Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

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2. Deutsche Literatur.

1. Klopstock.

Mit Klopstock's »Messias« habe ich mich niemals befreunden können. Ich kann ihn für kein großes Dichterwerk halten, und Manches darin finde ich sogar irreligiös. In meiner frühern Zeit, als ich auf dem Lande lebte, war von der »Messiade« noch viel die Rede; ich beschloß daher sie genau zu studiren, um es für mich mit einem Male abzuthun. 181 Ich habe sie fünf Mal durchgelesen, und wenig Poesie darin gefunden. Es fehlt die Hauptsache, die gegenständliche Kraft; fast Alles ist verschwommen, von den unsichtbaren Dingen, welche geschildert werden, kann man sich keine Vorstellung machen, und die Anschauung geht einem häufig ganz aus. Den Plan und Gedankengang festzuhalten ist sehr schwer; das Ganze hat etwas Verworrenes, wenn es auch an einzelnen schönen Stellen nicht gerade fehlt. Vieles hat Klopstock gewiß erst im Momente des Niederschreibens gemacht. Es ist so viel falsche Sentimentalität und erzwungene Erhabenheit darin, und das wirklich Erhabene ist durch Decoration entstellt. Alles wird oratorisch, Declamation und Exclamation. Diese beabsichtigte Rührung erregt mit allem Aufwande zuletzt eine Art von Schwindel. Handlung und Charaktere werden, besonders in der zweiten Hälfte, immer matter. Vieles ist lyrisch, dithyrambisch, oder gar opernmäßig, nur nicht episch. Die Verse in den lyrischen Chören sind meistens wohltönend und schön; gerade darin liegt Klopstock's Stärke, aber ihr Inhalt ist dürftig. Für eine solche Behandlung des Stoffs wäre jedes andere Versmaß passender gewesen als der Hexameter. Der Reim und ein strenges Silbenmaß würden ihn genöthigt haben mehr mit Gedanken herauszukommen; jetzt wird sein Hexameter gar zu oft eine nachlässige Prosa. An das Evangelium darf man dabei gar nicht denken. Wie einfach und rührend ist hier alles, und auch wie wahrhaft poetisch, im Vergleiche mit dieser Poesie! Ich finde es ganz begreiflich, daß die Gläubigen in dieser Behandlung der evangelischen Geschichte eine Profanation fanden. Für das wirklich Tiefsinnige und Geheimnißvolle scheint er kaum Sinn gehabt zu haben. Eigentlich hält er sich in dem Gedichte zu keiner Kirche. Vieles ist gegen die Bibel. Er will die Aufklärung seiner Zeit mit dem Glauben 182 verbinden durch Reflexion oder Sentimentalität. Dies verleitet ihn bisweilen zu wahrhaft komischen Misgriffen, z. B. die Art, wie er die Verfinsterung der Sonne vor sich gehen läßt, ist ganz aufgeklärt und auch unpoetisch. Am Ende hat er es mit seinem Gedichte Keinem recht gemacht. Der Gläubige kann nicht damit zufrieden sein, und dem Ungläubigen hat er dadurch nichts klar gemacht.


2. Wieland.

Wieland ist heutiges Tages bei weitem mehr vergessen als er verdient. In meiner Jugend wurde er überschätzt. Ich darf wol sagen, daß ich es in meinen Kreisen und in meiner Weise zuerst mit Nachdruck ausgesprochen habe, daß er kein Dichter im großen Sinne des Wortes sei. Ich habe dies früher als die Schlegel gethan. Sie haben diese Ansicht von mir angenommen, doch wurde sie von ihnen übertrieben, sodaß es mir selbst verdrießlich ward, obgleich ich mir auch einige Späße mit Wieland erlaubt hatte. Sie haben ihm Unrecht gethan, zum Beispiel in der höhnischen Concurserklärung, welche im »Athenaeum« steht. Sein bestes Werk ist gewiß »Idris und Zenide«, was heiter und anmuthig ist. Auch sein »Neuer Amadis« ist nicht ohne Witz. Weniger einverstanden bin ich mit dem »Oberon«, wo die Schalkhaftigkeit, in der sich Wieland's ganzes Wesen ausdrückt, sich nicht mit den sentimentalen Scenen vertragen will. Was er in frühester Zeit unter Bodmer's Einfluß schrieb, ist ganz unerträglich. Auch seine prosaischen Schriften aus späterer Zeit sind gar zu lang, z. B. der »Agathon«, ihre Lectüre wird zur Aufgabe. Besser sind dann wieder manche der letzten Sachen, z. B. »Peregrinus Proteus«. Aber er war der erste, der lesbar und wirklich elegant zu 183 schreiben verstand. Doch ist er kein deutscher Autor, er hat sich nach französischen Meistern gebildet, und ist französirt. Seine Nachahmer stehen darin weit hinter ihm zurück. Wie plump sind nicht die Romane, welche Klinger in diesem Geschmacke geschrieben hat. Persönlichen Verkehr habe ich mit Wieland nicht gehabt, als ich in Weimar war; ich habe ihn nur einige Mal aus der Ferne gesehen.


3. Lessing.

Das beste unter den Stücken aus Lessing's Jugendzeit ist »Der Freigeist«, in dem der gläubige Theolog gegen diesen, und am Ende auch gegen Lessing selbst, Recht behält. Schwach ist sein erstes Stück, »Der junge Gelehrte«, das aber dennoch bei dem damaligen Zustande des Dramas Aufsehen erregen konnte. Eine große Vorliebe habe ich immer für »Miß Sarah Sampson« gehabt. Ich dachte auch daran, es in Dresden aufführen zu lassen; doch man fand es zu altmodisch. Einige Kürzungen hätten auf jeden Fall eintreten müssen. Die Marwood ist ein höchst bedeutender Charakter, und meisterhaft ist namentlich die Verführungsscene. Der Vater und die übrigen Charaktere sind schwach; aber eine bedeutende Schauspielerin als Marwood würde das Stück gehalten haben.

In der »Emilia Galotti« ist der vollendetste und in sich selbst einigste Charakter Marinelli; er ist ganz aus einem Gusse, eigentlich die Hauptrolle, und daher auch für den Schauspieler die dankbarste. Ihr zunächst steht an innerer Vollendung der Prinz. Es ist unendlich schwer, diese verführerische und schmeichelnde Liebenswürdigkeit nur einigermaßen wiederzugeben. Einen genügenden Darsteller dieser Rolle habe ich nicht gesehen. Dann folgt die Orsina, die 184 auch ein ganzer Charakter ist. Eine schwere Rolle ist Odoardo. Die mannichfaltigen Uebergänge und Wandlungen seiner Stimmung sind zwar sorgfältig motivirt, aber doch sehr schwer darzustellen, eben weil etwas Berechnetes darin liegt. In dem Charakter der Emilia selbst tritt ebenfalls das Reflectirte zu sehr hervor; sie geht über die Grenzen eines jungen Mädchens hinaus. Aeußerungen, wie »Auch ich habe heißes Blut«, ihre Schilderungen der Gesellschaft bei Grimaldi sind auffallend und stark. So hätte Shakspeare kein junges Mädchen reden lassen. Aber Lessing wollte ihren Tod dadurch motiviren. Sie liebt den Prinzen, oder fürchtet wenigstens ihn zu lieben, daher auch ihre Aufregung gleich in der ersten Scene. Auch ist die Heirath mit Appiani augenscheinlich eine Convenienzheirath. Aber die Katastrophe hat dennoch etwas Willkürliches; die ihrer selbst gewisse Unschuld mußte dies Alles überwinden. Ueberhaupt ist das Stück bei aller Trefflichkeit zu sehr ein zugespitztes Intriguenspiel, um eine Tragödie zu sein; beides verträgt sich nicht miteinander.

