Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

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3. Fremde Literatur.

1. Die Alten.

Die alte Welt, namentlich das Wesen der antiken Tragödie, ist mir erst spät aufgegangen, nachdem ich aus Göttingen nach Berlin zurückgekehrt war. Ich hatte mir als junger Mensch meine eigene Welt gebildet, die freilich der alten fern lag. Auch blieben mir die wiederholten allgemeinen Anpreisungen der antiken Größe und Kunst, die ich aus der Schule immer wieder hören mußte, unverständlich. So verstand ich die Grandiosität des Aeschylus damals gar nicht.

Am frühsten hat mich die »Odyssee« entzückt, die ich schon als Knabe in meiner Weise las, und nicht genug lesen konnte. Ich habe sie immer für eins der wunderbarsten Erzeugnisse des dichtenden Geistes gehalten. Sie ist ein wahres Wunderwerk, wie es keine Literatur zum zweiten Male besitzt. Ich stelle sie auch bei weitem höher als die »Ilias«. Die höchste Kunst zeigt sich in den Episoden, und wahrhaft dichterisch offenbart sich die Welt des Wunders. Welch unerschöpflicher Reichthum des Lebens und der Bewegung ist nicht darin, welch eine Fülle der Gestalten und Situationen! Alles ist so anschaulich und voller Leben, und diese Kämpfe und Abenteuer spannen und interessiren uns. Es lebt darin ein reiner und tiefer Sinn für die Natur, und mächtig ergreifend ist die Schilderung ihrer Erscheinungen. Mit dem Gewaltigen, ja Furchtbaren verbindet sich dann auch das 212 Rührende und Empfindungsvolle. Wie rührend ist es nicht, wenn Odysseus in sein Haus zurückkehrt, und der treue Hund ihn zuerst erkennt!

Am liebsten habe ich nachher den Euripides gelesen, den ich eine Zeit lang wol meinen Lieblingsdichter nennen konnte. Er steht der modernen Empfindungsweise näher als die andern. Man sagt seine Charaktere seien manierirt und rhetorisch. Das sind sie aber doch nicht überall, oft sind sie sogar trefflich, und stehen in der schönsten Weise zwischen Tragik und Humor lebensvoll in der Mitte, z. B. Hercules in der »Alceste« und Pentheus in den »Bacchen«. Beides sind treffliche Stücke. Andere Charaktere haben wirklich etwas Zartes. Wie edel ist nicht »Iphigenia in Tauris« gehalten! Auch der »Hippolytus« ist ein gutes Stück. Wie in den Charakteren steht uns auch im Plan und in der Verwickelung seiner Tragödien Euripides näher. Die im Anfange immer wiederkehrenden Monologe sind als Exposition im Sinn und Charakter des Chors zu betrachten. Der Chor selbst erscheint freilich gesunken. In das verdammende Urtheil über Euripides, welches seit den Schlegel oft wiederholt worden ist, habe ich nie einstimmen können.

Man hat noch nicht genug Aufmerksamkeit darauf gewendet, wie sich die Idee des Göttlichen bei den griechischen Tragikern entwickelte. Seit Aeschylus hat sie sich in kurzer Zeit bedeutend verändert. Welcher titanenhafte Trotz gegen das Göttliche ist nicht bei diesem im »Prometheus«, an den man nur durch Schiller's »Räuber« wieder erinnert wird. Seinen Zeus stellt er widerwärtig, man könnte sagen fast bösartig dar; er schildert ihn mit einer directen Ironie. Welch ein gewaltiger Geist mußte es nicht sein, der es wagen konnte, die überlieferten Götter des Volkes so zu behandeln! Und dann wieder, wenn man mit dem »Prometheus« die »Perser« 213 vergleicht, wie unendlich verschieden ist er nicht in beiden! Ganz anders zeigt sich gleich darauf Sophokles. Im »Oedipus aus Kolonos« ist, den Fluch gegen den Sohn ausgenommen, Alles Versöhnung. Oedipus selbst erscheint versöhnt, gereinigt, großartig. Es ist in diesem Stücke eine Ahnung des Christlichen. Diese gibt sich beinahe überall in den Chören kund, wo in der heiligen Resignation die Versöhnung hervortritt. In Sophokles selbst lebt ein Geist, der dem Christenthume verwandt ist. Anders ist es mit Euripides, dessen Götter unleugbar viel tiefer stehen, und menschlichen Leidenschaften unterworfen sind.

