Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

10. Dichter und Schriftsteller.

Ein wichtiges Ereigniß für die kunstliebenden Freunde war es, als Reichardt's Haus aufhörte, ihr Sammelplatz zu sein. Zuerst waren einzelne Glieder des Kreises 110 ausgeschieden, jetzt löste er sich vollends auf, da er seinen Mittelpunkt verlor. Reichardt hatte in der letzten Zeit manche unangenehme Erfahrung gemacht. Er kam in den Verdacht revolutionärer Gesinnung, und das gute Einverständniß mit dem Hofe hörte auf. Verstimmt und seines Amts überdrüssig hatte er endlich den Abschied nachgesucht. Ohne ihn indeß förmlich erhalten zu haben, zog er sich auf seinen Landsitz in Giebichenstein bei Halle zurück, den er damals angekauft hatte. Sein Stiefsohn, Hensler, hatte sich Ostern 1791 ebenfalls dorthin begeben, um das juristische Studium zu beginnen.

Durch Reichardt's Abgang von Berlin verlor unter den Freunden keiner mehr als Ludwig. Für ihn schloß damit ein kurzer, aber inhaltsschwerer Abschnitt, in welchem sich sein Leben umgestaltet hatte. Reichardt hatte er Vieles zu danken. Durch ihn hatte er mittelbar oder unmittelbar eine vielseitige künstlerische Anregung erhalten in Poesie, Musik und dramatischer Darstellung, sein Geschmack hatte sich geläutert, an Urtheil hatte er gewonnen. Er begann die Künste und künstlerisches Leben zu überblicken, und mit Sicherheit auf diesem Gebiete sich zu bewegen.

Im Vergleiche mit dem Reichthume des Lebens, den er in jenem befreundeten Hause gefunden, war jetzt eine fühlbare Leere eingetreten. Auch Amalie Alberti hatte Berlin verlassen, um zu ihren Verwandten nach Hamburg zurückzukehren. Die Zahl der Freunde, mit denen er früher lebte, war zusammengeschmolzen. Aber schon bereiteten sich neue Verhältnisse vor. Ein Jüngling, der sich mit glänzenden Gaben über die Menge der Genossen erhob, mußte Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit werden, und eine reiche Natur, wie die seine, welche bei allen Anfechtungen das tiefste Bedürfniß geistigen Verkehrs und der Mittheilung hatte, konnte sich auf die engen Grenzen eines einseitigen Umgangs nicht 111 beschränken. Er suchte und wurde gesucht. Wichtig war es, daß er jetzt Freunde fand, welche seinen Beruf nicht nur anerkannten, sondern ihn auch in die Literatur einführten. Er hörte auf, ein versuchender Schüler zu sein, als Dichter und Schriftsteller trat er auf.

Unter den Kämpfen, die er zu bestehen hatte, war nicht nur der Mensch, auch der Dichter war in ihm gewachsen und gereift. Sein Dichten war der unbefangene Ausdruck der Natur; es war etwas Ursprüngliches, aus tiefster Lebensquelle kam es herauf. Er war frei von jeder Absicht, und ließ es mehr geschehen, als daß er es gemacht hätte. Jetzt hatte er eine klare Einsicht in sein Thun gewonnen, er begann die Poesie als eine innere Notwendigkeit zu erkennen, sie schien sich zur Lebensaufgabe zu gestalten. Mit unendlicher Leichtigkeit dichtete er. Mit dem eigenen Triebe, der ihn nicht ruhen ließ, verbanden sich äußere Aufforderungen. Rasch wuchsen ihm unter den Händen die verschiedensten Gebilde empor, ohne daß er selbst ihnen einen besondern Werth beilegte. In den Stunden tiefer Schwermuth hatte ihn diese Kraft vom Rande der Verzweiflung zurückgezogen. Die Poesie war ihm nicht blos Lust, sondern auch Trost, sie hatte ihm Ruhe und Sammlung gegeben. Hatte er die innere Freiheit soweit errungen, seine Phantasie zu beherrschen, statt sich von ihren Larven angstvoll aus einem Schrecken in den andern jagen zu lassen, dann strömten ihm Bild, Wort, Vers in reichster Fülle zu. Alle Farben ließ er mit gleicher Leichtigkeit spielen. Er malte jenes Grausen, in dem er selbst erbebte, oder er eilte den muthwilligen Sprüngen seiner humoristischen Laune nach, oder willig und gern verlor er sich in den Irrgängen des phantastischen Märchens.

