Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

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4. Lebensaufgaben und Pläne.

Nach manchen Erfahrungen waren die Freunde reicher an Kenntnissen der Welt und Menschen, in die Heimat zurückgekehrt. Jene wenigen aber inhaltvollen Monate in Erlangen hatten sie wesentlich gefördert, und statt der nüchternen Gestalten des Nordens und der Schatten der Bücherwelt, hatten sie ein reiches Leben kennen gelernt, das manchen dichterischen Gedanken erweckte. Ein solcher Stoff wollte verarbeitet sein; dazu war das gelehrte und aufgeklärte Göttingen, das von dem Schauplatze der Weltbegebenheiten entfernt genug lag, mit seinen Vorlesungen, seiner 173 Bibliothek und seinem wohlgeordneten Leben der geeignete Ort. Die Lieblingsstudien wurden wieder hervorgesucht, und bald gewannen sie die Gestalt einer gelehrten Aufgabe, an deren Lösung man die Kraft des Lebens zu setzen bereit ist.

Tieck kehrte zu seinem Helden Shakspeare zurück. Allmälig stand der Gedanke eines größern Werkes über den Dichter und seine Zeit in allen Theilen abgeschlossen da. Es sollte die Größe Shakspeare's verkündigen, welche Deutschland, trotz Wieland's Uebersetzung und Lessing's und Goethe's Hinweisung, nur sehr unvollkommen kannte, oder bezweifelte. Es war ihm zur Ueberzeugung geworden, der Weg, welchen man in Theater und Literatur zur Erkenntniß des Dichters eingeschlagen hatte, konnte niemals zum Ziele führen. Allzu sehr von dem Werthe der eigenen Bildung erfüllt, hofmeisterte man ihn überklug, man schalt ihn einen Barbaren, ein wildes Waldgenie, das gereinigt und geputzt werden müsse, um in der Gesellschaft anständiger und aufgeklärter Männer erscheinen zu können. Man verstümmelte barbarisch die Werke, welche man schon aus historischer Rücksicht hätte achten sollen, und auf deren Erkenntniß es eben ankam. Nicht minder flach erschien die unaufhörlich wiederholte Meinung, Shakspeare sei, trotz seiner Wildheit und Regellosigkeit, dennoch ein großes Genie. Worin anders aber hätte sich dieses zeigen sollen, als in seiner innern wahren Kunstvollendung?

Zu wiederholten Malen hatte er Shakspeare's sämmtliche Dichtungen durchstudirt. Dann war er zu historisch-kritischen Forschungen über den Dichter, die Geschichte seines Lebens, seiner Zeit und Werke übergegangen. Hier ließ sich eine neue Wissenschaft aufbauen. Was die Bibliothek an Ausgaben und Commentaren besaß, war ihm bekannt und 174 geläufig. Doch wenn die deutschen Kunstrichter ihm nicht Genüge thaten, so gaben die englischen Kritiker und Erklärer durch ihre Dürre und die übermäßige Nüchternheit, mit der sie nur bei dem Außenwerke stehen blieben, keinen geringern Anstoß. Neben Ben Johnson hatte er auch Beaumont und Fletcher, Massinger und Andere in den Kreis seiner Studien hineingezogen.

