Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

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2. Dresden.

Gegensätze und Meinungsverschiedenheit dieser Art waren in Dresden nicht zu befürchten. Die literarischen Kreise, welche hier herrschten, und mit denen eine Berührung nicht ausbleiben konnte, waren ganz anderer Natur; sie stammten zum Theil noch aus jenen Zeiten, die längst für abgethan galten. Es gab eine locale Tagesliteratur, welche, durch bekannte Männer geleitet, auf die öffentliche Meinung 15 keinen geringen Einfluß ausübte, und als eine Art von Macht auftrat. Eine Anzahl mittlerer, gewandter, federfertiger Talente war hier vereinigt. Ohne Tiefe und entschiedene Richtung waren sie zufrieden, dem Bedürfnisse und Geschmacke des Tages zu dienen, und das Publicum zu unterhalten. Sie stimmten darin überein, nicht entschiedene Anhänger der romantischen Schule zu sein. Nach Bildung und Neigung gehörten sie vielmehr der alten Aufklärung an, doch je nach Umständen ließen sie sich auch in dem neuen Tone vernehmen.

Die anerkannteste und geehrteste Autorität war Böttiger, mit dem Tieck fast fünfundzwanzig Jahre nach dem »Gestiefelten Kater« durch ein eigenes Geschick dauernd zusammengeführt wurde. Nach Herder's Tode nach Dresden berufen, machten ihn Gelehrsamkeit, Vielseitigkeit und Vielthätigkeit bald zum Führer und Lehrer der öffentlichen Meinung in gelehrten und künstlerischen Dingen. Als eleganter Philolog und Alterthumsforscher hatte er eine entsprechende Stellung bei dem Antikencabinet; aber auch über Literatur, Schauspiel und Kunst im Allgemeinen ließ er sich nicht selten öffentlich vernehmen.

Wie Böttiger stammte der namhafteste der dortigen Dichter ebenfalls aus der ältern, ja ältesten Schule her, Tiedge, der Freund Elisa's von der Recke, der vielgefeierte und bekränzte Sänger der »Urania«. Seine Poesie war noch vor Goethe'schen Datums, denn in Gleim's Freundeskreisen war er gebildet. Der Kern dieser Ansichten und Dichtungen war die gute, alte, nüchterne Prosa, die bis auf den »Werther« Vielen für mehr gegolten hatte. Tiedge war dabei nicht stehen geblieben. Nicht ohne Formtalent hatte er sich den sentimental-declamatorischen Ton späterer Zeiten angeeignet, und unter bilderreichen, wohltönenden, schäumenden Versen verbarg sich die ursprüngliche Trockenheit. 16 Wenig wurde hier durch Vieles ausgedrückt; aber diese rednerische und nüchterne Tugend fand ungemeinen Beifall. Seine »Urania« erlebte Auflage nach Auflage, und alte fromme Damen und junge Mädchen wallfahrteten, um den sinnigen Dichter zu verehren.

Tieck und Tiedge, aus früherer Zeit miteinander bekannt, hatten beide gleichzeitig im Jahre 1819 sich nach Dresden übersiedelt. Ohne nähere Beziehungen zu haben, setzten sie den geselligen und literarischen Verkehr in bequemer Weise miteinander fort. Als Tiedge mit seinem letzten Lehrgedicht, »Der Markt des Lebens«, beschäftigt war, bat er Tieck, ihm irgendeinen lesbaren neuern Philosophen nachzuweisen, da er in dieser Literatur unbekannt sei, in seinem Gedichte aber doch davon zu sprechen wünsche. Tieck schlug ihm Solger's Schriften vor, ohne damit große Ehre einzulegen. Denn als Tiedge auf eine scharfe Kritik Klopstock's stieß, warf er das Buch mit Abscheu von sich. Zu komischen Verwechselungen gab nicht selten die Aehnlichkeit der Namen Veranlassung. Tieck behauptete bisweilen im Scherze, er habe manche Huldigung übereifriger Bewunderer stillschweigend und duldend hinnehmen müssen, die eigentlich seinem Collegen gegolten habe. Einmal kam es sogar vor, daß ein bekannter, aber in der Literatur wenig heimischer Arzt, der seine Hochachtung vor Dichtern beweisen wollte, in einer Gesellschaft Tieck's Wohl mit den Worten ausbrachte: »Vivat Oranien!« »Das war ein großer Held«, erwiderte Tieck, heiter darauf eingehend, »den können wir schon leben lassen!«

