Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

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Fünftes Buch.

Der Tod des Dichters.

1841–1853.

 

1. König und Dichter.

Friedrich Wilhelm IV. hatte die Regierung angetreten. Es war ein Ereigniß, dem man mit Spannung entgegengesehen hatte, und an welches sich eine neue geistige Bewegung knüpfte. Auch auf die gegenwärtigen Zustände der wissenschaftlichen und künstlerischen Welt konnte es nicht ohne Einwirkung bleiben. Bekannt war die persönliche Theilnahme, welche der König vornehmlich diesen Seiten des Lebens zuwandte. Man sah bedeutenden Veränderungen entgegen, und hörte, daß er die berühmtesten Männer, welche die deutsche Wissenschaft und Kunst aufzuweisen hatte, in Berlin um sich zu versammeln gedenke.

Kein Augenblick war günstiger, um auch an Tieck zu erinnern, und die oft besprochene Rückberufung nach seiner Vaterstadt endlich durchzusetzen. Man wußte, daß der König schon in früherer Zeit sich über seine Dichtungen mit voller Anerkennung ausgesprochen hatte, daß er in ihm den letzten großen Vertreter einer glänzenden Literaturperiode sehe, und an dem Menschen keinen geringern Antheil nehme als an dem Dichter. Schon im Sommer 1840 hegten Tieck's Freunde in Berlin den Wunsch, daß diese Umstände zu einer Veränderung seiner Stellung führen möchten. Soeben hatte er die »Vittoria Accorombona« geendet. Es schien 104 angemessen, daß er den neuesten Roman dem Könige als Zeichen der Huldigung gerade in dieser Zeit übersende. Da er dessen günstige Gesinnungen kannte, überwand er die natürliche Scheu, welche ihn von allen Schritten der Art zurückgehalten hatte, um so eher. Es war das erste Mal, daß er eine seiner Dichtungen einem regierenden Fürsten überreichte. Aber dieser Fürst war der König seines Vaterlandes und ein Bewunderer seiner Poesie.

Zugleich hatte der König selbst den Gedanken gefaßt, Tieck wenn nicht dauernd zu berufen, ihn doch als Gast an seinen Hof einzuladen. Schon im August machte der preußische Gesandte in Dresden, Jordan, in diesem Sinne Eröffnungen. Die Frage war nur, ob Tieck bei seiner Kränklichkeit das ruhigere Leben in Dresden mit einem längeren Aufenthalte am Hofe in Sanssouci werde vertauschen können; ob die mannichfachen Verhältnisse, in denen er zu Sachsen stand, dies überhaupt verstatten würden. Der König entschied in der edelsten Weise. Er wollte ihm keinen Zwang, am wenigsten auf Kosten der Gesundheit, auferlegen; nur seine äußere Lage wünschte er günstiger zu gestalten. Die nächste Absicht war, ihm zu der sächsischen Pension eine jährliche Zulage zu geben; erlaube es seine Gesundheit, so solle er zum Besuch nach Sanssouci kommen, wo im Schlosse eine passend eingerichtete Wohnung bereit stehen werde. Man werde seine Zimmer mit den Bildern älterer Dichter und Meister schmücken, und in jeder Weise für ihn Sorge tragen. Es war die wohlwollendste königliche Gesinnung, die humanste Rücksicht, welche ihm überall entgegenkam, und ihm noch jetzt das Leben erfreulicher zu gestalten wünschte. Tieck selbst fühlte sich schon in näherer Beziehung zu den neuen Zuständen. Als man am 15. October das Huldigungsfest und zugleich den Geburtstag des Königs feierte, 105 verfaßte er für die glänzende Vorstellung im Opernhause den Festprolog.

