Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

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6. Das Haus des Dichters.

Vielleicht niemals war Tieck's Leben in sich befriedigter gewesen und gleichmäßiger verflossen als in dem Jahrzehend von 1820 bis 1830. Die Schwermuth, welche ihn früher oft lange niederdrückte, hatte sich gemildert, er war zu einer abgeschlossenern und zugleich heiterern Auffassung des Lebens gekommen. Die aufsteigenden Zweifel fanden ein siegreiches Gegengewicht in der stillen Resignation, die immer mehr der Mittelpunkt seiner Gedanken ward. In dieser Seelenruhe öffneten sich die Quellen der Dichtung von neuem, und in der raschen Production der Novellen schienen ihm die Jugendkräfte wiedergekehrt. Nicht mit Unrecht mochten Freunde und Fernerstehende über diese zweite, fast reichere Ernte staunen, welche nach längerer Ruhe eingetreten war. Es war eine späte und glänzende Verjüngung des Dichterruhms, den er zuerst vor einem Menschenalter gewonnen hatte.

Auch die Krankheit hatte mit ihrer Dauer an Kraft verloren, und es war möglich, ihr zeitweise den Stachel abzubrechen. Anderes, was ihn früher bedrängte, war ausgeglichen, seine äußere Stellung gesichert, bedeutende Verhältnisse nach allen Seiten hin angeknüpft, und sein Haus der Sammelplatz eines reichen literarischen und künstlerischen Lebens und edelster Geselligkeit.

Der Kreis der nächsten Angehörigen und Freunde trug wesentlich dazu bei, seinem Hause den für alle geistigen Kräfte so anziehenden Charakter zu geben. Neben Tieck's Frau standen seine beiden Töchter, und die Gräfin Finkenstein, eine alte Freundin des Hauses, war der Familie nach Dresden gefolgt. Frau von Lüttichau und die Witwe seines Freundes Solger hatten sich ihnen in treuer Ergebenheit angeschlossen.

Eigenthümlich entwickelte sich die ältere Tochter Dorothea. Sie war ein so bestimmtes geistiges Element in diesem Verkehre, daß sie bald nicht allein den Freunden und Verehrern des Vaters eine merkwürdige und anziehende Erscheinung war. Bei der Uebersiedelung nach Dresden war sie etwa zwanzig Jahre alt gewesen. Schon früh zeigte sie reiche Fülle des Talentes und eine Kraft, die ihren eigenen Weg gehen wollte. An den Dichtungen des Vaters bildete sie sich heran und wußte deren besondern Charakter aufzufassen. Mit reger Theilnahme verfolgte sie seine Thätigkeit und ward die Genossin seiner Studien. Unter seiner Anleitung lernte sie die neuern Sprachen kennen und ihre Dichter lieben. Schon vor dem zwanzigsten Lebensjahre war sie mit Shakspeare und Calderon vertraut.

Kaum bedurfte es der Anregung durch solche Geister, um sie in die Tiefen des Lebens blicken zu lassen. Früh genug waren schmerzliche Gefühle in ihr erwacht. Nicht allein ein Theil des Talentes und der schnellen Auffassungskraft des Vaters war auf sie übergegangen, sie war auch Erbin seines Tiefsinns und seiner Schwermuth. Wie reich ihr Leben nach einer Seite hin ausgestattet war, immer vermochte sie es nur mit dem Blicke des Ernstes zu betrachten. Und dieser Blick war schärfer für die schneidenden Contraste, welche das Auge verwunden, als für die hellern wohlthuenden Farben. Dieselben Zweifel, mit denen Tieck so oft gekämpft hatte, wiederholten sich bei ihr, und warfen früh einen dunkeln Schatten auf ihr Leben.

