Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4. Die Kunstreise.

Also ein Amt hatte Tieck, und dieses Amt legte Pflichten auf, welche erfüllt sein wollten. Eine der ersten und angenehmsten war eine Kunstreise. Er sollte den Intendanten bei einer theatralischen Rundreise durch Deutschland begleiten. Freundschaft, Neigung und Humor, ja selbst Gesundheit, Alles kam zusammen, ihm diese Amtshandlung so leicht als möglich zu machen.

Er fühlte sich frisch und kräftig, wenngleich er manchen Anfall zu bestehen gehabt hatte. Die Krankheit war mit ihm nach Dresden gewandert und mußte ebenfalls heimisch werden. Wochen, Monate lang war er leidend gewesen. Zu Zeiten lähmte die Gicht Arm und Hand, sie machte das Schreiben fast unmöglich; er fühlte sich in allem gehemmt, was ihm Lebensbedürfniß war. Von neuem duldete er, trug die Schmerzen mit Ruhe, ja Heiterkeit, und benutzte die Pausen, die ihm gegönnt waren. Wiederum ward ein regelmäßiger Besuch der Bäder nothwendig. Das nächste und geeignetste war Teplitz. Mit Erfolg brauchte er es in den Jahren 1821, 1823 und 1824. Diese Leiden waren jetzt so weit zurückgedrängt, daß er an eine weitere Reise denken konnte.

Mit seinem Vorgesetzten, den er begleiten sollte, verband ihn ein näheres Verhältniß. Das Haus desselben war ein Sammelplatz der gebildeten und künstlerischen Gesellschaft Dresdens. Hier hatte er nicht nur Anerkennung und Verständniß seiner Dichtungen, sondern auch bedeutende Anregungen und vor allem die edelste Freundschaft gefunden. So gestaltete sich die Amtsreise doppelt angenehm. In den 37 ersten Tagen des Mai 1825 brachen sie auf. Der nächste Zielpunkt, wo man länger verweilen wollte, um die Theaterzustände kennen zu lernen, war Wien. Der Weg führte über Teplitz und das wohlbekannte Prag. Bei jeder Meile, welche sie weiter zurücklegten in diesen heitern, oft gesehenen und doch immer neuen Landschaften, fühlte er sich freier, und erlebte wieder jene Empfindungen, welche ihm früh das Gedicht eingegeben hatten, »über Reisen kein Vergnügen, wenn Gesundheit mit uns geht.« Es war ihm eine Probe dafür, daß er noch nicht so alt und hinfällig sei, wie er oft in den Stimmungen der Krankheit und des Unmuths geglaubt hatte. Er konnte die zweiundfunfzig Jahre seines Alters und die trüben Erfahrungen vergessen, und mit freudigem Staunen schrieb er nach Hause, er fühle, daß er seit 1819 jünger geworden sei.

In einen weiten Kreis alter Freunde, neuer Bewunderer und Kunstgenossen, und aristokratisch glänzender Gesellschaften trat er in Wien ein. Auch hier ging der literarische Enthusiasmus über die engern Grenzen hinaus. Ein Jeder wollte gelesen haben, wollte gebildet sein und Verständniß für die Literatur zeigen. Alles, was dazu gehörte, ward zur öffentlichen Frage, ein berühmter Dichter mußte Aufsehen erregen.

Tieck lernte die wiener Literatur kennen; Grillparzer, dessen liebenswürdige Persönlichkeit ihn fast mit seinen Trauerspielen aussöhnte, den vielgenannten Castelli, West, Kurländer und Deinhardstein, die schnellfertigen Theaterschriftsteller. Er machte die Bekanntschaft des Grafen Dietrichstein und des Hofraths von Mosel, die an der Spitze des Theaterwesens standen. Noch manchen wohlbekannten Schauspieler fand er wieder, darunter Lange; neue Talente sah er in Anschütz und Sophie Müller, und das kaiserliche 38 Burgtheater bewährte auch vor ihm seinen Ruf. Die reichen Kunstschätze bewunderte er wie früher, die Stadt, den Prater mit seiner bunten Menschenmenge. Auch F. Schlegel suchte er in den eigenen Zauberkreisen auf, und erkannte bald, daß auch hier seine Prophetie nicht so viel gelte, als er selbst glaubte.

