Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

6. Der Altmeister und der junge Dichter.

Aber auch den Führern der alten Schule konnte Tieck nicht fern bleiben. Schon von Göttingen aus hatte er Verbindungen mit ihnen angeknüpft.

In dem Hause des alten Wackenroder lernte er Ramler kennen, der Hausfreund und literarischer Rathgeber war. Ein feiner alter Herr, stets sorgfältig gekleidet, in seiner Haltung elegant, nicht ohne scharfe, fast spitze Züge. In geselligen Kreisen pflegte er als Vorleser aufzutreten, und gern gehört zu werden. Man bewunderte die Kunstfertigkeit, mit 199 welcher er auch prosaische Erzählungen zu dramatisiren pflegte. In den dialogischen Partien trug er die Frauenrollen mit fistulirender Stimme vor, und plötzlich fiel er dann in den tiefsten Baß hinab. Tieck hörte ihn in dieser Weise einige Capitel aus dem »Don Quixote« vorlesen. Doch schien ihm sein Vortrag ebenso wenig wie seine Gedichte lobenswerth.

Ramler stand noch an der Spitze des berliner Theaters. Tieck übergab ihm daher seine Bearbeitung des »Sturm« mit der Bitte, einen Versuch damit auf der Bühne zu machen, wobei er den Wunsch nicht unterdrückte, sie keinen Veränderungen zu unterwerfen. Er kannte und fürchtete die berühmte Ramler'sche Feile. Der Dichter nahm diese Andeutung nicht ohne Empfindlichkeit auf, und der »Sturm« kam natürlich nicht zur Darstellung. Engel hatte bereits Berlin verlassen; erst später begegnete ihm Tieck im Hause des Buchhändlers Unger.

Am wichtigsten für ihn blieb Nicolai. Da sich dieser bereit erklärt hatte, seine Dichtungen in Verlag zu nehmen, so suchte er ihn bald nach seiner Rückkehr auf. Gleich der erste Eintritt war sonderbar. Nicolai, ein hagerer, trockener Mann, war im eifrigen Gespräche mit seinem Sohne Karl und Bernhardi. Ihre Unterhaltung schien fast unverständlich; sie bewegte sich in Schiller'schen Reminiscenzen, und endlich bemerkte Tieck, daß jeder in einem angenommenen Charakter spreche. Sie improvisirten eine Scene aus dem »Don Carlos«. Der alte Nicolai stellte den König Philipp, sein Sohn den Don Carlos dar. Bernhardi sprach im Tone des Marquis Posa. Es war überraschend, den kühlen, nüchternen Kunstrichter und Buchhändler in einem phantastischen Spiele dieser Art zu finden. Die Lust der Zeit am Theater beherrschte auch ihn.

Als man sich nähergekommen war, erwarb Tieck 200 unerwartet die Gunst des sonst schwer zufriedenzustellenden Kritikers. Seit vierzig Jahren war Nicolai daran gewöhnt, nicht allein zu verlegen, sondern auch in allen Dingen der Literatur mitzureden, zu urtheilen und seine Stimme auch da abzugeben, wo man wenig Neigung hatte, darauf zu hören. Da er sich eines aufrichtigen Strebens bewußt war, und Erfolge, und mehr noch Erfahrungen und praktische Kenntnisse der Literatur für sich hatte, die er in einem langen Geschäftsleben sammeln konnte, so hatte er keinen geringen Begriff von seiner Würde und Bedeutung. Es war ihm zum Bedürfniß geworden, Rath zu geben und den Mäcen zu spielen. Gern theilte er jungen strebsamen Männern und Anfängern seine Erfahrungen und Lehren mit, sie zu warnen, zu leiten und zu bilden. Auch in den Gesprächen mit Tieck legte er seine Meinungen ausführlich dar; er begann ihn zu belehren, und auf diesen und jenen wichtigen Punkt aufmerksam zu machen. Niemals hatte es Tieck für möglich gehalten, auf so abgeschlossene und festwurzelnde Ansichten Einfluß auszuüben. Ohnehin mehr zum Schweigen als zum Reden aufgelegt, hielt er jeden Widerspruch für überflüssig, und begnügte sich, den Nestor der Literatur schweigend anzuhören. Nicolai fand darin ein Zeichen der Anerkennung, der Ehrfurcht, welche seinem Alter und seiner Ueberlegenheit gebühre, und unterließ nicht, dem jungen vielversprechenden Manne seine besondere Gunst zuzuwenden. Er glaubte einen Jüngling gefunden zu haben, den Eifer und Bescheidenheit gleich sehr auszeichne, und der sich unter seiner Leitung zu einem nützlichen Schriftsteller heranbilden wolle.