Unter Shakspeare's Dramen zog ihn wegen seines phantastisch-märchenhaften Charakters der »Sturm« besonders an. Er vollendete um diese Zeit eine Bearbeitung, in welcher er noch die allgemein geltenden Gesichtspunkte festhielt, weil er an die Möglichkeit einer Darstellung auf der Bühne dachte. Zugleich sollte ihm dieses Stück Veranlassung geben, seine Ansichten über Shakspeare in einer Reihe von Abhandlungen darzulegen, und eine richtigere Auffassung des Dichters vorzubereiten. Zuerst beschränkte er sich auf die Behandlung des Wunderbaren und dessen Darstellung im »Sturm«. Diese Arbeit sandte er mit einer Probe seiner Uebersetzung an Schiller mit dem Wunsche, daß beides in die »Thalia« aufgenommen werden möge. An das umfassende Werk über Shakspeare sollten sich dann mehrere Dramen anderer Dichter aus jener Zeit anschließen, namentlich der vier genannten. Die bedeutendsten dachte er zu übersetzen, die andern, um dem Publicum nicht zu viel zuzumuthen, im Auszuge oder in freier Bearbeitung zu geben; historische und kritische Anmerkungen sollten das Ganze begleiten. Schon sah er sich nach einem Verleger um, dem er sein kritisches Erstlingswerk übergeben könne. Wackenroder, der die Pläne des Freundes mit keinem geringern Eifer als die eigenen verfolgte, hatte sich deshalb bereits an seinen Lehrer, den Prediger Koch in Berlin gewandt, mit dem er noch in wissenschaftlichem Verkehre stand.

175 Hieran schloß sich eine verwandte Arbeit, die unter Fiorillo's Augen entstanden war, dessen Vorlesungen über Malerei und Kunstgeschichte Tieck hörte. Es war eine Beurtheilung der in England herausgegebenen Sammlung von Kupferstichen nach der »Shakspeare-Galerie«. Bereits 1794 erschien sie auf Heyne's Vermittelung in der »Bibliothek der schönen Wissenschaften«.

Zugleich eröffnete sich ihm um diese Zeit ein Weg in die Literatur. Von Göttingen aus kam er mit dem alten Nicolai, dem er in Berlin fern gestanden hatte, in nähere Berührung. Entscheidend war eine Reise, die er mit Wackenroder um Ostern 1794 nach Braunschweig und Wolfenbüttel machte, um die dortigen Bibliotheken und Sammlungen kennen zu lernen. Er erneuerte die Bekanntschaft Ebert's, welcher ein behagliches wissenschaftliches Stillleben führte, und den jungen Dichter mit herzlichem, fast väterlichem Wohlwollen empfing. Ebenso entgegenkommend zeigte sich Eschenburg; er nahm besonders an Tieck's Arbeiten über Shakspeare Antheil. Die beiden ältern Freunde überzeugten sich, daß hier eine Kraft sich Bahn zu brechen suche, die jede Unterstützung und Aufmunterung verdiene. Bei nächster Gelegenheit wiesen sie daher ihren Freund Nicolai auf seinen Landsmann hin. Nicolai war eine Macht in der deutschen Buchhändlerwelt, und unterstützte junge Talente gern in mäcenatischer Weise. Nachdem er sich von Tieck's Arbeiten und literarischen Plänen unterrichtet hatte, erklärte er sich nicht nur bereit den »Abdallah« und Anderes in Verlag zu nehmen, sondern er übersandte ihm sogar eine Abschlagssumme des verabredeten Honorars.

Endlich begann sich auch Anderes zu gestalten. Schon 1793 war im ersten Entwurf eine Tragödie »Karl von Berneck« entstanden. Unter den fränkischen Burgen hatte keine 176 einen tiefern Eindruck zurückgelassen als die Ruinen von Berneck, deren düsterer Anblick trefflich zu der Sage paßte, welche dort lebte. Ein Sohn sollte die Mutter ermordet haben, um den durch sie und ihren Verführer gefallenen Vater zu rächen. Es war ein deutscher Orest, der sich in die Mitte zwischen den griechischen Helden und den englischen Hamlet stellte. Der schon am Orte selbst gefaßte Gedanke, einen tragischen Helden aus ihm zu bilden, kam jetzt zur Ausführung. Die Sage, der Schauplatz des deutschen Mittelalters, Alles schien sich zu vereinen, um dem Dichter einen Stoff zu geben, der seiner Eigenthümlichkeit ganz zusagen mußte.

