Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

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7. Alte und neue Freunde.

Das Jahr 1798 war für Tieck ein entscheidendes. Manches alte feste Band sollte sich lösen, manches neue bedeutungsvoll geschlungen werden.

Zuerst wurde der treuste und bewährteste der Freunde von Tieck's Seite gerissen, Wackenroder, mit dem er vom Knaben zum Jünglinge aufgewachsen war und jetzt das männliche Alter erreicht hatte. Gerade in diesem Augenblicke entfaltete sich Wackenroder's tiefer Sinn vollständig. Auch er hatte sich in der Stille zum Dichter herangebildet. Seine Gedanken über die Kunst waren zu einem Abschlusse gekommen, und gestalteten sich nun zu einer Reihe dichterischer Bilder. Schüchtern hatte er sein Geheimniß bisher bewahrt, und selbst seinem Freunde nicht mitzutheilen gewagt. Tieck war daher sehr überrascht, als er die ersten Blätter erhielt. Er mußte sich eingestehen, bei aller Anerkennung des tiefen Gemüths und Talents hatte er Wackenroder so Bedeutendes nicht zugetraut. Seine frühern Versuche waren nicht glücklich ausgefallen. Noch hatte er den Ton nicht finden können, der seinem eigenthümlichen Wesen entsprach. Er schwankte in seinen Gedichten zwischen dem Pathos Schiller's und dem nüchternen Tone der ältern Schule. Noch weniger wollte es mit dem Drama gelingen. Eine Tragödie schloß damit, daß die Geliebte ohnmächtig in die Arme des Geliebten sinkt. Dieser, um sie ins Leben zurückzurufen, greift zu einigen Kräutern (die Scene ist im Garten), er hält sie ihr an den Mund, aber unglücklicherweise sind sie giftig, und er tödtet dadurch die Geliebte mit eigener Hand.

Die Kunst war es, durch welche Wackenroder auch in 219 der Poesie mündig werden sollte. Eine Reise, welche die Freunde im Sommer des Jahres 1796 nach Dresden machten, führte zur Entdeckung des Geheimnisses. Endlich wollten sie die größten Werke der alten italienischen Meister sehen. Es war eine Pilgerfahrt nach dem gelobten Lande, das nur durch einen Zug durch die Wüste zu erreichen war. Denn die Poststraße nach Dresden war kaum minder beschwerlich. Tage und Nächte lang schleppte sich die Fahrpost mühselig durch den Sand und die trübseligen Haiden der Mark und der Lausitz. Diese endlosen Nachtfahrten durch finstere Kieferwaldungen waren geeignet Gedanken zu erwecken und mitzutheilen. So entstanden auf dieser Reise bei Tieck zwei Gedichte im ersten Entwurfe, welche den düstern Charakter jener Einsamkeit widerspiegelten. In der Nacht sahen die Reisenden weiße Steine zwischen den Bäumen hervorschimmern, welche als Wegweiser, als Zeichen im Walde, gelegt sein mochten. Um sie sammelten sich jene schaurigen Phantasiegebilde, denen Tieck in dem bekannten Gedichte dieses Namens Leben gab. Diese Steine verwandelten sich ihm in rächende Zeichen, die einen schweren Frevel verbargen und zugleich verriethen. Mit diesen Bildern wechselten dann die Gefühle schmerzlicher Verlassenheit und Einsamkeit, die er in jenem Nachtliede des Wanderers aussprach, der still weinend seines Weges zieht und die Sterne anruft.

Auf dieser Reise theilte auch Wackenroder sein Geheimniß dem Freunde mit. Diese Darstellungen waren die Frucht der künstlerischen Studien, des Aufenthaltes in Nürnberg, der Besuche der Galerien zu Pommersfelde, Kassel und Salzthal. Alles was er gesehen, was ihn entzückt und begeistert hatte, drückte er in dem einen Gedanken aus, der für ihn die vollste Wahrheit war, es sei ihm die Kunst eine andere Religion, zum Gegenstande eines heiligen Glaubens 220 geworden. Niemals konnte sich eine solche Ueberzeugung mit den Theorien der Kunst und der Kritik versöhnen, welche auf dem Boden der Aufklärung gewachsen war.

Wie Tieck in der Poesie, forderte Wackenroder in der Kunst das Einfache, Ursprüngliche. Nichts war ihm verhaßter als das hergebrachte Kunstraisonnement, mochte es nun auftreten als Zergliedern des Ganzen, als verständiges Herzählen von Einzelheiten, in denen die Kunstrichter den Geist zu fassen vermeinten, oder mit der Miene der Unfehlbarkeit, als System und Herleitung aus obersten Grundsätzen. Die damals häufig genannten Schriften von Ramdohr, »Venus Urania« und andere hatten den Freunden manchen Anstoß gegeben.Ramdohr, »Ueber Malerei und Bildhauerei in Rom« (3 Bde., Leipzig 1787). »Charis, oder über das Schöne und die Schönheit in den nachbildenden Künsten« (2 Bde., Leipzig 1793). »Venus Urania« (4 Bde., Leipzig 1798). Wie konnten diese Kunstrichter so zuversichtlich sprechen, da sie weder Kunst noch Begeisterung besaßen? Dem allwissenden System stellte Wackenroder die Begeisterung entgegen, als eine geheimnißvolle Offenbarung, von welcher der Künstler selbst nicht zu sagen wisse, woher der Geist wehe. Zu der Quelle jener Gefühle führte sie Wackenroder zurück, welche die Theoretiker aus der Seele wie aus ihren Lehrbüchern hinaus demonstriren wollten. Aus dem geheimnißvoll Göttlichen im Menschen stieg auch die Kunst empor, und ihr Ausdruck war das Werk des Meisters. Aber diese Offenbarung in der Kunst ist nicht zu fassen wie der Paragraph eines Lehrbuchs, die Versenkung in das Kunstwerk muß zur religiösen Erhebung werden. Den Machtsprüchen unduldsamer Systematiker, die das nicht verstehen wollten, setzte er ein kühnes und entschiedenes Wort entgegen, Aberglaube sei besser als Systemglaube.»Aberglaube ist besser als Systemglaube«, sagt Wackenroder in dem Aufsatz: »Einige Worte über Allgemeinheit, Toleranz und Menschenliebe in der Kunst« (»Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders«, S. 106).

