Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

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12. Neue Freunde.

Einen Wendepunkt in Tieck's Leben bezeichnete die Freundschaft mit Solger. Dieser war fast um acht Jahre jünger. Ursprünglich Kameralist lebte er doch allein dem Studium der Philosophie, der alten Sprachen und der neuen Literatur. 364 In der Zeit des ersten Eindrucks der Kritik der Schlegel und der Dichtungen Tieck's hatte er sich gebildet. Wie er Goethe verehrte, entschied er sich auch für Tieck, dessen weitere Entwickelung er mit Theilnahme verfolgte. Endlich begann er in der Philosophie nach Schelling einen eigenen Weg zu gehen. Er wurde als Professor nach Frankfurt an der Oder berufen, und von da an die neu begründete Universität zu Berlin versetzt.

Im Frühjahr 1808, vor seiner Reise nach Wien, sah ihn Tieck zum ersten Male bei dem gemeinschaftlichen Freunde Hagen. Zwei Jahre später, als er nach dem Norden Deutschlands zurückkehrte, besuchte er ihn in Frankfurt. Es kam zu einer Annäherung, und aus allgemeinen literarischen Berührungen entstand ein geistiger Verkehr, der durch Briefwechsel und Besuche unterhalten und gesteigert wurde. Entscheidend war eine gemeinsame Reise im Jahre 1811. Tieck hatte soeben seine Badecur in Warmbrunn beendet, als Solger auf einer Gebirgsfahrt begriffen dort eintraf. Bis Schmiedeberg reisten sie zusammen, und seit diesen Gesprächen stand ihre Freundschaft fest.

In keinem entscheidendern Augenblicke hätte sie eintreten können. Tieck fühlte, die frühere Richtung in Poesie und Wissenschaft konnte er nicht mehr verfolgen, er suchte nach einer andern, neuen. Noch schien es zweifelhaft, wohin seine Natur ihn führen werde. Durch das Studium Jakob Böhme's war das Dunkle und Mystische in ihm, dem er früher unbewußt, als einer ursprünglichen Kraft seines Wesens gefolgt war, zur Entfaltung gekommen. Immer mehr hatten ihn diese wunderbaren Gedanken umsponnen, sie erwuchsen zu einer furchtbaren Macht, welche alles Andere zu verschlingen drohte, sie beherrschten Talent, Gefühl und Stimmung. Aus ihm selbst hatte sich etwas erhoben, das nicht mehr er selbst war.

365 Während seiner Krankheit in Italien fing er an sich den alten Zauberkreisen zu entziehen. Hatte Jakob Böhme in der That die letzten Räthsel gelöst? Wie wollte er seinen Lucifer mit Gott ausgleichen? Gerieth er nicht in die Gefahr eines furchtbaren Dualismus? Mit diesen Zweifeln kehrte auch die alte Unsicherheit zurück, aber nicht der jugendliche Muth, der früher siegreich darüber hingegangen war, und in seinen Schöpfungen Genüge gefunden hatte. Es war ein festes geschlossenes System, das ihn beherrschte, ein philosophischer Glaube, den er aufgeben mußte, wenn er frei werden wollte. Aber nun wurden Zweifel und Schwankungen doppelt quälend.

Da trat ihm Solger entgegen, ein Charakter wie er ihn suchte; klar und vielseitig, gelehrt und tiefsinnig, forschend und sicher ohne absprechend zu sein, offen und voll Antheil an jeder Seite menschlichen Daseins. Er sah die Welt in Religion und Geschichte, in Kunst und Poesie, er wollte sie nicht construiren, nicht von neuem schaffen, er suchte nach den gestaltenden Principien. Er war ein Bewunderer der alten, aber nicht minder der großen modernen Dichter. Mit Shakspeare und der spanischen Literatur war er vertraut. Hier war nichts von dem, was Tieck bei Philosophen und Philologen fürchtete, und weshalb er sie stets mit einer Art Scheu betrachtet hatte; nichts von der herrschsüchtigen Zuversicht des Systems, von einseitiger Schärfe und zersetzender Splitterrichterei, keine fertige Schulmanier, die für Alles ein Schlagwort in Bereitschaft hat; es war überall Erlebtes. Er fand wieder, was ihn selbst erfüllte. Mit keinem seiner Freunde vermochte er ein so offenes, eingehendes und allseitiges Gespräch zu führen als mit Solger. Es war ein ruhiges Versenken in den Gegenstand, ein wahres Zwiegespräch, ein Austausch der Geister. So große persönliche Anregungen hatte Tieck seit Novalis nicht empfangen.

366 Aus dem »Erwin« und den »Dialogen« machte er ein Studium. Der Genuß wurde für ihn dadurch erhöht, daß ihm Solger die eben beendeten Gespräche im Manuscript zuschickte, und seine Bemerkungen darüber erbat. Stets sah er diesen Sendungen mit Spannung entgegen. Mit derselben Begeisterung, wie in der Jugend die Dichter, las er jetzt den Philosophen. Ergänzend kamen Solger's Briefe hinzu. In diesen Werken erkannte er seine innersten Gedanken und Erfahrungen.

