Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

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Die Katastrophe von 1848 machte einen Abschnitt in seinen letzten Lebensjahren. Die Verhältnisse und Kreise, in denen er zuerst gestanden hatte, waren dadurch zum großen Theil aufgelöst worden. Anderes, was ihn persönlich berührte, war hinzugekommen. Schon 1843 hatte sich seine zweite Tochter nach Schlesien verheirathet, 1847 war die langjährige Freundin seines Hauses, die Gräfin Finkenstein, gestorben. Er, für den Gespräch und geistiger Verkehr eine Nothwendigkeit geworden, war jetzt allein, und saß manche Stunde einsam unter seinen Büchern. Die Pflege und Hülfe, deren er in jedem Augenblick bedurfte, übernahm nun eine treue Haushälterin, welche seit mehr als fünfundzwanzig Jahren seinem Hause angehörte.

Je weniger es die oft lang anhaltende körperliche Abspannung erlaubte, seine Freunde aufzusuchen, um so lieber versammelte er sie in jedem günstigen Augenblicke um sich. Häufig geschah es Mittags, und wenn seine Stimmung irgend heiter war, so belebte er durch anmuthigen Witz und manche Mittheilungen aus seinem Leben die Unterhaltung. Die vieljährigen Leiden und das Alter hatten seine innerste Kraft angegriffen, aber nicht vernichtet. Das bewiesen die dramatischen Vorlesungen, die er auch jetzt noch fortsetzte. Sie waren ihm geistiges, fast auch körperliches Bedürfniß geworden. Er konnte die lange Gewohnheit nicht missen, und die Anstrengung eines drei- bis vierstündigen lauten und affectvollen Vorlesens vertrat zuletzt die Stelle körperlicher Bewegung, welche er ganz aufgegeben hatte. Freilich mußte er sich engere Grenzen ziehen als früher. Der Kreis der Zuhörer 121 war kleiner geworden; selten waren es mehr als zehn oder zwölf Personen, meistens nähere Freunde, von denen manche wie sein Bruder stehende Gäste waren. Doch fanden sich auch Fremde ein, und oft waren es die berühmtesten Männer. In der Wahl des Stückes richtete er sich häufig nach den Wünschen der Anwesenden. Nur eines verweigerte er entschieden, Tragisches oder Shakspeare zu lesen; dazu reiche seine Kraft nicht mehr aus, auch greife es ihn innerlich zu sehr an. Er beschränkte sich daher auf Komisches; die Lustspiele von Schröder und Holberg, Goethe's kleinere Singspiele und seine eigenen satirischen Dramen lagen ihm zunächst. Bisweilen zog er auch eine Novelle oder seine Briefe vor. Noch las er mit alter Meisterschaft; an diesem kräftigen, vollen Tone hätte Niemand den siebenundsiebzigjährigen Mann erkannt. Wer ihn wenige Male auch nur diese leichtern Stücke lesen hörte, wie er beinahe alle mimische Mittel, die der gewandte Vorleser zu brauchen pflegt, verschmähte, mußte bald erkennen, daß das Geheimniß seines Lesens auf einer ganz andern Stelle zu suchen sei. Der Dichter that mehr als der Vorleser, den oft verblaßten Gestalten hauchte er Leben ein, und indem er las, schaffte er dichterisch von neuem; wie die einzelnen Charaktere ward das Ganze in ihm lebendig. Es gab eine einfache Probe. Wer später im Buche nachlas, was er zuerst aus seinem Munde gehört hatte, erkannte es nicht wieder, und fand nur todte und langweilige Buchstaben, wo er vorher Leben und Bewegung gesehen und gehört hatte.

Nichts war ihm lieber als mit zwei oder drei Freunden allein zu sein. Das unbefangene, ruhige, eindringende Gespräch zog er jeder bewegtern Unterhaltung vor. Den wahren Austausch der Gedanken, die Wechselwirkung der Geister wollte er. Kaum mag es je einen größern und zugleich 122 liebenswürdigern Meister des Gespräches gegeben haben. Es war ihm ein Zauber eigen, dem auch entschiedene Gegner selten zu widerstehen vermochten, wenn sie in seine Nähe kamen. Alle seine Freunde, in welchen Lebensperioden sie auch mit ihm verbunden sein mochten, haben diese Gewalt kennen gelernt. Es war nicht das lebendige, leicht und anmuthig fließende Wort allein, welches diesen Eindruck machte, es war sein bald tiefsinniger, bald humoristischer Inhalt, diese geistige Durchsichtigkeit, die Bewegung, welche man überall fühlte und die sich dem Zuhörer mittheilte. Was er erzählte, auch das Kleinste, gestaltete sich zum anschaulichen Bilde, zu einer mündlichen Novelle.