Solche Gedanken und Gefühle wollte Wackenroder anschaulich machen in einer Reihe von Bildern, die er aus dem Leben und Wirken der alten großen Meister entlehnt hatte. Er wollte zeigen, wie jeder von ihnen dem Genius getreu, 221 kräftig und einfach gebildet, und das Göttliche in seiner Weise dargestellt habe, der große Rafael in seiner Herrlichkeit, der kunstvolle Leonardo da Vinci, und vor allen Albrecht Dürer, der Vater der deutschen Kunst, still und ämsig, rein und fromm; wie ihnen allen die Religion ein erklärendes Buch gewesen für das ganze Leben, und dieses selbst unter ihren Händen zum Kunstwerke geworden sei. Viele dieser charakteristischen Züge hatte Wackenroder aus Vasari's Malerchronik entlehnt.

Als Tieck jene Blätter durchgelesen hatte, wollte es ihm trotz alles Beifalls in seiner damaligen kritischen Stimmung scheinen, Manches könne vielleicht noch wirksamer gesagt werden. Er begann daher den ersten Abschnitt »Rafael's Erscheinung« umzuarbeiten, ein rasches Verfahren, welches er später als voreilig misbilligte, da die ursprüngliche Darstellung seines Freundes ohne Zweifel besser gewesen sei. Ebenso machte er den Versuch, das über Leonardo da Vinci Gesagte in Verse umzusetzen. Als er darauf von Dresden nach Halle ging, Reichardt zu besuchen, theilte er ihm die Dichtungen des Freundes mit. Auch dieser stimmte in den Beifall ein, und nahm sogleich eine der Skizzen, »Das Ehrengedächtniß Albrecht Dürer's« in sein Journal »Deutschland« auf.»Ehrengedächtniß Albrecht Dürer's von einem kunstliebenden Klosterbruder«, ohne Namen des Verfassers, in Reichardt's »Deutschland«, 1796, Stück VII, 59.

Reichardt fand auch den Titel, unter dem diese Bilder dem Publicum übergeben werden sollten. Sie waren durchweht von dem Geiste eines frommen Kunstglaubens, der einer vergangenen Zeit angehörte, in welcher die Begeisterung dem zersetzenden Verstande noch das Gleichgewicht hielt; eine solche Betrachtung des Kunstwerkes schien in der Zeit geräuschvoller und selbstbewußter Thätigkeit kaum möglich. Sie wurde daher einem einfachen Mönche zugeschrieben, der seine Jugend der Kunst widmete, und in klösterlicher Stille das Leben zu beschließen gedenkt. Hinter ihm liegen Welt und Jugend, 222 aber die Begeisterung für die Kunst durchglüht ihn noch wie damals, sie ist ihm zu einem Theile seines Glaubens selbst geworden. In kunstlosen, aber ergreifenden Worten spricht er diesen Glauben aus, mit jener Ruhe, welche den festen Ankergrund gefunden hat, der nicht mehr entrissen werden kann. Diese fromme Einfalt hatte an Lessing's Klosterbruder im »Nathan« erinnert, daher schlug Reichardt für diese Betrachtungen den treffenden Titel vor: »Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders.« Tieck fügte die Vorrede und einige kleinere Aufsätze hinzu; dann erschien das Buch 1797 in Unger's Verlag.

Mehr als einen Grund mochte Wackenroder haben, sich nicht als Verfasser zu nennen. Manchen Kampf hatte er in dieser Zeit zu bestehen, davon gaben diese Herzensergießungen Zeugniß; sie waren es für ihn in vollem Sinne des Wortes. Auch für die Musik hatte er einen leitenden und rathenden Freund in Zelter gefunden. Doch je mehr sich sein Ohr der innern Harmonie öffnete, desto verletzender wurden die Misklänge des äußern Lebens. Er war in die juristische Praxis eingetreten. Aber wenig war er für eine solche Thätigkeit geeignet. Er sollte Acten lesen oder selbst abfassen über geringfügige Dinge des Lebens, die er verachtete, die für ihn nicht da waren. Wie oft klagte er nicht dem Freunde seine Leiden, wenn der Augenblick drängte, und Actenstöße abgearbeitet werden sollten, und er weder Sammlung noch Uebersicht finden konnte, um die verhaßte Arbeit zum Abschlusse zu bringen. Wie Tieck manches Mal in den Schülerjahren aus der Noth geholfen hatte, so bewährte er sich auch jetzt. Schnell entschlossen setzte er sich nieder, und brachte so gut er es vermochte das Referat zu Stande.

Es war klar, auf diesem Wege mußte der Freund zu Grunde gehen. An den Wurzeln seines Lebens nagte der 223 geheime Gram, seinem wahren Berufe nicht folgen zu können. Auch nach Tieck's Meinung war dies die Kunst. Da er bei dem alten Wackenroder etwas galt, so unternahm er mit mehr Zuversicht als Erfolg das schwierige Werk ihn umzustimmen. Dieser hatte von dem Freunde seines Sohnes eine günstige Meinung, als von einem verständigen jungen Manne, an dessen Unterhaltungen man wol Gefallen finden könne. Tieck suchte ihm begreiflich zu machen, wie es das Heil des Sohnes erfordere, daß er sich für die Musik ausbilde. Nicht ohne Staunen hörte der alte Wackenroder diese dreiste Rede an. Von einem Musiker hatte er die geringsten Begriffe, und seinen Sohn hatte er zu einem nützlichen Bürger erzogen. »Sie meinen wol gar, mein Sohn soll so ein Musikant werden, der zu Hochzeiten aufspielt?« fragte er mit schneidender Schärfe dagegen. Bei solchen Ansichten hörte jede Hoffnung auf Verständigung auf.

So verzehrte sich Wackenroder in innerm Widerstreite. Während er von Musik und Malerei träumte, zogen Pflichtgefühl und Kindesliebe ihn nach der andern Seite hin. Das Geschäftsleben aufzugeben, war ohne seinen Vater tief zu kränken, nicht möglich. Aber er fühlte, trotz seines guten Willens werde er den Anforderungen, die gemacht wurden, nicht genügen können.