Ich habe »Minna von Barnhelm« immerdar der »Emilia Galotti« vorgezogen. Es ist ganz vollendet und abgeschlossen, und eines unserer trefflichsten deutschen Stücke. Der Hauptcharakter entwickelt eine große Liebenswürdigkeit. Die Spannung zwischen Tellheim und Minna kann wol etwas Quälendes haben, sie ist aber nothwendig, um das Schicksal beider abzuschließen.

Der »Nathan« gehört zu den merkwürdigsten Stücken, aber auch zu denen, die am wenigsten verstanden werden, weder von den Gegnern, und vielleicht noch weniger von vielen Lobrednern und Bewunderern. Steht es auch als Drama nicht sehr hoch, so offenbart sich doch Lessing's eigenthümlicher Geist darin. Doch wird man ihn hier von einer gewissen Ungerechtigkeit gegen das Christenthum nicht 185 freisprechen können. Er stellte im Nathan das geläuterte Judenthum dar, warum in den Christen nicht auch das geläuterte Christenthum, da ihm doch sonst eine so schöne Ehrfurcht vor echter Frömmigkeit eigen ist?

Von seinen Zeitgenossen wurde Lessing nicht verstanden. Sie überschätzten ihn als Dichter, was er nicht sein wollte, und hatten von seiner wahren Größe und der Tiefe seines Geistes keine Ahnung. Er war nicht nur ein kritisches Genie, sondern mystisch, tiefsinnig, und nie hat es eine reinere und edlere Skepsis gegeben als die seine. Er stand unendlich hoch über seinen sogenannten Freunden, die seinen Namen stets im Munde führten. Ihr Briefwechsel beweist, daß sie häufig gar nicht begriffen, was er will. Was konnte ihm Nicolai sein oder sein Bruder? Was ist selbst Moses Mendelssohn, den er doch hoch stellt, gegen ihn? Ist aber auch Lessing wirklich zum Abschluß gekommen? Seine »Erziehung des Menschengeschlechts« ist herrlich und tiefsinnig, aber woher hat er hier den Gedanken der Erziehung?

Sein Stil ist ausgezeichnet, das ist sprüchwörtlich geworden. Er ist scharf, schlagend und populär; er scheint so leicht, als könnte ihn Jeder nachahmen, aber er beweist nur, wie unendlich schwer das Einfache ist. Lessing weiß den Leser auch bei den kleinsten und gleichgültigsten Dingen festzuhalten; man muß ihm bis ans Ende folgen. So in den »Antiquarischen Briefen«, wo manches unbedeutend, veraltet und zum Theil unrichtig ist, dennoch liest man sie auch heute noch gern und mit Spannung.


4. Herder.

Herder's Kritik hat einen sonderbaren Gang genommen. Wie frisch und kräftig trat er nicht im Anfange 186 der Genieperiode auf, als er Goethe in Strasburg kennen lernte, und in seinem Alter kehrte er zu der trockensten Reflexion zurück. Wie verkündigte er nicht Genie und Natur, und zuletzt waren ihm Canitz und Andere große Dichter und wahre Vorbilder! In diesem Sinne sind auch alle seine Abhandlungen in der »Adrastea« geschrieben, und die Allgemeinheiten in den »Briefen zur Beförderung der Humanität« stechen sehr gegen den nationalen Zug seiner frühern Zeit ab. Es war aber auch etwas Persönliches dabei. In Herder's Charakter lag etwas Scharfes, ja Bitteres und Misgünstiges, er fühlte sich neben Goethe gedrückt; und als die Schlegel eine unbedingte Anerkennung Goethe's zu verkünden anfingen, konnte er diesen das nie verzeihen. Goethe kannte diese schroffen Seiten seines Charakters wohl, und hat sich öfters sehr derb darüber ausgesprochen. Bei vielem Trefflichen, was Herder geschrieben hat, ist er doch auch in Manchem überschätzt worden. In den »Ideen zur Philosophie der Geschichte«, von denen einst so viel die Rede war, ist doch viel Gewöhnliches. Ich habe die Schrift »Vom Geiste der hebräischen Poesie« immer vorgezogen. Ueberhaupt hat Herder zu viel geschrieben, namentlich in der letzten Zeit; wir würden jetzt mit einer Anthologie aus seinen Werken auskommen können.


5. Bürger.

Bürger's großes Talent war die populäre Behandlung der Poesie, und darum wird seine »Lenore« immer ein wahres Meisterwerk bleiben. Auch manche andere seiner Gedichte verdienen volle Anerkennung. Zu bedauern ist, daß er mitunter in einen platten, ja gemeinen Ton verfallen konnte, wie in dem Gedichte von der »Jungfrau Europa«. 187 Dennoch ist Schiller's bekannte Kritik zu streng, besonders wenn man bedenkt, daß dieser sich doch auch Manches vorzuwerfen hatte. Seine Recension Bürger's erscheint um so schärfer, wenn man sie mit der unnöthig anerkennenden des weichlichen Matthisson vergleicht. Dagegen war Goethe gegen ihn freundlich gesonnen, und die Erbitterung Bürger's in dem bekannten Epigramm war ungerecht. Ich habe die Veranlassung dazu von Reichardt erzählen hören, und danach fällt die Schuld bei weitem mehr auf Bürger. Goethe und Reichardt hatten miteinander musicirt; während dessen war Bürger, der Goethe besuchen wollte, in das Nebenzimmer eingetreten. Goethe sieht ihn, und noch erfüllt von der Musik, tritt er ihm mit einer freudigen Begrüßung entgegen. In demselben Augenblicke verbeugte sich Bürger sehr tief. Durch das Sonderbare dieser Lage wird Goethe in Verlegenheit gesetzt, er wird verdrießlich, und eine steife und kalte Unterhaltung beginnt. Darüber wird nun Bürger empfindlich; er entfernte sich bald, und sprach in jenem Epigramm seinen Zorn aus.


6. Goethe.

Wie wunderbar ist nicht Goethe's Entwickelung! Shakspeare ganz entgegengesetzt, aber wie bei Schiller sind seine ersten Werke zugleich auch seine vollendetsten. Wie liebenswürdig und erhaben zugleich, groß und einzig steht er nicht in seinen Jugenddichtungen da, wie ist er da so ganz echter, wahrer Mensch! Man kann sagen, er hatte damals nur große Gedanken. Wie capriciös, wie starr und steif, Launen und Einbildungen unterworfen in seinem geheimräthlichen Alter! Es ist die Natur des steifen pedantischen Vaters, der ein wunderlicher Mann war, welche allmälig in ihm 188 hervorkam. In den lyrischen Gedichten, namentlich in den ältesten, ist ein tiefer Zug der Empfindung, der unmittelbar aus dem Herzen kommt, und einzig in aller Poesie ist; und dieser Zug ist ein echt deutscher. Leider hat Goethe ihn später fast ganz verloren, und je älter er wurde, desto undeutscher wurde er. Man hätte von ihm wünschen mögen, daß er nie nach Weimar und an den Hof gekommen wäre, was freilich in der Regel als sein Glück angesehen wird. Sein Hofleben, seine Titel, sein Regieren hat ihm geschadet; er hätte in der literarischen Welt bleiben sollen, dann würde er sich seinem ursprünglichen Wesen gemäßer entwickelt haben. Noch mehr stieg er nach der italienischen Reise von seiner ursprünglichen Höhe herab. Damals faßte er die allgemeinen Gedanken des Geschmacks, der Classicität und des Ideals auf. Auch mit den Naturwissenschaften hätte er sich niemals einlassen sollen, für die er keinen Beruf hatte, und auf die er in seinem Alter einen höhern Werth legte, als auf seine Poesien. Aber freilich hatte ihm schon Merck die Natur alter Knochen offenbart! Wie verkannte er selbst später seine Jugend! Und wie konnte er sich von einem Manne wie Merck imponiren lassen, der den »Götz« für unbedeutend erklärte, und ebenso den »Clavigo«? Ein Mann, dessen eigene Schriften unendlich dürftig sind, und ganz in dem sterilen Geschmacke der Mitte des 18. Jahrhunderts.