Im Winter endlich nahten die Dinge einem ersten Abschlusse. Bei seiner Anhänglichkeit an hergebrachte und gewohnte Verhältnisse möchte er sich vielleicht doch nur schwer entschlossen haben; aber Eins gab den Ausschlag, der Tod seiner Tochter Dorothea. Tief erschüttert durch die Leiden der letzten Zeit, richtete er sich allmälig an dem Gedanken der neuen Aussicht wieder auf, welche sich ihm unerwartet im Alter eröffnet hatte. Er wünschte seinen bisherigen Wohnort wenigstens auf einige Zeit zu verlassen; er mußte sich mit dem Leben von neuem befreunden. Die Einladung, welche er wenige Tage nach dem Tode seiner Tochter erhielt, war entscheidend. Der König wünschte die Darstellung einer griechischen Tragödie auf dem Theater des Neuen Palais in Potsdam; Tieck als bühnenkundige Autorität erhielt die Aufforderung, sie durch Rath und That zu unterstützen, und mit andern gelehrten Männern des Fachs leiten zu helfen.

Zunächst aber bedurfte er der Stärkung. Er hoffte sie wieder in Baden-Baden zu finden. Im Mai reiste er ab. In Heilbronn verweilte er einige Zeit bei Kerner, dann in Baden; im Sommer kehrte er zurück. Als er durch Heidelberg kam, in dessen Nähe er auf der letzten Reise jenen fast tödtlichen Unfall gehabt hatte, brachten ihm die Studenten ein Lebehoch und einen Fackelzug. Endlich traf er in Sanssouci ein.

Der König empfing ihn huldvoll. Er wünschte vor allem einen freien, ungezwungenen geistigen Verkehr, und freie Bewegung allein konnte diesen gewähren. Tieck sollte zu nichts verpflichtet sein, und sich nur als befreundeten Gast ansehen. Ohne die üblichen Förmlichkeiten sollte er, so oft es seine 106 Gesundheit erlaube und so oft er wolle, an der königlichen Tafel, wie des Abends in den engern Kreisen erscheinen.

Er fühlte sich kräftig genug, noch einmal in ein neues Leben, welches königliche Gunst ihm bot, einzutreten. Ein Verhältniß entwickelte sich, welches den edelsten dieser Art an die Seite gesetzt werden kann. Hier ging in der That der Dichter mit dem König. In den freien Unterhaltungen, deren Mittelpunkt nur die höchsten Interessen bildeten, herrschte ein unbefangenes Geben und Nehmen. Nächstdem machten auch hier Tieck's Vorlesungen, die eine Zeit lang regelmäßig fortgesetzt wurden, den größten Eindruck. Er las die »Antigone«, dann Tragödien des Euripides und Shakspeare, oder auf Verlangen seine eigenen Dichtungen.

Auch zu einer bestimmten Thätigkeit kam es. Es sollte der Versuch gemacht werden, die »Antigone« durch eine Darstellung dem Verständnisse der Gegenwart näher zu bringen. Nicht das Stück in seiner tragischen Wirkung allein, auf der antiken Bühne sollte es hergestellt werden. Es war eine großartige Studie des Alterthums. Nachdem Tieck die Tragödie mehrere Male nach der Uebersetzung von Donner vorgelesen hatte, begannen mit den dazu auserlesenen Schauspielern Einstudirung und Proben. Felix Mendelssohn hatte die Chöre componirt, die Herstellung der Bühne war nach den Angaben von Böckh versucht worden. Am 28. October fand die Aufführung im Neuen Palais zu Potsdam in einem Kreise eingeladener Zuschauer statt. Sie gelang über Erwarten gut; die Wirkung war eine so großartige, so unbedingt für sich selbst sprechende, daß man es später unternehmen konnte, die Tragödie vor dem großen Publicum zu wiederholen. Auch hier bewährte sich die Gewalt des antiken Dichters.