Aber das war es nicht allein. Die geistigen Schwingungen, welche die Romantik hervorgerufen hatte, setzten sich hier in einer spätern Generation fort. Die dichterische 59 Stimmung, welche die Legende wiederbelebte und sich zum Glauben des katholischen Mittelalters neigte, war bei ihr zur Ueberzeugung geworden und in das Leben übergegangen. Das sehnsüchtige Bedürfniß der Religion fand nur in diesen Formen Ruhe und Frieden. Schon als Kind war sie mit ihrer Mutter zur katholischen Kirche übergetreten. Doch was ihr Frieden gab, war von manchen Gegensätzen unzertrennlich. Tieck's eigene religiöse Ueberzeugung war wesentlich protestantisch, das sprachen alle seine neuern Dichtungen aus. So kamen Augenblicke, wo sie sich von den Nächststehenden nicht verstanden glaubte, und bei der kindlichsten Liebe zu ihren Aeltern sich dennoch einsam fühlte. War es doch als wenn gerade aus dem Verkehre mit den Menschen, mit welchen man am innigsten verbunden ist, die man am meisten liebe, auch die reichsten Schmerzen erwachsen müßten. Und was wollte dieses Leben überhaupt, in dem Freude wie Schmerz, wenn sie vorübergegangen waren, nur wie ein dunkler und fernliegender Traum erschienen? Wie bunt trieb alles durcheinander! Mit welchem Eifer jagten die Menschen dem Geringfügigen, Vergänglichen nach! In solchen Augenblicken konnte sie alles für ein leeres Spiel halten. Aber dennoch machte die Gegenwart immer wieder ihre Ansprüche geltend. Hatte man denn kein Recht auf Glück? War es wirklich ein leerer Traum, wenn die Kindheit sich ein solches Bild ausmalte? Von einer tiefen und mit den Jahren steigenden Sehnsucht nach innerer Ruhe wurde sie ergriffen, in der sie diese verwirrenden Netze von sich abstreifen und den Gedanken, die einander anklagen und freisprechen, auf immer entfliehen könne. Nur die Einsamkeit eines Klosters erschien als ein Hafen der geängstigten Seele, als letzte Lösung aller Fragen der Tod.

Doch sie fühlte, diese Seelenstimmung bedürfe eines 60 Gegengewichts, wenn sie nicht zu Grunde gehen wolle. In diesem einsamen Zurückziehen auf sich selbst schien ein geistiger Egoismus zu liegen. Auch bot ihr das Leben manches Mittel der Entwickelung mehr als Andern. Mit aller Kraft begann sie dann gegen die Schwermuth zu kämpfen; ruhiger wollte sie werden. So gewann sie sich Zeiten gleichmäßiger Stimmung ab, in denen sie mittheilend, selbst heiter erschien. Sie unternahm geregelte Studien und literarische Arbeiten, die ihr Zerstreuung und geistige Sammlung gewährten. Von den neuern Sprachen ging sie auf die alten zurück, und gewann einen reichen Schatz von Kenntnissen, die man Gelehrsamkeit nennen konnte. Die Homerischen Gedichte und den Virgil, die griechischen Tragiker und den Horaz, den Herodot und den Livius las sie, und nicht ein Mal, sondern zu wiederholten Malen. Es war keine Neugier, kein gewöhnlicher Dilettantismus; eine Zeit lang lebte sie in diesen Schriftstellern, und suchte sich mit dem antiken Charakter vertraut zu machen. Aber sorgfältig verbarg sie diese Studien, kein Fremder hätte eine Ahnung davon haben dürfen; sie waren ihr Sache des Herzens wie ihre innern Kämpfe. Darum war sie fern von der kokettirenden Vielwisserei gelehrter Frauen. Alles Prunken mit Kenntnissen, alles was als moderne Emancipation hätte gedeutet werden können, haßte sie in tiefster Seele. Nur die vertrautesten Freunde wußten darum, allen Andern wollte sie eine Frau sein, die sich durch nichts über das hergebrachte weibliche Dasein erhebe. Mit demselben Eifer unterzog sie sich daher auch den kleinen weiblichen Arbeiten.

Dennoch konnte sich eine so eigenthümliche Erscheinung nicht verleugnen, selbst wenn sie es wollte. Die Art ihres Seins war nicht die gewöhnliche. Jedes Urtheil, jede Meinung trug das Gepräge ihrer ernsten Stimmung. Wer 61 so Vieles in sich selbst durchgearbeitet hatte, konnte Menschen und Verhältnisse nicht in gewöhnlicher Weise ansehen. Die Wahrheit war ihr Bedürfniß; alles gemachte, alles falsche Scheinwesen haßte sie, aber sie sprach die Wahrheit nicht ohne Schärfe aus, und erschien Fremden oft streng, herb, ja schroff. Auch das gehörte zu den Prüfungen ihres Lebens. Alle diese Gegensätze waren schwerer zu überwinden für die Frau, welcher eine große praktische Einwirkung auf die Welt versagt war. Auch war ihr literarisches Talent ein receptives; wol zum Nachbilden, nicht zu eigenen dichterischen Hervorbringungen fühlte sie sich befähigt. Vielleicht waren ihre Empfindungen zu tief und verzehrend, um sie schöpferisch zu gestalten. So blieb ihr Wesen räthselhaft, unverstanden, aber eigenthümlich und anziehend.