Diesen schmerzlichen Seelenzustand hatte er in seinen Herzensergießungen in dem musikalischen Leben Joseph Berglinger's geschildert. Er war jener Knabe, der mit seiner Musiksehnsucht und Begeisterung dem thätigen und verständigen Vater gegenübersteht, der ihn nöthigen will sich nützlich zu beschäftigen wie er selbst. Er war es, der jede Seite in seinen Lehrbüchern zehn mal überlesen mußte, ohne sie zu fassen, während die Seele ihre innerlichen Phantasien fortsang. Es waren Erinnerungen an die Träume der 224 Studentenzeit, wenn er den Leidenden aus dem Vaterhause entfliehen ließ, um sich seiner Kunst in die Arme zu werfen. Dann mochten ihn wol geheime Zweifel beschleichen, ob er den höchsten schöpferischen Beruf habe, wenn er seinen Berglinger mit dem Gefühl bitterer Enttäuschung gestehen läßt, daß Sehnsucht und Phantasie mehr versprechen, als Talent und Leben gewähren, daß die Begeisterung, die den Widerstand des Lebens schöpferisch überwinden soll, von stärkerem Metall sein müsse, daß sein Beruf vielleicht mehr der Genuß als die Ausübung der Kunst sei. Seine Begeisterung war eine stille Glut, die Alles durchzog, was er dachte und sprach, aber auch seine Jugend und sein Leben verzehrte.

Er war zerfallen mit sich und seiner Art zu sein, der Gegenwart überdrüssig, ohne Hoffnung für die Zukunft. Leicht würde eine zarte Natur wie die seine Schwereres ertragen haben, wenn sie mit sich einig geworden wäre; an diesem quälenden Widerspruche ging sie zu Grunde. Seine Gesundheit wankte; er kränkelte, es entwickelte sich ein Nervenfieber. Am 13. Februar 1798 starb er fünfundzwanzig Jahre alt. Es war ihm gegeben, unter Kampf und Streit die höchsten Entzückungen der Kunst in sich zu erleben, er hatte sie ausgesprochen, dann war er gestorben. Sein Leben war ein kurzes, aber darum nicht schmerzenfreies; doch war es still, rein und voll künstlerischen Glaubens gewesen, wie das jener alten Meister, von deren Bildern seine Seele erfüllt war.

Nächst dem Vater traf dieser Schlag Niemand härter als Tieck. Zehn Jahre der reichsten Entwickelung hatte er mit diesem Freunde verlebt. Es gab nichts in Leben, Poesie und Kunst, was sie nicht besprochen hätten. Es war eine Freundschaft hervorgegangen aus der Gleichheit der höchsten Seelenstimmungen. In der letzten Zeit hatten sie für eine 225 tiefere Auffassung der Poesie und Kunst gemeinschaftlich gekämpft.

Und in diesem Sinne wirkte Tieck weiter. Er setzte dem hingeschiedenen Freunde ein Denkmal, das ein Zeugniß ihres gemeinsamen Lebens in der Kunst sein sollte. In einer eigenen Dichtung führte er die Ideen des Klosterbruders weiter aus. Dies war der »Sternbald«. Schon in Nürnberg hatten die Freunde den Gedanken gefaßt die alte volksthümliche Kunstwelt wieder zu beleben. Unter den verschiedenartigsten Arbeiten hatte Tieck diesen Plan festgehalten. Zu den »Herzensergießungen« hatte er einen Beitrag gegeben, in dem der Charakter des»Sternbald« bereits vollständig ausgebildet war. Es ist der Brief des jungen deutschen Malers, der aus der Schule seines Meisters Albrecht Dürer nach Rom gegangen ist, und unter den Werken Rafael's und der großen Italiener ein neues Leben in der Kunst beginnt.Brief eines jungen deutschen Mahlers in Rom an seinen Freund in Nürnberg (»Herzensergießungen«, S. 179). In dem letzten Lebensjahre Wackenroder's hatte er diese Gedanken mit verdoppeltem Eifer wieder aufgenommen, und mit dem Freunde auf manchem Spaziergange im Thiergarten besprochen. Er wünschte lebhaft, auch dieser möge an der Ausführung Theil nehmen. Zögernd willigte endlich Wackenroder ein, und übernahm die Bearbeitung gewisser Capitel. Auch diese altdeutsche Geschichte sollte dann unter dem Namen des Klosterbruders erscheinen. Doch gleich darauf erkrankte Wackenroder, bevor er noch an die Lösung seiner Aufgabe gehen konnte. Die Gestalten der deutschen Kunstwelt und der Gedanke an die eben entworfene Dichtung erfüllte die Phantasie seiner letzten Tage. Unterdessen hatte Tieck bereits begonnen, und unter den Schmerzen jenes herben Verlustes vollendete er die ersten Bücher. Er konnte sie nur mit der Klage abschließen, daß er ohne den Beistand des Freundes habe ausführen müssen, was in der Idee beiden gehörte.

226 Er führte in seiner Dichtung den Jünger durch die verschiedenen Stufen der Kunst bis nach Rom. Aus der Werkstatt Albrecht Dürer's geht der einfache und schlichte Schüler hervor. Er sieht die deutschen und italienischen Kunststätten in Leyden, Strasburg und Florenz; in Rom mit dem Anblick von Michel Angelo's jüngstem Gericht schließt der erste Theil seiner Lehrjahre. Tieck's Gedanken über deutsche Art und Kunst, seine Erinnerungen an Nürnberg, seine Gespräche mit dem Freunde, Alles hatte hier eine dichterische Gestalt gewonnen. Der innige und warme Ton des Klosterbruders klang auch durch diese Malergeschichte.