Eine unbegrenzte Bewunderung habe ich seit meiner Jugend für den »Götz«; an ihm habe ich lesen gelernt und mich zuerst gebildet. Es war mir eine höhere Offenbarung; ich konnte mich nicht davon überzeugen, daß es ein gewöhnliches, geschriebenes Buch sei. Hier ist Alles Leben, Kraft und Natur, man nehme welchen Charakter man wolle. Auch der»Clavigo« ist in seiner Weise vollendet.

Der »Werther« ist eine einzige, großartige 189 Offenbarung der Leidenschaft; mit dem klarsten und einfachsten Ausdrucke ist hier das Tiefste gesagt. Alle Andern haben nicht das Wort dafür zu finden gewußt; sie gehen stets um den Brei herum.

Das Tiefsinnigste und Erhabenste, was gedichtet worden ist, ist der »Faust«; ich weiß außer dem »Götz« und den »Räubern« keine Dichtung, die so gewaltig auf mich eingewirkt hätte. Aber für mich schließt sie schon in den ältesten Fragmenten ab. Wie tief ergreifend und wahr ist nicht Faust's Seelenschmerz! Die innersten Tiefen der menschlichen Natur schließen sich hier auf; so auch in dem Gespräche mit Wagner. Die Erscheinung des Erdgeistes ist eine der außerordentlichsten Conceptionen, und überwältigend sind jene Verse: »Ich webe am sausenden Webstuhl der Zeit« u. s. w. Es tritt hier eine zwischen Gott und Mensch stehende Kraft auf, deren Aufgabe es ist, die wechselvolle Welt der Erfahrungen zu schaffen. Was soll nun einem Menschen, der diese erhabenste aller Erscheinungen gehabt hat, ein elender Mephistopheles, der doch am Ende im Wesen der Dinge in dieser Gestalt nirgends eine Stelle findet? Was soll ihm ein beschränktes junges Mädchen wie Gretchen? Was können ihm beide mit ihrem Sein und Reden nach jener Erscheinung noch bedeuten? Wer solche Offenbarung gehabt hat, bedarf dessen nicht mehr. Schon in der Spaziergangsscene mit Wagner liegt ein Abfall. Aber jene ersten Scenen sind und können ihrer Natur nach nur ein Fragment sein; hier ist kein Abschluß. Goethe wollte auch gewiß zuerst keinen geben; es war ein unmittelbarer Erguß. Unter den spätern Scenen nehme ich nur eine aus, es ist Faust's Gespräch mit Gretchen über Gott: »Wer kann ihn nennen« u. s. w. Die hier gethanen Aussprüche gehören zum Erhabensten, was sich denken läßt. So auch jenes Wort, welches Goethe Faust 190 in dem ersten Gespräche mit Wagner sagen läßt: »Die ihr Schauen offenbarten, hat man von je gekreuzigt und verbrannt!« Wie steif und tief abfallend ist dagegen nicht das Epigramm: »Schlaget mir jeglichen Schwärmer ans Kreuz« u. s. w. Und welchen Abstand nun des zweiten Theils des »Faust« gegen den ersten! Er ist mir stets unangenehm gewesen, und ich habe mit diesem Allegorisiren und diesen Geheimnissen nie etwas anzufangen gewußt. In seinem Alter sprach Goethe fast wegwerfend von den Offenbarungen seiner Jugend, und schon früher hatte er angefangen, die ältern Dichtungen zu verbessern. Ich habe immer die ältere Fassung der »Stella« vorgezogen, und wenn man im moralischen Sinne Einwendungen erhoben hat, so kann man dagegen fragen, ob es poetisch berechtigt war, so zu schließen, wie es in der spätern Umarbeitung geschieht. Fernando spielt freilich keine besondere Rolle. Aber Goethe hat in diesem Verhältnisse Empfindungen geschildert, die ihn selbst gewiß häufig bewegt haben. Auch ziehe ich die frühere »Claudine« und »Erwin und Elmire« den spätern Bearbeitungen bei weitem vor.

In der »Iphigenia« ist Vieles herrlich, dennoch vermag ich sie dem »Götz« nicht vorzuziehen. Die Handlung ist fast zu sehr vereinfacht und verfeinert; im vierten Acte steht sie ganz still. Auch ist der Anfang mit einem Monolog, so herrlich dieser selbst ist, vielleicht nicht ganz zu rechtfertigen. Orest, der Heros, erscheint sogleich in Ketten; das hat etwas Drückendes, dem Heldencharakter nicht Zusagendes. Und niemals hätte sich das exclusive Hellenenthum den Barbaren so gegenübergestellt wie hier; vielmehr ist auch das wieder echt deutsch, wie Vieles in der »Iphigenia«. Auch tritt der Schluß zu rasch ein; es bricht beinahe ab.

Tief erschütternd ist »Tasso«; es ist eine echte Tragödie. 191 In vielen Punkten sprach Goethe hier sein eigenes Verhältniß zum Hofe und Hofleben aus. Nur verschwindet die Prinzessin zu rasch. Es hat etwas Unbefriedigendes, daß man nach der Katastrophe gar nichts weiter von ihr hört. Auch tritt der Charakter des Fürsten aus einer gewissen Unklarheit nicht heraus.

Auch im »Wilhelm Meister« hat die schließliche Entwickelung etwas Ungenügendes. Wilhelm wird zuletzt doch gar zu praktisch verständig, und sein Charakter immer mehr allgemein symbolisch. Und was will die sonderbare Gesellschaft im Thurme mit ihrem Treiben? Aber ausgezeichnet und ganz in Goethe's Jugendstil ist der Anfang. Wie tief stehen dagegen nicht erst die Wanderjahre! Ueberhaupt wird Goethe, wenn er recht praktisch werden will, bisweilen ganz gewöhnlich verständig, und es ist tief zu beklagen, daß ein so herrlicher Genius so sinken konnte, wie es in manchem der Fall ist, was er nach seiner italienischen Reise geschrieben hat. Er verleumdet sich selbst, indem er geringschätzig auf die herrlichen Werke seiner Jugend als Barbarei herabsieht.

Der »Natürlichen Tochter« habe ich nie Geschmack abgewinnen können; es ist darin allerdings eine hohe Vollendung der Sprache und des Verses, aber es ist eine kalte Pracht. Alles ist verallgemeinert. Auch könnte man sagen, das Stück bestehe nur aus fünf ersten Acten.