In den höhern Gesellschaften empfing ihn sein alter Bekannter Hormayr mit voller Ueberschwänglichkeit. Bei der Fürstin Hohenzollern, der Gräfin Salm, den Grafen Zichy, Palfy und Andern wurde er eingeführt. Er ward der Mittelpunkt ihrer Gesellschaft, er sollte vorlesen, conversiren, diniren und soupiren. Er ging von einer Hand in die andere, um sich bewundern zu lassen, und überall mußte er die Seite feinster geselliger Bildung und dichterischer Liebenswürdigkeit herauskehren. Mit aufrichtig gemeinten Huldigungen kam man ihm überall entgegen; man wollte zeigen, daß man einen Dichter zu ehren verstehe. Doch mitten unter dieser Bewunderung, im glänzenden Kreise der Damen, in den strahlenden Salons ergriff ihn bisweilen eine dichterische und menschliche Selbstironie, die um so unwiderstehlicher zu werden drohte, je weniger er sie äußern durfte. In der sonderbaren Stimmung hätte er über sich selbst lachen mögen, wo er sich ernsthaft mußte feiern lassen. Das gewaltsame Niederkämpfen dieses schadenfrohen Kitzels erregte ihm beinahe körperliches Unbehagen. Jetzt erstickte er im Lehnsessel fast an der Fülle des Ruhms, nach dem er als heranwachsender Jüngling oft sehnsüchtig geseufzt hatte.

Nächst Wien war München das bedeutendste Reiseziel. Sie gingen über den Traunsee, Ischl, durch das Salzburgische. München war für Tieck ein Ort schmerzlicher Erinnerungen; kaum erkannte er es wieder. Manche, mit denen er damals verkehrt hatte, waren gestorben, andere ihm 39 entfremdet; die Stadt selbst trug ihren alten Charakter nicht mehr. Seitdem hatte sich das neue Baiern erhoben, und neben dem alten München war ein neues entstanden. Auch hier trat das Alterthümliche, das Volksmäßige, Vieles, was an die Vergangenheit erinnerte, vor einer glänzenden Gegenwart zurück. Prachtbauten im griechischen Stile standen neben altbairischen Kirchen, Galerien und Sammlungen wurden geöffnet, eine Kunstschule gebildet, München sollte eine großstädtische Residenz werden. Auch ein glänzendes Theater gab es; die volksthümlichen Spiele waren herabgekommen. Man war stolz darauf, in Eßlair den ersten tragischen Schauspieler Deutschlands zu besitzen.

Bei einem der ersten Besuche des Theaters wurde Tieck dem Könige Max und der Königin in ihrer Loge vorgestellt. Der König war noch ganz der einfache, bürgerlich-schlichte Mann, wie er ihn früher gesehen hatte. Mit wohlwollender Gutmüthigkeit unterhielt er sich eine Zeit lang mit Tieck. Tags darauf hatte dieser eine Audienz bei dem Kronprinzen Ludwig, den sein enthusiastisches Interesse für Kunst und Literatur längst ausgezeichnet und beliebt gemacht hatte. Der Prinz begrüßte ihn als alten Bekannten, und begann ein literarisches Gespräch, in dem er zuletzt sagte: »Eine große Ehre für mich, Ihren Namen zu haben! Heiße auch Ludwig. Große Ehre für mich, ebenso zu heißen, wie ein ordentlicher Dichter.«

Von den neugeordneten Kunstschätzen wurden die Reisenden nicht minder in Anspruch genommen, als von dem geselligen Verkehr. Tieck sah seinen literarischen Freund Schlichtegroll wieder, er lernte Thiersch und Klenze, den Schöpfer der münchener Prachtbauten, kennen, und in dem Ministerialrath Schenk einen liebenswürdigen Dichter, der ihn ganz für sich einzunehmen wußte.

40 Von München ging die Reise nach Stuttgart, wo man abermals die Boisserée'sche Gemäldesammlung bewunderte. Dann über Konstanz, Winterthur und Zürich nach Schaffhausen und Strasburg. Hier sahen sie die französische Schauspielerin George in zwei der größten tragischen Rollen, als Mutter der Makkabäer und Lady Macbeth, an einem Abend auftreten. Endlich erreichten sie Karlsruhe und Manheim.