Den Abschluß dieser Thätigkeit machte die Herausgabe von Wackenroder's Nachlaß, in dem sich Manches fand, was für einen zweiten Theil der »Herzensergießungen« bestimmt gewesen war. Es waren die Skizzen aus Dürer's Leben, und Einiges was unter Berglinger's Namen geschrieben war. In Verbindung mit eigenen Aufsätzen ähnlichen Inhalts gab sie Tieck 1799 als ein Vermächtniß Wackenroder's heraus unter dem Titel: »Phantasien über die Kunst.« Das geistige Leben der Freunde hatte in drei verschiedenen Werken einen dauernden Ausdruck gewonnen, welcher für die Poesie wie für die Kunst nicht ohne bedeutende Folgen blieb.Wackenroder's Verhältniß zu Tieck ist für die Literaturgeschichte fast zu einem mythischen geworden. Die Freundschaft beider, ihre geistige Verwandtschaft, die gleiche Richtung, welche sie in der Poesie verfolgten, Wackenroder's verhülltes Auftreten als Schriftsteller, sein früher Tod, der nicht vollendete »Sternbald«, endlich einige Aeußerungen Tieck's haben zu der Ansicht geführt, als wenn sich das geistige Eigenthum beider Freunde nicht voneinander scheiden lasse, oder Wackenroder gar an den Dichtungen Tieck's in der Stille einen Antheil gehabt habe, welcher das Recht des Dichters auf seine eigenen Werke zweifelhaft mache. Es ist weder das Eine noch das Andere der Fall. Da Wackenroder's Andenken nach Tiecks Erzählungen erneuert worden ist, so mag zur Vervollständigung des Bildes auch die folgende Bemerkung hier eine Stelle finden.

Die »Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders« (Berlin, Unger, 1797), und die »Phantasien über die Kunst für Freunde der Kunst«, herausgegeben von L. Tieck (Hamburg, Perthes, 1799), gehören beiden Freunden gemeinschaftlich an, aber in einer Weise, welche die nähere Bestimmung des Antheils eines jeden sehr wohl erlaubt. Jenes Buch ist wesentlich Wackenroder's, dieses wesentlich Tieck's Eigenthum. In der Nachschrift an den Leser, am Schlusse des ersten Bandes des »Sternbald«, setzte sich Tieck schon im Jahre 1798 mit dem kürzlich verstorbenen Freunde literarisch auseinander. Er sagt daselbst ausdrücklich S. 374: »Von meiner Hand ist (in den ›Herzensergießungen‹) die Vorrede, Sehnsucht nach Italien S. 23, ein Brief des Mahlers Antonio und die Antwort S. 52, Brief eines jungen deutschen Mahlers S. 179, und die Bildnisse der Mahler S. 194.« Mithin gehören die übrigen Abhandlungen, die sämmtlich umfassender und bedeutender sind, Wackenroder an. In die »Phantasien« nahm Tieck einige Aufsätze auf, welche er in der Vorrede als ein Vermächtniß seines verstorbenen Freundes bezeichnet; sie waren bestimmt, eine Fortsetzung der »Herzensergießungen« zu bilden. Tieck sagt daselbst S. III: »Von Wackenroder ist in der ersten Abtheilung die erste und fünfte Nummer geschrieben; unter Berglinger's Aufsätzen gehören mir die vier letzten an.« Demnach ist von Wackenroder: »Schilderung, wie die alten deutschen Künstler gelebt haben« S. 5, »Die Peterskirche« S. 76, »Vorerinnerung« S. 134, »Ein wunderbares morgenländisches Mährchen von einem nackten Heiligen« S. 135, »Die Wunder der Tonkunst« S. 147, »Von den verschiedenen Gattungen in jeder Kunst, und insbesondere von verschiedenen Arten der Kirchenmusik« S. 160, »Fragment aus einem Briese Joseph Berglinger's« S. 174, »Das eigenthümliche innere Wesen der Tonkunst und die Seelenlehre der heutigen Instrumentalmusik« S. 181, »Ein Brief Berglinger's« S. 205. Alles Uebrige ist Tieck's Eigenthum.

Endlich von Wackenroder's Antheil am »Sternbald« sagt Tieck in der erwähnten Nachschrift S. 374: »Nach jenem Buche (den ›Herzensergießungen‹) hatten wir uns vorgenommen, die Geschichte eines Künstlers zu schreiben, und so entstand der Plan zu gegenwärtigem Roman. In einem gewissen Sinne gehört meinem Freunde ein Theil des Werks, ob ihn gleich seine Krankheit hinderte, die Stellen wirklich auszuarbeiten, die er übernommen hatte.« Diese Erklärung ist so deutlich und entschieden, daß es unbegreiflich erscheint, wie sich trotz, oder gar in Folge derselben die Ansicht Geltung verschaffen konnte, der »Sternbald« sei zum Theil Wackenroder's Werk, oder dieser sei in der That der Dichter und Tieck nur der Herausgeber. Weil er mit gewissenhafter Pietät den Antheil des Freundes an der Dichtung wahren wollte, machte man ihm sein eigenes Recht streitig. Weil er gesagt hatte, in einem gewissen Sinne gehöre seinem Freunde ein Theil des Werks an, meinte man es ihm selbst ganz absprechen, oder sonderbar genug, behaupten zu können, mindestens der erste Theil des Romans rühre von Wackenroder her. Dies wollte schon der kritische Recensent in der»Jenaischen Literaturzeitung«, 1799, Nr. 71, herausgefunden haben, der zwischen dem ersten und zweiten Theil einen Unterschied erkannte, der auf zwei verschiedene Verfasser deute!

Zu diesen Misverständnissen mochte vielleicht auch der Titel beigetragen haben, den Tieck gewählt hatte: »Eine altdeutsche Geschichte, herausgegeben von Ludwig Tieck.« Wenn er sich nur als Herausgeber nannte, so war das eine Maske, welche in dem Charakter der Dichtung ihre vollständige Erklärung fand, und nach dem Vorgange des»Klosterbruders« keinen Leser hätte irreführen sollen. Etwas ganz anderes war es, wenn Tieck auch die »Phantasien über die Kunst« als von ihm herausgegeben bezeichnete. Indem er dem Publicum den Nachlaß seines Freundes übergab, hatte er in der That das Geschäft eines Herausgebers übernommen. Aber er bekannte sich auch dazu, und unterschied in der Vorrede ausdrücklich, was ihm und was seinem Freunde angehörte. Freilich fehlt es auch sonst in unserer neuern Literatur nicht an Beispielen einer übersichtigen Kritik, welche die einfachsten Fäden zum Knoten schlingt, um sich hinterher rühmen zu können, einen Knäuel scharfsinnig und geschickt entwirrt zu haben. Hat man doch auf ähnliche Gründe hin Lessing die Autorschaft der »Erziehung des Menschengeschlechts« absprechen wollen!