Neulich habe ich wieder einmal den »Lucian« gelesen. Ganz anders ist der Eindruck, den ich jetzt davon habe, als vor Jahren, wo ich ihn zuletzt las. Ich kann mit diesem Witze nicht mehr übereinstimmen. Ist es Scherz oder Ernst, man weiß es nicht. Er erscheint mir willkürlich, ohne festen Inhalt, bisweilen scurril. Lucian ist übersättigt. Ebenso ist mir Petronius zuwider, beide sind blasirt. Aber Niemand ist weniger für den Witz gemacht als der Blasirte, und doch drängen sich gerade diese auch heute dazu, als wenn sie allein dafür berufen wären. Die innere Zerrissenheit macht nicht den Witz; es gehört dazu ein in sich befriedigtes, ruhiges und heiteres Gemüth, aus diesem allein kann der wahre Witz kommen.


2. Dante

ist ein wahrhaft großer Dichter. Vieles in seiner »Hölle« ist erhaben, gewaltig und bis zur Vernichtung erschütternd. Aber mich stört sein theologisches und philosophisches System, so tiefsinnig es auch sein mag, im Gedichte. Es stieß 214 mich ab, wenn mich anderes ergriff. Ich kann sagen, Dante ist mir stets nah und fern zugleich gewesen.


3. Camoens

ziehe ich den großen italienischen epischen Dichtern vor; ich habe sein Gedicht immer mit hoher Bewunderung betrachtet. Mit Recht sind die Portugiesen auf dieses nationale Werk stolz. Niemals wieder in neuerer Zeit haben sich in einem epischen Gedichte wahre Poesie und Geschichte so verbunden. Es enthält zugleich in gewissem Sinne die Geschichte Portugals. Hier zeigt sich Camoens als hohen Meister in der Episode. Wie herrlich ist nicht z. B. die von der Ines de Castro.


4. Shakspeare.

Shakspeare selbst war sich der ganzen Gewalt seines Genius gewiß nicht bewußt, und eben darum weil er still und absichtslos dichtete, weil er nicht anders konnte, war er so groß. Diese Unbefangenheit war seine Natur und Größe. Seine Entwickelung ist offenbar eine sehr normale gewesen; von schwächern Anfängen ist er zum Großartigen, ja zum Kolossalen fortgeschritten. Seine Zeitgenossen erkannten ihn schwerlich so, wie wir; er wird wol ehrenvoll genannt, aber ohne ihn wesentlich von Andern zu unterscheiden, deren Namen jetzt kaum noch bekannt sind. Wie bei ihm, so ist es überhaupt schwer zu sagen, wo in der Seele des Dichters die unmittelbare Begeisterung aufhört und das bewußte Schaffen anfängt. Aus eigener Erfahrung kann ich wol sagen, daß es für den Dichter selbst das Beste ist, nicht zu viel darüber zu grübeln; dies kann die Productionskraft nur schwächen.

215 Ich habe Shakspeare's Stücke stets in zwei Classen getheilt, die wohl von einander zu scheiden sind, da der Dichter in beiden keineswegs in derselben Weise auftritt, nämlich in historische und mythische. Dort ist er episch breiter, er läßt sich mehr gehen und ist mitunter sogar gedehnt, was man in den übrigen Dramen nie findet. So zum Beispiel in den Heinrichen.