Ein dritter vielbeliebter Romanschriftsteller war Friedrich Schulze, in der Bücherwelt Laun genannt.Von Friedrich Laun ist das Sonett des Ungenannten »Der Streit für das Heilige«, Musenalmanach von Schlegel und Tieck für 1802, S. 257. Worüber zu vergleichen Friedrich Laun's »Memoiren«, I, 166, und über das Verhältniß Tieck's zu Friedrich Laun, Tieck's Brief an Friedrich Laun, »Kritische Schriften«, II, 401. Schon im Jahre 1801 hatte Tieck seine Bekanntschaft gemacht, und ein Sonett von ihm im Schlegel'schen Tone hatte, ohne daß man den Verfasser kannte, durch die dritte Hand Eingang in den 17 Musenalmanach für 1802 gefunden. Es war ein stiller, anspruchsloser Charakter, und ein gewandtes, leichtes Talent. In zurückgezogener Aemsigkeit sorgte er schon seit den neunziger Jahren durch eine lange Reihe von Romanen und Erzählungen, in denen er bald in das gewöhnliche Kleinleben, bald in die Ritterzeit oder in die Gespensterwelt hineingriff, für die Unterhaltung des Publicums. Eine wahre Fabrikthätigkeit auf diesen Gebieten entwickelte Gustav Schilling, der es bis auf hundert Bände brachte, und Richard Roos gab ihm darin wenig nach.

Die Inhaber der Tagespresse waren Friedrich Kind und Theodor Hell. Der erste war als Erzähler aufgetreten und hatte das Publicum nach und nach mit seinen »Malven«, »Tulpen« und »Lindenblüten« beschenkt, zu denen noch das »Vergißmeinnicht« von Hell kam. Kind versuchte sich auch im Schauspiele und gewann bald darauf durch seinen »Freischütz« eine rasch vorübergehende Berühmtheit. Hell arbeitete im Lustspiel; er hielt sich an die Vaudevilles der Franzosen. Zu diesen gesellte sich später als tragischer Schriftsteller Eduard Gehe. Einen gemeinschaftlichen Mittelpunkt besaßen sie in dem früher von Laun, Hell und Kuhn gestifteten literarisch-geselligen Verein, der Liederkreis, und ihr Tagesblatt war die »Abendzeitung«, welche Kind und Hell seit 1817 gemeinschaftlich herausgaben, an der auch Böttiger Antheil nahm.

Alle diese Schriftsteller gingen in Ansichten und Begabung über die behagliche Mittelmäßigkeit nicht hinaus. Die meisten von ihnen waren in Dresden geboren, sie waren untereinander mannichfach verbunden, und bildeten eine geschlossene Reihe. Die Uebersiedelung eines Mannes wie Tieck nach Dresden war für sie ein wichtiges Ereigniß, ihre Stellung mußte eine andere werden, sobald sie eine große 18 dichterische Autorität neben sich hatten. Reibungen konnten nicht ausbleiben. Ohnehin war es eine Zeit, wo man in politischer Abspannung literarischen Parteikämpfen, Personalien und Localinteressen eine übermäßige Wichtigkeit beizulegen anfing.