Die »Wahlverwandtschaften« sind mir immer zuwider gewesen. Alles ist hier berechnet und auf das äußerste zugespitzt. Eduard ist ein unleidlicher Geselle und dabei so anspruchsvoll. Auch Mittler, auf den Goethe offenbar Werth legt, ist ein platter Charakter.

Auch in das Lob des »Märchens« kann ich nicht einstimmen. Es ist für ein Märchen viel zu abstract und allgemein und zu dunkel allegorisirend.

192 Goethe suchte sich stets mit der Vorsehung in Einklang zu halten, das ist seinem Wesen angemessen; in der Richtung des Trotzigen, Herausfordernden und Anklagenden, was Schiller's Grundelement ist, bewegt er sich nur höchst selten. Entschieden ist er eigentlich niemals hineingekommen, selbst nicht einmal im »Faust«. Anklänge dieser Art finden sich in dem Gedichte: »Wer nie sein Brot in Thränen aß«; besonders in dem Verse: »Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte«, in dem eine nicht auszudenkende Tiefe liegt. Das ist wirklich erlebt und Ausdruck höchster dichterischer Begeisterung.

Ich habe Goethe in seinen Jugenddichtungen unendlich bewundert und bewundere ihn noch; ich habe so viel zu seinem Lobe gesprochen und geschrieben, daß, wenn ich jetzt so viele unberufene Lobredner höre, ich noch in meinem hohen Alter in Versuchung kommen könnte, zur Abwechselung einmal ein Buch gegen Goethe zu schreiben. Denn darüber wird man sich nicht täuschen können, daß auch er seine Schwächen hat, die die Nachwelt gewiß erkennen wird. Und warum sollte er sie nicht haben? Ihre Erkenntniß kann ihn uns menschlich nur näher bringen und verständlicher machen. In seinen Schriften wird darum früher oder später eine Scheidung eintreten müssen; nicht Alles kann gleich gut und bedeutend sein, und kann von der Nachwelt übernommen werden. Wie viel Gewöhnliches findet sich nicht in den massenhaften Briefwechseln, die man immer noch nicht müde wird herauszugeben, so z. B. in dem mit Zelter. Wirklich bedeutend sind dagegen die ersten Bände des Briefwechsels mit Schiller. Die übermäßige Bewunderung selbst muß nothwendig zu einer Aussonderung des Dauernden führen. 193


7. Schiller.

Schiller's Entwickelung ist nicht rein herausgekommen; mit seinem größten Werke hat er angefangen. In den »Räubern« sprach er in der gewaltigsten Weise einen Gedanken aus, und richtete eine furchtbare Frage an die Gottheit: Wie ist mit der göttlichen Liebe und Vorsehung das Elend so vieler Millionen zu vereinen? Die Gewalt, mit der dieser Gedanke verfolgt wird, der Trotz, der darin liegt, wiegt alle Schwächen der Dichtung als Kunstwerk auf. Franz ist freilich als Charakter niedrig und kleinlich, es ist eine misverstandene Nachahmung Richard's III.; aber wahrhaft erhaben, ja kolossal ist seine Vision des jüngsten Gerichts im fünften Acte. Schwach ist die Motivirung, daß Karl zum Räuber wird auf jenen angeblichen Brief seines Vaters, dessen Schwäche er doch kennen muß; wie großartig dagegen sein Charakter, sein gigantisches Unternehmen, die Welt einrichten zu wollen. Ein Werk von so wirklich titanischer Kraft hat keine andere Dichtungsgattung, keine andere Literatur aufzuweisen. Alle Kraft, welche der Mensch der göttlichen Vorsehung entgegenzustellen vermag, findet sich ausgesprochen; alle dämonische Elemente sind entfesselt, und alle Gedanken menschlicher Opposition gegen Gott lassen sich hier zusammenfassen. Es ist die Poesie des Unglücks, welche mit einer imponirenden Gewalt auftritt. Und doch bei allem Trotze auch welche Milde! Das ist der wahre Dichtergeist, der selbst diese tiefsten und furchtbarsten Probleme in der Weise darzustellen versteht, wie es Schiller hier gethan hat. Denn ein Grundton der Versöhnung geht dennoch hindurch. In dem Charakter Karl Moor's finden sich bei allem Trotze Züge echt menschlicher Milde und Weichheit. Auch ist in der Scene mit dem Vater und der Charakteristik einzelner Räuber eine Anlage zur Komik, die Schiller später gar nicht weiter 194 ausgebildet hat, was unendlich zu bedauern ist. Es ist ein einziges Gedicht; für mich ist seine Betrachtung unentbehrlich geworden, es ist zu meinem Wesen nothwendig; ich würde es nicht missen können. Die Schlegel theilten meine Bewunderung der »Räuber« nicht; sie fanden sie roh und barbarisch, was ich nie habe begreifen können. Aber sie verstanden Schiller nicht, und hatten von seiner Großartigkeit keine Ahnung, wie auch noch die Epigramme des ältern Schlegel bewiesen haben; und die schlimmsten sind gar nicht einmal gedruckt. Ebenso die von F. Schlegel nicht.

In der ersten Bearbeitung sind die »Räuber« nicht hoch genug zu stellen, aber in den spätern hat Schiller selbst seine Dichtung durch seine Verbesserungen verdorben; ebenso manche seiner großartig zu nennenden Gedichte in der Anthologie, welche er später umarbeitete. Wäre er in dieser Weise fortgegangen, so würde er eine der gewaltigsten und furchtbarsten Erscheinungen geworden sein. Aber er erschrak vor sich selbst, er fürchtete seine innerste Natur, und brach darum seine freie Entwickelung ab. Später verdarb die Philosophie seine Poesie, ohne daß er darum ein Philosoph geworden wäre. Mit ihrer Hülfe setzte er sich ein Maß, welches seiner Natur entgegenstand; Goethe dagegen, als er maßvoll wurde, nahm dies aus seiner Natur. Dennoch konnte Schiller auch die seine nicht ausrotten. Uebrigens wäre es meiner Meinung nach besser gewesen, Schiller und Goethe hätten sich niemals kennen gelernt. Sie haben sich gegenseitig in ihrer Entwickelung gehindert und gehemmt, und ihre Eigenthümlichkeit verkürzt; jeder hat von dem Andern etwas angenommen, und darüber von dem eigenen eingebüßt. Sie arbeiteten sich gegenseitig in den Gedanken des Ideals hinein, der doch am Ende etwas ganz Allgemeines ist. Schiller suchte Goethe für die Philosophie zu gewinnen und ihre 195 Hineinziehung in die Poesie, wogegen dieser sich mit Recht entschieden wehrte. Dagegen nahm Schiller von Goethe das Ausgleichen, Abschwächen und Moderiren an, und wandte sich unter diesem Einflusse von seinen ältesten kräftigen Productionen noch mehr ab. Und doch hat er, wenn auch in mildern Formen, von jener Opposition gegen die Weltordnung immer etwas beibehalten, indem er sich den Gedanken des Christenthums und Vaterlandes gegenüber, mehr oder minder bewußt, verneinend verhielt. In allen spätern Stücken wird er immer auf diesen Punkt zurückgeführt, aber er streift nur darum herum, es kommt nicht zum Ausbruch, so namentlich im »Don Carlos«.

In »Cabale und Liebe« fehlt es nicht an höchst ausgezeichneten Einzelheiten, aber wie unwahrscheinlich ist es, daß Ferdinand an Luisens Liebe mit dem albernen Marschall glaubt. In einer französischen Bearbeitung, welche ich in Strasburg aufführen sah, hatte man das wohl gefühlt, und daher aus dem Marschall einen Kammerherrn gemacht, der ein ganz verständiger Mann ist, und bei dem Alten Musikunterricht nimmt. Der Alte ist noch der beste Charakter.

