ich einmal über den Gegenstand, den ich oben schon berührte, sprach, und klagte, daß die heranwachsende Generation sich einem gegenseitigen ernsten Gedankenaustausch immer mehr entzöge, und oft lieber die leersten Dinge zum Gegenstand der Gespräche machte, als ihren höhern Lebensberuf, antwortete er: »Wenn die Menschen wüßten, welche Gedankenfunken sie aus einander herausschlagen könnten, wären wir in manchen Stücken weiter, und besonders würde die Kritik nicht so trocken und einseitig sein, wie sie leider geworden ist.« – Von einer seiner liebsten Freundinnen sagte er einst zu mir: »Wenn Sie diese Frau näher kennen lernen werden, werden Sie sehen, daß sie einen kühnen Gedanken, den Sie aussprechen, durch einen noch kühnern fortsetzt oder erwidert; das wird Sie zu fruchtbarer Geistesarbeit nöthigen.«

Es ist eine merkwürdige Eigenthümlichkeit unserer großen Literaturperiode – doch eine aus den besondern Verhältnissen, aus welchen sie hervorging, leicht zu erklärende – daß sich der wahre Dichter und der echte Kritiker zuweilen in einer Person vereinigt finden. Für Tieck, in welchem diese Doppelheit besonders bedeutend war, entwickelte sich seiner dialogischen Natur zufolge die Kritik oft in Gesprächen, nur allerdings weit weniger in lebendigen und 263 wirklichen, als in solchen, die in seinem eigenen Kopfe vor sich gingen. Das mimische Talent, die Fähigkeit, sich in verschiedene Personen zu verwandeln, welches bei den allermeisten Dichtern nur auf Gemüthsstimmungen und Gefühle geht, erstreckte sich bei Tieck auch auf die feine Individualisirung der Meinungskämpfe, und war doch hier auch keinesweges bloßes Product der Reflexion und bewußter Absicht, vielmehr wurde er durch seine eigenste Natur zu dieser Darstellungsform getrieben. Ganz aus seinem Innern ertönten die Stimmen verwandter und auch wiederum sehr verschiedener Naturen, wie er sich in den Gesprächen im »Phantasus« selbst gleichsam in die Dichter, denen er die verschiedenen vorgetragenen Werke zutheilt, zerlegt, und sie die Seite seines Gemüths, welche in jedem Poem vorherrscht, darstellen läßt. So mischt sich auch in die geistvollen Urtheile, die er ihnen in den Mund legt, etwas von dieser Färbung. Tieck besaß einen kritischen Blick, in dem Gleichartigen noch die feinsten Unterschiede zu entdecken, und eine Gefügigkeit des Ausdrucks, das Entdeckte zur Anschauung zu bringen, die gewiß höchst selten sind; und in der anmuthigsten Weise spielt diese Gabe um die Gestalten, die er zu Trägern seiner Urtheile macht. Doch hat er kritische Entwickelungen auch von diesen Bezügen entkleidet in fortgehender didactischer Rede darzustellen gewußt, wie besonders die Vorreden zu den »Minneliedern«, zum »Altenglischen« und zum »Deutschen Theater« bezeugen. Allerdings sind auch sie von einem poetischen Duft durchzogen, welcher der nie zu verleugnenden Wesenheit des wahren Dichters angehört.

Nun aber zeigt sich in Bezug auf das Ganze des Weges, den Tieck durchschritten hat, eine merkwürdige Anomalie. Man sollte glauben, daß die dialogische Form mit den zunehmenden Jahren der akroamatischen immer mehr weichen, die letztere zur Vorherrschaft gelangen würde, wie bei Goethe in dieser Lebensperiode die Neigung und Fähigkeit, sich im zusammenhängenden Lehrvortrage vernehmen zu lassen, zunahmen. Bei Tieck ist es umgekehrt. Seit der Vorrede zum zweiten Bande des »Deutschen Theaters« von 1817 finde ich nichts, was sich mit dieser Arbeit vergleichen läßt; in den beiden Vorreden zu »Shakspeare's Vorschule« von 1823 und 1829 ist schon ein gewisser Ueberdruß an einer solchen Behandlung des Lieblingsgegenstandes bemerkbar. Wie erhebt sich dagegen der 264 kritische Poet in der mit der letztern ungefähr gleichzeitig geschriebenen Arbeit über Goethe in der Vorrede zum Lenz! Da hat er sich aber auch eine Gesellschaft von Goetheverehrern erdacht, unter deren Mitglieder er verschiedene Betrachtungsweisen vertheilt hat. Ich bin überzeugt, daß, wenn er in seinen alten Tagen noch dazu gekommen wäre, von der Fülle seiner Gedanken über Shakspeare, die er früher zu einem großen zusammenhängenden Werke zu gestalten vorhatte, noch Mehreres niederzuschreiben, die Gesprächsform die einzige gewesen wäre, unter der diese Mittheilungen hätten zu Stande kommen mögen.

Wie soll man sich nun diese Umkehrung des gewöhnlichen Entwickelungsgangs erklären? Ich glaube, daß es nur auf folgende Weise geschehen kann. Als die Natur unsers Dichters, die ich seine dialogische genannt habe, sich von dem Drama zur Novelle, von der Welt einer reichen, glänzenden und vielgestaltigen Phantasie zu den engern Räumen des bürgerlichen Lebens gewandt hatte, die Poesie, ohne innerlich eine andere zu werden, von ihrem Flügelrosse herabstieg und sich auf prosaischer Erde, im prosaischen Schritt bewegte, da traten die beiden Gebiete, das poetisch gestaltende und das beurtheilende, so zusammen, daß Kritik, Theorie und Ueberlegung ihrerseits der Poesie einen Theil des Weges entgegenkamen. Das Dichterrecht, auch dem zerlegenden Verstande eine poetische Färbung zu geben, machte daher seine Ansprüche sogar in einer noch volleren Weise geltend als früher. Die rechte Kritik – mag der künstlerische Pinsel an der Farbenmischung Antheil haben oder nicht – wird immer das in den Verstand nicht Aufgehende, das Incommensurable, welches in aller Kunst liegt, auf ihre Weise abspiegeln und andeuten. Wie viel mehr ein Dichter wie Tieck, bei dem kritische Anschauung der Kunst und die productive Kraft im tiefsten Grunde eines und dasselbe sind, der, was der bloße Verstand nicht erreicht und nicht ausdrücken kann, auf das geheimnißreiche Gebiet des Ahnens und Fühlens versetzt, um es dort auszulegen und zu deuten. Dabei wird ihm aber jenes individualisirende Zerlegen seines Selbst, jenes Zurückstrahlen seines erkennenden und ahnenden Geistes aus verschiedenen Spiegeln sehr zu Statten kommen, die Deutung der Mysterien der Poesie durch poetischen Anhauch nicht wenig fördern.

265 Aber siehe da! Ich wollte ablehnen von Tieck's Geistesentwickelung zu reden, weil er es liebte, sich selbst hinter den Objecten zurücktreten zu lassen, und bin unvermerkt auf seine subjective künstlerische Natur gekommen, wodurch ich denn, zwar nicht gegen meine Absicht, aber doch ohne dieselbe, Ihnen so etwas von einem Beitrage, wie Sie ihn angesprochen haben, geliefert hätte. Nehmen Sie damit fürlieb, und lassen sie uns in der gemeinsamen Verehrung des hervorragenden Dichtergeistes, dessen Größe nicht immer verkannt werden wird, verbunden bleiben.

Bonn, 30. December 1854.

J. W. Loebell.



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