Doch nur zum Theil lag der hohe Reiz dieser Unterhaltungen in dem, was er im Zusammenhange gab, vielmehr darin, wie er die Gedanken des Mitsprechenden aus der Tiefe der Seele hervorzuholen wußte. Kann man von einer Sokratischen Kunst reden, die dunkel geahnten Gedanken Anderer zur Klarheit zu bringen, so besaß er sie, aber nicht als angelernte, sondern als angeborene Kunst. Da war nichts von Ueberhebung, von drückender oder abweisender Vornehmheit, nichts von Bevormundung und gemachter Würde. Mit ungetheilter Aufmerksamkeit folgte er der Gegenrede. Ohne Empfindlichkeit hörte er Ansichten, welche den seinen entschieden widersprachen, ja er forderte dazu heraus. Auf jeden Einwand und leisen Zweifel ging er ein. Er erwog ihn, gewann ihm überraschende Seiten ab, und baute daraus eine Brücke, auf der das Gespräch sich weiter bewegte, und jenseits that sich eine neue, vorher nicht geahnte Gegend auf. Unterredungen, in denen ihm Befangenheit oder Phlegma nur beistimmte, langweilten ihn, machten ihn verlegen, verdrießlich und endlich stumm. Dieselbe Wirkung hatte auch das unruhige Durcheinander der gewöhnlichen Unterhaltung, 123 wo jeder nur spricht um sich selbst zu hören. Manche Besucher glaubten sich vor ihm in die beste geistige Toilette werfen zu müssen, erhitzten sich, wollten genial erscheinen, und überschütteten ihn mit langen Auseinandersetzungen fertiger Gedanken. Nichts brachte ihn sicherer zum Schweigen als das. Sein Gespräch belehrte, hob und befreite unmerklich; in diesen geistigen Regionen fühlte man sich zu eigenem Erstaunen fähiger, klarer, kräftiger.

Es wirkte schon anregend, ihm während er sprach, in das geistvoll bewegte Gesicht zu sehen. Auf dieser hoch gewölbten, glänzenden Stirn sah man die Gedanken aufsteigen; schwarze anliegende Haare bedeckten noch den Hinterkopf bis zum Scheitel. Eine unergründliche Tiefe schien sich in den großen, dunkeln braunen Augen zu öffnen, aus denen bald die Schwermuth, bald die Schalkheit hervorblickte. Hier ruhte der Zauber des Phantasus neben der Ironie der Novelle. Die Nase war edel, etwas langgezogen, der Mund anmuthig, er hatte einen weichen, fast weichlichen Ausdruck. Bei der Beweglichkeit der Züge war das Gesicht der unmittelbare Spiegel jeder Stimmung; sie wechselten mit den Gedanken, die ihn beherrschten. Oft schien es kaum dasselbe Gesicht zu sein. Wenn er das Kinn mit Zeigefinger und Daumen der rechten Hand stützend, unbeweglich saß und sinnend in sich hineinschaute, wurde man unwillkürlich an einen ruhenden alten Löwen erinnert. Dann trat auch die Aehnlichkeit mit den Porträts Napoleon's aus dessen späterer Zeit, etwa mit denen von Vernet, überraschend hervor. Dagegen ging ein helles Licht über seine Züge, sie nahmen einen schalkhaft graziösen Ausdruck an, wenn er einen ironischen Gedanken verfolgte, oder dessen Eintritt und Wirkung erwartungsvoll vorhersah. Sein Lächeln hatte etwas Glänzendes; er lachte gern, aber nichts verabscheute er mehr als den Ton 124 des rohen Gelächters, das ihm als Zeichen höchster Unbildung galt. Fühlte er sich matt und leidend, so veränderte sich die Scene völlig; wie ein trüber Schleier lag es auf seinem Gesicht, die Züge hängend, der Mund schlaff und heruntergezogen. Doch selbst in der Krankheit reichten wenige Minuten der Unterhaltung, ja ein treffendes Wort hin, ihn zu erwecken; man kannte ihn nicht wieder, sobald er geistig Theil nahm.