Unter allen Formen, in denen er sich versuchte, blieb ihm die dramatische die anziehendste und willkommenste. Selbst 112 die Stoffe, welche ihm die Schule darbot, kleidete er in dieselbe ein. Manche Dichtung verdankte ihre Entstehung dem unbescheidenen Drängen seiner Mitschüler, die nicht müde wurden die Hülfe des gutmüthigen Genossen für die verzweifelten deutschen Arbeiten in Anspruch zu nehmen, und sich kein Gewissen daraus machten, mit erbetteltem Ruhme zu prunken. Der Willigkeit seines Genius gewiß, überließ er sich dann dem Zuge desselben getrosten Muthes. Oft ward ihm erst während des Schreibens klar, wohin er geführt werde, und die eilende Feder vermochte den raschfließenden Versen kaum nachzukommen. Und keineswegs war es das Unbedeutendste, was auf diese Weise entstand. Wie es im ersten Entwurfe niedergeschrieben war, blieb es in der Regel; spätere Veränderungen waren selten Verbesserungen.

Als er in der Zeit der politischen Aufregung Linguet's »Geschichte der Bastille« gelesen hatte, gab ihm dies Veranlassung zu einer kleinen dramatischen Dichtung, in welcher er die Erhebung des Volks, den Bruch der Fesseln und den Sturz der tyrannischen Mauern in begeisterter Rede verkündigen ließ. In andern finstern Gemälden stellte er seine Zweifel und Kämpfe dar, oder er versuchte sich auch, doch mit geringerer Neigung, in antiken Stoffen und Versmaßen. Am mächtigsten aber wirkte Shakspeare ein, den er zu lesen und zu studiren nicht müde wurde. Erst unter dem Einflusse dieser Sonnenstrahlen schien sich die eigene Kraft ganz zu entfalten. Shakspeare war ihm Vorbild und Lehrer, Dichter und Gedicht zugleich. Ihn verherrlichte er schon im Jahre 1789 in einigen dramatischen Scenen, in denen er anknüpfend an den »Sommernachtstraum« die Weihe des Dichters schilderte, wie es selbst nur der Dichter vermag.

Denn vornehmlich waren es die wunderbaren Zauberspiele Shakspeare's, die seine Phantasie erfüllten. Der »Sturm« 113 mochte ihm bei einem dramatischen Feenmärchen: »Das Reh«, vorgeschwebt haben, welches er 1799 für seinen wenig zuverlässigen und begabten Schulgefährten Schmohl mit gewohnter Gutmüthigkeit in kurzer Zeit geschrieben hatte. Demselben gab er 1791 die ersten Capitel des »Abdallah«. Und gerade diese Dichtung gehörte ihm am eigenthümlichsten, denn sie war ein Ausfluß seiner trüben und verzweiflungsvollen Stimmungen. Schon früher hatte er diese in mehr gemäßigter Weise in dem Idyll »Almansur« darzustellen versucht, und mit dem Ergebniß abgeschlossen, daß die Rettung vor dem Zweifel nur im Verzichten auf das Wissen liege. In beiden Erzählungen hatte er den Osten zum Schauplatz seiner grausigen Phantasien gemacht. Dieser galt einmal für das Land der Wunder und Märchen. Was die Aufklärung auf dem heimischen Boden als Trug verlachte, hörte sie in den Wüsten und unter den Palmen des fernen Asien gläubig an. In dieser Welt einer vollen und üppigen Natur und uralten Weisheit verweilte er gern. Seine Belesenheit hatte ihn hier heimisch gemacht. Wie er sich als Kind dem Zauber orientalischer Feenmärchen überlassen hatte, so waren später die Reisebeschreibungen von Mandelsloh und Olearius und Sadi's »Rosenthal« seine Lieblingsbücher geworden. Aus ihnen machte er sich den bilderreichen Ton, die phantastischen Wunder des Orients zu eigen.

