Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

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Zweites Buch.

Dichterleben.

1792–1800

 

1. Halle. Katheder und Offenbarung.

Es war im Frühlinge des Jahres 1792, als sich Ludwig Tieck auf dem Wege nach Halle befand. Mancher Kampf hatte noch bestanden, mancher schwere Entschluß gefaßt werden müssen, bevor er zum Wanderstabe greifen konnte. Endlich war auch das überwunden. Er fühlte sich frei und leicht, und wie die Thürme der Vaterstadt hinter ihm am Horizonte verschwanden, schienen die letzten Wolken des Kummers zu versinken. Frisch und wohlgemuth eilte er der Akademie und ihrer goldenen Freiheit in Leben und Wissen entgegen.

Aber auch um der Freiheit zu genießen waren Beschränkung und Selbstverleugnung nothwendig, und nicht ohne Opfer war sie zu erkaufen gewesen. Um zu studiren ging Ludwig nach Halle. Wollte er akademischer Bürger werden und dessen Vorrechte ausüben, so mußte er sich für einen Beruf, für ein gediegenes Fachstudium entscheiden, er mußte eine Facultät wählen. Aber welche von allen vieren sollte es sein? Das war eine schwere Frage für ihn, der jeder äußern Bestimmung seiner geistigen Richtung widerstrebte, und sich stets ungehemmt, in eigenster Weise bewegen wollte. Seine Natur, das Persönliche wollte er frei ausbilden, und es nicht mit der Schere nach gewöhnlichem Maße zuschneiden lassen! Und nun sollte er studiren um des Brotes willen, um in 130 einer fernliegenden Zeit leben zu können, sein Auskommen zu haben. Wußte er doch nicht einmal, ob er sie erleben werde! Wie kläglich erschien ihm ein solches Brotstudium! Wie grau und farblos war das Leben, wenn er an die alternden und verstaubten Candidaten dachte, die ihr kümmerliches Dasein durch das wissenschaftliche Handwerk fristeten, und armselig vom A-b-c lebten; oder an jene Geistlichen, die er kannte, welche ihr Amt wie eine Last trugen. Selbst wie mancher seiner Lehrer wäre am Ende lieber alles Andere gewesen als Schulmeister!

Und wenn er ehrlich gegen sich selbst sein wollte, stiegen nicht ganz andere Wünsche in seinem Herzen auf? Noch immer sehnte er sich nach jener bunten Welt der Breter, welche ihn schon als Kind unwiderstehlich anzog. Er hatte gewünscht, allen Fachstudien den Rücken für immer zu kehren, und dem Theater ausschließlich zu leben. Oft glaubte er allein dafür Beruf zu haben, und in Augenblicken der Begeisterung traute er sich Kraft genug zu, als darstellender Künstler das Bühnenwesen umschaffen zu können. Das waren keine leeren Träume, keine eiteln Einbildungen, wie sie dem Alter der erwachenden Kunstbegeisterung leicht zu kommen pflegen. Er hatte, wenn auch nur in kleinen Kreisen, manchen Erfolg für sich aufzuzeigen. Reichardt hatte ihn ermuntert, vielleicht mit Absicht auf die Bühne hingeleitet. Endlich hatte er es gewagt, dem Vater seine Wünsche anzudeuten. Soviel Theilnahme dieser aber dem Theater zuwendete, so sträubte sich doch der Stolz des Bürgers dagegen, seinen Sohn unter den unmoralischen Komödianten zu wissen, oder gar seinen Namen auf dem Theaterzettel an den Straßenecken zu lesen. Es kam zu heftigen Erörterungen, und je mehr der Vater widerstrebte, desto klarer schien es dem Sohne zu werden, daß ihn sein Beruf allein auf das Theater führen könne. 131 Endlich sprach der Vater ein entscheidendes Wort: »Wenn du unter die Komödianten gehst, so gebe ich dir meinen Fluch!«

Also Ausstoßung aus der Familie war der Preis, um welchen er seine Wünsche erfüllt sehen konnte. Doch vor diesem letzten Schritte bebte er zurück. Er suchte seiner leidenschaftlichen Neigung Herr zu werden, und beschloß bei den Studien zu bleiben. Da man so viel von ihm erlangt hatte, ließ man ihm in ihrer Wahl und Art volle Freiheit. Auch war seine äußeres Leben durch ein städtisches Stipendium, welches man für ihn ausgewirkt hatte, hinreichend gesichert.