Inzwischen hatte auch Wackenroder einen nicht minder unbetretenen Pfad der Studien eingeschlagen, den er mit Eifer verfolgte. Freilich wußte er nur zu gut, im Sinne seines Vaters war es ein Irrweg. Er hatte sich der ältern deutschen Literatur zugewendet, die sich wie ein Wunderland in fernen dunkeln Umrissen erhob, welches man in zaghaften Versuchen wieder zu entdecken trachtet. Sein Aufenthalt in Erlangen und Nürnberg hatte gezeitigt, was sein Lehrer Koch angeregt hatte. Die Manesse'sche Sammlung der Minnelieder, die Müller'schen Ausgaben der Heldengedichte, die Anfänge des deutschen Dramas, namentlich Hans Sachs, studirte er mit Eifer, meistens nur auf sich und seine Begeisterung angewiesen. Zugleich übernahm er manchen gelehrten Auftrag für Koch, zu dessen Compendium der deutschen Literatur er auf den reichen Bibliotheken in Göttingen und Kassel Notizen über altdeutsche Handschriften sammelte. Dies gab Veranlassung, den Rath Casperson kennen zu lernen, der ebenfalls für die ältere deutsche Poesie eine lebhafte Theilnahme hatte. Auch wurde er dem als Staatsmann und Forscher bekannten hessischen Minister von Schlieffen vorgestellt.

177 So gleichmäßig das Leben war, welches die beiden angehenden Gelehrten führten, so fehlte es doch nicht an lustigen Vorfällen und studentischen Abenteuern. Bei aller Freundschaft liebte man es sich gegenseitig durch übermüthige Neckereien zu stören oder zu hintergehen, um dann zu allgemeinem Jubel eine unerwartete Enttäuschung herbeizuführen. Zu solchen Komödien forderte zunächst Wackenroder's Gutmüthigkeit und Leichtgläubigkeit in den alltäglichen Dingen heraus. Leicht suchte und fand er Wunder und Geheimnisse, und seine Neigung für das Tiefsinnige, Mystische, Sonderbare ward oft genug Gegenstand des Spottes und Angriffs. Besonders Burgsdorff liebte es ihm in übermüthiger Keckheit schonungslos entgegenzutreten. Einmal ward Wackenroder das Opfer einer Täuschung, welche über die Grenzen des Erlaubten fast hinausging.

Burgsdorff besaß einen Hund Namens Stallmeister. Er war sein treuer Gefährte auf abenteuerlichen Fahrten gewesen, und zeigte sich in allen Dingen als der Studenten gelehrigen Scholar. Da man die Anstelligkeit des Thieres oft gepriesen und sein Genie scherzend anerkannt hatte, so beschloß man übermüthigerweise, Wackenroder einzubilden, der Hund habe es in der Stille bis zum Lesen und zur Theilnahme an den Studien seiner Herren gebracht.

Wackenroder war ein eifriger Collegiengänger. Nie hätte er eine Vorlesung ohne die dringendste Veranlassung versäumt, auf das eifrigste schrieb er nach. Minder gewissenhaft waren die beiden andern Freunde. Sie benutzten eine Stunde, in welcher er im Collegium war, um auf seinem Zimmer den Hund in die gehörige Verfassung zu setzen. In aufrechtsitzender Stellung banden sie ihn auf dem Stuhle vor Wackenroder's Arbeitstische an; die beiden Vorderpfoten ruhten auf einem mächtigen Folianten, welchen man vor ihm aufgeschlagen hatte. 178 Das gelehrige Thier, das solcher Kunststücke gewohnt war, machte auf dem Sessel des Gelehrten eine ganz überraschende Figur. Die beiden Muthwilligen verbargen sich darauf in der anstoßenden Kammer, um den Erfolg ihrer List abzuwarten. Früher als gewöhnlich kehrte Wackenroder zurück. Er benutzte eine Pause, um ein vergessenes Heft zu holen. Voll Ueberraschung blieb er stehen; sein Auge war auf den Hund und dessen tiefsinnige Stellung gefallen. Er warf noch einen scheuen Blick auf das Thier, und steckte dann die vergessenen Blätter geräuschlos zu sich. Die Furcht seine Pflicht zu versäumen, und die Besorgniß die wunderbare Erscheinung durch längeres Verweilen zu stören, trieben ihn fort. Eilig und leise verließ er das Zimmer. Die lauschenden Freunde erkannten, er sei mit der Ueberzeugung, den Hund in Studien vertieft gesehen zu haben, gegangen. Sie erlösten den unfreiwilligen Gelehrten aus seiner peinlichen Lage, und warteten den Erfolg ab.