Eigentlich ist nur der erste Theil von »Heinrich IV.« dramatisch concentrirt, der zweite hat ganz entschiedene Längen; hier ist die Gefangennehmung der Rebellen durch Lancaster geradezu breit, ganz gegen Shakspeare's sonstige Art. Auffallend ist auch die Umwandlung, die mit Falstaff's Charakter vor sich geht. Im Vergleich mit der Weise, wie er im ersten Theile geschildert wird, ist er sehr gesunken. Die Ritterlichkeit, die er dort wenigstens in einem gewissen Schein zu bewahren sucht, ist ganz verschwunden, er steht dem Prinzen ferner, und hat weniger Witz aber viel mehr Gemeinheit. Auch sind die Scenen mit den Rekruten und mit Dorchen weit ausgeführt. Ich habe immer vermuthet, daß dieser Falstaff überhaupt noch manche Umwandlung anderer Art durch den Dichter erfahren habe. In einem der ältesten Drucke »Heinrich's IV.« heißt er Oldcastle; dies war aber ein Märtyrer und Heiliger der Wicleffiten aus der Zeit Heinrich's V., und sein Name galt auch bei den Puritanern etwas. Offenbar war der Dichter kein Freund der finstern Puritaner, die schon unter Elisabeth hervorzutreten anfingen. Gewiß belegte er zuerst nicht ohne satirische Absicht den leichtfertigen und ausschweifenden alten Gesellschafter des Prinzen mit dem Namen des puritanischen Heiligen. Dies mußte die strenge Partei gegen ihn aufbringen, und um sie zu beschwichtigen, nannte er ihn später Falstaff; aber durch Zufall und Unachtsamkeit ist der erste Name nicht überall getilgt worden. 216 Ebenso glaube ich, daß Shakspeare, um jene Partei zufrieden zu stellen, das Schauspiel »Oldcastle« schrieb, das man ihm ganz mit Unrecht abspricht. Hier macht er Oldcastle selbst zum Helden, und behandelt in ernster Weise den ersten Theil seines Lebens.

Dieselbe epische Breite wie in »Heinrich IV.« findet sich dann noch besonders in »Heinrich V.«, wo der Dichter sogar den erzählenden Chor zwischen die einzelnen Acte eingeschaltet hat. Ebenfalls episch, doch wieder in anderer Weise, sind die Bürgerkriege in »Heinrich VI.« gehalten.

Das gewaltigste unter allen historischen Stücken, und der gewaltigste Charakter bleibt aber »Richard III.«, eine der kolossalsten Conceptionen, welche jemals in der Poesie vorgekommen sind. In seiner Weise ist er vollkommen abgeschlossen und durchgebildet. Es ist der Charakter des vollendeten Egoismus, und so steht er in einsamer Furchtbarkeit über der gewöhnlichen Welt; für ihn gibt es kein Gut und Böse mehr. Er verachtet die Menschen tief, aber die Erbärmlichkeit seiner Umgebung, aus welcher er furchtbar emporragt, bestätigt ihn in dieser Verachtung. Man schmeichelt ihm, man kriecht vor ihm, oder sucht ihn mindestens zu gebrauchen. Aber eben dadurch macht er alle von sich abhängig, und beherrscht und vernichtet zuletzt alle. In dieser dämonischen Gewalt hat Napoleon's Charakter eine große Aehnlichkeit mit dem seinen. Aber neben dem furchtbar Abschreckenden besitzt er gewinnende Eigenschaften, die mit fast zauberhafter Gewalt auf die Menschen wirken. In einem solchen Maße ist ihm die höchste Macht der Rede eigen, die denkbar ist; wie könnte er sonst die freilich schwache und eitle Anna gewinnen? Er, bei seiner Beschaffenheit, und unter diesen Umständen? Er selbst wundert sich und spottet darüber, daß es ihm gelingen konnte! Nur einmal regt sich bei ihm 217 das Gewissen. Es war nothwendig ihn auch in einem solchen Momente zu zeigen, weil wir sonst den Menschen in ihm nicht mehr erkennen würden. Man hat den Monolog, mit dem das Stück beginnt, auffallend gefunden. Das kann so scheinen, wenn man es ganz für sich auffaßt; man muß es aber im engen Zusammenhange mit Heinrich VI. betrachten, an dessen letzte Scenen es sich sogleich anschließt.

Gegen die Motivirung der heißen und übereilten Liebe in »Romeo und Julie« hat man Zweifel erhoben; ich glaube man hat sie sich etwa so zu denken: Julie ist jung, Italienerin, sie hat heißes Blut, und ist bisher eingezogen gehalten worden. Die Mutter steht ihr fern, der Vater streng gegenüber. In dieser Häuslichkeit bleibt sie meistens der Erziehung der Amme überlassen, mit der sie stets zusammen ist, und deren Einfluß kein günstiger sein kann, denn sie ist eine gewöhnliche, sinnliche Person, deren zweideutige Reden natürlich auf Juliens Phantasie einwirken müssen. Sie sehnt sich nach Freiheit, und innerlich ist längst in ihr eine solche Leidenschaft vorbereitet, als ihr Romeo begegnet.