Fühlte sich Tieck schon im Gegensatze gegen diejenigen, welche sich seine Freunde und Anhänger nannten, wie hätte er sich mit denen verständigen können, die weder das eine noch das andere waren, und gelegentlich den modernen Spuk mit dem alten Rationalismus zu verbinden wußten. Wie in frühern Jahren, fand er daher auch jetzt Veranlassung genug, immer wieder von Goethe und Shakspeare als den großen Mustern der Dichtkunst zu sprechen. Es erregte auf jener Seite ein unbehagliches Gefühl, wenn er Meisterwerke vorlas, über sie schrieb und sprach, und das Alltägliche, Flache und Mittelmäßige beim rechten Namen nannte oder ganz übersah. Dagegen vernahm man den literarischen Stoßseufzer, man dürfe nicht mehr lachen, wenn Kotzebue kitzele, nicht mehr weinen, wenn Iffland's Ernst rühre, beide würden gemein gescholten, und deutsche Originale weggewitzelt, um Holberg's Nuditäten und unverstandene Briten und Spanier zu bewundern.

Dennoch wurden beide Theile erträglich miteinander fertig. Böttiger war ein höflicher und auch gutmüthiger Mann, mit dem sich leben ließ. Auch mit den Uebrigen kam ein Einvernehmen insoweit zu Stande, daß Tieck seit dem Jahre 1820 dramatische Kritiken für die »Abendzeitung« schrieb.

Dagegen schlossen sich einige jüngere Dichter, die mit wärmstem Eifer der Romantik huldigten, in persönlicher Freundschaft an, und machten ihn zum Mittelpunkte eines eigenen Kreises. Zuerst Ernst Otto von der Malsburg, ein junger Mann, der, ganz erfüllt von dem Gedanken der 19 modernsten Poesie, durch Schlegel zum Studium der spanischen Dichtung und zur Uebersetzung Calderon's angeregt worden war. Mit Glück lieferte er eine Fortsetzung des spanischen Theaters; sie erschien seit dem Jahre 1817. Die Atmosphäre spanischer Ritterlichkeit und Gläubigkeit entsprach seinem Charakter und Talente, und in seinen lyrischen Dichtungen reproducirte er mit Empfindung, was er dort aufgenommen hatte. Er war nicht original oder schöpferisch, doch warm, innig, überschwänglich. Persönlich war er liebenswürdig, treu und hingebend als Freund, gewandt, heiter und voll gutmüthigen Humors als Gesellschafter. Auf seine Kenntniß des Spanischen legte Tieck hohen Werth, und seiner Uebersetzung des Calderon gab er vor der Gries'schen den Vorzug. Für beide war das Studium der spanischen Literatur ein Einigungspunkt. Beide waren Liebhaber und Sammler alter Drucke, und scherzweise verabredeten sie, daß der zuerst Sterbende seine spanische Bibliothek dem Ueberlebenden als Erbe hinterlassen solle. Durch Malsburg's frühen Tod ward dieser Scherz nur zu bald zum Ernst. Im Jahre 1817 war er als kurhessischer Geschäftsträger nach Dresden gekommen, wo er mit einigen Unterbrechungen die letzten Jahre seines Lebens zubrachte.

Gleich an Jahren, aber als Schriftsteller älter und bekannter, war der Graf Heinrich Loeben, der unter dem Namen Isidorus Orientalis Mancherlei in Vers und Prosa geschrieben hatte. Neben Fouqué war er der allseitigste Vertreter der neuesten Romantik. Durch seinen ersten Roman »Guido« zog sich ein wunderlicher und verworrener Nachhall von Novalis' »Ofterdingen«. Zu der mittelalterlichen Ritterlichkeit kam ein unklarer und mit sich selbst ringender Sinn, der oft mit Gleichnissen nur spielte, und katholisirende Neigungen. Bald war er der andächtige Pilgersmann, bald 20 ein irrender Ritter oder ein klagender Schäfer. Der Karfunkel, die Hyacinthe und Narcisse, alle Blumen und Edelsteine der spanischen Dichter gingen durch seine Hand. Mit ungemeiner Leichtigkeit producirte er. Sein beweglicher Vers war der Ausdruck einer unruhigen und überreizten Phantasie. In schweren Krankheiten und anhaltenden Leiden schienen sich diese Seelenkräfte auf Kosten der Gesundheit zu steigern.