Als sie Wackenroder wiedersahen, war er ungewöhnlich still und in sich gekehrt. Sie hielten es nicht gerathen ihn mit Fragen zu beunruhigen, sondern ehrten rücksichtvoll sein Schweigen. Endlich, als sie Abends in gewöhnlicher Weise beisammensaßen, und kein Gespräch in Gang kommen wollte, brach er das Schweigen, und begann mit vielsagender tiefsinniger Miene: »Freunde, ich muß euch eine geheimnißvolle Begebenheit mittheilen, deren Zeuge ich heute gewesen bin. Ich sage euch, es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als sich eure Schulweisheit träumen läßt. Unser Stallmeister kann lesen!« Er erzählte darauf im Tone der vollsten Ueberzeugung die Scene, welche die Freunde ihm aufgeführt hatten. Anfangs hörten sie ihm mit kaum unterdrücktem Spotte zu, doch bald machte dieser einer ernstern Stimmung Platz. Daß ihr Scherz so vollständig gelingen könne, 179 hatten sie selbst nicht erwartet. Sie erschraken, ihn jene außerordentliche Erscheinung so glaubensvoll beschreiben zu hören. Fast schien er in das Gebiet der phantastischen Visionen hinüberzuschweifen. Endlich machte man der Sache ein Ende, und bat ihn die Geschichte jener Erscheinung aufmerksam anzuhören. Die Auflösung des Räthsels war zu schlagend, um etwas dagegen einzuwenden, aber Wackenroder konnte seine Empfindlichkeit nicht ganz unterdrücken, daß man ihm so schonungslos mitgespielt.

Aber auch an Tieck kam die Reihe, durch äußere Zufälligkeiten und kleine Erlebnisse, die seine Phantasie erregten, in die Welt der Schauer zurückgezogen zu werden, aus welcher er sich gerettet zu haben meinte. Wenn er zu Zeiten Tage und Nächte hindurch von seinen Stoffen erfüllt bis zur höchsten Aufregung arbeitete, dann bewährte sich Wackenroder's besonnene Freundschaft. Bei einer solchen Gelegenheit sagte ihm dieser einst: »Wie kann man sein Talent so leichtsinnig verschwenden! Das heißt sich ruiniren, sich geistig an den Bettelstab bringen! Wer so ohne Sammlung arbeitet und auf sich einstürmt, kann nur mit Geisteszerrüttung enden!«

Wie es öfter geschah, war einst beim Studium des Shakspeare Mitternacht herangekommen. Er las den »Macbeth«, und folgte mir steigender Bewegung der erschütternden Scene, in welcher der eben vollführte Mord geschildert wird. Er glaubte Zeuge der blutigen That zu sein. Mit angehaltenem Athem hörte er den Rächer an das Thor des Schlosses pochen. Und klopfte es nicht in diesem Augenblicke wirklich? »Es ist Wackenroder!« dachte er, dessen Rückkehr aus einer Gesellschaft er erwartete. Unwillig über die Störung, die er für einen unzeitigen Scherz hielt, rief er »Herein!« Plötzlich traf ihn ein kalter Luftstrom von hinten her. Die Thür mußte sich leise geöffnet haben. Er fühlte eine eisige Hand 180 über sein Gesicht gleiten. Voll Entsetzen fuhr er in die Höhe. Neben seinem Stuhle stand ein runzelvolles, gnomenhaftes altes Weib, das ihn grinsend anblickte, und ihm die geöffnete Hand murmelnd entgegenstreckte. Fast schien es, eine der Hexen Macbeth's sei plötzlich in seinem Zimmer wie eine Erdblase aufgestiegen, und komme auch ihn zu verwirren. Zwischen Täuschung und Wirklichkeit angstvoll schwebend, rief er dem Weibe zu, wer sie sei, was sie wolle. Sie gehörte, wie sich später zeigte, zu einem Haufen Bettelvolkes, das man Nachts durch die Stadt geführt hatte. Sie war den Hütern entkommen, und hatte durch die für Wackenroder geöffneten Thüren den Weg in Tieck's Zimmer gefunden. Mit einem Almosen kaufte er sich los; aber er mußte sich gestehen, einen tiefern Schreck hatte er seit langer Zeit nicht empfunden.