Mit keinem Philosophen war er so weit gekommen, auch mit Jacobi nicht, der ihm noch am nächsten gestanden hatte. Immer war es ihm gewesen, als wenn sie über eine trennende Kluft zueinander hinübersprächen. Das unmittelbare Leben, welches er bei großen Dichtern und Mystikern fand, das er in seinen Dichtungen darzustellen suchte, von dem er sprach als von etwas Geheimnißvollem, hatten manche als Träume seiner Poesie behandelt, und wollten es nicht kennen. Hier war ein Philosoph, der ihn verstand; nicht in unsichern Umrissen, oder versetzt mit fremden und trüben Mischungen, sondern in festen Formen fand er seine Gedanken wieder. Es war die innere Blutsverwandtschaft der Religion, der Philosophie, der Kunst, an welche er stets geglaubt hatte, und die ihm in andern Systemen im abstracten Gegensatze, in feindlicher Trennung erschienen waren. Seine Ahnungen wurden zum gesetzmäßig Gedachten, und die Denkformen erfüllten sich mit einem realen Inhalte. Jetzt war ihm die Philosophie weder eine bloße Gymnastik des Denkens, noch ein Construiren und Entstehenlassen Gottes. In einen neuen Zusammenhang rückte Alles ein, er lernte im wahren Sinne des Worts.

Bisher hatte er in einem instinctiven Zustande gelebt, und sich dem Eindrucke der Kunst und des Schönen 367 hingegeben, ohne das philosophische Bedürfniß zu haben, sich über das Wesen desselben klar zu werden. Was es an sich war, was es in ihm wirkte, war ihm unterschiedlos Eins; er nahm Eines für das Andere. Aus dieser Quelle war in seinen Phantasien und Dichtungen manches entsprungen.

Der unmittelbare Verkehr mit Solger hielt diese Bewegung in stetem Flusse. Kein Jahr verging, wo sie sich nicht gesehen hätten, wo Tieck nicht auf einige Tage in Berlin gewesen, oder der Freund ihn nicht im Frühlinge oder Herbste besucht hätte. Oft begannen ihre Unterhaltungen am frühen Morgen, und nach kurzen Unterbrechungen fand der späte Abend sie noch im tiefen Gespräche. Einzelne, oft nur leichte Andeutungen Solger's durchzuckten ihn mit der Gewalt des Blitzes, und warfen vor- und rückwärts auf ganze Gedankenreihen ein neues, helles Licht. So wirkte eine Aeußerung über das Böse als das reale Nichts wie eine plötzliche Offenbarung auf ihn, und von hier aus entwickelten sich ihm neue fruchtbare Gedanken, die er später mannichfach verarbeitete.»Solgers nachgelassene Schriften und Briefwechsel«, I. 689.

Kein Gedanke aber ergriff ihn tiefer vom ersten Augenblicke, wo er ihm bei Solger begegnete, und beschäftigte ihn länger als der der Ironie, über die am Schlusse des »Erwin« einige Andeutungen gegeben waren, und von der Solger ihm später einmal im Jahre 1818 schrieb: »Die Mystik ist, wenn sie nach der Wirklichkeit hinschaut, die Mutter der Ironie, wenn nach der ewigen Welt, das Kind der Begeisterung oder Inspiration. Sie haben das, was ich Mystik nenne, Poesie genannt; ich nenne es auch so, auch Religion, je nachdem sie sich ihrer nach beiden Seiten bewußt oder unbewußt ist. Was ich aber Mystik für sich nenne, ist die lebendige und unmittelbare Einsicht, die sie auf allen Stufen in sich selbst hat, und deren Entwickelung wieder die Philosophie ist.« Das 368 waren Gedanken, die ihn seit früher Zeit dunkel erfüllt hatten, und denen er bei seinen ersten Dichtungen unbewußt gefolgt war; schon beim »Lovell«, dann bei seinen satirischen Dramen. Um die unmittelbare Gegenwart des Göttlichen zu offenbaren, mußte die menschliche Wirklichkeit verschwinden; dies war die tragische Seite der Ironie, während das Göttliche aufgehend in das Leben der Zerstückelung und Widersprüche, in die menschliche Sphäre verpflanzt, zum Gegenstand der Komödie wird; darum ist auch in dem Komischen von der Ironie der Ernst unzertrennlich.