Befreundet mit beiden war Karl Förster, Lehrer an der dresdener Cadettenanstalt, eine offene, einfache und weiche Natur. Mit vielseitiger Gelehrsamkeit ausgerüstet, war er besonders Kenner der italienischen Literatur und Kunst. Seine Uebersetzungen des Petrarca und Tasso zeigten, wie seine eigenen Gedichte, ein nicht unbedeutendes Formtalent.

Zu ihnen kam der Graf F. Kalkreuth, Sohn des Feldmarschalls; auch er hatte Manches im romantischen Ton geschrieben; und endlich Tieck's älterer Freund, Wilhelm von Schütz, welcher als ein eifriger Anhänger F. Schlegel's, die Ueberschwänglichkeit der jüngern Romantiker noch überbot.

Diese bildeten den engeren Kreis, der sich ohne Tieck's Zuthun um ihn sammelte. Alle waren jüngere Männer, begabt, begeistert für eine eigenthümliche Auffassung der Poesie, als deren Meister sie Tieck anerkannten. Reine Hingebung und aufrichtige Bewunderung seiner Dichtungen brachten sie ihm entgegen. Durch die Einfachheit und vollendete Durchbildung, die es ihm unmöglich machte, irgendeinen geistigen Druck auf Andere ausüben zu wollen, durch die feine Sitte und gesellige Form, die seine Natur war, wurden sie gefesselt. Sie selbst bedurften eines Mittelpunktes, eines Namens, an den sie sich anschlossen; so erhoben sie Tieck auf den Schild und nannten ihn ihren Meister. In seiner mittelalterlichen Sprache bezeichnete Loeben ihn als seinen Ritter und sich als getreuen Knappen. Gewann es für die Gegner 21 den Anschein, als wenn sich Tieck wirklich zu einem Sektenhaupte erheben wolle, so konnte doch nur der so urtheilen, der ihn nicht kannte. Unbekümmert um die Deutungen, welche dies Verhältniß erfuhr, ließ er geschehen, was sich von selbst machte. Weder stimmte er mit seinen Freunden in allen oder den wichtigsten Punkten überein, noch verkannte er ihre Einseitigkeiten und Schwächen, aber nicht minder schätzte er ihre Treue und liebenswürdige Hingebung. Ungesucht bildete sich eine literarische Gesellschaft, die sich regelmäßig versammelte, in der man eigene oder fremde Dichtungen vorlas und mit freundschaftlicher Kritik beurtheilte.

Zu den Freunden, welche in Dresden lebten, kamen vorübergehend auch auswärtige, welche Abwechselung und manche neue Anregung brachten. Nach langer Trennung sah Tieck im Jahre 1820 seine Schwester, jetzt Frau von Knorring, wieder, welche einen ihrer Söhne aus Livland nach Heidelberg begleitete. Noch beschäftigte sie sich eifrig mit Poesie und Literatur. Ihre Gedichte und Dramen trugen den Charakter der modernen bunten Romantik, welche märchenhafte Stoffe in klingende romanische Versmaße einkleidete. Auch sein Bruder Friedrich kam, der nach einem unruhigen Wanderleben in der Schweiz, lange in Carrara gelebt hatte, und jetzt bei der Kunstakademie in Berlin angestellt war. Im Sommer 1822 erschien Jean Paul, mit dem Tieck heitere Tage verlebte. Im Anfange hatte sich eine gewisse kühle Rückhaltung und Befangenheit zwischen beide gelagert; sie mochten sich erinnern, daß sie bei aller Anerkennung nicht immer glimpflich über einander geurtheilt hatten. Doch endlich wurde das Eis gebrochen; offen und unbefangen besprachen sie ihre Dichtungen und ihre gegenseitige Stellung, und zu Jean Paul's großem Ergötzen las Tieck den »Attila Schmelzle« vor.