»Fiesco« ist kaum ein Stück zu nennen; es hat entschieden etwas Rohes; so die Scene, wo Fiesco die Julia vor seiner Gemahlin in so furchtbarer Weise demüthigt.

Wallenstein, der als gewaltiger Charakter hingestellt wird, ist eigentlich weder gut noch böse, er schwankt hin und her, und sein Handeln kommt nicht zum Durchbruch. Auch hier ist die Motivirung schwach. Das Raisonnement der Terzky ist ein ganz gewöhnliches. Sie sagt Dinge, welche Wallenstein selbst sich tausend Mal gesagt haben muß; überrascht antwortet er darauf: »Von dieser Seite sah ich's nie!« Und nun gar die sentimentale Episode, die Schiller aus Herzensbedürfniß hinzufügte! Wie konnte die Terzky 196 glauben, Wallenstein habe auf jener Reise Thekla und Max einander nähern wollen, wenn sie ihn recht kannte? Und diese beide handeln geradezu verwerflich. Handelt ein General so wie Max, der in einem Anfall von Verzweiflung des Kaisers beste Truppen gedankenlos opfert? Konnte er nicht nach Wien gehen, und sich für Wallenstein verwenden? Und Thekla verläßt die kranke Mutter, den gebeugten Vater, um das Grab des Geliebten aufzusuchen! Was will sie dort, da Max nicht mehr lebt? Ihre Pflicht war es, zu bleiben. Auch die weinerliche Herzogin ist ein unangenehmer Charakter. Dennoch ist »Wallenstein« ein großartiges Werk; der eherne Charakter einer furchtbaren und kriegerischen Zeit ist vortrefflich wiedergegeben. In dieser männlichen und kräftigen Haltung liegt vor allem seine Wirkung, und es wird immer als die erste unter den deutschen Tragödien zu nennen sein.

Auch in der »Braut von Messina« ist Vieles unmotivirt, obgleich gerade diese Dichtung an schönen Stellen reich ist. Schiller kann eigentlich keinen dramatischen Plan machen, er wird immer anders, als er ursprünglich wollte. Ebenso wenig wollen ihm die Charaktere der Frauen gelingen. Er ist im Motiviren höchst sorglos, und läßt Unwahrscheinliches gelten. Goethe motivirt oft nur zu viel, Schiller zu wenig; nirgends führt er die Handlung entschieden durch, aber wahrhaft groß ist er in der Situation, und bei dieser bleibt er stehen. Wo man Handlung erwartet, tritt die Rede ein und lyrische Ergüsse, die an sich sehr schön sind, aber hier nicht an ihrer Stelle. So sind mir in der »Maria Stuart« im Anfange des dritten Actes die Anapästen: »Eilende Wolken« u. s. w. stets wie ein Stich durchs Herz gegangen. Die großen Monologe in der »Jungfrau von Orleans« werden ihm ebenso zu isolirten Declamations- 197 ja man kann sagen Musik- und Concertstücken. Gerade hierin hat Schiller viele Nachahmer gefunden, die sein rhetorisirendes Pathos aufgriffen, ohne seinen Genius zu haben, und am Ende nur seine Fehler nachzuahmen vermochten.

Den »Wilhelm Tell« erklärte Schlegel mit Unrecht für Schiller's bestes Werk. Die überlegte Kälte, mit der Tell zur That schreitet, und die er in dem großen Monologe ausspricht, hat etwas Abstoßendes. Und wozu die Episode des Rudenz und der Bertha?

Viel höher als alle spätere Stücke Schiller's steht sein »Demetrius«. Es ist ein höchst großartiges Fragment. Hätte er es vollenden können, es würde alles Andere weit hinter sich gelassen haben. Er betrat damit eine neue Stufe der Entwickelung. Ebenso ist es zu bedauern, daß er den »Geisterseher« nicht beendete, den er als Nebenarbeit behandelte, und auf den er mit Unrecht einen so geringen Werth legte. Das Buch ist meisterhaft geschrieben, und die volle geistige Kraft Schiller's spricht sich darin aus.

Seine Balladen könnte ich entbehren; für mich sind sie nicht nothwendig, und ich kann sie im Allgemeinen nicht für vollendet halten. Der »Taucher« erscheint mir sogar unnatürlich; sowol die Schilderung von Naturscenen, die sich überhaupt nicht schildern lassen, als auch in den Motiven und Charakteren. Ich kann nicht leugnen, nachdem ich mich mit Schiller's ersten titanenhaften Dichtungen so innig befreundet hatte, sind mir dagegen alle spätere nur als Abschwächungen erschienen.

Wenn er soviel populärer geworden ist als Goethe, so hat dies darin seinen Grund, daß er ein echt deutscher Dichter ist. Es ist ein rein deutscher Zug, daß er immer auf große und tiefe Gedanken ausgeht und ihren Ausdruck anstrebt; so auch sein Widerspruchsgeist und der Freiheitssinn, 198 welcher sich durch alle Dichtungen hindurchzieht. Durch seine Großartigkeit und seinen Tiefsinn wird er eine hohe Stelle in dem Leben des deutschen Volkes zu allen Zeiten einnehmen.


8. Die Sturm- und Drangperiode

ist eine bedeutende, ja große Zeit; die Dichter, welche damals neben Goethe auftraten, erregen unser höchstes Interesse. Die Wirkung des »Götz« war eine ungeheure, und mit dem Beginn der siebziger Jahre fing auch für die deutsche Dichtung ein neues Leben an. Die ursprünglichsten und eigenthümlichsten Seiten des deutschen Charakters traten mit neuer Stärke wieder hervor. Das Naturleben, der Sinn für das Individuelle, der bis zur Isolirung und zum Sonderbaren fortgeht, das Streben nach Unabhängigkeit, das Festhalten an der Familie, Derbheit, die zum Trotze wird, ein unleugbar demokratischer Zug, dies Alles spricht sich namentlich in den Dramen jener Zeit oft in der stärksten Weise aus. Damals kam es auf, daß die deutschen Biedermänner den Fürsten und ihren Rathgebern die bittersten Wahrheiten sagten, oft im gröbsten Tone, und Niemand nahm daran Anstoß, weder das Volk noch die Regierung, ja die Fürsten hörten es selbst mit an.

Ich habe öfter den Gedanken gehabt, eine Bibliothek der beliebtesten ältern dramatischen Dichtungen dieser Art herauszugeben; sie würde ein Spiegel des deutschen Geistes sein, und uns die Stimmung der Zeit lebendig vergegenwärtigen. Außer den Dichtungen von Lenz und Klinger würden hier auch die Stücke von Törring und Babo aufzunehmen sein, die doch ihre Vorzüge haben. Fehlt es nicht an rohen Zügen, so doch auch nicht an kraftvollen, und Törring's 199 »Agnes Bernauerin« ziehe ich noch immer allen andern Bearbeitungen dieses Stoffs vor, soviel auch seitdem erschienen sind. Albrecht's leidenschaftliche Rede in der Turnierscene ist vortrefflich. Auch Großmann's »Nicht mehr als sechs Schüsseln!« ist hier zu nennen. Es war ein sehr gern gesehenes Stück, bei dessen Aufführung auch der Hof häufig zugegen war, trotz der Ausfälle, die darin vorkommen. Goethe hat Unrecht, dieses Stück geradezu ein gemeines zu nennen. Ebenso gehören Iffland's »Jäger« hierher. In der Darstellung des Familiensinns ist dies ein echt deutsches Drama zu nennen; obwol mitunter breit, enthält es doch vieles Treffliche. Es ist unbezweifelt Iffland's bestes Product, und bei der Schwäche seiner übrigen Stücke kann man sich wirklich wundern, daß er dergleichen zu schreiben vermochte. Alle diese Dramen tragen den Stempel des deutschen Geistes, und würden eine gute Grundlage zu einem deutschen Nationaltheater geworden sein, wozu überhaupt in jener Zeit mehr Aussicht war, als seitdem jemals wieder.