Daß sich diesen Ansichten über den »Sternbald« ein gewisses Uebelwollen gegen den Dichter beimischte, geht unter Anderm auch aus einem Gespräche Jean Paul's mit Varnhagen über Tieck hervor, in den »Denkwürdigkeiten«, III, 79. Das Bedürfniß eines überreichen Geistes, sich mitzutheilen, und die Sorglosigkeit, mit der es geschah, rief den Gedanken hervor, Tieck wolle sich fremdes Gut aneignen. Sein Reichthum mußte es sein, der ihm den Vorwurf der Armuth zuzog. Nachdem diese irrigen Vorstellungen auch in die Literaturgeschichten Eingang gefunden hatten, sah Tieck sich genöthigt, fünfundvierzig Jahre später in einer Nachschrift zur zweiten Ausgabe des »Sternbald« zu wiederholen, was er schon in der ersten deutlich genug gesagt hatte. »Es (das Buch) rührt ganz, wie es da ist, von mir her, obgleich ›Der Klosterbruder‹ hier und da anklingt. Mein Freund ward schon tödtlich krank, als ich daran arbeitete« (»Schriften«, XVI, am Ende).

Aber ebenso wenig hat Tieck jemals den Einfluß in Abrede gestellt, welchen Wackenroder auf seine damalige Dichtweise ausgeübt habe. In der oft erwähnten ältern Nachschrift zum »Sternbald« sagt er ferner S. 373: »Die meisten Gespräche, die ich seit mehreren Jahren mit meinem nun verstorbenen Freunde Wackenroder führte, betrafen die Kunst; wir waren in unsern Empfindungen einig, und wurden nicht müde, unsere Gedanken darüber gegenseitig zu wiederholen. – Mein Freund suchte in diesem Buche (d. h. in den ›Herzensergießungen‹) unsere Gedanken und seine innige Kunstliebe niederzulegen.« Und in der Vorrede zu den »Phantasien« heißt es S. III: »Alle diese Vorstellungen sind in Gesprächen mit meinem Freunde entstanden, und wir hatten beschlossen, aus den einzelnen Aufsätzen gewissermaßen ein Ganzes zu bilden.«

Wackenroder's dichterisches Talent ist übrigens groß genug, und seine Stellung in der Literatur in ihren Folgen so bedeutend, daß ein näheres Eingehen auf einige vergessene Spuren seiner schriftstellerischen Thätigkeit nicht ganz uninteressant erscheinen wird. In der Vorrede zu den »Phantasien« sagt Tieck: »Einen unvollendeten Aufsatz meines Freundes über Rubens habe ich zurückgelassen, sowie eine Cantate, mit der er selber unzufrieden war.« Ob außer diesen Arbeiten Wackenroder's noch Anderes in seinem dichterischen Nachlasse gewesen, wohin dieser gekommen sei, wird sich jetzt schwerlich ermitteln lassen, zumal da sich auch in Tiecks Nachlaß nicht die geringste Andeutung darüber findet. Daß er der Uebersetzer des Romans »Kloster Netley« (Berlin 1796 im neunten Bande der ersten unechten Ausgabe von Tieck's Werken) sei, ist bereis oben gesagt worden. Eine kleine Abhandlung über Hans Sachs, die wol in Göttingen verfaßt ist, hat von der Hagen aus einem erhaltenen Reste von Wackenroder's handschriftlichen Sammlungen für die alte deutsche Literatur im »Neuen Jahrbuch der Berlinischen Gesellschaft für deutsche Sprache« (I, 291) herausgegeben. Endlich lassen sich einige Gedichte nachweisen. Eines: »Auf hoher Felsenkante« u. s. w., ist im Texte erwähnt. Es sindet sich »Straußfedern« (VI, 120) und Tieck's »Schriften« (XV, 230); ein zweites ist handschriftlich in dem Briefwechsel Tieck's und Wackenroder's erhalten; ein drittes aus dem Nachlasse des Dichters steht in Bothe's »Frühlingsalmanach« für 1805, S. 1. Es sind durchaus untergeordnete Producte eines Anfängers, in denen man den kunstsinnigen Klosterbruder nicht wiedererkennt. Somit möchten die Briefe Wackenroder's an Tieck, in denen sich sein einfacher Sinn in vollster Unbefangenheit ausspricht, nächst den »Herzensergießungen« das bedeutendste noch vorhandene Denkmal seines kurzen Lebens sein.

In der Zeit dieses Verlustes gestaltete sich auch das Verhältniß zu Bernhardi anders. An die Stelle der Offenheit, welche früher zwischen ihnen geherrscht hatte, begann eine vorsichtige Zurückhaltung zu treten. Fast hatte es den Anschein, als wenn sich Bernhardi in eben dem Maße von Tieck entfernte, als er sich dessen Schwester Sophie näherte, mit der er sich später verlobte. Auch Tieck hatte sich 1796 mit der Schwägerin Reichardt's in Giebichenstein verlobt. Es fehlte nicht an kleinen Neckereien und Angriffen, die den Charakter der Gereiztheit annahmen.

227 Bernhardi warf Tieck, dem Goethe-Enthusiasten, in den wiederkehrenden Kämpfen gegen die alte Schule Lauigkeit vor, oder wol gar, daß er seine Ansicht verleugne. Wie bei Nicolai hatte er sich auch manchem andern Würdenträger der Aufklärung gegenüber schweigend und hörend verhalten; sie waren nicht zu bekehren, und zu seiner Beruhigung eine Tirade über Goethe zu geben, erschien ihm nutzlos und lächerlich. Niemand kannte und würdigte die Meinungen der Gegner besser als er, davon hatte er mannichfache Beweise gegeben; immerhin mochte er ihnen das Vergnügen lassen sich in breiter Ausführlichkeit Luft zu machen. Aber diese ruhige Sicherheit galt für Kälte, Zweideutigkeit und Mangel an Begeisterung. Dies gab Bernhardi sogar zu einigen satirischen Bildern Veranlassung, deren treffliche Ausführung Tieck bereitwillig anerkannte, wenngleich er einsah, man habe ihm damit einen Spiegel vorhalten wollen. Fink, aus dessen Leben sechs Stunden geschildert wurden, war Niemand anders als er.Sechs Stunden aus Fink's Leben im »Berlinischen Archiv der Zeit«, 1796, I, 354; dann in den »Bambocciaden«, I, 137. Der enthusiastische Anbeter Goethe's erschien hier aus kluger, hinterhaltiger Berechnung vor dem mächtigen Gegner des Dichters als zweideutiger Kritiker. Und nichts lag Tieck's offenem Charakter ferner als diese berechnende Weltklugheit.