Die Umgebung, in welcher man sich bei ihm befand, machte den behaglichsten Eindruck. In den letzten zehn Jahren seines Lebens wohnte er in einem ältern geschlossenen Hause in der Friedrichstraße 208. Auf der Hausflur und der breiten Treppe herrschte noch die bequeme Raumverschwendung früherer Zeiten. Das Geländer der Treppe lief in eine kolossale Lyra aus, auf welche der Blick des Eintretenden zuerst fiel. Seine Wohnung war weitläufig, die ganze Zimmerreihe eines Stockwerkes hatte er inne. Schon seine große Bibliothek erforderte einen bedeutenden Raum; Bücher waren sein Hauptbesitzthum, und ein Hauptschmuck der Zimmer. Bis zur Decke hinan erfüllten sie die Wände. Die seltenern waren in dem eleganten Salon aufgestellt, in welchem er Abends die Vorlesung hielt. Hier war Alles einladend, nichts prahlerisch, oder überladen. Auf Repositorien und freien Postamenten standen die Büsten Holberg's, F. H. Jacobi's, Solger's und seines Bruders Friedrich, über dem Sopha hing sein eigenes lebensgroßes Bild von Stieler. Im Studirzimmer umgaben ihn die Bücher, mit denen er sich vorzugsweise beschäftigte. Alles war auf Bequemlichkeit berechnet; Lehnstühle von verschiedenen Formen und Größen waren hier vertheilt. Ueber dem Schreibtisch hing das jugendliche Gemälde von Novalis, welches E. von Bülow wiederaufgefunden hatte, daneben ein Gypsmedaillon 125 Wackenroder's, eine der ersten Arbeiten seines Bruders, auf der andern Seite ein Bild seiner Tochter Dorothea. Außerdem sah man einige Kupferstiche nach Rafael und aus der Boisserée'schen Sammlung.

In der Regel fand man ihn im schwarzen Sammetrocke hinter einem niedrigen Tischchen, das mit Papieren bedeckt war, im Lehnstuhl sitzen. Fremde empfing er stehend, und wer ihn nicht kannte, folgte den Bewegungen der gebeugten Gestalt mit Besorgniß; doch diesen Eindruck vergaß man, sobald er im Stuhle aufrecht saß. Für den befreundeten Besucher war schon sein gewöhnlicher Gruß, »Ah, da sind Sie ja, lieber Freund!« der helle Blick, die Handbewegung, womit er ihn begleitete, erheiternd. Man setzte sich und das Gespräch begann.

Es ist mehr als einmal bemerkt worden, daß in seiner Haltung sich eine ruhige und bequeme Vornehmheit ausgesprochen habe, ein aristokratischer Zug, durch den der Besucher sich bald angezogen, bald abgewiesen fühlte. Es war eine Vornehmheit im edelsten Sinne des Wortes, welche der Ausdruck der wahren Durchbildung und des Seelenadels ist. Eben darum ist sie Vornehmheit, weil sie äußerlich weder angeeignet noch auch verloren werden kann. Daher das wohlthuende Gleichmaß im Thun und Lassen, seine Sicherheit, niemals die Grenzen des Erlaubten und Ziemlichen zu überschreiten. Zeichen der Unbildung und Roheit machten ihn scheu und verstimmt. Zu den ungeselligen und übeln Angewohnheiten rechnete er auch das Tabackrauchen, das er bei Freunden nur widerwillig ertrug. Er schilderte es als ein verderbliches Laster, und kämpfte mit allen ästhetischen und moralischen Gründen dagegen, der unausbleibliche Raucherzug um den Mund gebe jedem Gesichte einen rohen Ausdruck, ihn selbst mache der Rauch krank u. s. w. Wie 126 unzertrennlich die feine Form von seinem Wesen war, spricht er charakteristisch in einem Briefe aus, den er 1825 von Wien nach Hause schrieb: »Vornehm und reich, heißt es hier, können nicht Alle sein, aber was ich begehre, kann auch der Geringste sich verschaffen, die Entfernung alles Widerwärtigen, Gemeinen, was uns das Leben so erbärmlich erscheinen läßt. Noch im Gefängniß und in Ketten wird man den Gentleman vom gemeinen Menschen unterscheiden können, – Ueber jene Bosheit der Menschen und alle Schlechtigkeit will ich bald hinwegkommen, weil es mich nur berührt, soviel ich davon zulassen will; aber jene Kläglichkeit und Gemeinheit, die sich im Sitzen und Stehen, Gähnen und Sprechen, Schweigen und Schwatzen, Essen und Trinken kundgibt, kann mich so elend machen, weil es sich mir immerdar aufdrängt, daß es mein ganzes Leben zerstört. – Gute Erziehung, Feinheit des Betragens ist mir immer das nothwendigste Element gewesen, um nur zum Bewußtsein zu kommen, daß ich eine Seele im Leibe habe.«