Winterthur hatte Tieck zu berühren gewünscht, um den schweizerischen Schriftsteller Ulrich Hegner persönlich kennen zu lernen. Alles, was dieser Mann geschrieben hatte, sprach ihn in hohem Grade an, besonders das treffliche Buch »Sally's Revolutionstage«, welches Hegner bereits zu einem Briefe an Tieck Veranlassung gegeben hatte. Der einfache und natürliche Zug dieser Schriften hatte ihn gewonnen. Er glaubte darin etwas von seinem eigenen Wesen zu erkennen, und wünschte nun in mündlicher Unterredung manche Andeutung weiter ausgeführt zu hören. Erwartungsvoll eilte er, den unbekannten Freund aufzusuchen. Er fand ihn in seinem altväterischen Hause, dessen ganze Einrichtung die Erinnerung an altschweizerisches Leben erweckte, und eine überlieferte feststehende Sitte verkündete. Als er ins Zimmer trat, erhob sich ein starkgliederiger und corpulenter Mann, der in den Sechzigen sein mochte, schwerfällig vom Sessel. Er hatte ein breites, bleiches Gesicht und einen kalten Blick. In ruhiger phlegmatisch massiver Haltung trat er auf ihn zu. Doch als er hörte, wer der Ankömmling sei, belebte sich sein Gesicht, ein eifriges Gespräch begann, welches mit der Einladung endete, längere Zeit zu verweilen, damit man sich ganz aussprechen könne. Tieck mußte dies natürlich ablehnen, bat aber für heute mit seinem Reisegefährten wiederkehren zu dürfen. Auf dieses unbefangene Wort hin änderte sich 41 plötzlich die Scene. Die Aussicht, einen ihm unbekannten, hochgestellten Mann ohne Vorbereitung bei sich zu sehen, machte den an altfränkische Höflichkeit gewöhnten Schweizer stutzig. Er ward verlegen, kalt und einsilbig, das Gespräch stockte, er ließ die Einladung fallen; Tieck erkannte, daß es Zeit zum Rückzuge sei. Er ging nicht ohne Verstimmung über den wunderlichen Mann, der sich um einer Aeußerlichkeit willen in demselben Augenblicke eigensinnig verschloß, wo er sich mitzutheilen wünschte.

In Karlsruhe sah Tieck den rheinischen Hausfreund Hebel, dessen großes Talent volksthümlicher Dichtung er bewunderte. Wer Hebel recht kennen lernen wollte, that am besten, ihn im Wirthshause aufzusuchen, wo er bürgerlich bei Bier und Pfeife Abends zu sitzen pflegte. Er fand den schlichten, kindlichen Mann wieder, den er aus den Gedichten kannte. In der Unterhaltung kam man auf die Anekdoten des »Rheinischen Hausfreundes«. In zutraulichem Tone fragte Tieck: »Aber, lieber Mensch, warum schreiben Sie denn nicht mehr solche hübsche Sachen?« Mit naiv trocknem Humor antwortete Hebel: »Jo, i wees nischt mehr.«

Während eines kurzen Aufenthalts in Manheim fand Tieck auch seinen ältesten Freund Bothe wieder, der ihm die ersten Seelenschmerzen verursacht hatte. Dieser war als rühriger Philolog bekannt. Wol seit dreißig Jahren mochte ihn Tieck nicht gesehen haben. Wie jener sich auch äußerlich verändert hatte, selbst in der freundschaftlichen Aufregung erkannte er ihn innerlich wieder. Das Gespräch kam auf das Sonett, welches Tieck an ihn gerichtet hatte, und wie er ihn jetzt beurtheilte, sah er wohl, daß nur schwärmerischer Jugendenthusiasmus eine Freundschaft zwischen zwei so entgegengesetzten Naturen für möglich halten konnte.

42 Der nächste Besuch galt den Theatern von Darmstadt und Frankfurt a. M., wo Tieck zugleich den Rath Schlosser und manchen andern Bekannten wiedersah. Darauf folgte ein Ausflug in den Rheingau, dann wandten sie sich nach Kassel zurück, dessen Bühne ebenfalls zu berücksichtigen war. Kurze Zeit verweilten sie in Hannover und Braunschweig. Ende Juni war Tieck wiederum daheim. Ein mehrwöchentlicher Aufenthalt in Teplitz schloß sich zur Stärkung und Erholung sogleich an.

So endete diese inhaltvolle Reise. In den Raum weniger Wochen drängte sich das Bedeutendste zusammen. Die böhmischen Gebirge, die Tiroler- und Schweizeralpen und den Harz, die Donau und den Rhein hatte er in raschem Fluge gesehen. Die mannichfaltigsten Erscheinungen in Kunst und Natur waren an ihm vorübergegangen; er hatte einen Ueberblick des neuen deutschen Lebens gewonnen.



 << zurück weiter >>