Man konnte nicht rückhaltloser und uneigennütziger sein, als er gegen Bernhardi gewesen war. Er hatte ihm früher das kleine Trauerspiel »Der Abschied« überlassen, für dessen Verfasser jener zu gelten wünschte. Dann hatte Bernhardi das Märchen »Die Versöhnung« dem »Archiv der Zeit« als seine Arbeit überschickt, und die Erzählung »Almansor« nahm er in ein Buch auf, welches er »Nesseln« nannte, und unter dem Namen Falkenhayn herausgab. Als er den »Abdallah« im Manuscript gelesen hatte, schrieb er davon angeregt einen Ritterroman »Die Unsichtbaren«, der 1794 in zwei Bänden 228 in Halle erschien.Ueber Ernst Winter's (Bernhardi's) Roman »Die Unsichtbaren« (2 Bde., Halle 1794) vgl. »Neue allgemeine deutsche Bibliothek«, XIII, 384. Hier hatte er sich Ernst Winter genannt. Es war eine Nachbildung des »Abdallah«, die um mehrere Monate früher durch den Druck bekannt ward als das Vorbild, freilich ohne einen irgend merklichen Eindruck zu machen. Ja auf den »Abdallah« selbst erhob er eine Art von Anspruch, indem er Tieck einmal andeutete, daß ohne große Opfer, welche er gebracht habe, und ohne seine Beihülfe dieser Roman wol niemals zum Abschluß gekommen sein würde. Doch bei dieser Behauptung riß Tieck's Geduld. Es war auf einem Spaziergange; ohne ein Wort erwidern zu können, wandte er Bernhardi den Rücken und schlug einen andern Weg ein. Endlich ließ dieser es sich gefallen, als der Verfasser der »Verkehrten Welt« aufzutreten.

Durch den »Klosterbruder« und den »Sternbald« war Tieck mit dem Buchhändler Unger in nähere Verbindung gekommen. Dieser Mann erfreute sich eines nicht unbedeutenden Rufes unter Künstlern und Gelehrten. Neben seinem buchhändlerischen Geschäfte, mit dem eine Druckerei verbunden war, übte er selbst den Holzschnitt und fand Anerkennung. Seine Frau war liebenswürdig, talentvoll, vielseitig gebildet und als Schriftstellerin aufgetreten. Manches hatte sie aus fremden Literaturen übersetzt, sich aber auch in eigenen Darstellungen versucht. Ihre Pensionsgeschichte »Julchen Grünthal« wurde gern gelesen, und war von A. W. Schlegel günstig beurtheilt worden. Unger's Haus war ein sehr geselliges; man traf stets die beste Gesellschaft, und Tieck hatte manche heitere und angenehme Stunde daselbst verlebt.

Unger wünschte, eine von Tieck's neuesten Dichtungen in Verlag zu nehmen. Dieser beschloß ihm die von Nicolai zurückgewiesene »Verkehrte Welt« zu übergeben. Unger, ein heiterer Mann, versprach sich das Beste davon, und hatte 229 eine kleine Gesellschaft von Freunden eingeladen, vor denen das Lustspiel gelesen werden sollte. Er selbst kannte es noch nicht. Der Dichter begann zu lesen. Er hatte in voller Laune geschrieben, und glaubte diesmal seines Erfolges sicher zu sein. Doch war es schon eine unangenehme Enttäuschung, als bei den Stellen, wo er ein unauslöschliches Gelächter erwartet hatte, sich kein Mund öffnen wollte. Als er zu Ende gelesen hatte, sah er nur ernste, lange Gesichter. Ein frostiges Schweigen herrschte, Niemand wußte ein Wort zu finden. Endlich kam der verlegene Verleger schüchtern mit der Sprache heraus. Auch er fand diese Dichtung doch zu sonderbar und abweichend vom Gewöhnlichen, um sich zur Uebernahme derselben entschließen zu können.

Verdrießlich über diese zweite Abweisung des Scherzes, warf Tieck das Manuscript bei Seite, und schenkte es nach einiger Zeit Bernhardi. »Mache damit was du willst!« sagte er. Dieser gab soeben eine Sammlung satirischer Skizzen und Erzählungen heraus, »Die Bambocciaden«, deren erster Theil 1797 anonym bei Maurer erschienen war. 1799 folgte der zweite Theil, der außer einigen Erzählungen von Tieck's Schwester auch die »Verkehrte Welt« enthielt. Auf Bernhardi's Wunsch schrieb Tieck diesmal die Vorrede, unter die jener dann seinen Namen setzte. Er war gutmüthig genug zu versichern, Bernhardi habe den Plan zu diesem Lustspiel mit ihm gemeinsam entworfen, und dasselbe zum Theil auch ausgearbeitet. Mit der Freigebigkeit des Reichen, die er schon in früher Jugend gezeigt hatte, gab er seine Schätze hin, und überließ es gern Andern, sich ihrer zu rühmen. Nicht im stolzen Besitze, sondern in dem ununterbrochenen lebendigen Schaffen fand er seine Befriedigung.

Um diese Zeit entwarf er einen kecken Plan zu einem satirischen Feldzuge gegen die aberwitzigen Ritterromane, an 230 dem auch seine Schwester und Bernhardi Theil nehmen wollten. Das Publicum sollte auf die Probe gestellt werden. Bei Maurer war ein grausiges Machwerk dieser Art unter dem abgeschmackten Titel erschienen: »Er nahm die Silberlocke des Enthaupteten und zerstörte das Femgericht.« Als Verfasser wurde Zschokke genannt. Diese Albernheiten sollten nicht nur fortgesetzt, sondern womöglich überboten werden. Ohne einen gemeinsamen Plan gemacht zu haben, begann jeder der drei Mitarbeiter für sich zu schreiben; später wollte man die Theile aneinandersetzen und irgendeinen Zusammenhang hineinbringen. Tieck suchte den Tyrannen zu übertyrannen, und durch eine Reihe von Uebertreibungen die vermeintliche Heldengröße jener prahlerischen Klopffechter in ihrer ganzen Lächerlichkeit zu zeigen. Der Held sitzt eingekerkert in einem Thurme. Sein Freund klettert an demselben hinauf, und da er sonst kein anderes Werkzeug bei sich führt, zerbeißt er tapfer mit seinen gewaltigen Zähnen das eiserne Gitterwerk vor dem Fenster, und entführt den gefangenen Helden. Schon hatte sich der Verleger bereit erklärt, die Fortsetzung des beliebten Romans zu übernehmen, als ihm noch zeitig genug der Muthwille, welcher dahinter steckte, durch Bernhardi verrathen wurde, und nun unterblieb die ganze Sache.