Und gleich hatte er für ihn Arbeit bei der Hand. Er übertrug ihm die Fortsetzung der »Straußfedern«. Seit 1787 war unter diesem gesuchten, aber ironisch gemeinten Titel eine 201 Sammlung von Erzählungen erschienen, deren Verfasser der durch seine Volksmärchen beliebt gewordene Musäus war. Als dieser nach dem Abschlusse des ersten Bandes starb, übernahm Johann Gottwert Müller die Fortsetzung, dessen »Siegfried von Lindenberg«, wie seine übrigen komischen Romane, nicht minder gern gelesen wurde. Er lieferte den zweiten und dritten Band, ward aber der Sache überdrüssig. Seit 1791 ruhte das Unternehmen; jetzt war in Tieck eine frische, fähige und bereitwillige Kraft gewonnen.Die erste Erzählung IV, 3 in den »Straußfedern« ist noch von J. G. Müller, die Erzählung VII, 119 von Bernhardi, Tieck's Beiträge ergeben sich aus der Vergleichung mit seinen Schriften. Der Rest in den fünf letzten Bänden gehört Tieck's Schwester. Vgl. auch »Reliquien von A. F. und S. Bernhardi«, herausgegeben von W. Bernhardi (3 Bde., Altenburg 1847).

Diese Erzählungen sollten unterhaltend und belehrend zugleich sein; sie sollten die satirisch-moralische Richtung verfolgen. Es waren theils Originale, theils Nachbildungen und Umarbeitungen. Im Ganzen gab Nicolai diesen den Vorzug, da sie eine größere Sicherheit darboten. Nach den ersten Verabredungen übersandte er Tieck das Material in ganzen Waschkörben zur Verarbeitung und Zubereitung. Es bestand aus bändereichen Sammlungen älterer französischer Anekdoten und Erzählungen, wie die »Amusemens des eaux de Spa« Für Tieck hätte es keine verdrießlichere Aufgabe geben können, als aus diesem Haufen Spreu die noch genießbaren Körner herauszusuchen. Er fühlte Kraft und Bedürfniß, sich frei und selbständig auszusprechen, und jetzt wurden ihm Vorbilder und Stoffe gegeben, welche kaum der Betrachtung werth waren. Sogar der Ton der Erzählungen war ihm vorgeschrieben; er sollte sich soviel als möglich der Art und Weise seiner Vorgänger anbequemen. So sehr er auch Musäus als feinen, gewandten Schriftsteller anerkannte, und es ihm als Verdienst anrechnete, die alten Volksmärchen wieder aufgefrischt zu haben, so wenig einverstanden war er mit der Art, wie dies geschehen war. Für diese einfachen und unbefangen natürlichen Erzeugnisse des dichtenden Volksglaubens schien ihm der Ton der directen Ironie oder des 202 rationalistischen Spottes, in den seine anmuthige Erzählung überging, der unpassendste. In den »Straußfedern« war dieser Ton zur Manier geworden. Weniger noch als Musäus' feine Weise wollten ihm die groben Holzschnitte Müller's zusagen, dessen gepriesene Naturwahrheit am Ende nur ein Abschreiben der Natur in niederländischer Art, in plumpen und rohen Strichen war.

Indeß, wollte er das Vertrauen seines literarischen Mentors nicht verscherzen, so mußte er sich dem Geschäft unterziehen. Er begann zu sichten, zu lesen, auszuwählen. Mit Widerstreben bearbeitete er einige dieser französischen Anekdoten für das deutsche Lesepublicum. Doch bald ward er der undankbaren Arbeit müde. Es war kürzer, für ihn selbst fördernder, und im Erfolge mindestens ebenso sicher, eigene Erfindungen an die Stelle jener Trivialitäten zu setzen. Es entstand die größere Erzählung »Die beiden merkwürdigsten Tage aus Siegmund's Leben«, in welcher er ein satirisches Bild gewisser gesellschaftlicher Verhältnisse nach eigenen Beobachtungen gab.

Als er seine Erzählung Nicolai zur Censur überreichte, war dieser durch ihre Vorzüge vor den frühern nicht wenig überrascht. Er lobte die Wahl, welche er getroffen habe, und wünschte eine genaue Nachweisung des Originals. Tieck's Antwort, er habe sein Eigenthum gegeben, wies er mit ungläubigem Lächeln ab. Als später einmal beide allein waren, kam er auf dieselbe Frage zurück, und begann im Tone väterlicher Ermahnung: »Jetzt, lieber junger Mann, sind wir allein; nun können Sie es mir, dem älteren Freunde, offen gestehen, woher Sie jene Geschichte genommen haben. Wo steht das Original?« Auf Tieck's Versicherung, daß er nichts zu gestehen habe, die Geschichte sei Original und sein Eigenthum, erwiderte er: »Für so eitel hätte ich Sie 203 doch nicht gehalten!« und brach das Gespräch nicht ohne Empfindlichkeit ab.