Für Halle, als die bedeutendste Landesuniversität, hatte er sich entschieden. Damals hatte es einen neuen Aufschwung genommen, den es der genialen Persönlichkeit F. A. Wolf's verdankte. Mit Kühnheit führte er die Philologie ihre eigene Bahn, und seine Vorlesungen über den Homer hatten bereits Ruf gewonnen. Auch fand Tieck Reichardt auf seinem Landsitze in Giebichenstein wieder, und konnte das Haus betreten, welches ihm schon in Berlin eine heimische Stätte gewesen war.

Auf der Reise nach Halle begleitete ihn sein Schulgefährte Schmohl, der dort ebenfalls seine Studien beginnen wollte. In Belzig, wo der Vater desselben als begüterter Bauer wohnte, verlebten sie einige Tage ländlicher Idyllen. Dann gingen sie nach Coswig, wohin sie an den Amtmann Caletzki empfohlen worden waren. Dieser war ein braver, einfacher, wohldenkender Mann, der die jungen Studenten auf das gastlichste empfing. Als er hörte, sie seien auf dem Wege nach Halle, hielt er es für Pflicht, sie eindringlich zu ermahnen. Er zitterte für ihr Seelenheil, wenn er daran dachte, daß sie in die Hände Bahrdt's gerathen, und zu Anhängern seiner gottlosen Lehren werden könnten. Er schloß sich mit den beiden fahrenden Schülern in ein abgelegenes Zimmer ein, 132 und beschwur sie unter Thränen, auf ihrer Hut zu sein vor den Netzen der Verführer und falschen Propheten. Er endete seine Ermahnung mit einem Gebete voll Eifer und Salbung.

Auf Tieck machte diese wohlgemeinte Warnung einen rührenden und doch komischen Eindruck. Für ihn hätte es ihrer nicht bedurft, denn er wußte von Bahrdt's bisheriger Laufbahn genug, um ihn zu verachten. Die plumpe Gemeinheit, mit welcher er in seinen letzten Schriften aufgetreten war, hatte ihm moralischen Ekel erregt. Das Böse konnte keine abschreckendere Gestalt annehmen, als diese der schmuzigen Roheit. Auch war Bahrdt selbst in den letzten Abschnitten seiner Irrfahrten. Er hauste auf seinem Weinberge bei Halle, wo auch Tieck den kaffeeschenkenden Professor später aus Neugier besuchte. Die ganze Erscheinung desselben bestärkte ihn im Widerwillen. Er hörte seine platten Prahlereien an, konnte sich aber nicht entschließen, mit ihm auch nur ein Wort zu wechseln.

Ein viel wichtigeres Ereigniß war es für ihn, in Coswig die Mutter Matthisson's kennen zu lernen. Wer las und feierte nicht Matthisson, den zarten und gefühlvollen Dichter der Natur? Auch er war seiner Bewunderung voll; nun konnte er aus dem zuverlässigsten Munde hören, wie jener sich gebildet, wie er geworden, was er war. Die gesprächige alte Frau wurde nicht müde, allen Fragen Rede zu stehen. Stunden lang konnte sie von ihrem Sohne erzählen, von seiner Kindheit, seinen Gedichten, seiner Schwermuth. Weinend bat sie Tieck, er möge sich doch ja bewaffnen, daß er nicht in eine ähnliche Melancholie verfalle, offenbar habe er mit ihrem Sohne eine große Aehnlichkeit. Eine solche Anerkennung hatte er nicht erwartet, er war dadurch ebenso gerührt als gehoben. Einen Schattenriß Matthisson's, den er geschenkt erhielt, hütete er so lange als einen theuern Schatz, bis er 133 Gelegenheit hatte, ihn mit dem Original zu vergleichen und zu erkennen, daß dieses hinter dem Bilde, welches er sich gemacht hatte, zurückbleibe.