22 Dem engern Freundeskreise schloß sich auch Wilhelm Müller an, der mit Loeben befreundet war. Seine »Müller- und Waldhornistenlieder« fanden allgemeinen Anklang; einen tiefen Eindruck machten bald darauf die »Griechenlieder«. Die Verständigung mit ihm war leicht. Er war gesund, frisch, wahr, von allem Grillenwesen entfernt, und für die einfache Liederpoesie in hohem Grade begabt. Als er einst Tieck einen dramatischen Versuch mittheilte, und dieser ihm auseinandersetzte, daß das Drama nicht sein Beruf sei, verwarf er ohne Empfindlichkeit und mit voller Anerkennung der dargelegten Gründe seine Dichtung, und hielt sich seitdem von dieser Gattung fern. Auch Ludwig Robert und Holtei kamen zeitweise nach Dresden.

Eine der seltsamsten Erscheinungen tauchte von anderer Seite auf, die auf Tieck einen überraschenden Eindruck machte. Unter vielen dichterischen Erstlingswerken, welche ihm zugesendet wurden, empfing er im Herbst 1822 ein Manuscript, das schon äußerlich durch Umfang und Gewicht gegen die übrigen nicht wenig abstach. Es war eine Tragödie, betitelt »Theodor von Gothland«. Der Verfasser hieß Grabbe, und bat um Tieck's richterliches Urtheil. Auf den ersten Blick erkannte er die große, aber rohe und verwilderte Kraft. Da war nichts von Schwächlichkeit, nichts von dichterischer Koketterie, es war das Arbeiten eines ungebändigten, dunkel bewußten Talents. Der Verfasser hatte Shakspeare studirt und in sich aufgenommen, aber die dichterische Wuth führte ihn weit hinaus über Alles, was die ältern Genies sich erlaubt hatten. Die Weichlichkeit des herrschenden Geschmacks bestärkte ihn in seiner natürlichen Richtung. Es fehlte nicht an tragischen Momenten und Gedanken, aber Vieles war hart, bizarr, ja blutig und entsetzlich. Mit der Raserei der Leidenschaft, die sich selbst zerfleischte, paarte sich 23 bisweilen ein widerlicher Cynismus; die Kraft schlug in ein krampfhaftes Wüthen, in einen unpoetischen Materialismus über. So konnte nur ein großes Talent und ein unglücklicher Mensch sich darstellen. Voll Theilnahme sprach sich Tieck in einem Briefe in diesem Sinne aus, und sogleich antwortete der Dichter mit der Uebersendung eines zweiten Stücks. Dieses Mal war es ein Lustspiel.

Tieck hatte Recht. Ein unglücklicher Mensch hatte dies geschrieben; es war ein Talent, das schon im Augenblicke des Auslaufens zu scheitern drohte. Grabbe studirte damals in Berlin. In Detmold, wo sein Vater Zuchthausbeamter war, empfing er unter drückenden Verhältnissen die erste Ausbildung. Doch seine Anlagen zeichneten ihn aus; man erwartete von ihm Bedeutendes, und nahm sich seiner an. Auf verschiedene Weise suchte man auf ihn zu wirken und ihn nutzbar zu machen. Eine Zeit lang sollte er Prediger, dann Archivar und Diplomatiker werden. Er häufte Massen entgegengesetzter und verworrener Kenntnisse auf, die ihn zuletzt anwiderten und ihm die gelehrten Studien verleideten. Aber er spürte etwas vom Dichter in sich, und bald schien das Gefühl in ihm Oberhand zu gewinnen, daß man die Kraft in ihm am wenigsten würdige, auf die er stolz war. Er zeigte sich abspringend und reizbar, wunderlich, hochmüthig und voll Leidenschaft. Endlich ging er nach Leipzig und Berlin, um die Rechte zu studiren; hier vollendete er seine früher begonnenen Dichtungen.