Eine so große Genugthuung hatte Tieck kaum erwartet; er gab daher auch für die folgenden Bände statt der verlangten Bearbeitungen eigene Erzählungen. Es waren rasch und keck hingeworfene Skizzen des geselligen und literarischen Lebens der Gegenwart, die keinen Anspruch auf bedeutende Tiefe machten, in denen er aber mit steigender humoristischer Laune und offener Satire die Verkehrtheiten darstellte, an denen er sich schon als Schüler geärgert hatte. Er griff schonungslos die unwahre Empfindsamkeit an, die seit der Siegwartperiode immer noch ihr klägliches Gewinsel fortsetzte, die seichte und dünkelhafte philanthropische Erziehung, welche die Kinder mit Aufklärung und Philosophie auffüttern wollte, die falsche Naturempfindelei, den abgeschmackten Kunstenthusiasmus, die Starkgeisterei der Kraftmenschen und Genialen, die in den angeblich altdeutschen Ritterromanen, und in den Räuber- und Spukgeschichten ihr Wesen trieb. Manche Züge entnahm er aus seinen eigenen Kreisen. In einer Erzählung: »Die gelehrte Gesellschaft«, ironisirte er in flüchtigen aber scharfen Strichen sein und seiner Freunde literarisches Treiben. Einige Verse, die Wackenroder im pathetischen Tone der ältern Schiller'schen Gedichte 1795 auf Arkona gemacht hatte, fanden darin eine Stelle, um eine strenge Kritik zu erfahren. Er zeigte, daß er für die Schwächen seiner Freunde kein minder scharfes Auge habe.

In den Jahren 1795–98, wo die Sammlung abgeschlossen wurde, lieferte er sechzehn verschiedene Beiträge, die den größten Theil der fünf letzten Bände füllten. Da es darauf ankam, Stoff herbeizuschaffen, so begann auch seine Schwester an diesen Arbeiten übersetzend und erfindend Theil zu nehmen. Geschützt durch die Anonymität 204 des Buches, trat sie hier zuerst als Schriftstellerin auf. Mit Ausnahme einer kleinen Erzählung, deren Verfasser Bernhardi war, gehörten die übrigen ihr.

Neben diesen Arbeiten hatte Tieck noch Zeit und Laune gefunden, einen alltäglichen Stoff, den er jenen französischen Sammlungen verdankte, frei zu gestalten. Es war »Peter Lebrecht, eine Geschichte ohne Abenteuerlichkeiten«, die ihm ebenfalls unerwartet den höchsten Beifall seines kritischen und väterlichen Freundes erwarb. Nur hatte er auszusetzen, daß Tieck dem Helden den Namen Friedrich gegeben habe, den er mit dem witziger scheinenden Peter vertauschte. Der Ton der schärfern Ironie, welcher in den frühern Skizzen herrschte, war um ein Bedeutendes herabgestimmt, eine gewisse gutmüthige Zahmheit war an die Stelle der Kühnheit getreten. Eine nüchterne, einfache Geschichte wurde benutzt, um ebenso nüchtern gewisse Ansichten auszusprechen, die auf das Mittelmaß des Verständnisses berechnet waren, mit welchem die Aufklärer sich zu begnügen pflegten. Nur hin und wieder blitzte die satirische Laune auf, und ebenso überraschend klangen einzelne tiefe Töne der Volks- und Naturpoesie durch, in denen der Dichter seinem gepreßten Herzen Luft machte. In der Freude, einmal ein Werk ganz nach seinem Geschmack gefunden zu haben, schien sie der alte Kritiker ganz zu überhören, sonst hätte er erkennen müssen, daß er es hier mit einem andern Geiste zu thun habe, als er meinte.

Sein Sohn theilte die Freude über den Fund, und da dieser sein eben eröffnetes buchhändlerisches Geschäft durch einen bedeutenden Artikel empfehlen wollte, so überließ ihm der Vater den Verlag. Noch im Jahre 1795 erschien die abenteuerlose Geschichte des Herrn Peter Lebrecht im Druck. Früher schon hatte er den »Abdallah« übernommen, und zugleich alles, was Tieck sonst noch etwa unter der Feder haben mochte.

205 In diesen zahlreichen kleinen Arbeiten hatte der Dichter zum ersten Male den humoristisch-satirischen Ton mit Erfolg angeschlagen. Er begann damit die Kehrseite seines Wesens herauszuwenden, die bisher von den finstern Schatten des »Abdallah« bedeckt worden war. Aber er konnte darum jenen schwermüthigen Gedanken nicht untreu werden, auf ihnen ruhte seine Natur. In dem größern Romane »William Lovell« vollendete er jetzt eine neue Gestaltung derselben.

Seit dem Sommer 1792 hatten ihn diese Charaktere und die psychologischen Räthsel, deren Träger sie sein sollten, beschäftigt. Gleich nach dem Abschlusse des »Abdallah« war er an die Ausarbeitung gegangen, jetzt war sie beendet, und noch 1795 erschien der erste Theil des neuen Romans. Er war minder phantastisch als der frühere. Weder die übliche Maschinerie der Feenmärchen war angewendet, noch sollte der Leser durch die sinnlichen Farben des Orients bestochen werden. Aber eben darum wirkte das Nachtgemälde, welches der Dichter aufrollte, um so erschütternder. Unmittelbar aus der Gegenwart, aus seiner eigenen Erfahrung, aus den Stimmungen höchster Verzweiflung, die ihn früher so oft ergriffen hatte, waren diese scharfen und düstern Züge hergenommen. Ein Seelenleben und Leiden war geschildert, wie es Jeder, der die Gegensätze der Geisteswelt nicht ganz oberflächlich ansah, an sich selbst erfahren konnte; Verhältnisse und Charaktere gehörten unmittelbar der Zeitgeschichte an. Die Folgen der prahlerischen Starkgeisterei und des falschen Tugendprunks verfolgte er durch die ganze Reihe ihrer unheilvollen Wirkungen, bis zum letzten Punkte hin. Das unaufhörliche Betrachten und Studiren der Seele, das einem geistigen Selbstverzehren gleichkam, das Großthun mit Kraft, Tiefe, Genie und Enthusiasmus stellte er dar, diese moralische Gedunsenheit, welche nur die geistige Armuth 206 und Selbstsucht verbirgt und mit dem Verbrechen endet. Er wollte die Nothwendigkeit einer nüchternen Selbstbeschränkung anschaulich machen, einer Resignation, ohne welche der Mensch nicht leben kann.