Bald nach dem Jahre 1820 begann die Tochter an der literarischen Thätigkeit des Vaters Theil zu nehmen. Sie übersetzte die Sonette Shakspeare's und die altenglischen Stücke des ersten Bandes der »Vorschule Shakspeare's«, mit Ausnahme der »Hexen von Lancashire«. Im Publicum schrieb man diese Arbeiten längere Zeit Tieck selbst zu. Als er die Fortsetzung des Schlegel'schen Shakspeare übernahm, führte sie einen großen Theil derselben aus, während ein jüngerer Freund das Werk nicht minder eifrig förderte. Der Graf W. Baudissin hatte sich seit 1827 in Dresden niedergelassen, und theilte bald Tieck's Studien des englischen Theaters. Dieser selbst hatte schon früher manches aus den von Schlegel zurückgelassenen Dramen nach Stimmung und Laune übersetzt. Einzelne Bruchstücke des »Macbeth«, »Othello« und des Lustspiels »Der Liebe Müh umsonst«, waren da. Jetzt vollendete seine Tochter das erste dieser Stücke, und übersetzte den »Coriolan«, »Cymbeline«, »Timon von Athen«, »Die beiden Veroneser« und »Das Wintermärchen« 62 vollständig. An einigen andern hatte sie keinen unwesentlichen Antheil. Ueberhaupt sah man diese Arbeit als eine gemeinschaftliche an. Die Uebersetzungen wurden vorgelesen, mit dem Originale verglichen, geprüft und verbessert. Schwierige Stellen besprach man gründlich, und bisweilen nahm die endgültige Feststellung weniger Verse einen ganzen Vormittag ein.

Ein zweiter Kreis theilnehmender und mitstrebender Freunde war in dieser Zeit entstanden. Denn schon hatte der erste sich aufgelöst. Nach einem bewegten Leben war Burgsdorff, der dem Freunde nach Dresden gefolgt war, 1822 gestorben. In ihm verlor Tieck einen der ältesten Jugendgenossen, der bei aller Verschiedenheit des Charakters ihm stets treu ergeben gewesen war. Zwei Jahre später wurde Malsburg daheim auf seinem Gute Escheberg vom Nervenfieber unerwartet fortgerafft. Im Jahre 1825 erlag Loeben langen und schweren Leiden; einige Jahre später folgte ihnen Wilhelm Müller. Keiner dieser jüngern Dichter erreichte das vierzigste Lebensjahr.

Dem neuen Kreise gehörte Rehberg an, der in Staatsgeschäften alt geworden war, und noch spät eine aufrichtige Freundschaft mit Tieck schloß.Der Brief »An Herrn L. Tieck« in der Einleitung zu Lenz's Schriften, »Kritische Schriften«, II, 298, ist von Rehberg. Er kam 1823 nach Dresden, nachdem er der öffentlichen Thätigkeit entsagt hatte. Bekannt als einer der ersten und geistreichsten Gegner der französischen Revolution, faßte er die Dinge überall scharf mit eindringendem Blicke auf. Der Verschiedenheit der Stellungen, und zum Theil auch der Ansichten, ungeachtet, einigte sich Tieck in den Hauptsachen dennoch mit dem realistischen Staatsmanne. So gingen z. B. ihre Urtheile über Goethe weit auseinander; Tieck hatte aber vor dem Scharfblick Rehberg's eine so hohe Achtung, daß er einem Briefe, den dieser, angeregt durch die Einleitung zu Lenz' Schriften, über Goethe an ihn 63 geschrieben hatte, eine Stelle in derselben einräumte. Immer sah er es als ein freudiges Ereigniß an, noch in spätern Jahren einen wahren Freund gewonnen zu haben. Zu den heimischen Freunden Tieck's gehörten K. M. Weber, der Hofmarschall von Lüttichau, Carus, Quandt, der Kunstkenner, Ungern-Sternberg, Karl Förster, Graf Baudissin, die Maler Dahl und Vogel. Eine Zeit lang versammelte man sich regelmäßig zu literarischen Mittheilungen und Vorlesungen.

