Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

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4. Ein Naturdichter

Als Tieck in den folgenden Monaten in Dresden verweilte, gab es ein heiteres Erlebniß, welches sich den Reiseerinnerungen wohl anschloß. Er machte die Bekanntschaft des gefeierten Naturdichters Hiller.

Es war eine eigenthümliche Fügung, daß dieser Mann ihm gewissermaßen gegenübergestellt wurde. Wenn Jemand, war Tieck ein Dichter von Natur und der Natur. Er hatte die Poesie geübt, ehe er ihre Bedeutung kannte, sie war sein Leben selbst. Jetzt fand sich ein Mann, den viele Aesthetiker von Fach für einen wirklichen Dichter erklärten, wie er unmittelbar aus der Hand der Natur hervorgegangen sei. Sie staunten ihn wie ein Wunder an, weil er, ohne den Schulcursus der Bildung durchgemacht zu haben, darauf verfallen war, einige Reime miteinander zu verknüpfen, um gewöhnliche Betrachtungen auszusprechen, die sich in schlichter Prosa hätten besser sagen lassen. Die Verherrlichung eines solchen Naturtalents hätte trefflichen Stoff für ein Capitel in der Literatur der Schildbürger gegeben.

Hiller war nacheinander Fuhrmann, Strohflechter und Ziegelstreicher gewesen, als er in die Hände bildungseifriger Menschenfreunde gerieth, die ihn für ein Genie hielten, weil er Wieland's Schriften las und zu einigen Reimen angeregt wurde. Seine Gönner erwiesen ihm einen zweideutigen Dienst, als sie ihn aus dem engen Leben herausrissen und nach Berlin brachten. In ihrem Eifer ruhten sie nicht eher, als bis er bei Hofe vorgestellt wurde. Dadurch wurde sein Ruf in weitere Kreisen verbreitet; nur ein ausgezeichneter Mann konnte so geehrt werden.

310 Auch die Wissenschaft, die eben aufkommende Schädellehre, deren Orakel man anzustaunen begann, nahm sich des Genies an. Gall hatte an diesem Dichter seine Demonstrationen gemacht, und seine Lehre wurde durch die Natur selbst bestätigt. Er fand das Dichterorgan an ihm ausgebildet. Hiller, so erzählte man, hatte vor dem Katheder Gall's gesessen, und dieser sollte die Zuhörer darauf angeredet haben: »Sie werden an diesem Manne durchaus nichts Bemerkenswerthes finden; es könnte sogar scheinen, er sei ein dummer Mensch. Dennoch ist er im Gegentheil ein großer Dichter!«

Tieck sah den bewunderten Naturdichter zuerst in Dresden im Theater, wo er Gegenstand der Neugier ward. Man gab ein schlechtes Ritterstück, »Kunz von Kaufungen«, dessen Verfasser ein gewisser Naumann war. Es machte auf den Natursohn einen bedeutenden Eindruck. Er erklärte es für ein treffliches Werk, und meinte, der Verfasser müsse ein Genie sein; er habe nicht geglaubt, daß ein berühmter Kapellmeister zugleich ein großer Dichter sein könne.

Einige Tage darauf kam er zu Tieck, das Handwerk zu grüßen. Er sammelte Subscribenten für seine Gedichte, die als Beweis seines Talents herausgegeben werden sollten. Mit naiver Zuversicht behandelte er Tieck als seines Gleichen. Als dieser bemerkte, wie lästig das Sammeln von Subscribenten sei, ein Zeichen der Abhängigkeit des Schriftstellers vom Publicum, das ihn schließlich vergesse, antwortete mit schlauer Miene der Naturdichter zu seinem Troste: »Neh! Hören Se, wir zwee Beede sind dadrüber weg!« 311



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