9. Lenz.

Als Charakter war Lenz unzuverlässig. Wenn er in einem seiner Briefe erzählt, er habe den Herzog von Weimar aus dem Wasser gerettet, und sei ihm nachher unentbehrlich geworden, so war das gewiß nicht wahr. Ebenso bedenklich sind manche andere Andeutungen, die sich in seinen Briefen finden. Wie charakterlos zeigte er sich nicht gegen Wieland, den er noch im »Pandaemonium Germanicum« so heftig angegriffen hatte! Auch furchtsam scheint er gewesen zu sein, wenigstens muß man das aus der Mühe schließen, die er sich gab, um zu verbergen, daß er der Verfasser des Stücks »Die Soldaten« sei. Am schlimmsten für ihn 200 war seine ewige Unruhe, sein unstetes Wesen und Projectenmacherei. Schon in Strasburg schrieb er allerlei über Militärwissenschaften, von denen er doch schwerlich etwas verstand. Auch nach seiner Krankheit, als er nach Rußland zurückgekehrt war, blieb ihm diese Unruhe. Da er sich in dürftiger Lage befand, reichte er der Regierung allerlei Pläne ein, für die er hin und wieder kleine Unterstützungen erhielt. Seine Schriften aus dieser Zeit sind schwach, dunkel und verworren; es erscheint darin nur noch eine gebrochene Kraft. So eitel, voll Selbstvertrauen und Uebermuth er in seiner guten Zeit war, so schwachsinnig, gedrückt und kleinmüthig zeigt er sich nach der Krankheit. Diese war gewiß nur die Folge überreizter Eitelkeit. Eine fixe Idee war es in seiner Krankheit, daß er alle seine Freunde auf eine tödtliche Weise beleidigt habe. Als Klinger ihn bei Schlosser fand, nahm er mit ihm eine Gewaltcur vor, indem er ihn auf einige Stunden in ein Faß mit kaltem Wasser steckte, was auch einige lichte Augenblicke zur Folge hatte. Lenz ist an seiner Charakterlosigkeit zu Grunde gegangen. Ich habe immer die Erfahrung gemacht, daß bedeutendes Talent ohne Charakter dem Untergange sicher entgegenführt. Beides, Talent und Charakter, müssen sich gegenseitig tragen und ergänzen, wenn es zu einer gedeihlichen Entwickelung kommen soll. Daran scheiterte auch Heinrich von Kleist, der doch noch ein ganz anderer Mann war, und ebenso in neuerer Zeit Fouqué.

Aus dem ganzen Kreise, welcher sich in Strasburg um Goethe gesammelt hatte, ist Lenz der Bedeutendste. Er besitzt eine ungemeine Kraft im Individuellen. So roh auch seine Gestalten sind, so kommen sie in diesem Punkte doch mitunter denen Goethe's gleich. Seine Charaktere haben etwas Grobes, aber sie sind wahr und lebendig, so z. B. der 201 Major im »Hofmeister«, der eine Hauptrolle Schröder's war. Freilich muß man in ihm keinen Künstler suchen, wie sich schon darin zeigt, daß er seinen Dramen allerlei allgemeine Gedanken der Nützlichkeit unterschiebt, wie die Nachtheile der Privaterziehung, Ehelosigkeit der Soldaten u. s. w.


10. Klinger.

An Talent stand Klinger entschieden hinter Lenz zurück. Er besitzt allerdings eine gewisse Kraft, aber doch nicht die, von der er unaufhörlich spricht. Sein erstes Werk »Die Zwillinge« sind trefflich und voll tragischer Gewalt, aber alle seine spätern Tragödien bleiben dahinter weit zurück. Man fühlt wie er sich abmüht groß und erhaben zu sein, was gegen die Fülle bei Lenz sehr absticht. Und wie frostig und kalt sind endlich nicht seine letzten antik gehaltenen Tragödien! Auch die Romane, die er in der Jugend im Geschmacke Crebillon's schrieb, sind schwach. Hier erscheint er noch als Nachahmer Wieland's. Dagegen sind seine spätern ernsten Romane finster, abstoßend und gewaltsam. Sein bestes Werk in dieser Gattung ist »Dichter und Weltmann«.


11. Heinrich von Kleist

ist den echtesten deutschen Dichtern beizuzählen. Welche Töne hat er nicht in seinem »Käthchen« und besonders im »Prinzen von Homburg« angeschlagen! Dies ist eins der trefflichsten und zugleich nationalsten Dramen, was wir besitzen. Liegt uns auch die mystische Seite ferner, so hat sie doch hier nichts Störendes, und tritt auch weniger hervor als im »Käthchen«. Wie menschlich wahr und anschaulich sind nicht alle Charaktere; so der Prinz selbst, der 202 alte Kottwitz; ganz individuell und doch groß ist der Kurfürst: Der kurze Monolog im fünften Acte: »Wenn ich der Dei von Tunis wäre«, gehört zu dem Ausgezeichnetsten, was unsere dramatische Poesie aufzuweisen hat. Den heiligen Zorn eines verletzten Nationalgefühls hat er in der »Hermannsschlacht« wahrhaft großartig ausgedrückt. Das allgemeine Unglück des Landes gehörte mit zu seinem persönlichen Schmerze. Schon seine erste Tragödie »Die Schroffensteiner« enthält viel Schönes, und bewies seinen Beruf zum Drama; freilich ist Anderes darin platt, roh, ja kindisch, wie die Geschichte mit dem Finger. Hätte er den »Robert Guiscard« vollendet, so würde dies ohne Zweifel die größte seiner Dichtungen geworden sein. Ein wahrhaftes Meisterwerk in der Komik ist sein »Zerbrochner Krug«. Man hat dem Lustspiel unrecht gethan, wenn man es in drei Acte theilte, weil man es etwas zu lang fand. Vortrefflich sind auch seine Erzählungen, und mit Recht hat man immer den »Kohlhas« anerkannt. Vielleicht ist die »Geschichte der Marquise von O.« noch vollendeter und abgeschlossener. Erscheinungen dieser Art beachtete man kaum, während die mittelmäßigsten Sachen den reichsten Beifall fanden! Ich darf mich wol rühmen zu ihrer Erhaltung und endlichen Anerkennung wesentlich beigetragen zu haben. In einem eigentlich freundschaftlichen Verhältnisse habe ich zu Kleist nicht gestanden, aber ich habe sein hohes Talent stets geliebt und geehrt, und sein tragisches Schicksal hat mich tief erschüttert.