Eine reiche geistige Anregung gewährten die literarischen Cirkel, welche der Prinz Johann um sich versammelte. Es war die sogenannte Dante-Gesellschaft, in der die Kenner der italienischen Literatur, Förster, Tieck, Carus und Baudissin, sich unter dem Vorsitze des Prinzen zur Lectüre und Erklärung des Dichters in Dresden oder Pillnitz vereinten. In der Regel ließ der Prinz die einzelnen Abschnitte seiner Uebersetzung des Dante von Tieck vorlesen. Ueberall zeigte er ein tiefes Verständniß des Dichters und eine seltene Gelehrsamkeit in der scholastischen Philosophie. Mit Unbefangenheit und Freimuth besprach man den Gegenstand allseitig, eine vollkommene Debatte entspann sich. Ganz als Gelehrter, dem es allein um die Sache zu thun ist, erschien der Prinz; er nahm Kritik an, wie er sie ausübte, und ließ das Uebergewicht, welches ihm seine Stellung gab, vollständig vergessen. Frei und ungezwungen bewegte man sich. Heimische und fremde, alte und neue Literatur, Kunst und Wissenschaft boten einen unerschöpflichen Inhalt, an dem man Geist und Kenntnisse förderte.

Es war ein behagliches, heiteres Leben damals in Dresden. Es gibt Zeiten der Ruhe, wo Noth und Mühsal vergessen scheinen, und die geistige Entwickelung, die oft nur im heißen Kampfe zu gewinnen ist, zum befriedigenden Genusse wird. Dresden konnte an das reiche Leben in Weimar 64 und in jenen italienischen Städten erinnern, welche sprüchwörtlich geworden sind. Da eilen die Maler, Kenner und Kunstfreunde des Morgens nach den Galerien. Vor der Sixtinischen Madonna oder den Gemälden Correggio's sind sie versammelt; mit Eifer tragen sie ihre Ansichten vor, sie vertheidigen ihre Lieblinge, und suchen einander zu überzeugen. Dann hält der alte Böttiger im Antikencabinet eine Vorlesung über Pallas oder Artemis, man geht in die Werkstätte eines befreundeten Malers, um irgendein eben vollendetes Gemälde zu betrachten, oder man sitzt im Laden des Italieners beim Glase Wein und unterhält sich tiefsinnig, oder schwatzt gemüthlich über Kunst, Welt und Leben. Am Abende wird es im Theater ein neues Trauerspiel oder eine neue Oper geben, das beschäftigt die Gemüther und hält sie in Spannung. Tieck wird vor auswärtigen Gästen ein Drama von Shakspeare, eine Dichtung aus seiner ältern Zeit, oder im Kreise der vertrautesten Freunde eine neue Novelle aus dem Manuscript lesen. Dann gibt es irgendein Fest zu feiern, ein Liederfest, ein Künstlerfest, den Geburtstag des Dichters. Man besingt und bekränzt ihn, man stellt in scenischen Versuchen Einzelnes aus seinen Dichtungen dar, und versammelt sich abermals an seinem Sessel, oder macht am Frühlingsabende eine Fahrt in das Elbthal. Man wird nicht müde zu sprechen von Poesie und Malerei, von Drama und Novelle, von Shakspeare und Goethe.Viele einzelne Züge zu dem aufgestellten Bilde des dresdener Lebens finden sich in den Briefen und Tagebüchern K. Förster's in »Karl Förster und seine Zeit, herausgegeben von Luise Förster«.

Dann kommen auf längere oder kürzere Zeit auch auswärtige Freunde. Schon früher hatte Uechtritz seine ersten dramatischen Arbeiten dem Urtheile Tieck's unterworfen, und 1827 gab dieser das Trauerspiel »Alexander und Darius« mit einer Vorrede heraus.