Jetzt suchte er nach irgendeinem Mittel des Unterhalts. Bei seiner Vorliebe für das Drama glaubte er auch Beruf für dessen Darstellung zu haben; er beschloß Schauspieler zu werden. Er glaubte mit den größten Naturmitteln ausgestattet zu sein; seine Einbildung spiegelte ihm vor, auf der Bühne müsse er ungeheuern Eindruck machen. 24 Inzwischen war er nach Leipzig zurückgegangen, von wo er Tieck seine Wünsche und Absichten im März 1823 mittheilte. Er schilderte seine unwiderstehliche Neigung für das Theater; er besitze eine Stimme, die aller Modulationen fähig sei; sein Talent sei das vielseitigste, Hamlet, Lear und Falstaff vermöge er darzustellen. Er beschwor ihn, seine Anstellung bei der dresdener Bühne zu vermitteln, und ihn dadurch zugleich einer drückenden Lage zu entreißen. Durch diese Ankündigungen ward Tieck auf das höchste gespannt.

Es war im Frühling 1823, als ein Fremder zu ihm ins Zimmer trat; eine schwächliche Figur, ein bleiches Gesicht, von Sorge und Leidenschaft zerstört. Verlegen und unbehülflich, kündigte er mit polternder Stimme an, er sei Grabbe. Kaum konnte es eine größere Selbsttäuschung auf der einen, und Enttäuschung auf der andern Seite geben. Von allen Talenten, die Grabbe von sich gerühmt hatte, besaß er keines, weder Stimme, noch Haltung, noch Wandlungsfähigkeit. Alles beruhte auf einer Einbildung, die sein Unglück vermehrte. Für nichts paßte er weniger, als für ein öffentliches Auftreten auf den Bretern. Der Druck enger Verhältnisse, und das trotzige Gefühl seiner Kraft hatten ihm etwas Störrisches gegeben. Einige Leseproben, auf denen er bestand, fielen ungünstig aus, und bestätigten, daß er für das Theater keinen Beruf habe. Auch ergab sich, daß durch häufigen Genuß geistiger Getränke seine Gesundheit zerrüttet sei.

Bei seiner Zügellosigkeit paßte er in kein bürgerlich geordnetes Verhältniß. Er war schwer unterzubringen, seine Dramen, auf die er hoffte, ließen sich nicht darstellen. Auf Tieck's Verwenden suchte indeß die Intendanz des dresdener Theaters ihn anderweitig zu unterstützen. Aber dies konnte ihm nicht genügen. Er vermochte von seinen 25 Einbildungen nicht zu lassen, und glaubte sich verkannt und zurückgesetzt. Er hatte sich Tieck in die Arme geworfen, von ihm erwartete er Hülfe, Erleichterung seines Zustandes und Erfüllung phantastischer Wünsche, in der er eine Anerkennung seines Werthes sah.