Niemals vielleicht hatte ein jugendlicher, kaum zwanzigjähriger Dichter, der selbst von Enthusiasmus erfüllt war, an seinem Helden ein furchtbareres Gericht vollzogen. Schonungslos riß er ihm ein Stück nach dem andern von jener moralischen Garderobe ab, mit welcher Anfänger so gern ihre idealen Tugendhelden prunken lassen. Unbewußt übte er hier jene vielbesprochene Ironie aus, welche er in späteren Jahren als erste Bedingung jeder darstellenden Dichtung forderte. Es war zugleich eine Selbstwarnung, die er seinen eigenen Abirrungen entgegenstellte, eine scharfe Kritik, welcher er sich und seine jüngern Genossen unterwarf, die sich so gern genial, groß und kühn dünkten. Es war eine Auseinandersetzung der wahren sittlich-dichterischen Begeisterung, und der falschen, welche die Züge jener heuchlerisch nachbildet. Dieser Roman war ein Zeugniß staunenswerther Reife, aber sie war auch mit schmerzlichen Erfahrungen erkauft.

Stellung und Gruppirung der Charaktere erinnerten an den »Abdallah«. Lovell und Abdallah, Andrea und Omar entsprachen einander. War der »Lovell« in manchen Partien noch dunkel und schwerfällig, so war er doch das viel gereiftere Product. In einzelnen Zügen und Schilderungen hatte sich auch der Einfluß des »Geistersehers« von Schiller geltend gemacht, dessen Werth Tieck bei weitem höher anschlug als der Dichter selbst.

Ein solches Buch war weder eine leichte noch eine erfreuliche Lectüre; es konnte nur einen peinlichen, düstern Eindruck machen. Er durfte sich kaum wundern, wenn es die Einen ganz abwiesen, die Andern misverstanden, und er es am 207 Ende weder Freund noch Feind recht gemacht hatte. Er nahm darin eine eigene, freie Stellung ein, und zeigte, daß er sich der neuen Schule ebenso wenig unbedingt zu ergeben geneigt sei als der alten. Die kritischen Urtheile, welche das Buch öffentlich erfuhr, waren zum Theil sonderbar. So wies ihm der überkluge Recensent der »Jenaischen Literaturzeitung« aus einigen misverstandenen Anglicismen, die er gefunden haben wollte, nach, der Roman sei aus dem Englischen übersetzt, und er verschweige den Namen des Verfassers absichtlich.Der Recensent des »Lovell« in der »Jenaischen Literaturzeitung«, 1797, Nr. 337, fand z. B. in dem Worte Andächtigkeit, das Tieck gebraucht hatte, einen Anglicismus; in dem Originale werde es wol geheißen haben devotion! Ebenso hatte ein anderer Kritiker in Folge der trefflichen Erzählungen im fünften Bande der »Straußfedern« dem Witz und der unerschöpflichem Laune des Verfassers des »Siegfried von Lindenberg« seine volle Anerkennung zu Theil werden lassen.

Der aufgeklärte Herr Peter Lebrecht hatte den wohlwollenden Lesern doch besser gefallen, und so sollte denn sein Name einigen andern Dichtungen zur Empfehlung dienen, mit deren phantastischem Inhalte seine biedere Verständigkeit wenig übereinstimmte. Schon in dem zweiten Theile seiner Geschichte, den der jüngere Nicolai ausdrücklich verlangt hatte, kündigte er die beabsichtigte Erneuerung einiger alten Volksmärchen an. Zugleich warnte er, man möge doch ja nicht jene Volksromane, die man auf der Straße für einen Groschen von alten Weibern kaufe, verspotten. »Siegfried« und die »Haimonskinder«, »Herzog Ernst« und »Genoveva« seien reiner und enthielten mehr Poesie als die Misgeburten einer wahnwitzigen Phantasie in den angeblichen Ritterromanen. Die Herausgabe von »Peter Lebrecht's Volksmärchen« wurde vorbereitet. Kaum hätte es einen glücklichern Stoff für Tieck geben können.

