Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

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11. Der Abschied.

Ludwig gehörte kaum mehr der Schule an. Die Schranke, welche ihn von seinen Lehrern trennte, war zum Theil durch einen gleichstellenden Umgang aufgehoben, er selbst hatte sich als Schriftsteller versucht. Die Lehrjahre waren abgelaufen; er konnte freigesprochen werden. Vier Jahre hatte er in der obersten Classe der Lehranstalt zugebracht. Es waren vielleicht an innerer Entwickelung die reichsten seines Lebens. Als Knabe war er eingetreten, jetzt war der Dichter des »Abdallah« und »Lovell« vollendet.

Die meisten seiner Freunde hatten die Schule früher verlassen. Nur Wackenroder war ihm noch geblieben. Endlich schickten sie sich an, Ostern 1792 als sogenannte Abiturienten das Gymnasium zu verlassen. Zu besonderer Auszeichnung hatte Gedike die feierliche Abschiedsrede, in welcher der scheidende Zögling seine Pietät gegen die Lehranstalt auszusprechen pflegte, Wackenroder übertragen. So natürlich ein solcher Dank war, so widrig erschien der Ton persönlicher Schmeichelei, der in diesen Reden üblich geworden war. Ludwig hatte seinem Freunde gesagt, er werde es hoffentlich verstehen, seine Dankbarkeit anders auszusprechen. Es sollte von den Verdiensten der Griechen um die Wissenschaften geredet werden, und wirklich suchte Wackenroder in seinem Entwurfe einfachere und natürlichere Ausdrücke des Dankes zu gebrauchen. Wie aber erstaunte er, als er sah, daß Gedike, dem er die Rede zur Censur überreicht hatte, die herkömmlichen Wendungen und Lobpreisungen mit eigener Hand eingeschaltet hatte.

Dem Willen seines Vaters gemäß mußte Wackenroder einen Bildungsgang einschlagen, der nicht der gewöhnliche 125 war. Er sollte die Rechte studiren, obwol seine volle Neigung der Kunst gehörte. Alles, was mit dieser zusammenhing, ergriff er mit tiefster, sehnsüchtigster Innigkeit, während er sich den strengeren Wissenschaften gegenüber verschlossen zeigte. Darum mochte es dem Vater trotz Gedike's glänzender Abschiedscensur gerathen erscheinen, ihn noch ein Jahr lang durch Privatunterricht für die Universität vorbereiten zu lassen. Neben dem juristischen Fache blieben die allgemeinen Wissenschaften nicht unberücksichtigt. Der Prediger Erduin Julius Koch, der gelehrte Kenner der altdeutschen Literatur und Verfasser des bekannten »Compendiums«, hielt Wackenroder Vorlesungen über deutsche Literatur, die für seine spätere Richtung von großer Bedeutung waren.Die charakteristischen Züge aus dem Schulleben Gedike's, des pädagogischen Reformators, die mitgetheilt worden sind, hat Tieck in einer Zeit, da er selbst noch dessen Schüler war, mit Schärfe und Sicherheit aufgefaßt. Es wird nicht ohne Interesse sein, diesem Bilde das andere gegenüberzustellen, welches der Lehrer von dem Schüler entwarf. Gedike pflegte eine ausgeführte Censur der zur Universität abgehenden Schüler in dem Programm des Gymnasiums abdrucken zu lassen. Er legte Werth darauf, weil er andeuten wollte, was das Vaterland von seinen herangebildeten jüngern Mitbürgern zu hoffen habe. Waren diese Zeugnisse bisweilen pathetisch breit, so waren sie auch oft Beweise pädagogischen Scharfblicks. In den Programmen des Werderschen Gymnasiums von 1789–92 findet man in dieser Weise die Charakteristiken Tieck's und aller seiner Jugendgefährten. In der Auffassung mancher Charaktere, z. B. Toll's, Burgsdorff's, Piesker's, stimmen Lehrer und Schüler in überraschender Weise überein. An dieser Stelle mögen die Charakteristiken Tieck's und Wackenroder's folgen, wie sie sich in dem Programm für 1792 finden.

Wenn Wackenroder in günstigerm Lichte erscheint, so spricht sich darin die eigene Stellung aus, die jeder von beiden seinem Director gegenüber eingenommen hatte. In der Kälte und Trockenheit, mit der Tieck's Censur abgefaßt ist, mag eine Erinnerung an die mancherlei pädagogischen Kämpfe liegen, zu denen er herausgefordert hatte. Daß aber seine Bildung schon damals eine allgemeine, und doch eigenthümliche war, muß auch dieses Zeugniß zugestehen.