Zu ihnen gesellte sich auch Friedrich von Raumer, der früher schon mit Solger in freundschaftlicher Verbindung gestanden hatte. Unter der Leitung des Staatskanzlers Hardenberg hatte er im Fache der Verwaltung gearbeitet; doch entsagte er dieser Laufbahn, um eine Professur der Geschichte und Politik in Breslau anzunehmen. Schon 1810 besuchte er Tieck in Ziebingen. Auch hier ergab sich aus den ersten Unterredungen ein näheres Verhältniß, das durch Briefe und Besuche fortgesetzt wurde, und zu einer wahren und dauernden Freundschaft führte. Mit Interesse verfolgte Tieck die historischen Forschungen Raumer's. Er sah das Werk über die Hohenstaufen entstehen, und las es, nicht ohne eine bedeutende Rückwirkung zu erhalten, zum großen Theil bereits im Manuscripte. So traten ihm Politik, Geschichte, die historische Gegenwart ebenfalls näher.

Ausschließlich hatte er früher der Vergangenheit gelebt, soweit sie der Sage und Literatur angehörte, die thatsächlichen Zustände der Gegenwart im Einzelnen beschäftigten ihn wenig. Andere Kräfte und Elemente kamen jetzt hervor, und indem der Dichter in der Mitte zwischen dem Philosophen und Geschichtsforscher stand, und in ein neues Verhältniß zur idealen und realen Welt trat, vollendete sich seine 369 Umbildung. Der Verkehr der drei Freunde war der innigste und reichste. Sie ergänzten und förderten sich gegenseitig, da jeder eine eigenthümliche Seite des Lebens darstellte. Daraus ergab sich der Gedanke einer Zeitschrift für Philosophie, Poesie und Geschichte, deren Herausgeber Solger sein sollte, und in der sie die Ergebnisse ihrer gemeinsamen Thätigkeit niederlegen wollten.

Aber auch in der engern Umgebung fehlte es nicht an Freunden, bei denen Tieck in seinen Studien und Dichtungen Anregung und Theilnahme fand. Außer seiner Familie waren Graf Finkenstein, Burgsdorff und dessen Angehörige, und Wilhelm von Schütz, einer seiner frühesten Schulfreunde, der seit einiger Zeit in Ziebingen lebte, die nächsten; selbstthätig nahm dieser an der romantischen Poesie Theil. Nach spanischen Musterbildern war sein Trauerspiel »Lacrimas« gearbeitet, das eine Zeit lang neben F. Schlegel's »Alarcos« unter den Dramen der Romantiker einen gewissen Ruf hatte. Er war enthusiastisch aber unklar. Auch in Kadach, dem Prediger in Ziebingen, einem verständigen und wissenschaftlichen Manne, hatte Tieck einen Freund gefunden.

So lebte er in diesen Jahren ein einfaches Stillleben, das ohne bedeutende äußere Unterbrechung zwischen Freunden, dichterischen Productionen, geistiger Arbeit, und körperlichen, niemals ganz ruhenden Leiden, sich auf- und abbewegte. Es war ein enger Kreislauf, von dem die Welt nur selten wie von einem fern entlegenen Dasein Kunde erhielt. Fast schien er in einem zeitlosen Zustande zu leben. Mit Befriedigung sah er Auf- und Niedergang der Sonne, Frühling und Herbst an sich vorüberziehen, und was er einst als Knabe über ländliche Einsamkeit geschrieben hatte, erfüllte sich hier. Wenn er die Mitwelt vergaß, so blieb ihre Rache nicht aus, indem sie ihn 370 als einen Verschollenen zu betrachten anfing, der schon mehr der Literaturgeschichte als dem gegenwärtigen Leben angehöre. Sonderbare Gerüchte waren über ihn in Umlauf gekommen. Früher hatte es geheißen, er denke daran Ziebingen Prediger zu werden. Ein anderes Mal übersandte ihm ein Durchreisender einen Zettel mit der Aufforderung, durch die Kraft seiner Muse das vergessene Ziebingen wieder in Ruf zu bringen.

Seit dem Erscheinen des ersten Theils des »Phantasus« waren mehrere Jahre verflossen. Jetzt kam diese Sammlung zu einem gewissen Abschlusse. In den Jahren 1815 und 1816 vollendete er den »Fortunat«. Es war ein alter, im Jahre 1800 entworfener Plan, der endlich ausgeführt wurde. Zum letzten Male behandelte Tieck einen dem Mittelalter entlehnten Sagenstoff dramatisch. Aber schon dieses Werk gab Zeugniß von der eingetretenen Umwandlung, es war weder so mittelalterlich gläubig wie »Genoveva«, noch so bunt wie »Octavian«. Er suchte sich in den Grenzen der Bühne zu halten; auf eine mehr dramatisch wirksame Concentrirung war er ausgegangen. In dem zweiten Theile, den er für den vollendetern ansah, bewältigte die Dichterkraft den Märchenstoff. Hier hielten sich Humor und Tragik das Gleichgewicht; hier wehte der Geist Shakspeare's. Zugleich gab die 1817 erscheinende Sammlung »Altdeutsches Theater« und die Vorrede dazu einen neuen Beweis seiner allseitigen dramaturgischen Studien. 371



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