Shakspeare's Lustspiele tragen alle mehr oder weniger den Charakter des Märchens an sich; nur die »Widerbellerin« nicht, wo alles schlicht und bürgerlich hergeht. Einer frühen Zeit gehören gewiß »Die beiden Veroneser« an; hier findet sich nur eine directe Komik, noch nicht die Ironie.

In der Ironie ist Shakspeare Meister. Ob sie bei ihm bewußt oder unbewußt war, ist schwer zu sagen; es ist dies ein tiefes Seelengeheimniß, in das nicht einzudringen ist, aber fast in allen seinen Charakteren und Verwickelungen tritt sie hervor. Wenn Romeo verliebt in Rosalinde auftritt, um gleich daraus jene gewaltige Leidenschaft für Julie zu fassen, so deutet dies allerdings seine Seelenstimmung und Disposition für diese Liebe an, aber in dieser 218 Zusammenstellung liegt doch entschieden eine Ironie. Wenn der Mönch, um Schlimmeres zu verhüten, die Trauung beschleunigt, und dadurch schwerere Verwickelungen herbeiführt, die ihn nun nöthigen, zu dem Schlaftrunke zu greifen, so ist das wiederum Ironie; ebenso, wenn durch den Scheintod, der in der besten Meinung veranlaßt ist, der wirkliche Tod Romeo's, und endlich auch Juliens herbeigeführt wird. Dies löst sich wiederum auf, indem sich nun die streitenden Familien über den Leichen ihrer Kinder versöhnen.

Wenn in »Heinrich IV.« Percy, der Führer der Verschwörung, seine Bundesgenossen beleidigt, und durch verkehrten Ungestüm sein eigenes Werk zerstört, so behandelt der Dichter den Helden, den er sonst so bedeutend ausgestattet hat, ironisch. Ironisch steht auch der Prinz seinen Spießgesellen gegenüber, und daß dies der Fall sei, merkt keiner von ihnen, auch der gewitzigte Falstaff nicht. Eine sehr tiefe Ironie liegt in der Scene, wo der Prinz am Sterbebette seines Vaters sich die Krone voreilig aufs Haupt setzt. Allerdings spricht der Dichter darin auf das erschütterndste die Nemesis aus. So faßt es auch Heinrich IV. selbst auf; aber auch in dieser Stimmung versöhnt er sich wieder mit dem Thun des Sohnes auf dessen keineswegs besonders tiefe Gegenrede, weil es ihm jetzt klar wird, daß er auch eine Anlage zum Herrschen in sich trage, was er vorher nie geglaubt hatte. Nun erst hält er sein Werk für gesichert und kann ruhig sterben.

Auch Brutus ist ironisch gehalten; er ist ein trefflicher, edler, reiner und gebildeter Mann, der nur das Beste will, aber politisch ist er blind und schwach. Er erkennt nicht, daß Roms einziges Heil, wie es damals war, in Cäsar lag, und mordet ihn, um Rom zu retten; und da er die Revolution losgelassen hat, ist er zu weich, zu 219 menschlich, um sie consequent durchzuführen. Cassius ist ein schlechterer Mensch, aber ein besserer Politiker; er würde die Sache ganz anders geleitet haben.

Ebenso steht es mit Coriolan. Er ist Held durch und durch, und der Retter des Vaterlandes. Aber er geht hin in blinder Wuth das Vaterland, das er gerettet hat, selbst zu verderben. Und wiederum in demselben Augenblicke, wo es nun in seine Hand gegeben ist, weicht er vor seinem eigenen Werke zurück, und gibt den Bitten der Mutter nach.