Besonders aber öffnete sich die Welt der Abenteuer, sobald die Freunde die Mauern des gelehrten Göttingen verließen. Auch jene Reise nach Braunschweig war nicht frei davon. Als Tieck durch die Straßen der Stadt ging, erblickte er an einem Fenster ein schönes junges Mädchen, welches ihn durch Zeichen als einen alten Bekannten zu grüßen schien. Einem neugierigen Zuge folgend, betrat er das Haus. Bereits auf der Treppe kam sie ihm in höchster Aufregung entgegen. »Gut, daß Sie kommen«, rief sie ihm zu, »ich habe Sie lange erwartet! Ich komme sogleich zurück, ich will nur meinen Schmuck anlegen.« Betroffen über diesen seltsamen Empfang, blieb er nicht ohne Spannung zurück, wie das enden werde. Die Schöne kehrte nach einigen Augenblicken zurück, aber wie verändert! Ophelia! hätte er ausrufen mögen. Phantastisch mit einem Kranze geschmückt, statt des Gürtels und über den Schultern Gewinde von Stroh und Blumen, trat sie ihm mit irrem Lächeln entgegen. »Da bin 181 ich!« sagte sie. »Und nun fort! Meine Verwandten verfolgen mich!« Staunend blickte er die Unglückliche an. Jene wunderbare und räthselhafte Gestalt seines Dichters schien aus der Welt der Phantasie in die sinnliche Wirklichkeit getreten zu sein. Da vernahm er ein Geräusch. Eilig kamen mehrere Personen aus dem Innern des Hauses, sie bemächtigten sich der Unglücklichen, und führten sie ohne auf ihr erschütterndes Geschrei zu achten, zurück. Es war eine Irrsinnige, die sich ihren Wächtern entzogen hatte. Voll Entsetzen eilte er aus dem Hause. Jenes grauenhafte und doch rührende Bild, wie jene schrecklichen Töne verfolgten ihn noch lange.

Ein anderes Mal war es in der Abenddämmerung, als er allein über Land fuhr. Bald bemerkte er, daß ein wandernder Handwerksgeselle mit dem Wagen gleichen Schritt halte. Gutmüthig bot er ihm einen Platz in demselben an, und dankbar wurde der Vorschlag angenommen. Schüchtern saß der Reisegefährte eine Zeit lang neben ihm. Endlich brach er das Schweigen. Soviel Ursach er habe zu danken, sei es doch auch ein Glück mit ihm zusammenzutreffen. »Denn Sie werden es nicht glauben«, fuhr er fort, »aber doch ist es so. Ich bin der Sohn Friedrich's des Großen.« Unwillkürlich rückte Tieck von der Seite seines Begleiters fort; ihm wurde unheimlich zu Muthe. So unbefangen als möglich suchte er auf diese fixe Idee einzugehen. Er bemerkte, er habe immer geglaubt, Friedrich habe keine Kinder hinterlassen. »Das ist es eben, was meine Gegner verbreiten«, erwiderte der Andere, »um mich und meine gerechten Ansprüche zu unterdrücken. Sie können ihre Bosheit erkennen, wenn ich Ihnen sage, daß man mich erst in Spandau eingesperrt, und dann noch obenein unter die Juden gesteckt hat! Wer glaubt nun an meine hohe Abkunft? Ueberall lacht 182 man und ruft: das ist ja ein Jude!« Tieck betrachtete jetzt seinen Begleiter genauer, und entdeckte allerdings an ihm jüdische Gesichtszüge. Er unterhielt sich noch eine Zeit lang mit ihm in gleichgültigem Tone, und war froh, den unheimlichen Gefährten auf dem nächsten Haltpunkte abzusetzen.