Tieck's nächste Aufgabe war jetzt erfüllt. Mit dem 107 Beginn des Winters kehrte er nach Dresden zurück. Zugleich aber zeigte sich, es war nicht möglich, dieses doppelte Verhältniß zu Dresden und Berlin dauernd aufrechtzuerhalten, sich zwischen beide zu theilen und Pflichten und Rücksichten gegen zwei Höfe zu erfüllen. Tieck's Natur war auf nichts weniger als auf einen Hofmann angelegt. Schon seine Gesundheit, sein Alter, geistige und körperliche Lebensweise machten es unmöglich. Er fühlte jetzt erst, wie viel ihn an Dresden fessele. Es war die Gewohnheit von fast einem Vierteljahrhundert; die reichsten und ruhigsten Jahre des Lebens hatte er hier zugebracht. Die freundschaftlichen und künstlerischen Verbindungen, selbst die Erinnerung waren Mächte, die ihn hätten halten können. Auf der andern Seite bot sich die Aussicht auf ein zwar ungewohntes, aber inhaltvolles und durchaus sorgenfreies Leben dar, vielleicht auf eine nochmalige bedeutende Wirksamkeit. Endlich war es seine Vaterstadt, in der ihm dies geboten wurde, wo er seinen Bruder, Raumer und noch manchen Freund wiederfand. Nach vierzigjähriger Abwesenheit in Folge des ehrenvollsten Rufes zurückzukehren, hier wieder heimisch zu werden, nachdem er so lange ein Fremdling gewesen war, darin lag eine innere Ausgleichung und Gerechtigkeit, ein künstlerischer Abschluß seines Lebens. Auch das war von Bedeutung und der Berücksichtigung wol werth.

Im April 1842 erfolgte eine zweite Einladung zum Besuche in Sanssouci, welche einer förmlichen Berufung gleichkam. Ein bedeutendes Jahrgehalt wurde verheißen, und nur im Allgemeinen der Wunsch ausgesprochen, Tieck möge sich des Theaters annehmen, und in Verbindung mit dem Intendanten der königlichen Schauspiele Mittel und Wege berathen, wie der gesunkenen Bühne aufzuhelfen sei. Für gewisse Stücke, namentlich Shakspeare's, sollte er völlig freie 108 Hand behalten, sie sollten ganz nach seinen Anordnungen dargestellt werden. Er beschloß dem ehrenvollen Rufe zu folgen, und ging für den Sommer nach Sanssouci. Hier wurden ihm neue Anerkennungen zu Theil. Schon früher hatte ihm der König den Rothen Adlerorden dritter Classe und den Titel eines Geheimen Hofraths verliehen. Um diese Zeit war der neue Orden für Verdienst in Wissenschaft und Kunst gestiftet worden, dessen geschlossene Mitgliederzahl nur die hervorragendsten Notabilitäten umfassen sollte. Am 31. Mai, dem Geburtstage Tieck's, überreichte ihm der König persönlich in einer Versammlung im Neuen Palais die Decoration dieses Ordens. Ein Jahr früher hatte ihm Guizot das Kreuz der Ehrenlegion übersandt.

Im September kehrte er zum letzten Male nach Dresden zurück, um Abschied zu nehmen und sein Hauswesen aufzulösen. Der große Umfang seiner Bibliothek erschwerte die Uebersiedelung nicht wenig. Endlich war man so weit. Aber den Eintritt in das neue Leben mußte er mit Krankheit erkaufen. Auf der Reise wurde er von einem Schlaganfalle getroffen. Noch erreichte er Potsdam, aber sein Zustand schien lebensgefährlich. Die Sprache versagte ihm und die rechte Seite war gelähmt. Ein langwieriges Krankenlager folgte. Erst in den nächsten Monaten wurde er hergestellt, doch blieb eine Schwäche in der Hand zurück, die zu Zeiten das Schreiben erschwerte. Vor Ablauf des Jahres 1842 konnte er indeß die Winterwohnung in Berlin beziehen.

In der Folge wurde ihm auf Befehl des Königs eine eigene Wohnung in Potsdam eingerichtet. Sie war in einem Hause vor dem Brandenburger Thore, das unmittelbar an der Hinterseite des Parks von Sanssouci und nicht fern vom Schlosse lag. Ueber der Thür war die Gestalt einer Muse 109 nach einem Modell von F. Tieck angebracht. Hier erholte er sich vollständig. Es war für ihn eine schöne Zeit; Poesie, Natur, und dieses Mal auch die weltliche Ehre, nahten ihm vereint. Der Schein eines glänzenden Abendroths ging über sein Leben dahin. Berathungen über künstlerische Fragen, Vorlesungen der Lieblingsdichter wechselten mit Gespräch und Geselligkeit. Auch an den Lustpartien des Königs in der Umgegend Potsdams und auf der Havel nahm er Theil. Er erfuhr die mannichfachsten Beweise königlicher Huld. Bis auf den Stuhl, auf dem er saß, und den Mantel, den er trug, erstreckte sich die vorsorgliche Rücksicht auf sein Alter und seine Gesundheit. War er unwohl, so geschah es, daß der König selbst ihn in seiner Wohnung besuchte. Da auch ein Wagen zu seiner Verfügung stand, so lernte er jetzt die anmuthigen Havelufer nach langer Entfremdung von neuem kennen.