Auch wer es aus seinen Dichtungen nicht gewußt hätte, würde aus jeder Unterredung, die über die nächsten Grenzen hinausging, erkannt haben, daß es in ihm eine geheimnißvolle, dem gewöhnlich Verstandesmäßigen abgekehrte Seite gab. In plötzlich aufleuchtenden Geistesblitzen und Anschauungen, in Ahnungen und Träumen, sah er eine höchste, und darum räthselhafte geistige Macht.

Auf Träume gab er viel. Er meinte, statt sie zu verlachen, solle man mehr auf sie achten; in ihnen kämen verborgene Seiten der menschlichen Natur zum Vorschein, die für den nüchternen Verstand des Tages gar nicht da seien. Von sich selbst, der im Leben der Humanste und Gutmüthigste war, behauptete er, in Träumen sei er schadenfroh, ja diabolisch grausam und blutdürstig, sodaß ihn 127 in der Erinnerung daran ein Grauen erfasse. Wirklich waren sie noch in spätern Jahren entsetzlich, und wiederholten sich oft, genau in derselben Gestalt, mehrere Nächte hintereinander. Eine Zeit lang wurde er durch einen kalten Luftzug geweckt, der über die Augen hinstrich. Er blickte auf, sah das Zimmer erhellt und an seinem Bette drei leichenhafte Mönchsgestalten, die soeben dem Grabe entstiegen schienen. Jedes Mal wurde er von Fieberschauern ergriffen. Doch hatten seine Träume auch einen sehr bestimmten geistigen Inhalt. Als er Correggio's Gemälde kennen lernte, konnte er ihre gepriesene Trefflichkeit nicht einsehen, und mühte sich vielfach um ihre Auffassung. Da träumte er, er sei auf der Galerie, der Meister selbst träte zu ihm, und rede ihn kurzweg mit den Worten an: »Bist du nicht ein dummer Mensch, das Treffliche nicht zu erkennen?« Darauf habe er ihn vor die Gemälde geführt, und ihm ihre Schönheit eröffnet. Er erwachte, und voll von diesen Gedanken, konnte er die Zeit des Eintritts in die Galerie kaum erwarten. Sogleich eilte er zu Correggio's Gemälden. Wie ein Blitz leuchteten sie ihm entgegen, die Augen waren ihm aufgegangen, und seit der Zeit war er ihr größter Bewunderer. Auch hier spielte Shakspeare eine große Rolle. Einmal entdeckte er im Traume ein neues, völlig unbekanntes Stück desselben; deutlich bis ins Einzelne hinein lag es vor ihm, es war vortrefflich. Wie verstimmt war er, es beim Erwachen seinen Händen entschwunden zu sehen, und sich keines einzigen Wortes entsinnen zu können. Dann war er gestorben. Die erste Frage in jener Welt war, wo er Shakspeare, den Vielbewunderten, treffe. Man antwortete ihm, der große Geist sei nicht mehr hier, sondern in einer noch höhern Welt zu suchen, er aber werde ihn schwerlich jemals erreichen. So habe er ihn von Stufe zu Stufe vergebens verfolgt.

128 Dieser mystischen Seite gehörte auch der Zahlenaberglaube an, den er sich öfter scherzend vorwarf. Vor den Zahlen 7 und 9 hatte er eine dunkle Furcht, in deren humoristischer Ausmalung er sich gefiel.