Heiterer Art war das Abenteuer, welches die Freunde auf der Bibliothek zu Wolfenbüttel zu bestehen hatten. Der Bibliothekar Langer stand im Rufe, die Besuchenden nicht zu allen Zeiten glimpflich zu empfangen. Vorsorglich hatten sie sich daher ankündigen lassen; außerdem vertrauten sie auf Heyne's Empfehlung, die wol für einen Freipaß in der gelehrten Welt gelten konnte. Sie hatten sich an Ort und Stelle eingefunden, als nach längerm Zögern der Bibliothekar in feierlicher Amtswürde erschien, in Schuhen und Strümpfen und dem besten gelehrten Putze. Mochte er nun die Meldung falsch verstanden, oder bessere Leute erwartet haben, als er sah, daß die angekündigten Fremden nichts mehr und nichts weniger waren, als ein paar göttinger Studenten, trat er ihnen barsch mit der Frage entgegen, was ihr Begehren sei. Wackenroder, der es übernommen hatte mit dem borstigen Gelehrten zu sprechen, wurde durch diesen Empfang in nicht geringe Verlegenheit gesetzt. Schüchtern brachte er endlich heraus, der Herr Hofrath Heyne habe die Güte gehabt, ihnen eine Empfehlung an den Herrn Bibliothekar aufzutragen. »Ich weiß gar nicht«, fuhr Langer ärgerlich dazwischen, »was mir der Herr Hofrath Heyne für Empfehlungen schickt, bei denen niemals etwas herauskommt.« Tieck hatte unterdessen einen alten Druck auf einem der Bücherbreter ins Auge gefaßt, und da der Zorn des Bibliothekars sich noch weiter ergießen wollte, trat er respectvoll mit der Bemerkung vor, man habe um die Erlaubniß bitten wollen, jenen alten Druck auf kurze Zeit außer der Bibliothek zu 183 benutzen. Dies wurde nach einigem Widerstreben gewährt, und die Freunde waren froh, der gelehrten Löwenhöhle zu entkommen.

Es näherte sich nun die Zeit, wo ein Entschluß gefaßt werden mußte. Zwei und ein halbes Jahr war Tieck von Hause entfernt. Die akademische Freiheit ging dem Ende entgegen, und hatte er auch ein entschiedenes Studium gefunden, so wollten ihm doch die regelrechten Formen des Lebens jetzt fast noch weniger zusagen als damals, wo er die Vaterstadt verließ. Er konnte zu keinem andern Ergebniß kommen, als sich unabhängig in seiner Weise ausbilden zu wollen. Aber wie war es möglich, sich von den gewöhnlichen Lebensbedingungen frei zu machen?

Mit nicht geringern Sorgen sah Wackenroder in die Zukunft. Sobald er nach Hause zurückgekehrt war, stand ihm der Eintritt in den Justizdienst, in das Amt unausbleiblich bevor. Nach allen Studien, denen er sich mit Fleiß und voll moralischen Entschlusses unterzogen hatte, stand es in der That fest, für die Rechtswissenschaft hatte er keinen Beruf. Er konnte sich diesen trockenen Stoff nicht aneignen, manche Verhältnisse und Lehrsätze blieben ihm trotz wiederholter angestrengter Versuche, sie aufzufassen, vollkommen unbegreiflich. Dagegen versenkte er sich immer mehr in Betrachtung und Studium der Kunst, ja er versuchte ihre Ausübung. Farbe und Ton waren sein Element. Er war ausübender Musiker. Reichardt hatte sein Talent erkannt, und ihm Leitung und Anweisung gegeben; unter seinen Augen hatte er sich gebildet, und sich in eigenen Compositionen versucht. In der Zeit der Unabhängigkeit war er noch fester und entschiedener geworden.