Auch Eduard von Schenk hatte durch seine liebenswürdige 65 Persönlichkeit Tieck schon während des Aufenthalts in München für sich eingenommen. Als Dichter wünschte er seine Kritik, und als Staatsmann suchte er für ihn zu wirken. Bei der Begründung der neuen Universität in München zählte König Ludwig auch Tieck zu den Autoritäten, die gewonnen werden sollten. Dieses Mal wiederholte sich die Zumuthung, das Katheder zu besteigen, unter glänzenden Bedingungen. Man bot ihm eine Professur der neuern Literatur mit einem Gehalte von 2500 Gulden. In der Wahl und Anordnung der Vorlesungen sollte er die vollste Freiheit behalten, und in seinen literarischen Arbeiten in keiner Weise gestört werden. Doch dieses Anerbieten lehnte er ab; er war in Dresden heimisch geworden, und fühlte sich nicht geneigt, nachdem er das funfzigste Lebensjahr überschritten, eine neue Laufbahn zu beginnen. Auch war seinen körperlichen Leiden das wechselnde Klima von München nicht zuträglich, das ihn zwei Mal an den Rand des Grabes gebracht hatte.

Außer diesen jüngern Freunden besuchten ihn in regelmäßiger Wiederkehr auch manche der ältern. Einen lebhaften Briefwechsel unterhielt er mit F. von Raumer, der an Allem, was Tieck berührte, den wärmsten Antheil nahm, und im Frühjahr und Herbst einige Wochen bei ihm zu wohnen pflegte. Mit treuer Freundschaft stand er diesem in den Zeiten heftiger und ungerechter politischer und literarischer Angriffe zur Seite. Auch Steffens kam, der mit seinem vielgelesenen Roman »Walseth und Leith« Tieck auf das Gebiet der Novellendichtung folgte; nicht minder Tieck's Bruder und sein Neffe Gustav Waagen. Rumohr schlug zu Zeiten seinen Wohnsitz in Dresden auf. Er war noch der Alte; geistreich, sanguinisch, unruhig und abspringend. Aber immer kehrte er wieder. Heiter und durch ihre eigenthümliche Küche ausgezeichnet waren die Gesellschaften, die er in seinem 66 Gartenhause auf einem Weinberge bei der Stadt gab; obgleich er stets behauptete, in ganz Dresden sei kein Bissen genießbares Essen zu finden. Denn längst hatte er den Geist der Kochkunst praktisch studirt. Später las er die »Deutschen Denkwürdigkeiten« Tieck vor, und zeigte sich auch hier reizbar und wunderlich. Ein leichter Tadel, den er eines vereinzelten Wortes wegen erfuhr, erregte seinen heftigen Zorn, und lange war er nicht von dem Gedanken abzubringen, Tieck verfolge ihn feindselig, und wolle ihm seine Schriftstellerei verleiden. Dagegen räumte er gutwillig ein, daß seinem Buche der Schluß fehle, und auf Tieck's Aufforderung fügte er einen vierten Theil hinzu.

In diesen glänzenden und bewegten Kreis älterer und neuerer Freunde trat 1827 als Zeuge einer längst entschwundenen Zeit Tieck's ältester, fast vergessener Jugendfreund Piesker, jener altkluge Mentor, der unter den Jünglingen die Rolle des strafenden Gewissens zu übernehmen liebte. Seinem verständigen und ehrenfesten Wesen gemäß war er in die Beamtenlaufbahn eingetreten, und war dann nach Polen verschlagen worden; endlich hatte ihn Tieck während seiner Sturm- und Drangperiode ganz aus den Augen verloren. Der dürftige Briefwechsel war eingeschlafen; Tieck wußte nicht einmal, ob der alte Freund noch lebe. Jetzt kündigte er plötzlich nicht nur sein Leben, sondern auch seinen Besuch in Dresden an, und zwar mit einem Theile seiner ziemlich zahlreichen Familie. Er war unterdeß als arbeitsamer Actenmann Landgerichtsrath in Meseritz geworden. Es war die freudigste Ueberraschung, den ältesten Jugendfreund so unerwartet wiederzusehen, den einzigen von jenen Genossen, der noch lebte. Alte Zeiten wurden in diesem Wiedersehen neu. Doch bald wich die überschwängliche Freude andern Betrachtungen. Der Landgerichtsrath aus Meseritz war ein guter und 67 pflichteifriger Mann, dessen Geist in dem kleinen Beamten- und Stadtleben zusammengeschrumpft war. In der ersten Begeisterung las ihm Tieck Einiges von seinen Dichtungen vor, und führte den wenig Gereisten in Dresden umher. Doch statt aller theilnehmenden Aeußerungen hörte er stets nur die eine Gegenbemerkung, daß, dies und jenes ausgenommen, Alles in Meseritz ebenso sei. Es war vergeblich, aus ihm einen Funken herauszuschlagen, und Tieck konnte schließlich nicht begreifen, wie er in der Jugend im Verein mit diesem gutmüthigen, aber trockenen Gefährten Trauerspiele hatte schreiben wollen.