Sein Talent hatte um diese Zeit eine neue reichere Entfaltung erfahren. Er hatte Gelegenheit gehabt es 208 auszusprechen, im Tone des spielenden Humors wie des tiefsten Ernstes. Manches, was früher Gegenstand trübsinniger Betrachtung gewesen war, erschien ihm jetzt in hellerem Lichte, und war es auch nicht möglich, die Räthsel zu lösen, so waren doch Humor und scherzhafte Laune eine angenehmere und willkommenere Form dafür. Ueber Dichtung und Dichterwerke ging ihm eine neue Offenbarung auf. Entferntes trat ihm näher, Vereinzeltes strebte zueinander hin und rundete sich zum Ganzen ab, Verschlossenes eröffnete sich. Ein nie geahnter wunderbarer Glanz schien über das Leben hinzugehen, überall sah er es keimen und blühen, in anderm erhöhten Sinne kehrte ihm die Naturtrunkenheit der ersten Jünglingsjahre zurück. Zu Zeiten konnte er meinen er habe jetzt zuerst das Auge aufgeschlagen. Dies alles sollte nun in seinen Dichtungen Gestalt gewinnen. Wie hätten Tiefsinn und Leidenschaft, Humor und Witz, die Begeisterung für das einfach Volksthümliche, das echte Naturgefühl, und die ruhelos bildende Phantasie einen bessern Stoff finden können als in den alterthümlichen Volksmärchen? In diesen halb tiefsinnigen, halb kindlichen Erzeugnissen einer unbefangenen und phantastisch-spielenden Volks- und Naturpoesie, die sich harmlos ihrem Witze wie ihrem Schmerze überließ, lagen alle jene Elemente beisammen. Diese Schätze schienen nur des Dichters zu harren, der im Besitze des Zauberwortes war, das sie zu heben vermochte.

Dem aufgeklärten Lesepublicum lagen diese alten Volksgeschichten sehr fern. Längst glaubte man über die Zeiten hinaus zu sein, wo sie um ihrer selbst willen irgendeine Beachtung verdient hätten; man behandelte sie als altes Weibergeschwätz, dem höchstens noch eine Stelle in den Spinnstuben zu gönnen sei. Musäus' Erneuerung hatte zum Theil deshalb Beifall gefunden, weil sie jene Dichtungen mit der 209 Ironie einer höherstehenden Bildung betrachtete. In Tieck's Umdichtungen wandte sich nun diese Ironie gegen die Besserwissenden, gegen die Aufgeklärten selbst. Während sie Alles wissen und erklären wollten, erschien in diesen Märchen, deren Entstehung gar nicht nachzuweisen war, das natürlich Ergreifende, das Tiefsinnige und Dichterische als ein Räthselhaftes und Unerklärliches, das aller Definitionen spottet. Häufig ist es die unbewußte Naturkraft, in deren geheimnißvollem Zuge allein Hülfe und Rettung liegt, während das überweise, selbstzufriedene und vorwitzige Handeln und Machen der Menschen hemmend und verneinend eingreift. So erschien als Thorheit was für Weisheit gegolten hatte, und in dem kindischen ahnungslosen Spiele der Thoren erschloß sich ein tiefer Sinn. Nicht ohne beißenden Spott nannte Tieck diese alten Bilder, welche er seinen klugen Zeitgenossen vorhielt, Ammen und Kindermärchen. Eine verdoppelte Ironie war es, wenn seine kritischen Verleger, indem sie sich an einzelne ihnen zusagende Züge hielten, diesen Bearbeitungen der Volksmärchen Beifall schenkten, ohne zu ahnen, welche Satire auf sie und ihre Meinungsgenossen darin liege.

Im Jahre 1796 entstand die Dramatisirung des alten Märchens vom Blaubart. Er hatte es fast zu einer Tragödie erweitert, in der die Lösung von den Ahnungen ausgeht, welche von den Klugen als Thorheit verspottet werden. In treuherziger Einfalt erschien der alte Sagenton in den »Haimonskindern«, während die »Geschichte von den Schildbürgern« in dem Aberwitz der Ueberweisheit, die Alles ergründen will und schließlich den Wald vor Bäumen nicht sieht, eine deutliche und derbe Satire der herrschenden Richtung gab. Kühn griff er die Aufklärer fast auf allen Punkten an. In der Charakteristik der schildaschen Dichter waren Iffland und Kotzebue nicht zu verkennen; auch an 210 einigen Anspielungen auf des alten Nicolai berühmte Beschreibung seiner Reise durch Deutschland fehlte es nicht. Bald darauf, 1797, entstand die »Geschichte von der schönen Magelone«, und die dramatisirte Sage von »Karl von Berneck«, deren Herausgabe der jüngere Nicolai besonders wünschte, schloß sich in umgearbeiteter Gestalt diesem Märchenkreise trefflich an.

Eine der anziehendsten dieser volksthümlichen Erzählungen war Tieck's eigene Erfindung, »Der blonde Ekbert«. Sie verdankte ihre Entstehung einer augenblicklichen Inspiration. Der jüngere Nicolai wünschte nichts sehnlicher, als das Erscheinen der Märchen zu beschleunigen. Häufig hatte er ungeduldig die Anfrage wiederholt, wie weit das Manuscript vorgerückt sei, oder was er unter der Feder habe. Um den Dränger zufriedenzustellen hatte Tieck einmal auf gut Glück geantwortet: »Der blonde Ekbert!« Es war ein Name, der ihm in den Mund gekommen war. Später fiel ihm die Leichtfertigkeit auf die Seele, mit welcher er eine Dichtung angekündigt hatte, für die er bisjetzt weder Fabel noch Idee habe. Er setzte sich zum Schreiben nieder. Da fand sich zu dem Namen ein Mann. Aus der Erinnerung an die Erzählungen seiner Mutter tauchte das Bild jenes alten unheimlichen Weibes auf, das mit dem Hunde in menschenscheuer Abgeschiedenheit in der Hütte saß. Es verband sich mit den Bildern der einsamen und schauerlichen Waldgründe, welche er oft durchstrichen hatte, und eine ergreifende Erzählung erwuchs, die der volksthümlichen Sage irgendeines Waldgebirges anzugehören schien.