So entstand in den ersten Grundzügen schon auf der Schule jenes schaurige Nachtgemälde »Abdallah«, das seinen Dichterruf begründen sollte. Eine eigenthümliche Ironie war es, daß gerade diese Dichtung, die in der Verwegenheit des Zweifels und im gewaltigen Schwunge der Phantasie Schiller's »Räubern« sich nähert, zuerst den Namen eines phantasielosen Gesellen trug, der dadurch bei Lehrern und Mitschülern den Ruf eines Genies und starken Geistes erlangte. 114 Mit unverschämter Einfalt prangte er unter Ludwig's Augen mit den Federn, welche er von ihm erborgt hatte. Gutmüthig ironisch lachte dieser der gelungenen Täuschung, besonders als er hörte, daß Rambach, für dessen Stilstunden diese Arbeit angefertigt war, sich mit zuversichtlicher Miene habe vernehmen lassen: »Was wollen Tieck's Arbeiten im Vergleich mit denen von Schmohl sagen! Gegen die kommen sie gar nicht auf.«

Der Neigung, seine Gedanken und Empfindungen mitzutheilen, folgte er auch darin, daß er Andere zu dichterischen Versuchen aufforderte. Geselligkeit war für ihn Bedürfniß, sobald seine Seele frei und unumwölkt war. Nichts war ihm lieber, als mit Andern gemeinschaftlich zu arbeiten, eine Aufgabe zu haben, die er im Verein mit einem Freunde zu lösen suchte. Seine Dichterlust ging dann auf diesen über. Mittelmäßige Köpfe gewannen in seiner Nähe an Zuversicht und Selbstvertrauen; auch er glaubte an ihren Beruf, und konnte gutmüthig genug für ursprüngliches Feuer halten, was nichts als der Widerschein seines eigenen war. So hatte er seinen trockenen und nüchternen Freund Piesker für den Plan, ein großes Trauerspiel gemeinschaftlich zu bearbeiten, mächtig begeistert. Dieser, von dem Anstoße des begeisterten Freundes fortgerissen, mühte sich redlich ab, dem guten Glauben Ehre zu machen. Als beide einst auf dem Schlosse Fredersdorf zusammen waren, fanden sie in der Hausbibliothek Rapin de Thoyras' »Geschichte von England«. Wie glücklich waren sie, als sie hier die Geschichte der Königin Anna Boleyn in breiter Ausführlichkeit lesen konnten! Gab es für ein Trauerspiel in großem Stile eine bessere Heldin als eine junge, schöne, tugendhafte Königin, welche als Opfer der Hinterlist und tyrannischer Eifersucht fällt? Sogleich entwarf man den Plan der Tragödie, und theilte die Arbeit. 115 Ludwig sollte die leidenschaftlichen Scenen ausführen, Piesker übernahm die Stellen, wo mehr kalte Berechnung hervortreten sollte. Indeß verließ der Freund bald darauf Berlin, und so blieb das wunderliche Werk unvollendet.

Um diese Zeit schloß er sich einigen jungen Männern reiferen Alters an, die bereits als Lehrer am Werderschen Gymnasium angestellt waren, und zu deren Schülern er selbst gehörte. Der Unterschied der Jahre und die Schranken der Schule verschwanden vor der ausgleichenden Kraft des Genies, das im Augenblicke eroberte, was Andere mühselig erwerben mußten. Diese jüngern Lehrer hatten sich bereits unter den Einflüssen der Literatur herangebildet, welche auch seine Richtung bestimmte. An Goethe, an die neue Philosophie schlossen sie sich an. Die engen Schranken im Wissen und Leben sollten fallen. Beides sollte nicht mehr durch eine steife und ängstliche Stubengelehrsamkeit getrennt werden, es sollte sich vielmehr durchdringen. Es war der Gegensatz des jüngern Geschlechts, das erobern will, gegen das ältere besitzende, welcher Ludwig diesen Männern zuführte.

Dagegen lösten sich die nähern Verhältnisse zu den frühern Lehrern auf. Der Subrector Stilke, dessen Zucht Ludwig in den ersten Schuljahren erfahren hatte, war seit längerer Zeit Prediger in Ruhlsdorf bei Berlin. In alter Anhänglichkeit hatte er ihn mit einigen Gefährten bisweilen auf seiner Pfarre besucht. Mit humoristischem Behagen fand er, daß er noch immer der Alte sei. In weinerlich-näselndem Tone klagte der wunderliche Mann über das Kreuz und die Plagen der Welt, die Verfolgungen schlechter Menschen, die ihn seiner Frömmigkeit wegen träfen. Auf die Bemerkung, daß das Kreuz ihm wohl zu bekommen scheine, da er ja an Leibesfülle ansehnlich zugenommen habe, 116 antwortete er: »Ach, lieben Freunde, das thue ich allein meiner theuern Gemeinde wegen.« Bei diesen Worten zog er ein Polsterkisten hervor, welches er unter die Weste zu knöpfen pflegte, um sich ein ehrwürdiges Ansehen zu geben.