Tieck that, was in seinen Kräften stand; er behielt ihn in seiner Nähe, und zog ihn zu seinen Gesellschaften. Aber es war schwer mit ihm zu verkehren. Die Gegenwart Anderer war ihm lästig; er war bald scheu, bald hochfahrend. An keinem Gespräche nahm er Theil; oft stand oder saß er stumm auf einer Stelle, oder sah, unbekümmert um die Gegenwärtigen, zum Fenster hinaus. Es war ein seltsames Gemisch von Stolz und Unbehülflichkeit. Am beredtesten war er in der Mitte ungebildeter Leute. Als Tieck einst zufällig an einer gewöhnlichen Schenkwirthschaft vorüberging, sah er Grabbe in der Mitte mehrerer Spießbürger beim Biere sitzen, denen er erhitzt und großsprecherisch von sich und seinen Dramen erzählte, obgleich sie schwerlich je etwas von Poesie, und von seinem Namen gewiß nichts gehört hatten.Die im Texte gegebene Darstellung des Verhältnisses zwischen Tieck und Grabbe beruht wesentlich auf den mündlichen Mittheilungen des Ersten und einigen Briefen Grabbe's, die sich in Tieck's Nachlaß finden. Der erste vom 21. Sept. 1822 begleitete die Zusendung des »Gothland«, der folgende vom 16. Dec. 1822 das Lustspiel »Scherz, Satire, Ironie«; beide sind in Berlin geschrieben. In zwei Briefen aus Leipzig, vom 18. März und 8. Mai 1823, kündigt Grabbe sich als mimisches Talent an, und bittet um Hülfe in höchst bedrängter Lage; der letzte endlich, voll tiefer Hoffnungslosigkeit, ist aus Detmold vom 23. Aug. 1823. Diese Briefe enthalten auch manche Andeutungen über seinen frühern Bildungsgang. Ergänzend kommen zwei andere von Am. Wendt und Klingemann aus dem Jahre 1823 hinzu, in denen sich jener für, dieser gegen Grabbe's Beruf zum Schauspieler ausspricht. Wenn Grabbe damals behauptete, schon vor seiner Ankunft in Dresden sei ihm durch Tieck Hoffnung auf eine Stelle als Regisseur beim dortigen Theater gemacht worden, so ist auch das eine Einbildung gewesen. Wie hätte Tieck bei seiner damaligen Stellung in Dresden einem ihm persönlich ganz unbekannten jungen Dichter eine solche Aussicht eröffnen können? Diese Angaben mögen hier nachträglich eine Stelle finden mit Rücksicht auf das kürzlich erschienene Buch »Grabbe's Leben und Charakter, von K. Ziegler« (Hamburg 1855).

Endlich zeigte sich, daß er auch in Dresden nicht finde, was er suchte. Mit erhöhter Bitterkeit schied er, um sein Glück anderweitig zu versuchen. Tieck gab ihm Empfehlungen an einige Freunde mit. Zuerst bot Grabbe seine Dienste dem braunschweiger Theater an. Aber Klingemann, der Vorsteher desselben, wußte ihn nicht zu beschäftigen. Er schrieb an Tieck, es sei eine heraustobende Natur, die bei allem Drange für die Bühne gar nicht passe. Ein ähnliches Schicksal hatte er in Hannover. Man bot ihm ein Gehalt, das einem Almosen gleich kam. Hoffnungslos und verzweifelt kehrte er nach Detmold zurück. In der Nacht schlich er sich in das Haus seiner Aeltern, denen er von seinem Berufe so viel erzählt, und die an ihn geglaubt hatten. Im August 26 1823 rief er Tieck's Hülfe von neuem an; er sei bereit Allem zu entsagen, und mit einer Schreiberstelle zufrieden zu sein.

Später nahm Grabbe's Schicksal für einige Zeit eine günstigere Wendung. Seinem Andenken an Tieck mischte sich aber ungerechterweise eine gewisse Gereiztheit bei. Sie war nicht zu verkennen in den halb widerlegenden Anmerkungen, mit denen er fünf Jahre später Tieck's Brief über den »Theodor von Gothland« begleitete, als er seine dramatischen Dichtungen herausgab. Noch minder in der Abhandlung über Shakspearomanie, in welcher er in absichtlichem Gegensatze zu Tieck Shakspeare's nachtheiligen Einfluß auf die deutsche Poesie zu beweisen suchte. Und doch war Grabbe selbst eine Zeit lang ein so exaltirter Bewunderer Shakspeare's gewesen, daß Tieck hatte mäßigen und zügeln müssen.