Kaum ist der Held eines andern Stücks vom Dichter mit mehr Ironie behandelt worden als Hamlet. Der Geist seines Vaters kehrt wieder, um ihn zur That der Rache aufzufordern. Statt zu handeln, fingirt er Wahnsinn, durch diese Erscheinung fast bis zum wirklichen Wahnsinn aufgeregt, um auf diese Weise den Gegner zu erforschen, und sich zu überzeugen, ob der Geist, der ihn soeben noch bis in die Tiefen seines Wesens erschütterte, in der That die Wahrheit gesagt habe. Da er so nicht zum Ziele kommt, verfällt er auf das Mittel mit dem Schauspiele. Nach der Wirkung desselben kann er keinen Augenblick mehr darüber im Zweifel sein, daß der König der Mörder seines Vaters sei; auch darüber nicht, daß der König, sobald er diese Ueberzeugung bei ihm voraussetzen muß, ihn selbst nicht länger leben lassen kann. Seine eigene Lage fordert ihn zum Handeln auf, denn seine Stellung ist eine unwürdige. Er ist der Erbe der Krone, und sein Oheim ein offenkundiger Usurpator, der ihn verdrängt hat. Die Gelegenheit zur That, die sich ihm darbietet, als er den König im Gebete trifft, läßt er vorübergehen, und in dem darauf folgenden Gespräche mit der Königin handelt er allerdings, aber übereilt, und nun trifft er den Unschuldigen statt des Schuldigen, den überdienstfertigen 220 Polonius. Auch das ist Ironie. Nachdem der Plan des Königs wider Hamlet's Leben mislungen ist, läßt er sich zu jenem Zweikampf verleiten, der nun fast wider seinen Willen das herbeiführt, was er ursprünglich wollte. Meistens wird dieser Zweikampf ganz falsch verstanden. Nach P.  A. Wolff's Aenderung entreißt Hamlet das vergiftete Rapier dem Laertes mit den Worten: »Ist das ritterlich?« Aber ist es denkbar, daß sich Laertes diese Waffe werde entreißen lassen, deren Wirkung er kennt? Ich denke es mir so: Im Hintergrunde der Bühne steht ein Tisch, auf diesem liegen die Rapiere. Die Kämpfenden ergreifen sie, machen einen Gang miteinander, und legen sie dann dort wiederum nieder. Dies wiederholt sich mehrere Male. Die Pausen des Kampfes werden durch die Gespräche gefüllt. Hier läßt der König durch Osrik, oder irgendeinen andern der Hofleute, die Rapiere unbemerkt vertauschen, sodaß nun das vergiftete auf Hamlet's Seite zu liegen kommt und von diesem ergriffen wird. Denn der König, der sich überall als Mann von Consequenz zeigt, kann auch Laertes nicht leben lassen, der soeben noch an der Spitze eines Rebellenhaufens stand, und außerdem ja den ganzen Plan kennt, der gegen Hamlet angelegt ist. Das gerade Gegenbild Hamlet's ist Fortinbras, der Erbe des Reichs. Die Ironie, welche in der ganzen Tragödie herrscht, hat weder Schröder noch auch Goethe erkannt, sonst hätte dieser nicht eine solche Bearbeitung vorschlagen können, wie er es im »Wilhelm Meister« thut.

»Hamlet« ist überhaupt eines der wunderbarsten Stücke, von einem nicht auszudenkenden Tiefsinn. Je mehr man es studirt und sich damit vertraut macht, je mehr findet man, daß der Dichter uns immer neue Räthsel aufgibt. Hamlet's Charakter selbst ist das größte Räthsel. Die entgegengesetztesten Eigenschaften sind hier zu einem Ganzen 221 verbunden. Gewiß ist er kein Held im gewöhnlichen Sinne des Worts, aber ebenso wenig nur reflectirt, oder nur melancholisch, oder nur edel, oder nur witzig und geistreich. Mit welcher schlauen und kalten Berechnung beseitigt er nicht Rosenkranz und Güldenstern, und über das Gelingen seiner List äußert er eine hämische Freude. In der nächtlichen Unterredung mit der Mutter erscheint er mitunter roh, und dann hat er wieder Augenblicke reinster menschlicher Weichheit und edler Erhebung.

Auch sein Wahnsinn ist schwer aufzufassen. Ist er durch die furchtbare Erscheinung des Vaters wirklich wahnsinnig geworden, oder ist es nur ein erheuchelter Wahnsinn? Es scheint beides, und der Gedanke, sich wahnsinnig zu stellen, scheint selbst schon die Folge eines gewissen Irrsinns zu sein. Höchst räthselhaft ist darum der Schluß des ersten Acts. Will Hamlet schon den Horatio glauben machen, er sei wirklich wahnsinnig? Weshalb die Wiederholung des Schwurs? Und warum wiederholt der Geist selbst jenen Zuruf: »Schwört«? Ganz verkehrt werden hier in der Regel Hamlet's bekannte Worte: »Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde« u. s. w. verstanden. Man pflegt sie auf die Erscheinung des Geistes zu beziehen, aber wie ist das möglich? Wie kann Hamlet zu Horatio und seinen Gefährten so sprechen? Sie haben ja den Geist früher gesehen als er, und ihn davon erst benachrichtigt. Es ist eine Hindeutung auf das, was Hamlet durch den Geist erfahren hat, daß sein Vater wirklich durch Meuchelmord gefallen ist.