So traf Tieck mit einem doppelten Segen in Halle ein. Ueblicherweise ließ er sich in die theologische Facultät einschreiben, obgleich ihm die Theologie selbst sehr fern lag. Fürs erste wollte er Literatur und Alterthumswissenschaften studiren. Sobald er mit den Persönlichkeiten und Wirkungskreisen der Professoren vertrauter geworden war, fühlte er, nur F. A. Wolf mit seiner lebensvollen Auffassung der alten Welt habe für ihn Bedeutung und Anziehungskraft. Hier fand er, was er schon auf der Schule als wahre Bildung erkannt hatte. Wolf's Ansichten über das Alterthum waren sein innerstes Eigenthum, er hatte es in sich durchlebt, und darum wirkte er auf das Leben.

Auch mit der Philosophie konnte sich Tieck nicht befreunden. Voll Gefühl und Leidenschaft, überwiegend in der Welt der Phantasie lebend, und einem geheimen Zuge zum Unerklärlichen, Mystischen folgend, war ihm das strenge Urtheilen und Abschließen, das weitläufige Deduciren, die zuversichtliche Systematik gleich sehr zuwider. Nichts hatte ihn tiefer erschüttert, als jene Lebensfragen, welche die Philosophie behandelte, aber er fühlte, diese Weise sei geeignet, ihm den Gegenstand zu verleiden. Was die eifrigen Jünger der Wissenschaft als tiefen Aufschluß und Erklärung räthselvoller Fragen verkündeten, schien ihm höchstens nur eine andere Art sie auszusprechen, ohne sie dadurch der Lösung näherzubringen. Diese Lehrbegriffe waren ihm nur eine Beschränkung der Freiheit, ein Gefangennehmen des eigenen Denkens und Seins unter ein fremdes Gesetz. Es wurde bei ihm Ueberzeugung, wer sich der Dichtung, der Kunst mit ganzer Seele ergeben habe, müsse auch in ihren Offenbarungen die vollste 134 Befriedigung finden, und könne dann der philosophischen Hülfen und Stützen gar wohl entbehren.

Schon in Berlin waren ihm Reichardt's Versuche, die Musik mit dem Studium der Philosophie zu verbinden, bedenklich erschienen. »Welch ein großer Mann ist Kant!« hatte dieser einst in seiner Gegenwart ausgerufen; »es gibt keinen Gegenstand, über den er uns in seinen Schriften nicht den Kopf zurechtsetzte!« Tieck hatte dagegen eingewandt, ein Musiker, der von seiner Kunst ganz erfüllt sei, müsse an ihr vollständig genug haben, er werde die Zurechtweisungen der Philosophie weder vermissen noch aufsuchen.

Auch wollten ihm die Männer vom Fach, die Kantianer in Halle, gar nicht behagen. Ein philosophisches Collegium, welches er in der frühesten Morgenstunde bei Jacob zu hören anfing, ließ er bald im Stiche. Das Opfer an Schlaf, welches er bringen mußte, die Unbequemlichkeit, in aller Frühe mit einem wohlgewickelten Zopf in dem Philosophicum erscheinen zu müssen, wurde nicht aufgewogen durch den Gewinn, der ihm hier an Erkenntniß und Lebensweisheit versprochen wurde. Seine Genossen, die fast alle Kantisch philosophirten, fanden die Hartnäckigkeit, mit welcher er sich diesen Lehren verschloß, unverzeihlich, und ließen es an manchen Angriffen und Verspottungen nicht fehlen. Auch mit Eberhard, dem Apologeten des Sokrates, war er abgefunden, als er ihn in der Aesthetik auseinandersetzen hörte, Engel's »Eid und Pflicht« sei das vollendetste neue Drama, weil darin die drei Einheiten auf das genaueste beobachtet seien. Noch weniger zog ihn Knapp's Exegese an; und so blieben denn schließlich Wolf's Vorlesungen über die römischen Antiquitäten allein übrig, die einigen Ersatz gewährten.