»Johann Ludwig Tieck, aus Berlin, 19 Jahr alt, neun Jahre Gymnasiast, und seit vier Jahren ein Mitglied der ersten Classe. Er hat gute Fähigkeiten, und er hat sich durch seinen bei aller Einseitigkeit unverkennbaren Fleiß in mancher Rücksicht sehr gute Kenntnisse erworben, besonders hat er seinen Geschmack gut ausgebildet. Sein Betragen war lobenswerth. Er wird in Halle Theologie studiren.« Vgl. »Programm des Friedrich-Werderschen Gymnasiums« von 1792, S. 51.

»Wilhelm Heinrich Wackenroder, aus Berlin, 19 Jahr alt. Ein hoffnungsvoller Jüngling, der seit sechstehalb Jahren unser Gymnasiast, und seit vier Jahren ein Mitglied der ersten Classe gewesen. Sein regelmäßiges, bescheidenes und gesittetes Betragen hat ihm ebenso sehr als sein rühmlicher und glücklicher Fleiß den Beifall aller seiner Lehrer verschafft. Er hat seine guten Fähigkeiten in jeder Rücksicht sehr gut ausgebildet, und sich sowol in Wissenschaften als Sprachen, besonders auch in der griechischen, sehr gute Kenntnisse erworben. Ueberhaupt hat er alle Anlagen und Vorkenntnisse, um einst ein gründlicher, gelehrter und geschmackvoller Jurist zu werden. Ebendas. S. 51.

Wenige Wochen vor Ablauf des neunzehnten Lebensjahres verließ Ludwig Gedike's Schule. Das übliche Examen bestand er zur Zufriedenheit, ohne daß man ihm gerade ein glänzendes Zeugniß auf den Weg gegeben hätte. In der Mathematik hatte er auf jeden Erfolg verzichten müssen. Er hatte nicht einmal das Heft zu gebrauchen gewußt, mit welchem ihn seine Freunde, denen er so oft geholfen, ausgerüstet hatten. Man staunte über den höchst sonderbaren Weg, den er bei der Lösung der gegebenen Aufgabe einzuschlagen versucht hatte.

Sobald Phantasie und Gefühl bei ihm hervortraten, war ihm die Mathematik ein lästiger Gegenstand des Unterrichts geworden. Dem allgemein Menschlichen gegenüber schienen ihm ihre Lehrsätze höchst gleichgültig und der innern Bedeutung zu entbehren. Dafür war er sonst um so vielseitiger. Er überschaute ein weiteres Feld des Wissens als seine Genossen. Die alte und neue Literatur hatte er durchstreift, seine Kritik mannichfach geübt, und sich ein sicheres Urtheil gebildet. Wie er einen scharfen Blick für die Erkenntniß des Schiefen und Hohlen hatte, so einen nicht 126 minder tiefen für das wahrhaft Bedeutende und Große. Mit den Anfängen der Kunst hatte er sich vertraut gemacht und seine Kräfte in der verschiedensten Weise geübt.

Und reich war er an innerer Erfahrung. Schon hatte er die Grenzen berührt, vor denen der menschliche Geist zurückweicht. Wie manchen Kelch des Schmerzes hatte er nicht geleert, wie oft zu sterben gewünscht! Auch darin war er als eine große Kraft ausgezeichnet worden. Früher und in vollerem Maße als viele Andere hatten schwere innere Leiden ihn betroffen, denn um einen nicht geringen Preis waren ihm die Gaben geworden, welche ihn vor Vielen erhoben.

Aber jetzt war er dem Leben zurückgegeben, wenn ihn die vernarbenden Wunden auch noch oft schmerzten. Die Lust am Leben war am Ende doch mächtiger als die Bande finstern Trübsinns, die ihn rückwärts zogen in die schwarze Höhle. Waren nicht Dichtung und Kunst sein? Breitete ihm nicht die Natur die Arme entgegen? Auch war er reich an wohlmeinenden Freunden. Der frische, unverwüstliche Muth der Jugend stieg in ihm empor.

Er konnte, er wollte leben, kämpfen, siegen. Jetzt verließ er das Vaterhaus, das ihn so lange treu geschirmt hatte. Verheißungsvoll lag die Ferne vor ihm, sie schien ihm zu winken, ihm glänzender als je zu zeigen, was er früher nur geahnt hatte. In ihr schien die Offenbarung des Geheimnisses, die Erfüllung der Wünsche zu liegen! Ihr eilte er voll Hoffnung und Jugendmuth entgegen, und wol mochte er mit seinem ausziehenden Sternbald rufen: »O Jugend! Du lieber Frühling, der du so sonnenbeschienen vorn im Anfange des Lebens liegst! wo mit zarten Aeuglein die Blumen umher, des Waldes neugrüne Blätter wie mit fröhlicher Stimme dir winken, dir zujauchzen! Du bist das Paradies, das jeder der spätgeborenen Menschen betritt, und – das für jeden immer wieder von neuem verloren geht!«»Sternbald's Wanderungen« »Schriften« XVI, 197. 127

 


 


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