Als Tieck sein Märchen im Kreise der Freunde aus den Correcturbogen vorlas, erfuhr das Wort, welches im Mittelpunkte desselben stand, Waldeinsamkeit, eine scharfe Kritik. Wackenroder erklärte es für unerhört und undeutsch, 211 wenigstens müsse es heißen Waldeseinsamkeit. Die Uebrigen stimmten bei. Umsonst suchte Tieck sein Wort, das er unbefangen gebraucht hatte, durch ähnliche Zusammensetzungen zu vertheidigen. Er mußte endlich schweigen, ohne überzeugt zu sein, strich es aber nicht aus, und gewann ihm das Bürgerrecht in der Literatur. Im Jahre 1797 ward der »Gestiefelte Kater« vollendet. Es war ein genialer Wurf, und er gelang auf das glänzendste. Freilich schloß sich weder dieser Stoff noch die Behandlung an die frühern treuherzigen Erzählungen unmittelbar an. Aus Perrault's Märchen war eine scharfe literarische Satire geworden. Aber schon die Keckheit des Contrastes mußte überraschen, und mehr noch, daß ein junger Autor, der sich erst bilden sollte, dieses kindische Märchen, das in der That aus der Ammenstube zu kommen schien, einem erleuchteten Publicum vorzuführen wagte.

Es war eine Kriegserklärung, nicht allein gegen das Theater, sondern auch, was bedenklicher war, gegen die Autorität des Publicums. In diesem phantastischen Lustspiel erschienen Bühne und Publicum auf der Bühne, sie ironisirten sich gegenseitig, und das aufgestellte Bild beider war nicht eben schmeichelhaft. In die Philisterwelt der zärtlichen Väter und unschuldigen Landleute Iffland's und Kotzebue's trat dreist und zuversichtlich, als könne es nicht anders sein, der »gestiefelte Kater«, der allein schon dadurch die gutgemeinte, aber beschränkte Ernsthaftigkeit jener Gestalten verspottete. In dem bürgerlichen Schauspiele sollte die gemeine alltägliche Wahrscheinlichkeit für dichterische Wahrheit gelten; jetzt erschien es in dem grellsten Lichte des Lächerlichen, indem es nicht nur das Unwahrscheinliche, sondern sogar das Widersinnige dulden mußte. Der einzige Witzige, ja Vernünftige in dieser ehrbaren Gesellschaft war der mit Schimpf und Schande vertriebene und geschmähte Hanswurst, dessen gemeiner Name 212 allein schon dem gebildeten Publicum Ekel erregte, und der nun wieder zu Ehren gebracht werden sollte. Und abgeschmackt erschien das Publicum selbst, die Kunstrichter von Fach, die privilegirten Hüter des guten Geschmacks, die dessenungeachtet gerührt, belehrt und gebessert sein wollen, und in jedem Augenblick bereit sind, ihre Anforderungen an Geschmack und Wahrheit mit Hülfe der Füße durchzusetzen. Hier gab es alle Arten der Thorheit und Anmaßung, von dem hochmüthigen Kunstenthusiasmus bis zur reinen Dummheit. Der Vertreter jenes war ein Mann, dessen Lobrednerei Tieck vor allem verdrossen hatte, Böttiger, welcher in seinem unlängst erschienenen Buche, »Entwickelung des Iffland'schen Spiels in vierzehn Rollen«, dem Publicum in breiter Ausführung die Künstlergröße Iffland's begreiflich machen wollte.

Diesem verwegenen Spiele folgte 1797 ein zweites, vielleicht noch kühneres, welches er herausfordernd ein historisches Schauspiel nannte, »Die verkehrte Welt«. Veranlassung und Namen hatte eine Posse in Weise's vergessenem »Zittauischen Schultheater« gegeben. Der Dichter selbst lebte ja in einer ähnlich verkehrten Welt, wo die Thorheit sich als Weisheit breit machte, um den Tiefsinn als Thorheit zu verschreien, wo man die reinste Prosa Poesie nannte, um diese für immer zu exiliren. Apoll und der Poet sind verbannt, während ein Nützlichkeitsregent auf dem Parnaß backen und brauen läßt, und die Musen sich bequemen müssen, zu brauchbaren Personen zu werden, um die Hochachtung des guten Bürgers zu verdienen. Während endlich das Spiel mit dem Theater so weit ging, daß Zuschauer und Schauspieler ihre Plätze miteinander tauschten, begleitete die in Worte übersetzte Musik diese tolle Welt mit dem Adagio ihrer schwermüthigen Töne, und durch jenes betäubende Geschrei des Unverstandes klangen die vollen Accorde des tiefsten 213 dichterischen Ernstes. Hier fand sich auch die Andeutung, man solle die verkehrte Welt nur noch einmal umkehren, so werde schon die rechte zum Vorschein kommen.