Zu den jüngern Lehrern, denen Ludwig schon früher nähergetreten war, gehörte der geistvolle Uhden, der eine Zeit lang den geschichtlichen Unterricht in der obersten Classe ertheilte, dann Rambach und Bernhardi. Beide waren im Laufe des Jahres 1791 Mitglieder des von Gedike geleiteten Seminars für gelehrte Schulen geworden, und hatten als solche eine Anzahl von Lehrstunden am Werderschen Gymnasium übernommen.

Zunächst wurde der Verkehr mit Rambach für ihn erfolgreich. Ohne gründliches Wissen zu besitzen, hatte sich dieser der Literatur und den Alterthumswissenschaften zugewendet, es aber bald anziehender gefunden, sein Talent einer leichten und oberflächlichen Darstellung in der Schriftstellerei für die eben beliebte Unterhaltung geltend zu machen. Voll von Plänen und Entwürfen, beweglich, nicht ohne Phantasie, aber innerlich seicht, schrieb er mit stets bereiter Feder, was man irgend verlangte, Romane, Dramen, Schauergeschichten und Festspiele. Auf dem Gymnasium ertheilte er deutschen Unterricht in der obersten Classe in einer Weise, die ihm die bequemste war, ihn aber den ältern Lehrern als einen dilettantischen Neologen verrieth. Er las nämlich die neuesten Gedichte vor. Als Gedike ihn einst in der Lehrstunde Schiller's »Künstler« vorlesen hörte, konnte er eine laute Aeußerung des Misfallens nicht unterdrücken; er hielt das für Allotrien. Aber gerade dies brachte Rambach seinen Schülern näher. Auch fand es großen Beifall, daß er ihnen in der Art der schriftlichen Arbeiten freie Hand ließ, und ihnen sogar die Aufgabe stellte, diesen oder jenen Stoff 117 dramatisch zu behandeln. Das war ja das Feld, auf welchem man sich am liebsten bewegte und am meisten zutraute.

In einem Stücke des »Deutschen Museum« las man damals mit vielem Antheil die Geschichte eines Insulanerhäuptlings von Manilla, der in die Hände spanischer Jesuiten gefallen war. Rambach hielt diesen Stoff für eine dramatische Bearbeitung sehr geeignet. Ob der Schluß versöhnend oder tragisch gewendet werden solle, überließ er der dichterischen Erfindungskraft seiner Schüler. Der Gegensatz natürlicher Unverdorbenheit und verfeinerter Bosheit und roher Glaubenswuth verfehlte seinen Eindruck nicht, und Ludwig brachte in kurzer Zeit sein dreiactiges Schauspiel »Allamoddin« zu Stande. Im Sinne der Zeit, welche in dem Naturzustande wilder Völker das Urbild der Unschuld und Tugend fand, machte er den Häuptling zum Träger naturalistischer Ansichten in Religion und Politik, wie sie in Berlin galten, und ließ das ferne Suhlu in der Südsee als eine Freistatt vor europäischer Verderbtheit erscheinen. Rambach war durch die Sicherheit und Leichtigkeit der Behandlung überrascht. Geschmeichelt, unter seinen Schülern solche Talente zu haben, versprach er das Schauspiel an Schröder zu senden, und ihn für dessen Darstellung auf der Bühne zu gewinnen. Während diese Versprechungen vergessen wurden, hatte indeß die beginnende Freundschaft mit Rambach andere nicht unerhebliche Folgen.

Lehrer und Schüler verkehrten bald auf gleichem Fuße miteinander. Ohnehin war dieser nur um fünf Jahre jünger als jener. Rambach erkannte Ludwig's Gewandtheit und Gutmüthigkeit, und machte ihn zu seinem literarischen Vertrauten. Zunächst leitete er ihn zu allerlei Dienstleistungen an, die jenseit der Grenzen der Schule lagen. Rambach's Schnellfertigkeit in schriftstellerischen Darstellungen, die er unter eigenem Namen, einem angenommenen, oder auch 118 namenlos erscheinen ließ, erregte das Erstaunen seiner Bekannten. Auf die Frage, wie er es denn möglich mache, soviel zusammenzuschreiben, hatte er, wie man sich erzählte, geantwortet: »Wenn ich einmal stecken bleibe, knirsche ich nur mit den Zähnen, und es geht wieder frisch weiter!« Bei diesen Arbeiten wurde Ludwig zuerst als Schreiber angestellt. Er mußte die schnellaufschießenden, oft dickleibigen Manuscripte ins Reine bringen. Manche Stunde des Tages, ja der Nacht verwandte er darauf. Es machte ihm schon Vergnügen, ein zierlich geschriebenes Heft dieses Inhalts herzustellen. Bald sah der Meister, daß er die Kräfte des Jüngers angemessener und vortheilhafter nutzen könne, wenn er ihn an seinen Arbeiten selbständig theilnehmen lasse.