Indem für beide Freunde die Zukunst zweifelhaft erschien, entstand bei ihnen ein abenteuerlicher Plan, welchen der dritte 184 Freund, Burgsdorff, der schon einmal eine ähnliche Fahrt durchgemacht hatte, mit Vorliebe weiter ausspann. Sie wollten in der Stille Göttingen verlassen, und nach Italien, dem Lande der Kunst und der dichterischen Sehnsucht gehen, um dort ein neues Leben anzufangen. In Rom sollte Wackenroder frei von allen Fesseln Musik studiren, und dereinst, so träumten sie, dem Vater als Meister von Ruf und Namen selbständig entgegentreten. Tieck sollte als Dichter und Schriftsteller wirken. Freilich wie man sich durchschlagen wollte, bis man das gelobte Land erreicht habe, welche Kämpfe es auch dort noch kosten werde, daran hatte man kaum gedacht. Endlich, als die Freunde anfingen, sich ernstlich mit diesem Gedanken vertraut zu machen, sprang Burgsdorff zuerst wieder ab, weil er sich inzwischen in Verhältnisse eingelassen hatte, die seine Rückkehr nach Berlin forderten. Auch die beiden Andern ließen den Plan fallen, und so blieb nichts übrig, als nach Ablauf des Sommers ruhig nach Hause zurückzukehren, und abzuwarten was sich weiter begeben werde.

Aber wenigstens nicht auf geradem Wege wollten sie zurückkehren. Noch einen Hauptpunkt des Nordens beschlossen sie zu besuchen, Hamburg. Wenn es auch die Sehnsucht sein mochte, nach langer Zeit die Alberti'sche Familie wiederzusehen, welche Tieck dorthin führte, so hatte doch die Stadt auch manches andere Anziehende. Der Ruf des hamburger Theaters war allgemein verbreitet. Schröder war als darstellender Künstler, wie als leitendes Talent und dramatischer Schriftsteller für ihn eine der merkwürdigsten Erscheinungen. Ohne Zweifel war Schröder neben Fleck der größte Mann der deutschen Bühnenwelt.

Nicht ohne Besorgniß hatte Wackenroder Tieck's Absicht vernommen, in Hamburg auch Schröder besuchen zu wollen. Er hatte den Verdacht, der Freund verbinde mit diesem 185 Besuche den Plan, jetzt endlich die Bühne wirklich zu betreten. Die Lage, in welcher Tieck sich befand, gab dieser Vermuthung viel Wahrscheinlichkeit. So sehr Wackenroder die Theaterliebhaberei des Freundes theilte, hatte doch der Gedanke, ihn auf den Bretern unter den Schauspielern zu sehen, für ihn etwas Widerwärtiges, ja Schmerzliches. In dem Augenblicke, als Tieck sich zu seinem Besuche anschickte, eilte ihm Wackenroder voran und verschloß die Thür des Zimmers. »Ich weiß, was du jetzt beabsichtigst!« rief er ihm voll Erregung zu. »Du willst zu Schröder gehen, um dich bei ihm für das Theater zu melden. Ich bitte, ich beschwöre dich«, fuhr er fort, indem er ihn unter ausbrechenden Thränen umarmte, »bedenke, was du thust, welche Folgen dein unbesonnener Schritt nothwendig haben muß!« Voll Staunen über diesen fast leidenschaftlichen Ausbruch der Freundesliebe, bat ihn Tieck sich zu beruhigen. Er habe dem Gedanken, die Bühne zu betreten, längst entsagt; er gebe ihm sein Wort, daß er nur die Absicht habe, Schröder persönlich kennen zu lernen. Wie dem auch sein mochte, es hatte mindestens die Folge, daß der Besuch entweder ganz unterblieb, oder doch kein weiteres Ergebniß hatte.