12. Fouqué.

Fouqué hat viel Talent, und besitzt eine reiche Phantasie, aber er hat etwas Willkürliches und Unbegrenztes, 203 und gefällt sich in Erfindung und Zusammenstellung unmöglicher Dinge. Sein bestes Werk ist »Undine«. Später trat das Abenteuerliche und Carikirte immer mehr hervor, so schon im »Zauberringe«. Eigentlich ist er dichterisch am Mangel aller Ironie zu Grunde gegangen, er verlor sich vollständig an seinen Gegenstand, und verlor darüber am Ende die schöpferische Phantasie selbst. Im Mittelalter hatte er die Stoffe für seine Poesie gefunden, aber bald begann er sich und seine Liebhabereien mit dem Gegenstande, den er behandeln wollte zu verwechseln, und dies hielt er dann für Poesie. So wurde sein Dichten zur Caricatur, und er selbst zum Don Quixote der Poesie. Nur hat er nie ein Bedürfniß nach einem Sancho Pansa gefühlt. Und gerade das ist es, was den Don Quixote auch in seinem Irrthum groß macht. Fouqué hat sich bisweilen in seiner Weise gegen mich vernehmen lassen. Wenn er dann recht in den Zug kam, konnte man in der That irre an ihm werden. Uebrigens ist auch das Publicum übel mit ihm umgegangen; zuerst hat man ihn ungemessen bewundert, und jetzt ist er mit Unrecht fast ganz vergessen.


13. Achim von Arnim

ist ein sehr bedeutendes Talent, aber er hat sich gewissermaßen reflectirt, mit bewußtem Vorsatz zum Dichter gemacht; zuerst studirte er Naturwissenschaften, die er dann aber aufgab. Diese Willkürlichkeit geht durch alle seine Dichtungen hindurch. Er arbeitet fast planlos; er schachtelt Anekdoten und Episoden ein, die ihn gerade im Augenblicke ansprechen, ohne sich um das Ganze zu kümmern. Er spielt mit den Dingen, seine Poesie bekommt so den Charakter des willkürlich Gemachten. Oft zieht er im Augenblicke an und 204 weiß zu interessiren, aber ebenso oft stößt er auch wieder ab durch das Willkürliche und Bizarre, was ihm eigen ist, z. B. in seiner »Gräfin Dolores«. Der Gesammteindruck seiner Dichtungen muß daher zuletzt ein ungünstiger sein.


14. Brentano

ist dagegen gewiß noch talentvoller; er hat eine tiefe und wahrhaft dichterische Ader, nur ist es zu bedauern, daß auch er eine falsche Richtung einschlug, die ihn zum Diffusen, Willkürlichen und Sonderbaren geführt hat. Einzelnes von ihm ist vortrefflich; die »Chronik eines fahrenden Schülers« und »die Geschichte des Philisters«. Das Lustspiel »Ponce de Leon« hat viel Witz, ist aber doch zu breit. Die »Geschichte der mehreren Wehmüller« hat er mir selbst vorgelesen, aber ich habe keinen Geschmack daran finden können.

Mit beiden, Arnim und Brentano, habe ich im Leben manche persönliche Berührung gehabt, und sie fühlten sich, besonders in früherer Zeit, durch Manches in meinem Wesen angezogen. Wirklich stimmten wir in einigen Punkten überein. Dennoch ist immer etwas Fremdes zwischen uns geblieben, und dichterisch habe ich mich von beiden stets fern gefühlt. Es fehlte ihnen eines, was bei mir von der Poesie unzertrennlich ist, der reine und wahre Sinn für die Natur und das Natürliche. Bei ihnen kommt sie immer als etwas Reflectirtes und Gemachtes heraus; es scheint als sei es ihnen nicht rechter Ernst mit der Sache, als sei es ein Spaß. Man hat das Gefühl, als wenn sie es auch ebenso gut lassen könnten. 205


15. Z. Werner

war auch begabt, aber ein ganz verschrobenes Talent, das sich in die verkehrte Richtung immer tiefer hineinarbeitete. Nachdem Goethe seinen »Vierundzwanzigsten Februar« gewissermaßen anerkannt hatte, überschätzte er sich sehr. Das beste Werk ist »Die Söhne des Thals« geblieben, obgleich es auch hier an Sonderbarem nicht fehlt. Alles Spätere ist auf eine verkehrte Weise mystisch und verworren, und wird dadurch unerträglich. Persönlich habe ich den sonderbaren Mann niemals kennen gelernt.


16. Zschokke.

In meiner Jugend war Zschokke, der selbst noch ein junger Mann war, ein unermüdlicher Vielschreiber für Theater und Leihbibliotheken; damals entstand sein vielgenannter »Abällino«. Später verwarf er alle seine frühern Sachen, den »Abällino« aber arbeitete er gar in Trochäen um, und schickte ihn mir zu. Es ist aber auch so noch ein höchst schlechtes Machwerk. Seine größern Romane sind schwach; aber die kleinere Erzählung ist seine Sphäre. Er erzählt gut und leicht, bisweilen sogar anmuthig und nicht ohne Humor. Er ist überhaupt ein leichtes und bewegliches Talent, aber kein tiefes. In den verschiedensten Gattungen findet er sich bis auf einen gewissen Punkt zurecht, und weiß es auch dem Publicum recht zu machen. Auch ist er ja Geschichtschreiber. Und wie eifrig sind nicht eine Zeitlang seine »Stunden der Andacht« gelesen worden! Man wollte es nicht glauben, daß der Verfasser dieses Erbauungsbuches auch den berüchtigten »Abällino« geschrieben habe. 206


17. Hoffmann

war eine merkwürdige Erscheinung; ein kleines unruhiges Männchen mit dem beweglichsten Mienenspiel und stechenden Augen. Er hatte etwas Unheimliches, und fürchtete sich zuletzt selbst vor seinen eigenen Gespenstern. Die Dichtung ist bei ihm zur Caricatur geworden, und obgleich er manches gut zu erzählen weiß, sind seine Erzählungen doch fast alle fratzenhaft.


18. Immermann.

Immermann's erstes Auftreten war ein sehr bescheidenes; aber er war eine Natur, die in ununterbrochener Entwicklung begriffen war, und bei weiterm Fortschreiten kam er bald zum Bewußtsein seines Werthes. Eine rasche Umwandlung ging mit ihm vor. Es war aber auch wirklich eine höchst bedeutende und starke Kraft, dies drückte sich in seinem ganzen Wesen aus. Er hatte etwas Entschiedenes und Männliches. Er urtheilte scharf und herbe, ja er konnte schroff, bitter und ingrimmig erscheinen. Kaum hat sich Jemand mit dem Theater soviel beschäftigt als er. Er dichtete für dasselbe, schrieb darüber, und leitete eine Zeit lang das Theater in Düsseldorf. Hier machte er allerlei anerkennenswerthe Versuche, aber mit allem Eifer konnte er die Sache doch nicht halten. Merkwürdig ist dabei, daß er niemals ein Stück geschrieben hat, welches ganz bühnengerecht wäre. Kaum eines seiner Dramen kann so aufgeführt werden wie es ist. Dies sah er selbst ein und änderte daher viel, z. B. sein »Trauerspiel in Tirol«, dessen erste Bearbeitung viel Sonderbares enthält; so die Geschichte mit Hofer's Schwert. »Kaiser Friedrich« ist zu gedehnt und bleibt wirkungslos. Das beste ist wol der erste Theil des 207 »Alexis«, obgleich auch hierin Manches hart und spröde ist, woran auch sonst seine Verse leiden. Der Epilog »Eudoxia« hat vielen Beifall gefunden; mir ist er immer fremdartig geblieben, und ich habe den gewaltigen Eindruck nicht empfunden, den Andere ihm nachgerühmt haben. Für mich sind auch die Trimeter störend. Wir dachten daran den »Alexis« in Dresden zur Aufführung zu bringen, mußten es aber aus andern Rücksichten aufgeben. In seinen letzten Lebensjahren hat sich Immermann am bedeutendsten entwickelt. Sein »Merlin« ist eigenthümlich und tiefsinnig, und wirklich Ausgezeichnetes hat er im »Münchhausen« geleistet. Dieser übertrifft die »Epigonen« bei weitem, in denen doch auch manches Gute ist. Die Dorfgeschichte ist durchaus vollendet, und im humoristischen Theile ist vieles vortrefflich und von der höchsten Wirkung. Ohne Zweifel ist es der beste Roman unserer neuesten Literatur. Immermann's früher Tod ist sehr zu beklagen; er würde gewiß zu noch viel Höherm gekommen sein.