Auch der berühmte Monolog »Sein oder Nichtsein« wird stets misverstanden. Man denkt an einen Selbstmord Hamlet's. Aber nicht davon spricht er; welche Veranlassung hätte er auch jetzt, wo ihn Alles zum Handeln auffordert, sich das Leben zu nehmen? Es sind Betrachtungen, auf die ihn 222 die That hinführt, die er vollziehen soll. An einen möglichen Verlust des Lebens denkt er, und grübelt wieder statt zu handeln. Auch in diesem Monolog ist Manches dunkel. Wie kann Hamlet von jenem unentdeckten Lande sprechen, von deß Bezirk kein Wanderer wiederkehrt? Ist ihm nicht der Geist seines Vaters wiedergekehrt, um ihm ein schweres Geheimniß zu entdecken? Und hat er ihm nicht Andeutungen seines Zustandes gemacht?

Der König ist übrigens nicht so elend, als Hamlet ihn darstellt. Er ist herrschsüchtig, sinnlich und schwelgerisch, aber nicht ohne Kraft. Seine Leidenschaften machen ihn endlich zum Verräther, Thronräuber und Brudermörder, und nun treiben ihn seine Verbrechen vorwärts. Seinem Charakter gemäß weiß er die Mittel zu wählen, und er weiß zu handeln. Er hat Entschlossenheit, und ist sogar nicht ohne eine gewisse Würde. Im Augenblicke der Gefahr tritt er Laertes und dem Rebellenhaufen allein entgegen, im Vertrauen auf das Uebergewicht der Majestät; und er beschwichtigt sie wirklich. Auch kann es ihm nicht an glänzenden und bestechenden Eigenschaften fehlen; wie konnte er sonst die Frau jenes Heldenkönigs verführen? Auch Laertes steht im Gegensatze zu Hamlet. Obgleich er tief unter diesem steht, und das Unglück seiner Familie durch den König unmittelbar gar nicht veranlaßt worden ist, so ist er doch gleich damit bei der Hand, eine Meuterei anzustiften. Hamlet, der das Recht auf seiner Seite hat, den das Unglück des Landes und eine wunderbare Mahnung zum Handeln auffordern, kann nicht dazu kommen.

Dem »Hamlet« ist in gewissem Sinne der »Lear« entgegengesetzt. Dort wirkt alles retardirend, immer wieder wird die Handlung von ihrem Ziele abgelenkt. Hier überstürzt sich Alles, und drängt mit fast wahnsinniger Hast zum 223 Untergange hin. Lear erscheint schon gleich im Anfange schwachsinnig. Er mißt die Liebe seiner Töchter zu ihm nach den Versicherungen, die sie im Augenblicke vorzubringen wissen, und davon macht er die Theilung des Landes abhängig! Er verstößt Cordelia, weil sie eine solche Versicherung nicht geben will; und auch sie erscheint herbe, da sie sich lieber vertreiben läßt, als daß sie ihren schwachen Vater mit einem Worte zufriedenstellt. Endlich verdirbt Kent durch seine wohlgemeinte, aber unzeitige und übertriebene Hitze Alles, und mit ihm verstößt der König seinen einzigen treuen und kräftigen Rathgeber. Denn der Narr erkennt nur das aberwitzige Thun des Königs, aber er kann nicht helfen.

Auch Macbeth hat etwas von der Ironie. Es ist eine ursprünglich kräftige und edle Natur; so auch Lady Macbeth. Aber die Trugbilder ihres Ehrgeizes treiben sie zum Verbrechen, und als sie nun die Krone haben, sind sie ihr nicht gewachsen, und erliegen unter der Schwere ihres Frevels.

Im »Kaufmann von Venedig« ist es eine Ironie, wenn die Gnade der Christen, die Shylock gewährt wird, sich darin äußert, daß man ihn zwingt, sich taufen zu lassen. So auch in »Was ihr wollt«, wo ein unbedeutender junger Mensch, wie Sebastian, ein glänzendes Glück macht und die vielumworbene Olivia heirathet, nur weil er mit seiner Schwester Aehnlichkeit hat. Das Alles ist ironisch, und so überall bei Shakspeare, man mag hingreifen wo man will. Das gibt seinen Charakteren eben das Anschauliche und Begreifliche, und dadurch sind sie wirkliche Menschen.