Dagegen wünschte Wackenroder lebhaft, Klopstock, den Patriarchen der deutschen Poesie, zu sehen. Zurückgezogen lebte dieser in dem abgeschlossenen Kreise seiner Bewunderer, und schon seit langer Zeit betrachtete er die spätere deutsche Dichtung aus mistrauischer Ferne. Glänzendere Namen hatten seinen einst gefeierten in den Hintergrund gedrängt. Wackenroder war zu pietätsvoll, als daß er sich einer solchen Größe nicht hätte nahen sollen, auch wenn er nicht überall im Einverständniß mit ihr war. Tieck ging nur mit Widerstreben auf den Wunsch des Freundes ein. Er fühlte sich dem alten Dichter viel zu fremd, um in der That die Miene des 186 Bewunderers annehmen zu können. Klopstock's hochgespannte Oden widersprachen zu sehr dem einfachen Volkstone, den er zu suchen begann. Diese fremdartigen verschlungenen Versmaße, die dem Ohre kaum noch verständlich waren, die jüdische und die germanische Urwelt, alles das schien für eine volksthümliche Auffassung in viel zu weiter Ferne zu liegen.

Schon der erste Eindruck war kein günstiger. Es war kein Barde der Telyn, noch weniger ein alttestamentarischer Prophet, der ihnen entgegentrat, sondern ein deutscher Gelehrter im Schlafrock, mit der Tabackspfeife in der Hand. Ein kleiner zusammengetrockneter Mann mit schneeweißem Haar, doch mit hellen lebhaften Augen, der in kurzen und hastigen Bewegungen im Zimmer hin- und herschoß. Er sprach laut und rasch im höchsten Tone, fast schneidend. Im Gespräche sprang er ungeduldig von einem Gegenstande zum andern über. Man kam auf den gegenwärtigen Zustand der deutschen Literatur, und auf Goethe. »Nun«, fragte Klopstock spottend, »hat sich denn Goethe immer noch nicht todtgeschossen?« Er war noch auf dem Standpunkte der Wertherperiode, und hielt die damals ausgesprochene Meinung fest, Goethe müsse seiner Ansicht gemäß wie sein Held enden, und sich eine Kugel vor den Kopf schießen. Auch von der französischen Revolution war die Rede. »Sehen Sie hier!« sagte er indem er auf eine Büste der Charlotte Corday hindeutete, »das ist meine Heilige!« Eine danebenstehende wunderliche Büste mit drei Köpfen erklärte er für das Sinnbild der Unparteilichkeit. Er betrachte sie häufig, um sich stets die Nothwendigkeit eines freien und unabhängigen Urtheils zu vergegenwärtigen. Im Verlaufe des Gespräches äußerte er, die französische Revolution habe doch ein Gutes gehabt, die »Messiade« sei in das Französische übersetzt worden, das wäre 187 ohne sie nimmer geschehen. Die zur »Messiade« gegebenen Kupfer seien elend; namentlich sei es den Künstlern nicht gelungen, die himmlischen Gestalten so darzustellen, daß auch zugleich ihre Unsichtbarkeit angedeutet werde.In Klopstock's Aeußerungen über die französischen Uebersetzungen der »Messiade« oder in der Ausfassung derselben scheint ein Irrthum zu liegen. Die erste war bereits zu Paris 1769 erschienen; die zweite des Pastor Perit-Pierre, mit der der Dichter keineswegs zufrieden war, zu Neufchatel 1795.

Als die Freunde sich entfernten, mußten sie sich gestehen, der Sänger der »Messiade« habe eher einen komischen als erhabenen Eindruck gemacht. Er schien nicht frei von Eitelkeit, und seine Bedeutung für die Literatur zu überschätzen. Fast hätten sie es bereuen mögen, ihn aufgesucht zu haben.



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