Nach solchen Ausbrüchen des Humors durfte der Dichter nicht mehr hoffen, mit seinen Beschützern und Verlegern im Einverständnisse zu bleiben; jetzt mußten ihnen die Augen aufgehen. Tieck hatte gewünscht, mit dem letzten Lustspiel die »Straußfedern« abzuschließen. Schon früher hatte er es gewagt, ein kleines, unbedeutendes Drama einzuschwärzen. Jetzt übersandte er Nicolai die drei ersten Acte der »Verkehrten Welt«, dann ließ er nach einiger Zeit die beiden letzten folgen. Doch die Geduld des kritisirenden Verlegers war erschöpft. In eine wohlgemeinte Sammlung moralischer Erzählungen, wie seine »Straußfedern«, gehörten so excentrische Ausgeburten der Phantasie nicht hinein; und er sollte nun gar noch zwei solche Stücke gutheißen! Auch war der bescheidene junge Schriftsteller, der seinen Lehren so aufmerksam zu folgen schien, offenbar nichts weniger als sein Jünger, sondern ein arger Ketzer, erfüllt von allen verpönten und gefährlichen Phantastereien. Doch zu des jungen Mannes eigenem Besten beschloß er, ihm diesmal seine Meinung gründlich zu sagen. Er sandte das Manuscript mit einem Briefe zurück, in welchem er ihn vor den Irrwegen phantastischer Excentricität väterlich warnte, wie vor übermüthiger Verspottung des Publicums, und ihm zu Gemüthe führte, daß Anlagen nur durch Fleiß und Strenge zu bilden seien. Aber der muthwillige Geist des Lustspiels hatte den gründlichen Kritiker gerade in diesem Augenblicke der Belehrung arg geneckt. Er hatte in seinem Eifer völlig übersehen, daß es sich hier um ein einziges Drama handle. Weil es ihm in zwei Sendungen zugegangen war, hatte er zwei verschiedene Lustspiele daraus gemacht! Den 214 Vermittelungsvorschlag Nicolai's, eines davon diesmal noch passiren zu lassen, konnte Tieck natürlich nicht annehmen; er eilte ihn über seinen Irrthum aufzuklären, und erbat sich sein Lustspiel zurück.

Die Verleger waren mistrauisch geworden. Sie begannen seine Dichtungen zu durchmustern, und fanden bald genug in ihren eigenen Verlagsartikeln deutliche Spuren, daß ihr Schriftsteller ein Gegner der Aufklärung, wol gar der Moral sei. Man hatte also im eigenen Heerlager einen Feind beherbergt. Nach solchen Erfahrungen war an eine Ausgleichung nicht mehr zu denken. Sie war auch nicht möglich. Die Zeitalter der vorgoethischen und nachgoethischen Poesie waren in ihren entschiedensten Vertretern aufeinandergestoßen. Eine ganze Periode der deutschen Literatur lag zwischen beiden, sie konnten sich nicht verstehen.

Die Verbindung mit dem jüngern Nicolai ging ihrem Ende entgegen. Nicht zufrieden mit dem, was Tieck ihm geliefert hatte, wünschte er voll unruhiger Vielthätigkeit bald diesen bald jenen Plan ausgeführt zu sehen, von dem er einen glücklichen Erfolg für sein Geschäft erwartete. Unter Anderm hatte er eine Anzahl von englischen Moderomanen zusammengebracht, welche übersetzt werden sollten. Da Tieck mit so schlechter Waare sich nicht befassen mochte, so ruhte jener doch nicht eher, als bis er die leidlichsten ausgesucht, und ihm einige Freunde nachgewiesen hatte, die bereit waren, sich der Arbeit zu unterziehen. Wackenroder mußte das »Kloster Netley«, der Musikdirector Wessely »Schloß Montfort« übersetzen.

Gleich darauf kam er mit einem andern Plane zum Vorschein. Elise von der Recke, die aus einer Anhängerin der Mystik eine Freundin Nicolai's geworden war, stand in den geselligen Kreisen, welche sich bei diesem versammelten, 215 in hohem Ansehen. Hier hatte sie Tieck's »Blaubart« kennen gelernt, und den Gedanken hingeworfen, es müsse eine treffliche Aufgabe für den Dichter sein, die frühere Geschichte des Blaubart und seiner sechs Weiber zu schreiben. Er könne sich als Menschenkenner und Charakterdarsteller bewähren, es gelte Leidenschaften zu zeichnen, das Ganze werde ein trefflicher Stoff zu seinen psychologischen Gemälden sein. Diese Aeußerung faßte der jüngere Nicolai auf, und Tieck sollte auf der Stelle ans Werk gehen. Diesem war indeß weder die Aufgabe, noch die Art, wie sie gelöst werden sollte, genehm. Das pedantische Anatomisiren aller Fibern und Fasern, wie es in den psychologisirenden und moralisirenden Romanen an der Tagesordnung war, war ihm widerlich. Dennoch ging er auf den Vorschlag ein, weil er einen Stoff gefunden zu haben meinte, der ihm Veranlassung gebe, seine Ansicht über die Beschränktheit der Moralpoesie noch einmal darzulegen.