Endlich hatte Friedrich Tieck 1797 Berlin verlassen. Er hatte seine erste Kunstreise angetreten, und Wilhelm von Humboldt und Burgsdorff nach Dresden begleitet, dann nach Wien. Die ursprüngliche Absicht, nach Italien zu gehen, war bei den damaligen Verhältnissen nicht durchzuführen; man war daher nach Paris gegangen, wo er seine künstlerischen Studien fortsetzte.

Doch gewann Tieck zwei neue Freunde, welche mit ihm für das Leben verbunden bleiben sollten, A. W. Schlegel 231 und Steffens, deren Hinzutritt mit andern bedeutenden Momenten seines Lebens zusammenfällt.

Obwol er mit dem jüngern Schlegel seit einigen Jahren befreundet war, so hatte doch seine persönliche Verbindung mit dem ältern Bruder einen literarischen Ursprung. A. W. Schlegel hatte einen kritisch-genialen Blick für Alles, was der Kunst und Poesie angehörte, und ein nicht minder großes Talent für die vollendete Form. Witzig und schlagfertig, war er ein scharfer Gegner aller pedantischen Geschmacklosigkeit und Beschränktheit. Ein seltenes gelehrtes Wissen in den alten und neuen Sprachen, und ein klarer Ueberblick ihrer Literatur stand ihm zu Gebote. Er war ein Verkündiger Goethe's, und seine Kritiken in der »Jenaischen Literaturzeitung« hatten nicht wenig dazu beigetragen, deren wissenschaftliche Bedeutung zu heben; die ersten Bände seiner Uebersetzung Shakspeare's waren bereits 1797 in Unger's Verlag erschienen.

Er war auf Tieck's Dichtungen aufmerksam geworden. Die Bearbeitung des »Sturms« hatte er in der »Jenaischen Literaturzeitung« von 1797 beurtheilt, und wenngleich er an der jugendlichen Arbeit Manches auszusetzen fand, so schien sie doch zu bedeutenden Hoffnungen zu berechtigen. Liebe und Kenntniß seines Dichters konnte er dem Verfasser nicht absprechen. Gleich darauf hatte er in der Anzeige der Einzelausgabe des »Blaubart« und des »Gestiefelten Katers« den Dichter als einen solchen, als einen wirklich dichtenden, willkommen geheißen, und in den ernsten wie in den humoristischen Zügen bereits eine Meisterhand erkannt.Schlegel's Kritik von Tieck's Bearbeitung des »Sturm« siehe in der »Jenaischen allgemeinen Literaturzeitung«, 1797, Nr. 75, und Schlegel's »Sämmtliche Werke«, XI, 14; des »Blaubart« und des »Gestiefelten Katers« »Jenaische allgemeine Literaturzeitung«, 1797, Nr. 333, »Werke«, XI, 136; der »Volksmärchen« »Athenäum«, 1798, I. 167, »Werke«, XII, 27. Dies führte zu einem Briefwechsel. Tieck übersandte dem Kritiker die »Volksmärchen«, und noch vor Ablauf des Jahres sprach Schlegel den Wunsch aus, seine persönliche Bekanntschaft zu machen. Zugleich fügte er eine kurze Kritik der »Volksmärchen« 232 selbst hinzu. In dem »Blonden Ekbert« fand er Goethe's reizenden Ueberfluß wieder bei gleicher Klarheit und Mäßigung, ebenso in einigen Liedern der »Magelone«. Es schien ihm das nicht minder eine Folge ursprünglicher Verwandtschaft der Geister als tiefen Studiums. Dieselbe Ansicht sprach er auch im »Athenäum« aus.

Anfang Sommers 1798 kam A. W. Schlegel auf einige Wochen nach Berlin. Man verständigte sich nach allen Richtungen. Shakspeare, das gemeinsame Studium der ältern englischen und spanischen Literatur, ward eine Quelle des fruchtbarsten Gedankenaustausches. Schlegel trat ganz den Freunden bei, welche sich um Tieck gesammelt hatten. Die hier herrschenden Ideen gewannen in ihm einen gefürchteten Vertreter in der kritischen Welt.

Er wohnte bei seinem Verleger Unger, der in einem nahegelegenen Theile des Thiergartens, im sogenannten Schulgarten, ein Haus bezogen hatte, wo man unter schattigen Bäumen den Staub und das Geräusch der großen Stadt vergaß. Hier hatte auch Tieck seine Wohnung. Täglich sah man sich, im geistigen Verkehr wuchsen Kühnheit und Zuversicht.

Indeß gesellten sich diesem Kreise auch andere Elemente bei, die zu demselben nicht zu passen schienen. Schlegel stand in näherer Beziehung zu Iffland. Er wünschte die Aufführung des »Hamlet« nach seiner Uebersetzung, und konnte Iffland seine Bewunderung als Schauspieler nicht versagen. Auch Tieck suchte er für den gefeierten Künstler zu gewinnen; doch dieser vermochte jenen weder als dramatischen Schriftsteller anzuerkennen, noch konnte er in die Bewunderung seines Spiels einstimmen; hatte er doch den Commentator desselben diese Bewunderung übel entgelten lassen. Es war ihm unbegreiflich, wie man Iffland's großes, aber doch immer kleinlich berechnendes Talent der kühnen Genialität Fleck's 233 vorziehen konnte. So meisterhaft er auch in mittlern, gemäßigten oder komischen Rollen sein konnte, so war sein Spiel doch ein aus vielen kleinen Strichen mühsam zusammengesetztes Bild, das überall Absicht verrieth. Unter diesen künstlichen Einzelheiten ging die Natur verloren. Obgleich Iffland sich freundlich und entgegenkommend zeigte, und auch seine Anerkennung des »Sternbald« glaubte aussprechen zu müssen, so konnte Tieck doch kein Zutrauen zu ihm fassen. Er meinte auch hier Berechnung und Manier zu erkennen, und wiederholte seine Ansicht, ihn nicht in ihren Kreis hineinzuziehen, zu dem er nicht passe; er sei eine doppelseitige Natur, der es an innerer Wahrheit fehle.