Hier traten die Bilder der frühesten Jugend wieder hervor. In den Havelgegenden lebten die Verwandten seiner Mutter, und länger als funfzig Jahre war es her, daß er als wandernder Schüler in diesen Waldungen und Hügeln umhergestreift war. Er erinnerte sich jener verklungenen Gefühle und Rührungen, die ihn damals erfüllten, und der Menschen, welche sie mit ihm getheilt hatten. Zu diesen gehörte ein Freund, wie er ihn zu jener Zeit nannte, der Sohn des Schulmeisters in Lehnin, den er als Knabe häufig besuchte. Später heirathete dieser eine Tochter von Tieck's mütterlichem Oheim, aber nie hatte er von ihm etwas gehört; er wußte nicht, ob er noch am Leben sei. Jetzt erfuhr er, der Jugendgenosse lebe noch, und sei ebenfalls Schulmeister in Lehnin. Er beschloß ihn aufzusuchen.

Es erregte nicht wenig Aufsehen, als der königliche Wagen erschien, und die darin Sitzenden nach dem Cantor 110 Hinneberg fragten. Bei dem Superintendenten stieg Tieck ab, und durch diesen wurde der alte Schulmeister citirt. Voll Erwartung, was eine so außerordentliche Vorladung zu bedeuten habe, kam er. Welch ein Wiedersehen war es! Es war ein alter, stumpf gewordener Mann, der bei der Verwunderung stehen blieb, daß der Herr Superintendent ihn habe rufen lassen. Es überraschte ihn nicht, unvermuthet einen Jugendfreund zu finden, obgleich er nie wieder von ihm gehört hatte; er wußte nichts von seinen Dichtungen, nichts von seinem Ruhme, nichts von der Rückkehr nach Potsdam. Als er von Tieck's Stellung beim Könige hörte, und daß er ihm vorläse, erregte es nur sein Staunen, daß Tieck bei so vorgerücktem Alter feinen Druck zu lesen im Stande sei; er selbst habe das längst aufgegeben und beschränke sich nur noch aufs Grobe. Im engsten Raume war sein Leben verflossen, für Alles, was darüber hinauslag, hatte er Sinn und Kraft verloren, oder nie besessen.

Aehnliche Gefühle bewegten Tieck, als um dieselbe Zeit auch die Erinnerung an seinen ältesten Jugendfreund Piesker wieder auftauchte. Auf jenes erste Wiedersehen in Dresden war eine lange Pause gefolgt. Dann hörte er einmal, der Freund sei gestorben. Jetzt brachte ihm ein Mitglied von Piesker's Familie die Nachricht, er lebe noch, habe aber seinen Abschied genommen. Mehrere Briefe von ihm selbst bestätigten es gleich darauf. Zum zweiten Male war es eine erschütternde Freude, welche ihn bei dieser Auferstehung, wie er es nannte, erfüllte. Da er gerade damit umging, für seine Denkwürdigkeiten zu sammeln, so forderte er den Freund auf, ihm Alles zu schreiben, was er von ihrem jugendlichen Zusammenleben noch wisse. Doch lächeln mußte er, als jener ihm nicht nur mancherlei Notizen schickte, sondern auch den gutgemeinten Vorschlag machte, da sie jetzt 111 beide Zeit genug hätten, die vor mehr als funfzig Jahren begonnenen Tragödien gemeinschaftlich zu beenden. Es war in der That eine Rückkehr in die Kindheit, welche das ganze dazwischenliegende Leben und die Kluft vergaß, welche das Talent des Dichters von dem engen Sinne des Kleinbürgers trennte. Wohl mochte Tieck sein Geschick trotz aller Leiden preisen, welches ihn über die staubigen Heerstraßen auf die freien Höhen des Lebens gehoben hatte.



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