Im Herbste des folgenden Jahres 1824 kam F. Schlegel nach Dresden. Manches Jahr war verflossen, seit sie sich nicht miteinander ausgesprochen hatten. Auf der Rückkehr von England sah Tieck den Freund flüchtig in Frankfurt a. M., Briefe waren nur gelegentlich gewechselt worden. Ein Blick auf ihre gegenwärtige Stellung und ihr Verhältniß zueinander, und die Erinnerung an frühere Zeiten erweckte ernste Betrachtungen. Schon äußerlich war Schlegel bedeutend verändert. Er war corpulent geworden, sein Gesicht hatte breite, zerfließende Züge angenommen; man erkannte den Feinschmecker, dem bei aller Prophetik die Freuden der Tafel keineswegs gleichgültig waren. Er war wortkarg und bequem, nicht ohne Vornehmheit; in Gegenwart minder Bekannter schweigsam. Er schien nur Bedeutendes, Tiefsinniges sagen zu wollen.

Gleich in den ersten Gesprächen zeigte sich, daß sie das frühere persönliche Wohlwollen, das vollständig kaum je 27 erlöschen konnte, zwar noch bewahrten, aber eine Verständigung schien nicht erreichbar. In den Zeiten des Idealismus hatte Schlegel das Wissen und die Kunst vergöttert, jetzt wollte er sie kaum noch dulden. Die Kirche und ihre Formen sollte Eines und Alles sein. Doch weder damals noch jetzt konnte Tieck diesen Ansichten beistimmen. Die Philosophie als Wissenschaft verachtete Schlegel, besonders die Dialektik. Zum Theil verwarf er hier, was er nicht kannte, und im stolzen Gefühle, zu besitzen, was noththue, hielt er es für überflüssig, die einzelnen Erscheinungen kennen zu lernen. Als Tieck Solger rühmte, sprach er von diesem als einem unfertigen jungen Manne, aus dem vielleicht mit der Zeit hätte etwas werden können. Alles Studium hielt er für zu umständlich, zu weitläufig und für unnöthig, da man dies Alles auf kürzerm Wege haben könne. In der Poesie erkannte er nur Calderon an, höher noch standen ihm die Orientalen, sie enthielten Alles in Allem.

Seine Urtheile über Tieck's neuere Dichtungen waren daher nichts weniger als schmeichelhaft. Er bestritt die Möglichkeit, das moderne Leben dichterisch zu behandeln; überhaupt jede Gegenwart entziehe sich dem Dichter, nur die Vergangenheit könne er darstellen. Von den Novellen meinte er, sie seien schwacher Wein der Poesie mit vielem Wasser des Verstandes vermischt. Als er hörte, Tieck beschäftige sich mit dem »Aufruhr in den Cevennen«, und denke einen religiösen Stoff zu behandeln, rieth er besorgt von einem solchen Vorhaben ab; hier dürfe nichts übereilt werden, in so wichtigen Dingen könne Unreife oder Verstimmung leicht zur Sünde werden.

Tieck dachte zu billig, um Schlegel Vorwürfe zu machen, aber es war eine Geduldprobe, wenn dieser stets nur aus dem höchsten Tone sprach, wenn er überall voraussetzte, 28 Alles um ihn her liege im Argen, oder sei im Traume befangen, er allein kenne die Zeit und wisse, wie ihr zu helfen sei. Besonders gegen Tieck liebte er, im untrüglichen Orakeltone zu reden. Stellte er ihn gleich als Dichter hoch, so sprach er ihm doch jede Einsicht in die Philosophie ab, und pflegte ihn mit der zuversichtlichen Ueberlegenheit anzuhören, mit welcher der Meister die schwachen Versuche eines eben geweihten Schülers oder eines Laien geduldig erträgt. In das eigenthümliche Wesen seiner Ansichten und Dichtungen einzugehen, hielt er nicht der Mühe werth, er glaubte sie ohne das zu erkennen. Jedes Gespräch ließ bei Tieck das tiefe Bedauern zurück, daß ein so reiches Talent der Verblendung maßloser Selbstüberschätzung gerade in dem Augenblicke verfallen mußte, wo es sich der größten Selbstverleugnung rühmte.



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