Einen anziehenden Charakter gewann dieses freundschaftliche und literarische Zusammenleben durch Tieck's dramatische Vorlesungen. Längst waren sie mehr gewesen als eine anregende Unterhaltung für die Familie und die nächsten Freunde. Sie waren eine Vermittelung für Fernerstehende, ein künstlerisches Vorbild für Schauspieler, Gegenstand der Bewunderung oder Neugier für Fremde, und Mittelpunkt der Geselligkeit. Ihr Ruf ging weit über Dresden hinaus, und Tieck's Meisterschaft im dramatischen Lesen trug vielleicht ebenso viel dazu bei, ihn zur öffentlichen Person zu machen, als sein dichterischer Ruhm. Seine Vorlesungen wurden zu Dresdens Merkwürdigkeiten gezählt. Bisweilen fragten sogar die Lohnbedienten der Gasthöfe im Namen angekommener Fremden an, ob heute Abend Vorlesung sein werde. Man sprach von ihnen, wie von der Gemäldegalerie, von der Kapelle der katholischen Kirche, oder dem Theater. Wer nach Dresden kam, mußte Tieck besucht, irgendeine seiner Vorlesungen gehört haben, das war unerläßlich. Sie vollendeten den künstlerischen Charakter der Stadt. Wie Goethe zu Weimar, gehörte Tieck zu Dresden.Ueber Tieck's Vorlesungen in Dresden berichtet Varus in der Abhandlung »Ludwig Tieck. Zur Geschichte seiner Vorlesungen in Dresden«, in Raumer's»Historischem Taschenbuch«, 1845.

Dem Huldigungseifer der Fremden kam er mit 68 Unbefangenheit, Gutmüthigkeit und der edelsten Liberalität entgegen. Selten mag eine uneigennützigere Gastfreiheit ausgeübt worden sein. Er empfing seine Gäste wie der feingebildete Mann, der zugleich Dichter ist. Wenn in der deutschen Geselligkeit irgend etwas den vielgerühmten literarischen pariser Salons entsprach, so fand es sich im Hause Tieck's. Nur mit den mäßigen Mitteln eines deutschen Privatmannes und Gelehrten ausgestattet, sah er dennoch fast an jedem Abende Gäste; außerdem galt der Sonnabend als officieller Empfangstag. Die Versammlung in seinem Lesezimmer war in der Regel sehr zahlreich. Mitunter stellten sich gegen die Sitte des Hauses noch um zehn Uhr Abends Fremde ein. Die verschiedensten Menschen und Gestalten fanden sich zusammen; die nächsten Freunde, Reisende, Bekannte und Unbekannte, Künstler, Schriftsteller und Gelehrte, neben den Deutschen oft Franzosen, Dänen, Engländer, Russen oder auch Nordamerikaner. Es war eine bunte Menge, wie sie Freundschaft, Verehrung, Neugierde oder fremde Empfehlung zusammengeführt hatte. Denn ein Wort, eine Zeile irgendeines Bekannten, eine anspruchslose Selbsteinführung reichte hin, diesen Kreis jedem Gebildeten zu öffnen. Man fühlte nichts von der Herrschaft, welche die geistige Größe auf ihre Umgebung unwillkürlich ausübt. Er dachte nicht daran, daß er der Mittelpunkt sei, und war weit entfernt, das Gespräch an sich zu ziehen.