19. Platen.

Platen hat mich immer kalt gelassen. Seine Verse werden gerühmt, und sie sind auch vortrefflich gebaut, und dafür hat er ein wahres Talent. Aber was er in diesen Versen gibt, ist doch nur mittelmäßig; in so anspruchsvollen Versen vermißt man den tiefern Inhalt am ersten. Aus seiner ganzen Poesie hört man immer die Selbstüberschätzung heraus. Besonders schwach sind seine Dramen; sie sind trocken und dürftig, es fehlt ganz an eigentlicher Composition. Er will sich nach den Alten gebildet haben, und glaubt Shakspeare tadeln zu können, den er gar nicht einmal versteht. 208


20. Heine.

Welches Reden hat man in der modernen Literatur nicht von Heine gemacht! Seine Bewunderer haben nur ihre Unwissenheit gezeigt, daß sie unsere ältere, wahre, tiefe Literatur nicht kennen. Das beste, was er geben kann, ist nichts Neues, es sind Nachklänge Goethe's in einzelnen seiner Lieder. Aber sonst welche Suffisance und gemeine Ironie! Und welche Eintönigkeit! Es ist immer wieder das alte Lied! Was soll man nun gar erst zu der Armseligkeit seiner Nachahmer sagen!


21. Moderne Literatur.

Die modernen vielbändigen Romane, die jetzt zu Modebüchern geworden sind, sind eine unerquickliche Lectüre. In chaotischen Massen sieht man die neue und bessere Form des Romans. In der Regel werden zahllose Fäden angeknüpft, und immer wieder von einer andern Seite her. Der Masse nach kommen wir auf den Standpunkt der alten Romane, wie»Clarissa«, zurück. Die Gesellschaft, in der man sich befindet, ist meistens schlecht. Widerwärtig ist die positive Besserwisserei dieser modernen Schriftsteller. Ihr System steht ihnen fest, Alles tadeln sie, Alles kennen sie besser, Fürsten und Völkern geben sie Rathschläge, vor allem will man charakteristisch schreiben, und dies führt zu sonderbaren Verirrungen.

Manche moderne Dichter, welche wirklich Talent haben, verderben es durch die Art der Anwendung. Sie haben beinahe alle eine Neigung zum Ferocen und Atrocen, die in ihren Dichtungen sich als ein wahrhaft diabolischer Zug ausspricht. Bei allen ist das frevelhafte Streben, das Göttliche 209 zu sich herabzuziehen, sich ihm gleichzustellen, und mit ihm gewissermaßen zu fraternisiren. Auch bei den schriftstellernden und dichterischen Frauen findet sich dies. Einige von ihnen besitzen eine seltene Kraft, und man staunt, wie sie sich so weit von den Vorbedingungen ihres Geschlechts haben losmachen können. Neben vielem Unwahren, Verkehrten und Verbrannten gibt es doch auch manchen bedeutenden Zug, aber freilich auch viel Diabolisches. Der Eindruck dieser Dichtungen ist ein widerwärtiger und beleidigender. Das Vorbild solcher Frauen ist George Sand. Ueber manche neueste Dichtungen dieser Art muß man staunen; in ihnen wird ausgesprochen und durchgesetzt, was Männer in hunderten und aber hunderten von Büchern umsonst versucht haben. Unsicher flattern sie um die Flamme und versengen sich die Flügel; aber in diesen Producten ist der wahre Glutofen selbst. Auf jeden Fall ist diese ganze Richtung merkwürdig; es kommt hier eine bestimmte Gedankenreihe zum vollen Durchbruch, und darum muß man auch von solchen Büchern Notiz nehmen.

Die Barbarei unserer Zeit ist überhaupt groß, Sinn und Verständniß für die echte reine Kunstform ist verloren gegangen, nur das Massenhafte und Rohe gefällt. Die ältere Literatur lernt man erst durch wiederholtes Lesen kennen, die junge verliert dadurch, und wird zuletzt ganz unerträglich. Hier ist alles Prätension, und was schon längst besser gesagt worden ist, glauben die Verfasser zuerst auszusprechen. Dabei muß man doch noch die Nothwendigkeit der schlechten Literatur anerkennen. Sie wird gelesen, im Augenblicke gesucht, und sie geht im buchhändlerischen Sinne; sie macht daher dem Buchhändler Muth zu Unternehmungen. Ein gutes Buch findet selten einen Verleger, aber ein schlechtes gewiß; denn dort ist ein Risico, hier nicht. Entschließt sich 210 der Buchhändler ein gutes Buch zu verlegen, so muß die schlechte Literatur den Ausfall decken. So wird sie zu einer trefflichen Düngmasse für die gute, die ohne sie am Ende überhaupt nicht zum Vorschein kommen würde.

Es ist mir schon früher die Erscheinung vorgekommen, daß man den Versuch gemacht hat, die Poesie nach dem christlichen Dogma zu messen und es in dieselbe einzuführen. Es waren anerkennenswerthe Talente, stille strebsame Charaktere, die von ihrer Ueberzeugung tief durchdrungen waren, und denen jede äußere Absicht fern lag. Sie standen isolirt und sind auf die Literatur ohne Wirkung geblieben. Oft habe ich über die Grundansicht dieser Richtung disputirt, habe sie mir aber trotz aller Versuche nicht anzueignen vermocht. Ich muß gestehen, daß mir manches völlig unklar geblieben ist. Ich habe religiös und praktisch durchaus nichts gegen solche Ansichten an sich, und will einem Jeden die Meinung, daß sein Christenthum das beste sei, gern lassen; aber eine rein persönliche Ueberzeugung dieser Art kann doch nicht in der Poesie herrschen sollen. Ergibt sich denn nicht aus der Poesie ihrer Natur nach die Religion von selbst? Ich kann es nicht billigen, wenn in einem Drama dieser Art menschlich edle und natürlich reine Charaktere untergehen müssen, weil sie keine Christen sind, und Schurken siegen, weil sie jenen das Christenthum bringen wollen. Die Heiden, die übrig bleiben, haben nun freilich das Christenthum, aber in welcher Weise! Kann es ihnen irgend etwas fruchten, wenn sie es aus den Händen von Bösewichtern bekommen? Es ist weder dichterisch noch dramatisch erlaubt, das Christenthum durch Schurken vertreten zu lassen, weil man seine siegreiche Gewalt zeigen will. Die ältern Franzosen argumentirten gerade umgekehrt; sie nahmen aus der Reinheit der Naturvölker und der Nichtswürdigkeit der 211 Christen ihre Einwände gegen das Christenthum her. Und wird denn das Heilige durch eine solche Behandlung nicht am Ende selbst profanirt?



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