Da indeß auch Reichardt von Halle aus in dauernder Verbindung mit Iffland geblieben und ihm nicht minder günstig gesonnen war, so kam es zu einem gemeinsamen Plane, in welchen sich auch Tieck hineinziehen ließ. Reichardt wünschte eine neue Oper auf das berliner Theater zu bringen, und nicht minder angelegentlich, Tieck möge den Text dichten. Zuerst hatte er Shakspeare's »Was ihr wollt« vorgeschlagen, ihm dann aber freie Hand gelassen. Die Märchenwelt, welche Tieck wieder ausgeschlossen hatte, seine phantastisch-lyrische Richtung, manche seiner ältern Lieder, die in ihrer rhythmischen Freiheit der Musik entgegenzukommen schienen, alles mußte für einen solchen Versuch sprechen. Er selbst war schon früher auf den Gedanken gekommen, in einem Schauspiele die Recitation mit der Musik zu verbinden.

Er nahm einen Plan aus frühester Zeit wieder auf, welchen er in ähnlicher Weise in dem Lustspiel »Das Reh« zu bearbeiten versucht hatte. Shakspeare's »Sturm«, Gozzi war dabei nicht ohne Einfluß gewesen. Jetzt gestaltete sich daraus das musikalische Märchen, »Das Ungeheuer und der bezauberte Wald«, in welchem sich wiederum die 234 Alltagswelt und das Wunder, Prosa und Poesie in dem Dialoge und im musikalischen Theile entgegentraten. Componist und Schauspieler waren damit einverstanden, schon wurden Verabredungen im Einzelnen getroffen. Iffland und Fleck sollten die beiden Hauptvertreter der prosaischen Welt, den König und seinen Minister spielen. Alles schien im besten Gange zu sein, als plötzlich von der eifrig gewünschten Oper nicht mehr die Rede war. Man hatte Anstände gefunden, welche man nicht aussprechen wollte oder konnte. Nach längerer Zeit gab man Tieck das Manuscript stillschweigend zurück, und Reichardt componirte statt dessen ein gewöhnliches Zauberstück von Kotzebue.

Nicht besser ging es später einmal mit dem Trauerspiel »Karl von Berneck«, welches ein beliebter Schauspieler zu seinem Benefiz ausersehen hatte, um es dann ebenfalls ohne Angabe eines Grundes fallen zu lassen. Nicht minder scheiterten andere Pläne, an denen auch Schlegel Antheil genommen hatte, wie man auf die Bühne einwirken könne. Namentlich hatte man an die Einrichtung antiker Dramen, z. B. des »Oedipus«, für die Darstellung gedacht.

Ein Jahr später, 1799, kam Steffens nach Berlin. Schon in Jena hatte er Tieck's Namen gehört, und war mit seinen Dichtungen bekannt geworden. Jetzt wünschte er ihn persönlich kennen zu lernen. Eines Morgens suchte er ihn in seiner Wohnung auf, den Abend desselben Tages trafen sie wiederum in einer Gesellschaft zusammen, welche Reichardt, der sich vorübergehend in Berlin aufhielt, veranstaltet hatte. Obgleich diese erste Berührung zwischen Tieck und Steffens kaum mehr als ein äußerliches Begegnen war, so theilten sie doch genug miteinander, um daraus ein dauerndes Verhältniß zu gewinnen. Denn auch Steffens, der begeisterte Anhänger der neuen Naturphilosophie, suchte 235 nur auf einem andern Wege das Einfache, das Ursprüngliche, die Natur.

Endlich noch in anderer Hinsicht war für Tieck das Jahr 1798 ein bedeutendes geworden. Eine lang gehegte Hoffnung ging in Erfüllung. Er heirathete Amalie Alberti, und trat somit in den Kreis der Verwandtschaft Reichardt's ein. In welchem erregten, ja visionären Zustande er in dieser Zeit war, bewies ein sonderbares Ereigniß, welches er erlebte. Voll Sehnsucht, seine Braut wiederzusehen, ging er ihr auf der Poststraße nach Hamburg, von wo sie kommen sollte, entgegen. In einer einsamen Waldschenke hinter Tegel, einige Meilen von Berlin, beschloß er sie zu erwarten. Früher, als sie in ihre Vaterstadt zurückkehrte, hatte er ihr bis zu derselben Stelle das Geleit gegeben. Er kannte das Haus, seine Umgebungen, den Weg dahin genau. Ungeduldig, in der Ahnung nahen Glückes, singend und Verse hersagend, wie die Ueberschwänglichkeit des Augenblicks sie ihm eingab, eilte er vorwärts. Da erblickte er früher, als er erwartet hatte, die Schenke an dem Graben auf der rechten Seite des Weges. Er stutzte; das Haus lag hinter Tegel, und seiner Meinung nach hatte er diesen Ort noch nicht erreicht; irrte er nicht, so lag es links, nicht rechts am Wege, und doch sah er es deutlich vor sich! Er sah den Zaun, der es umgab, den wohlbekannten dicken Wirth in der Thür, die Hühner auf dem Hofe. Es konnte kein Irrthum sein; nur suchte er vergeblich einen Weg über den Graben, der ihn von dem Hause trennte. Er entschließt sich zum Sprunge; aber er springt zu kurz und fällt. Er blickt auf, sieht sich im Graben liegen, und weit umher nichts als Feld; das Haus sammt Wirth und Hühnern war verschwunden. Es war eine Vision gewesen; seine Sehnsucht hatte die Wirklichkeit vorweggenommen. Bis zur 236 Waldschenke selbst mußte er noch eine bedeutende Strecke Weges zurücklegen.



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