Die Vorlesung erfüllte ihn jedes Mal ganz; er ging persönlich so vollständig in seinen Dichter auf, daß er der Gesellschaft umher oft entrückt wurde, und nach dem Schlusse nur allmälig zu seiner Umgebung zurückkehrte. Die künstlerische Vollendung, mit der er las, mochte damals den höchsten Punkt erreicht haben. Während man früher Vorlesen für ein Leichtes hielt, was sich von selbst verstehe, zeigte er, 69 auch der Vorleser vermöge ein Kunstwerk zu schaffen, welches die Wirkung der Bühne überbiete. Unter den Stücken, die er zu lesen pflegte, standen die Shakspeare'schen obenan; häufig las er auch Goethe oder Schiller, Calderon oder Holberg, ein älteres deutsches Lustspiel, oder er griff zu einer neuesten dramatischen Dichtung eines jüngern Freundes. In ausgewähltern Kreisen ging er nicht selten auf Sophokles zurück, stets nach Solger's Uebersetzung. Gern und unter tiefem Eindrucke las er den Euripides, nur vor Männern, in der Regel im Hause eines der Freunde auch den Aristophanes. Diese eigenthümliche Mischung von kühnem Witz und Phantasterei schien ihm besonders zusagend. Die Theilnahme der Zuhörer stieg, wenn er eines seiner eigenen Werke vortrug, und als Dichter und Vorleser zugleich auftrat. Fühlte er sich ganz kräftig, so konnte er wol zwei fünfactige Dramen, eine Tragödie und ein Lustspiel ohne größere Pause oder merkliche Ermattung hintereinander lesen. Die Jahreszeit machte keinen Unterschied; an den Sommerabenden fanden sich die Fremden vielleicht noch zahlreicher ein. Das Lesepult ward aufgestellt, man sammelte sich mit einer gewissen Andacht, und bald nach sechs Uhr begann die Vorlesung.

Manches gleichgültige Gesicht, welches er nie wiedergesehen hat, ging damals an ihm vorüber, und mancher Name wurde ihm genannt, dessen er sich nicht wieder erinnerte. Doch auch die berühmtesten Männer saßen vor seinem Lesepulte. Fast jeder Abend erweiterte den Kreis der persönlich Bekannten. Schon 1820 besuchte ihn Hegel, den er auf der Rückreise von England in Heidelberg kennen gelernt hatte. Dieser hatte seitdem sein System im ganzen Umfange entwickelt, er war eine Autorität geworden, welche die Stimmung der Wissenschaft zu beherrschen anfing. 70 Eine innere Annäherung oder Ausgleichung zwischen beiden war unmöglich. Bei Tieck's Stellung zur Philosophie konnte er sich am wenigsten mit der Strenge und scharfen Dialektik Hegel's befreunden, und diesem lag die Plastik antiker Kunst näher, als das moderne Gefühl. Später wurde Tieck durch Hegel's Kritik über Solger verletzt. Er sah darin ein Verkennen der tiefsten Gedanken seines Freundes, die auch sein eigenes Leben gebildet hatten.

Diesmal kamen Dichter und Philosoph auf dem neutralen Boden dramatischer Vorlesung zusammen. Tieck las im Kreise seiner Freunde den »Othello«. Am Schlusse machte Hegel einige Bemerkungen über den Charakter des Jago; er sah darin einen Beweis des unbefriedigten Gemüths des Dichters selbst. Bei Tieck stand der Gedanke der reinsten künstlerischen Stimmung Shakspeare's fest. Im Eifer herausfahrend, rief er: »Professor, sind Sie denn des Teufels, so etwas zu behaupten?« ein Gefühlsausbruch, der auf Hegel keinen günstigen Eindruck machte.

Zu den Vertretern der deutschen Kunst- und Dichterwelt, welche bei Tieck erschienen, und mit denen er zum Theil im brieflichen Verkehr blieb, gehörten Thorwaldsen, Cornelius, Schadow, Jean Paul, Robert, Häring, Holtei, Hauff, Schall, Immermann, Eduard Devrient, die Uebersetzer Gries, Kauffmann und Regis. Ein unbequemer Gast war Müllner. Er war absprechend und hochfahrend, umsomehr, da er Tieck's Widerwillen gegen seine Trauerspiele kannte, und sich nicht hinreichend geehrt glaubte. Er hielt es überwiegend mit den Gegnern, und ließ es in seinem »Mitternachtsblatte« an Ausfällen nicht fehlen.