Derbe, handfeste Stoffe liebte das große Publicum. Die Leser mußten sich gewaltig erregt, und ihre Nerven von Schrecken und Schauern aller Art durchbebt fühlen, wenn sie mit dem Beifall freigebig sein sollten. Je abenteuerlicher das Gräßliche auftrat, desto besser; nach dem Ganzen pflegte man nicht viel zu fragen. In diesen Verzerrungen wirkten die misverstandenen Vorbilder, der »Götz«, »Die Räuber«, »Der Geisterseher« fort. Ritterromane verlangte man, die vom Sporngeklirr und dem Gepolter deutscher Kraft und Biederkeit widerhallten, in denen der mannhafte Ritter, wenn er nüchtern ist, in die Netze des Pfaffentrugs und der Weiberlist mit eiserner Faust hineinschlägt. Nicht minder waren Räubergeschichten beliebt, gleichviel ob erfunden, oder aus den Criminalacten entlehnt. Es erschien irgendein heruntergekommener und ausgestoßener Held, der wie Karl Moor sich berufen fühlte, die Menschheit an der Menschheit zu rächen. Hier gab es Beiträge zur Erfahrungsseelenkunde. Als merkwürdige psychologische Erscheinungen wurden Gauner und Spitzbuben studirt, und zu großen Männern 119 gestempelt, denen die Verkehrtheit der bürgerlichen Einrichtungen keinen freien Spielraum gönne, und sie aus der Heldenbahn in die nah angrenzenden Diebeswege hinüberdränge. Nur wenig fehlte, und auch dieser Räuber wäre ein Alexander, ein Cäsar geworden. Nicht an ihm lag es, wenn er es nicht ward. Eine seicht moralisirende Pragmatik gefiel sich darin, die welthistorischen Personen als Räuber im Großen, und wirkliche Räuber als Helden im Kleinen darzustellen.

Oder endlich Magier und Zauberer, geheime mystische Orden, im Finstern schleichende Mächte mußten ihr räthselvolles Spiel entfalten. Je nach Umständen beschützen sie wie Sarastro in der »Zauberflöte« die Tugend, und wirken in unterirdischen Kellern für Menschenwohl, oder mit sinnverwirrenden Spielen und trügerischen Künsten umgarnen sie ihr ahnungsloses Opfer von fernher. Hier spiegelten sich die Einwirkungen der Freimaurer, der Rosenkreuzer, Goldmacher und Geisterbeschwörer mit ihrer Geheimnißkrämerei wider, der Cagliostro, Schröpfer und Anderer, die mit kecker Stirn behaupteten, ihre Geheimlehren und Kräfte von den Pyramiden Aegyptens unmittelbar hergeholt zu haben. Hier, so träumte man, sollte sich eine uralte Mystik erhalten haben. Man schien der gepriesenen Aufklärung müde zu sein, und den Glauben abgethan zu haben, um sich einem plumpen Aberglauben kopfüber in die Arme zu werfen. Die Phantasie mußte aus einem Schrecken in den andern hineingehetzt werden, gleichviel ob durch Spuk oder Blut. Die zahmgewordenen Schrecken der Revolution schienen sich in der deutschen Unterhaltungsliteratur festgesetzt zu haben. Aber wenn eisige Schauer den Rücken des Lesers hinabglitten, dann fühlte er mit doppeltem Genusse das Glück bürgerlicher Ruhe und Sicherheit.

Außer Rambach arbeiteten in diesem Fache noch viele Schriftsteller, und mit mehr Erfolg als er. Da gab es die 120 Rittergeschichten von Spieß und Schlenkert, von Veit Weber, Cramer und Feßler; die Spuk- und Schauergeschichten von Meißner und Große, der die grobe Täuschung so weit trieb, vor dem Publicum als spanischer Marquis Vargas oder gar Marquis Große, selbst den Geheimnißvollen zu spielen.