Er lebte in der Welt der Phantasie und Anschauung. Lange konnte er lautlos sitzen, und der Bewegung seiner Gedankenwelt und den auftauchenden Gestalten zuschauen. In solchen Augenblicken war er dichterisch am thätigsten; er producirte innerlich, wenn er äußerlich unthätig schien. Freilich hatte dieses Versinken oft auch andere Ursachen. Fast mit periodischer Regelmäßigkeit kamen Zeiten, in denen die alte Schwermuth ihn immer wieder ergriff, wo ihn Muthlosigkeit, ein Verzweifeln an sich und seinen Kräften, und wahrer Lebensüberdruß überfiel. Er klagte, seine Seelenkräfte seien dann wie erlahmt, die Fäden seines Innern zerrissen. Jede Störung war ihm unbequem, und es war fast unmöglich, ihn diesen Krisen zu entziehen. Er fuhr jähzornig auf. Er schalt sich selbst, daß in jüngern Jahren oft eine blinde Wuth wie eine unwiderstehliche Gewalt über ihn gekommen sei, von der er sich nur mit Mühe, und immer noch nicht ganz frei gemacht habe. Der geheimnißvolle Instinct stand ihm überall obenan, er lauschte auf seine Stimme und wartete darauf, mitunter auch da, wo das Leben zur That drängte.

Mit dieser Eigenthümlichkeit hing es zusammen, daß er sich vor jedem unmittelbaren und entscheidenden Handeln scheute. Ebenso wenig liebte er ein abwägendes, verstandesmäßiges Ueberlegen. Selbst in kleinen Dingen vermied er nothwendige Entschlüsse solange als möglich, und endlich im Drange des Augenblicks that er nicht, was er wollte, sondern was er mußte. Selbst das Briefschreiben schob er Monate, in manchen Fällen Jahre lang hinaus, während er sich des 129 Lasters des Aufschiebens unaufhörlich bitter anklagte. Viele Unannehmlichkeiten seines Lebens flossen aus dieser Quelle, und ließen ihn vor der Welt ganz anders erscheinen, als er war, die ihn dafür durch schonungsloses Verurtheilen hart genug strafte.

Am heftigsten zürnten ihm jüngere Dichter und Schriftsteller, welche ihm zwei, drei Manuscripte nacheinander zusandten, und auf keines Antwort erhielten, während sie in verzeihlicher Autorenungeduld brannten, irgendein anerkennendes Wort aus dem Munde des Meisters zu hören. Sie sahen darin Laune, Geringschätzung, oder gar literarische Eifersucht, die unlautersten Beweggründe schoben sie ihm unter, und es war nur der Widerwille, sich seinen Gedanken zu entreißen, die Furcht, einen Brief schreiben zu müssen. Zu diesen Gegnern gehörte auch der unglückliche Skepsgardh, der das Wohlwollen, welches ihm Tieck bewiesen hatte, durch hämische Angriffe und Verdächtigungen in seinem Romane vergalt.

Ueberhaupt beurtheilten Fernstehende ihn oft falsch, und entwarfen sich nach einzelnen Zügen in seinen Schriften ein Bild, das mit der Wahrheit nichts gemein hatte. Man hielt ihn für scharf, absprechend, intolerant, oder auch für böswillig. Man hatte aber, wie er selbst darüber an Solger schrieb, das Unabsichtliche, Arglose, ja Leichtsinnige in den Dichtungen nicht herauserkannt.Tieck an Solger den 6. Jan. 1815 in »Solger's nachgelassene Schriften«, I, 331. Es war eben seine volle und reine Unbefangenheit, die man ihm nicht zutraute. Er konnte auch über Freunde scherzen, und Niemand stellte seine wahren Freunde höher als er; nur da könne man wahrhaft lieben, wo man das Menschliche auch in den Schwächen erkenne. Ebenso mit Recht sagte er, daß er die Schriftsteller, welche er früher angriff, niemals gehaßt habe.

Güte, ja Weichheit des Herzens waren Grundzüge 130 seines Wesens. Keiner Bitte, keiner Forderung, die seine Unterstützung in Anspruch nahm, vermochte er zu widerstehen. Ueberall war er bereit, mit Rath, Verwendung oder Geld zu helfen. Er ermüdete nicht, selbst einem häufig widerkehrenden, und mehr als dreisten Ansinnen zu genügen. Praktische Freunde suchten oft zu seinem Vortheile dieser Wohlthätigkeit ein Ende zu machen. Aber er selbst kannte die kleinlichen und drückenden Verlegenheiten, die das Leben bereitet, aus frühern Zeiten nur zu gut. Geld hatte nur als ein leidiges, aber unentbehrliches Mittel der gegenwärtigen Subsistenz Werth für ihn, darum gab er mit vollen Händen und ohne Berechnung, um der augenblicklichen Not Anderer abzuhelfen. Es ließ ihm innerlich keine Ruhe, bis er weggegeben hatte, was er selbst irgend entbehren konnte. Manchen alten Schulbekannten, manches darbende Talent befreite er aus der dringendsten Noth, ohne dafür Dank zu ernten oder zu erwarten. Großartig vergaß er, was er gethan hatte. Auch seinen Einfluß machte er zum Vortheile Anderer geltend, während er für sich selbst nichts wünschte.