Unter den Gelehrten schloß sich ihm in naher Freundschaft Loebell an, der neben seinen Fachstudien an den Geschicken der deutschen Literatur und Tieck's Einwirkung auf 71 dieselbe lebhaften Antheil nahm. Auch mit Ottfried Müller war er in nähere Verbindung getreten, dessen Liebenswürdigkeit und geistvolle Gelehrsamkeit gleich sehr fesselte. Er stand mit Thorbecke, Hormayr, A. Wendt, Adolf Wagner im Briefwechsel; gelegentlich auch mit A. von Humboldt, Schleiermacher, Neander. Herbart, Ranke und andere Gelehrte sah er in seinem Hause. Als er 1828 Teplitz mit Baden-Baden vertauschte, lernte er auf der Reise durch das Würtembergische Wolfgang Menzel kennen, der mehr als einmal seine Vertheidigung gegen ungerechte Angriffe übernahm; dann Kerner und Eschenmaier, welche ihm die Seherin von Prevorst nicht erließen. Durch die Schweiz über Strasburg ging er nach Bonn, um nach langer Zeit seinen alten Freund Schlegel zu besuchen. Hier hielt er sich vierzehn Tage auf, und obgleich ihm die indische Gelehrsamkeit durchaus fern lag, verständigten sie sich doch bald. Schlegel misbilligte die mystische Richtung seines Bruders in so harten Ausdrücken, daß Tieck mäßigen mußte.

Auf der Rückreise, es war in den ersten Tagen des October, berührte er Weimar. Zehn Jahre waren verflossen, seit er Goethe nicht gesehen hatte. In dieser Zeit waren ihre Berührungen nur vorübergehender Natur gewesen. Als Goethe Tieck's Novelle, »Die Verlobung«, gelesen hatte, dankte er ihm schriftlich dafür, und öffentlich sprach er seine Anerkennung aus. Jetzt war Tieck mit seiner Familie einen Mittag bei Goethe, den Dorothea durch eine gelungene Recitation eines Theiles der »Iphigenia« aus dem Gedächtnisse überraschte. Am folgenden Abend las Tieck in einem größern Kreise bei Goethe's Schwiegertochter den »Clavigo« Goethe selbst erschien nicht; er hatte sich entschuldigen lassen.Ueber Tieck's Besuch bei Goethe im Jahre 1828 s. Eckermann, »Gespräche mit Goethe«, II, 23, 28. Goethe's kurze Anzeige von Tieck's Novelle »Die Verlobung« »Werke«, XLV, 295. Auch »Solger's nachgelassene Schriften« besprach Goethe ebend. S. 289 und Tieck's »Dramaturgische Blätter« ebend. S. 111 nicht ohne eine gewisse Abneigung gegen Tieck's Theorien über Shakspeare, wie sich auch in dem Aufsatz »Englisches Schauspiel in Paris« zeigt. »Werke« XLVI, 151.

Indeß war Tieck auch dem Auslande als Dichter bekannt 72 geworden. Zuerst vielleicht im skandinavischen Norden, wo die nationalverwandten Gemüther für die romantische Poesie große Vorliebe zeigten. Die Einwirkungen von Steffens und Oehlenschläger waren nicht ohne Erfolg geblieben. Selten ging ein namhafter Däne nach Deutschland, ohne Tieck aufzusuchen. Noch 1831 kam Oehlenschläger nach Dresden; zu andern Zeiten Heiberg, Ingemann, Hauch, Herz und Anderssen; später die Schweden Atterbom und Beskow.

Seit die deutsche Literatur in Frankreich Gegenstand eifrigen Studiums geworden war, fehlte es auch an französischen Besuchern nicht. Ampère und Marmier, welche Deutschland in Deutschland kennen lernen wollten, verweilten bei Tieck. Obgleich er sich mit Abscheu von der neufranzösischen Romantik abwandte, die ihm nicht als Poesie, sondern als Krankheit galt, ward der literarische Verkehr doch nicht gestört. Auch brachte die »Revue des deux Mondes« einen eingehenden und anerkennenden Artikel über seine dichterische Entwickelung. Später kamen Barante, Montalembert, der Marquis Cubières, der, wie Marmier, ihn in französischen Versen besang, Carnot, der Schauspieler St. Aubin und mancher Andere. Mit England blieb er durch Shakspeare in steter Verbindung, durch die Kenner der altenglischen dramatischen Literatur Coleridge, Dyce, Hayward und Colliers. Auch besuchten ihn die Russen Schukowski, Uwarow und Stackelberg. Von Nordamerikanern lernte er den Theologen Robinson und den Literarhistoriker Ticknor kennen. 73



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