Auf diesen Geschmack war ein Buch berechnet, das 1791 im Himburg'schen Verlage unter dem Titel erschien: »Thaten und Feinheiten renommirter Kraft- und Kniffgenies.« Es enthielt eine Auswahl von Lebensbeschreibungen bekannter Diebe und Räuber, zu der verschiedene Verfasser beitrugen, es aber gerathen fanden, sich nicht zu ihren Helden zu bekennen, und ihre Namen zu verschweigen. Rambach hatte es übernommen, die Geschichte des berüchtigten Wilddiebes und Räubers Matthias Klostermayer, genannt der Bairische Hiesel, zu bearbeiten. Dieser hatte nach dem Siebenjährigen Kriege in Baiern und den angrenzenden reichs- und stiftsländischen Gebieten ein vollkommen eingerichtetes Raubhandwerk getrieben. Als Rächer und Schützer gegen drückende Forstgesetze war er ein Liebling des Landvolks geworden. Die Geschichte seines Räuberlebens war als Volksbuch durch Deutschland gewandert, und hatte einen beliebten Stoff für die Puppentheater geliefert. Nun sollte für die Leser von Fach ein schmackhaftes Gericht daraus bereitet werden. Das nächste Vorbild, welches man hier hatte, war Schiller's »Sonnenwirth«.

Rambach unterließ auch nicht, den Hiesel zu einem Helden zu stempeln. Er nahm den Mund nicht wenig voll. Er erklärte ihn für einen Wilddieb aus Grundsätzen, einen Verbrecher durch die Einrichtung des Staates, und naseweis hofmeisterte er die Vorsehung, daß sie aus diesem Stoff, der zu einem Alexander ausreichend gewesen wäre, nur einen Straßenräuber gemacht habe. Doch er selbst vermochte nur die ersten Capitel zu Stande zu bringen, die er Ludwig in 121 die Feder gesagt hatte. Dann ward er der Arbeit müde, und fand es bequemer, die Fortsetzung seinem Gehülfen auf eigene Gefahr zu überlassen.

Dieser mußte nun dem weitschweifigen Volksbuche, das aus endlosen Berichten stets wiederkehrender Diebereien und Raufereien bestand, Schritt vor Schritt nachgehen, und lieferte eine Erzählung, welche die eintönige Weise des Vorbildes ziemlich getreu wiedergab. Da hier Geschichte geschrieben werden sollte, so war eine freie Bewegung nicht erlaubt. Mit großem Ernst hielt er bei diesen rohen und widerwärtigen Auftritten die Miene des Menschenkenners und psychologisirenden Geschichtschreibers fest. An einer Stelle suchte er gar durch eine kühne Vermuthung wahrscheinlich zu machen, daß Schiller's Sonnenwirth seine ersten Studien unter dem Bairischen Hiesel gemacht habe.

Mit Selbstverleugnung führte er die lästige Aufgabe glücklich durch. Nur auf der letzten Seite konnte er es sich nicht versagen, hinter der steifen Maske ironisch lächelnd hervorzusehen. Er schloß mit der Versicherung, daß ihm mit der Beendigung dieser Hieseliade ein schwerer Stein vom Herzen falle, denn es sei ihm sauer genug geworden, diesen Kerl als Helden darzustellen. »Warum? Weil er nichts mehr und nichts weniger war als ein Spitzbube!« Mit diesem Epigramm stieß er die gespreizten Reden Rambach's über den Haufen, und übte eine scharfe Kritik des ganzen Buchs aus. Rambach war mit der gelieferten Arbeit zufrieden, dachte aber nicht daran, seinem Zöglinge das Honorar zu überlassen. Dagegen hatte Ludwig die Genugthuung, in einem kritischen Blatte zu lesen, daß dieser letzte Abschnitt des Buchs (der zweite Theil war 1791 erschienen) einen gewandten Schriftsteller verrathe.