Doch während der Arbeit erlahmte er; nur eine matte Geschichte hatte er zu Stande gebracht. Ein Streit, in den er mit dem Censor gerieth, verdarb den Spaß vollends, da dieser ihm vorwarf, in dem einleitenden Capitel die Moral lächerlich gemacht zu haben. In einem Gespräche darüber kam man auf Voltaire's »Candide«, und da Tieck dieses Buch als wahrhaft unmoralisch bezeichnete, zürnte jener noch mehr über die Anmaßlichkeit, mit welcher der junge Schriftsteller ein weltberühmtes Buch anzugreifen wage, das ihm doch zum Vorbilde gedient habe. Tieck mußte sich bequemen, seine Einleitung zum Besten der Moral umzuarbeiten. Diese Verzögerungen machten auch Nicolai ungehalten; er maß das Mislingen Tieck's Eigensinn bei, und um die Sache zum Abschluß zu bringen, gab er selbst die Erzählung unter einem geschmacklosen Titel heraus, der sie witziger und 216 anziehender machen sollte. Er nannte sie: »Eine wahre Familiengeschichte, herausgegeben von Gottlieb Färber, Istambul bei Heraklius Murusi, Hofbuchhändler der hohen Pforte, im Jahre der Hedschrah 1212.«

Allmälig war aus dem Verleger ein Kritiker geworden. Er lobte, tadelte, schalt, und war schon mit den frühern Dichtungen keineswegs zufrieden gewesen. Der »Kater« und die »Schildbürger« waren ihm zu übermüthig, sie durchbrachen zu rücksichtlos die sichern kritischen Gehege. Er fürchtete, man könne am Ende gar ihn selbst für Peter Lebrecht halten; er hatte daher jede Verantwortlichkeit für diese excentrischen Producte abgelehnt. Bedenklicherweise aber hatte er der »Geschichte der Schildbürger« die Erklärung angehängt, daß er nicht der Verfasser dieses Buches sei, vielmehr den Inhalt desselben erst nach dem Abdrucke kennen gelernt habe. Auch hatte er aus ähnlichen Gründen die »Volksmärchen« gegen den anfänglichen Plan bereits mit dem dritten Bande abgeschlossen.

Endlich kam es zu einem völligen Bruche. Wenngleich es den Volksmärchen nicht an Beifall fehlte, während der Verleger selbst ihnen denselben versagte, so hatte er dennoch ungeduldig einen bessern Erfolg erwartet, und griff nun in seinem Zorn über Dichter und Gedicht zu einer Maßregel, die ebenso eigenmächtig als unberechtigt war. Er kündigte 1799 Tieck's sämmtliche Werke an, in zwölf Bänden, zu einem bedeutend herabgesetzten Preise, und ließ es dabei an spöttischen Bemerkungen nicht mangeln. Tieck's Freunde, denen diese Dichtungen inzwischen liebgeworden waren, hatten wol gesagt, sie seien nicht für den gewöhnlichen Leser, sondern für den höhern Menschen geschrieben. Diese Wendung faßte Nicolai auf. Eben um dem höhern Menschen den Ankauf zu erleichtern, habe er den Preis dieser Bücher herabgesetzt.

217 Aber diese erste Gesammtausgabe war in keiner Hinsicht was sie sein wollte. Weder enthielt sie alles, was Tieck geschrieben hatte, noch war alles, was sie enthielt in der That von ihm, noch war sie endlich überhaupt eine neue Ausgabe. Hierin lag nicht allein eine doppelte Beeinträchtigung des Verfassers, sondern auch eine Täuschung des Publicums. Es fehlten die Erzählungen in den »Straußfedern«, »Allamoddin«, »Der Abschied« und »Herr von Fuchs«, drei dramatische Jugendversuche, welche Wackenroder während Tieck's Abwesenheit 1797 hatte in Leipzig drucken lassen, um den Freund zu überraschen; es fehlte der »Sternbald« und die »Phantasien über die Kunst«, die sämmtlich in den Händen anderer Verleger waren. Dagegen mußte Tieck es sich gefallen lassen, als Uebersetzer jener schlechten Romane zu erscheinen, vor denen er gewarnt hatte. Endlich waren an dieser sogenannten neuen Ausgabe nur die Titelblätter neu, welche als lockendes Aushängeschild den alten Drucken vorgesetzt worden waren.

Nach solchem Verfahren blieb nur der Rechtsweg übrig. Es kam zur Klage beim Stadtgericht. Nicolai verlor den Proceß, und der fernere Verkauf dieser unechten Ausgabe wurde ihm untersagt. Noch in demselben Jahre starb er, nachdem sein Geschäft in der letzten Zeit mannichfach gelitten hatte. Mit den Resten seiner Verlagsartikel gingen auch jene Titelblätter in den Besitz einer leipziger Buchhandlung über, und noch später ist diese erste angebliche Gesammtausgabe von Tieck's Werken hin und wieder auf dem Büchermarkt aufgetaucht, um die Kunde von den Anfängen seiner dichterischen Laufbahn zu verdunkeln und zu verwirren. 218



 << zurück weiter >>