Gegen äußere Ehren war er gleichgültig. Obgleich Inhaber des bairischen Civilverdienstordens pflegte er doch sarkastisch über Diejenigen zu lächeln, welche von dem persönlichen Adel, der damit verbunden ist, Gebrauch machten. Auf die Frage, welche Orden er habe, wußte er kaum zu antworten.

Bei der praktischen Beurtheilung der Menschen leitete ihn seine Milde in späterer Zeit mitunter irre. Der Herzenskündiger in der Novelle, vor dessen klarem Blicke die feinsten Schattirungen des Charakters und die Beweggründe des Handelns offen dalagen, übersah im Leben die augenscheinlichsten Mängel und Fehler. Unbefangen setzte er überall das Beste voraus; es war daher in gewöhnlichen Dingen leicht, diesen Glauben zu 131 täuschen und zu misbrauchen. Bis auf den letzten Augenblick hielt er an seiner guten Meinung fest, und in den Versuchen der Freunde, ihn aufzuklären, sah er übertriebenen Eifer oder gar Verfolgungssucht.

Wie das dichterische Talent wurzelte in seinem dämonischen Wesen manche andere Eigenthümlichkeit, ja Sonderbarkeit, die den außerordentlichen Menschen verrieth, der die gerade gezogenen Linien des Lebens unbewußt oder mit humoristischer Keckheit überschritt. Aus seiner Wandlungsfähigkeit ergab sich das schauspielerische Talent. Es war nicht allein die mimische, sondern die dichterische Kraft sich in die verschiedenen Stimmungen, Leidenschaften und Charaktere zu versetzen und sie wiederzugeben. Die Größe derselben hat Niemand treffender gewürdigt als Brentano, der in einem Briefe sagt: »Ludwig Tieck ist allein beauftragt, der Mimik ein Licht aufzustecken, da er das größte mimische Talent ist, was jemals die Bühne nicht betreten. Dieser Dichter, der als darstellender Künstler die Bühne zu einer Ehre gebracht haben würde, deren sich wenige diesseit oder jenseit der Lampen träumen, ist kein Schauspieler geworden, worüber Thalia und Melpomene mit inniger Beschämung trauern sollten, denn er hat den innersten Beruf und ein Talent zur Bühne, wie es sich alle Jahrhunderte einmal hinauf verirrt.«

Aus der Zeit des frühern Mannesalters wußten seine Freunde von den Wirkungen dieses Talents Staunenswerthes zu erzählen. Ergötzlich berichtet Steffens, wie er ein höchst drastisches Lustspiel: »Der Affe als Liebhaber«, improvisirt und in allen Rollen allein aufgeführt habe. Auf einem Stuhle sitzend oder liegend parodirte er zu allgemeinstem Jubel der Zuschauer die mimischen Darstellungen der Händel-Schütz als Sphinx oder Ariadne. Es kam vor, daß er in 132 den Kreis wohlbekannter Freunde trat, und in einem angenommenen Charakter längere Zeit sprach, ohne erkannt zu werden, oder daß er in der Menge zudrängender Menschen, etwa im Theater, von ihrer Seite fortgerissen schien, während er nur einen fremden Ausdruck des Gesichts angenommen hatte. Noch aus dem Jahre 1806, wo er durch Krankheit bereits geschwächt war, erzählt er in seinen italienischen Reisegedichten eine ähnliche List. Um in Rom einem lästigen Schwätzer zu entgehen, den er aus der Ferne heraneilen sah, erhob er seine Gestalt und änderte die Züge so vollständig, daß der Herzutretende stutzig ward, den Hut zog und ihn mit der Entschuldigung verließ, daß er sich in der Person geirrt habe.