Gleichzeitig schrieb Rambach einen Schauerroman: »Die eiserne Maske«, den er 1792 unter dem Namen Ottokar 122 Sturm herausgab.»Die eiserne Maske. Eine schottische Geschichte von Ottokar Sturm« (Frankfurt und Leipzig 1792). Vgl. die scharfe Kritik in der »Neuen allgemeinen deutschen Bibliothek«, III, 285. Hier benutzte er noch einmal die schon erkaltende Vorliebe für Ossian, und verlegte die moderner Schreckensscenen in die Felsenthäler und Nebel Hochschottlands. Die eiserne Maske, eine Art Panzer, in den die Menschen wie in einen Kasten hineingesteckt werden, trieb unter Ossian's Heldengestalten Toskar, Carno und Ullin ihr spukhaftes Wesen. Rambach's Schreckensmaschinerien spielten bis zum letzten Capitel. Hier ermüdete er und überließ es Ludwig, den Schluß hinzuzufügen. Er sagte ihm: »Ich habe mich in Erfindung und Darstellung des Gräßlichen so erschöpft, daß ich nichts weiter zu sagen weiß. Mögen Sie einmal Ihr Heil versuchen.« Ludwig setzte eine Nacht daran und beendete den Roman. Es galt Ryno, den Bösewicht, in den Folterqualen des Gewissens, und seinen verzweifelten Untergang zu schildern. Wie überflügelte hier der Schüler den Lehrer! Während sich dieser nur auf die gewöhnliche Decorationsmalerei des Schreckens verstand, die auf den groben Eindruck berechnet war, entfaltete jener eine Welt des Grausens, in die er selbst hineingeschaut hatte. Dieselbe Ueberlegenheit zeigte sich auch in einigen eingeschalteten lyrischen Gedichten, in denen er bis zur vollen Wirkung den Ton Ossian's getroffen hatte.

In ähnlicher Weise suchte ein anderer jüngerer Lehrer, Seidel, sich Ludwig's Kräfte dienstbar zu machen. Dieser, der ebenfalls als Seminarist am Werderschen Gymnasium unterrichtete, war sein Lehrer im Englischen gewesen. Die Sprache Shakspeare's mußte Ludwig kennen lernen, das schien ihm Pflicht. Sobald als irgend thunlich, war man zum »Macbeth« übergegangen. Diesen wußte er nach Eschenburg's Uebersetzung fast auswendig, sodaß er zweifelhaft ward, ob er das Verständniß seinen Fortschritten, oder seinem Gedächtniß zu danken habe. Seidel übersetzte damals Middleton's »Leben des Cicero«. Die beiden ersten Bände hatte er 123 bearbeitet. Auch er ermüdete und überließ seinem Schüler die Vollendung, sobald er ihn sicherer geworden sah. Doch erschienen die letzten Bände erst 1793.

Aber wichtiger noch ward die Verbindung mit Bernhardi. Nur um drei Jahre älter als Ludwig, hatte er dessen ausgezeichnetes Talent bald herausgefunden, und war rasch mit ihm vertraut geworden. Er war einer der eifrigsten Vorkämpfer des jüngern Geschlechts. In Halle war er für die Philologie durch F. A. Wolf angeregt worden, er wandte sich Fichte's neuer Philosophie zu, und war ein begeisterter Bewunderer Goethe's. Er besaß Scharfsinn, den er in wissenschaftlichen Untersuchungen und Kämpfen oft siegreich bewährte. Spott und treffender Witz standen ihm zu Gebote, und machten ihn zu einem ebenso gefürchteten Gegner als beliebten Unterhalter. Mit Leichtigkeit wußte er sich auf den verschiedensten Gebieten des Wissens zurechtzufinden, und durch geschickte Anwendung zu verdecken, was ihm an gelehrten Kenntnissen abging. Er liebte Laune, Ironie und Mystification, und konnte mit Nachdruck und Anstrengung arbeiten, um hinterher eben das zu verspotten, woran er seine ganze Kraft gesetzt, und nicht minder diejenigen, welche daran geglaubt hatten. Gewandt und überlegt wußte er sich in die verschiedensten Stimmungen zu versetzen; stets blieb er Herr der Form, auch in der Rede und Schrift, und wußte für sich zu gewinnen und zu blenden.

Damals von Bernhardi aufgesucht, durch die Hingebung an die neue Literatur mit ihm verbunden, sah ihn Ludwig fast täglich, und sie theilten einander mit, was sie im Augenblicke bewegte. War der Eine der Begabtere, so wurde das durch die größere Durchbildung und den schärfern Blick des Andern für jetzt aufgewogen, und beide fanden in diesem Verkehr ihre Befriedigung. 124



 << zurück weiter >>