5. Ben Jonson

ist der gerade Gegensatz zu Shakspeare, und geht umgekehrt wie dieser zu Werke; er ist ein steifer und gelehrter Dichter. 224 Shakspeare gibt uns wirkliche Menschen, Ben Jonson hat nur Typen, die zuletzt allegorisch werden, und jeden Zug des Menschlichen verlieren. Er ist witzig und scharf, er combinirt mit ungemeinem Verstande, und weiß alle Möglichkeiten zu erschöpfen. Hierin muß man ihn bewundern, und das habe ich stets gethan. Und doch hat er wieder etwas Gehässiges; er zieht zugleich an und stößt ab. Widerwärtig ist er in seinem »Poetaster«. Sein bestes Stück ist der »Volpone«, und dann »Epicoene«.


6. Alfieri

ist, so viel er auch geschrieben hat, doch nur ein gemachter Dichter, wie es auch seine französischen Vorbilder sind, nach denen er gearbeitet hat. Er ist finster, starr und gewaltsam, und hat darin eine gewisse Aehnlichkeit mit Klinger. Er thut sich auf seinen Lakonismus viel zu Gute, und wird dadurch zuletzt wirklich unerträglich.


7. Goldoni

hat in seinen Familiengemälden und der Neigung, häusliche Zustände darzustellen, einen deutschen Zug. Das italienische Leben schildert er aber in der That vortrefflich, und als Charakterzeichner ist er nicht genug anzuerkennen, z. B. in seinen »Inamorati«. Unübertrefflich ist sein gutmüthiger Polterer, und diesem ließe sich noch mancher andere Charakter an die Seite stellen. Auf jeden Fall steht er darin, wie überhaupt in der Schilderung häuslicher Zustände, weit über Iffland. Ich habe seine Komödien immer mit dem größten Vergnügen gelesen. Auch von den Italienern wird er in hohem Grade anerkannt, während Gozzi, der doch 225 auch ein bedeutendes Talent ist, trotz der Fülle seiner Phantasie heutiges Tages kaum noch gelesen wird.


8. Rousseau

lernte ich als junger Mensch zufällig auf einer Harzreise im Jahre 1792 kennen. In einem Wirthshause fand ich die »Neue Heloise«. Ich war von der Darstellung, von der Glut der Leidenschaft in der ersten Hälfte entzückt. Aber bald kam die Abkühlung. Die zweite Hälfte und den Ausgang fand ich höchst matt, und warf endlich das Buch unwillig fort. Seitdem war ich mit Rousseau abgefunden.


9. Byron.

Eine höchst merkwürdige Natur ist Byron. Man hat Recht, seine große dichterische Kraft anzuerkennen, aber sie ist durchaus einseitig, und es ist viel Falsches und Verkehrtes dabei. Er ist eigentlich der Urvater unsers ganzen eiteln, modernen Poetenthums. Er ist in seinem Unglücke so voller Absicht und Selbstbewußtsein; sein Weltschmerz, mit dem er sich so viel zu thun macht, wird affectirt und verzerrt; überall drängt er sich eitel in den Vordergrund. Ich halte »Child Harold« für die gelungenste seiner Dichtungen; besonders ist der Anfang vortrefflich. Sonst sind alle seine Erzählungen viel zu lang. dunkel, schwierig und eintönig. Höchst schwach sind seine Dramen; er hat von der Natur des Dramatischen gar keinen Begriff Und wie urtheilt er dabei über Shakspeare! Ebenso sonderbar ist seine Ansicht von dem nüchternen Pope, den er auf eine übertriebene Weise hervorhebt. 226


10. Walter Scott

besitzt eine große Fähigkeit der Schilderung und Darstellung, er weiß die Dinge im Einzelnen anschaulich zu machen, und darin liegt seine große Wirkung. Es fehlt ihm nur wenig um ein wahrer Dichter zu sein; aber dieses Wenige reicht gerade hin, um ihn von der höchsten Stufe auszuschließen. Unter seinen Romanen stelle ich den frühesten »Waverley« am höchsten. Seine epischen Sachen sind schwach.



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