Die Lust, mimisch zu agiren, zeigte sich auch in der Liebhaberei für Bleisoldaten. An diesem phantastischen Spiele nahm früher Bernhardi, später Dorothea Theil. Durch Kauf und Geschenk kam er in den Besitz eines bleiernen Heeres, für das eigene Kisten und Tische angefertigt werden mußten. Auch das war eine Selbstironie; während ihm im Leben das militärische Wesen zuwider war, unterhielt er sich mit den Abbildern desselben im Spiele. Die letzten Trümmer dieser großen Armee gab er in den Kindergesellschaften preis, welche er noch in Berlin ab und zu veranstaltete. Hier präsidirte er unter großem Freudengeschrei der Theilnehmer, und das Fest endete gewöhnlich damit, daß er »Rothkäppchen«, »Die Elfen« oder sonst ein Märchen vorlas.Brentano's Zeugniß über Tieck's mimisches Talent s. in Brentano's »Frühlingskranz«, S. 451, und das von Steffens »Was ich erlebte«, IV, 129, 132. Siehe auch das Gedicht »Der Ueberlästige«, »Gedichte«, III, 173.

Diesen Eigenthümlichkeiten stand ein anderes Element seines Charakters gegenüber, das er als angeborene Pedanterei und Philisterei bezeichnete. Es war ein heilsames Gegengewicht der dunkeln Naturkräfte, und seinen gelehrten Neigungen und Arbeiten verdankte er oft Zerstreuung und 133 Rettung in innern Kämpfen. Er behauptete, zu Zeiten Tabellen und registrirende Schriften mit dem größten Vergnügen angefertigt zu haben; schon das mechanische Schreiben sei ihm dann angenehm gewesen.

Zu den gelehrten Liebhabereien gehörte vor allen das Ankaufen und Sammeln von Büchern. Schon in Dresden war er im Besitze einer Bibliothek, die mit Recht berühmt genannt werden konnte, und deren Umfang endlich auf 16000 Bände stieg. Für alle Zweige der philologischen, historischen und dichterischen Literatur sammelte er, jedoch für keine mehr als für das Drama, und am liebsten für das altenglische und spanische. Er besaß eine bedeutende Anzahl sehr seltener Drucke Shakspeare's, Cervantes', Lope de Vega's und Calderon's, und eine fast vollständige Literatur dieser Dichter. Mit den namhaftesten Antiquaren und Buchhändlern stand er in Verbindung, und nie ließ er einen Freund nach Frankreich oder England reisen, ohne ihm Aufträge mitzugeben. Für den alten Druck eines dramatischen Werks war ihm kaum ein Preis zu hoch, und manches Vergessene brachte er durch seine wiederholte Nachfrage wieder in Gang. In früherer Zeit in Dresden besuchte er selbst die Bücherauctionen, die ihm zu einem Glücksspiele wurden, an dem er mit Eifer und Leidenschaft Theil nahm. Schon die Lectüre von Auctionskatalogen gewährte ihm besonderes Behagen. Auf dem Zimmer verfolgte er die Bücherauctionen in Halle oder Leipzig mit dem Katalog in der Hand, indem er sie sich dramatisch ausmalte, und im Stillen mitbot. »Jeder Mensch«, sagte er, »hat seine Narrheit und seinen Wahnsinn; ich bin ein unverbesserlicher Büchernarr.«

Zu seinem Vergnügen gehörte es auch, die Bücher stets nach neuen Gesichtspunkten zu ordnen oder durch seinen Diener ordnen zu lassen. Mehr als einmal drohte ihn die 134 Masse derselben aus der Wohnung zu verdrängen. Im Jahre 1849 ward er ihrer plötzlich überdrüssig. Was er Jahre lang umsichtig und sorgfältig gesammelt hatte, ward ihm zu einer Last, von der er je eher je lieber befreit zu sein wünschte. Ein namhafter Antiquar kaufte die Bibliothek und brachte sie zur Versteigerung. Mit Recht fürchteten seine Freunde, er werde den Eindruck der kahlen Wände nicht ertragen, und seine geliebten Bücher schmerzlich vermissen. Kaum war er die erste Bibliothek los geworden, begann er eine zweite zu sammeln, die in kurzer Zeit ebenfalls 11000 Bände betrug. Bei dieser Gelegenheit ward ihm ein neuer Beweis königlicher Huld zu Theil. Der König ließ eine bedeutende Anzahl der seltensten alten spanischen Drucke aus der ersten Bibliothek zurückkaufen, und überraschte ihn am nächsten Weihnachtsfeste mit diesem Geschenke.



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