In Reichardt's gastfreiem Hause erhielt er Gelegenheit, 135 in das Innere der gelehrten Welt Halles zu blicken. Wie in Berlin war es auch hier ein geistiger Mittelpunkt geworden. Er lernte die berühmtesten der Professoren kennen, und mancher von ihnen zeigte sich hier, wo er sich ungezwungen gehen lassen konnte, anziehender oder mindestens eigenthümlicher, als wenn er auf dem Lehrstuhle saß. Jedoch traten auch Härten, Eifersüchteleien und Feindschaften unverhohlener hervor, die dem angehenden Studenten diese ersten Größen der Wissenschaft bisweilen in zweifelhaftem Lichte erscheinen ließen. Namentlich sah er Reinhold Forster, Niemeyer und Matthias Sprengel.

Die beiden Letzten lebten fortwährend in offener Fehde, und gaben durch den Widerwillen, welchen sie bei jeder Gelegenheit laut gegeneinander aussprachen, zu manchen komischen Vorfällen Veranlassung. Niemeyer war würdig, gemessen und salbungsvoll, nicht ohne Süßlichkeit; stets wollte er der durchgebildete, der feine und humane Mann sein. Sprengel dagegen war kurz und sonderbar, schneidend, voll Spott, und häufig durchfahrend grob. Niemeyer's wohlrednerischer Ton war ihm geradezu verhaßt. Einst war in einer Professorengesellschaft bei Reichardt von den Romanen des angeblichen Marquis Große die Rede, der behauptet hatte, in Spanien gebe es keine Windmühlen. Scherzend meinte Jemand, es scheine dem Don Quixote gelungen zu sein, sie auszurotten, als Sprengel dazwischenfuhr: »Es ist elendes, dummes Zeug!« Niemeyer, dessen Humanität solche scharfe Urtheile nicht vertragen konnte, entgegnete einlenkend: »Aber, Herr College, sollte denn nicht etwas Gutes daran sein können?« »Bewahre! Nichts, gar nichts, sage ich!« schrie jener; »wenn Sie sich ein Jahr lang Mühe geben, können Sie auch dergleichen dummes Zeug schreiben!«

Ein anderes Mal traf Tieck mit den beiden Streitern in 136 einer Tischgesellschaft zusammen. Sprengel nahm sogleich seinen Platz zwischen ihm und einem andern jungen Manne ein. Dieser, durch solchen Vorzug geschmeichelt, konnte als Mann von Welt einige höfliche Worte über die Ehre nicht unterdrücken, welche ihm widerfahre, neben einem so berühmten Gelehrten zu sitzen. »Ach was! dummes Zeug!« unterbrach ihn Sprengel, »ist mir ganz gleich, neben welchem Narren ich sitze, wenn ich nur nicht neben dem Racker da sitzen soll!« Bei diesen Worten zeigte er auf Niemeyer, der am andern Ende des Tisches seinen Platz hatte.

Auch war Tieck Zeuge jener bekannten Geschichte, die zwischen Sprengel und Ebert vorfiel. Dieser bewunderte Sprengel's umfassende Belesenheit. »Wie Vieles müssen Sie nicht für Ihre gelehrten Werke lesen!« sagte er. »Man gewinnt Methode!« antwortete Sprengel. »Wenn ich z. B. ein Journal vor mir habe, so lese ich was mich interessirt. Kommt etwa mal eine Ode von Klopstock dazwischen, werden einige Seiten überschlagen. Fort mit dem Racker, heißt es da!« Ebert erstarb vor Entsetzen das Wort im Munde. Endlich stammelte er zwischen Zorn und angeborener Höflichkeit schwankend: »Ach, Sie liebenswürdiger Barbar!«

Weder die Entdeckungen, welche Tieck in der gelehrten Welt machte, noch seine Erfahrungen in den geselligen Kreisen, waren geeignet ihn zu befriedigen. Auch Reichardt's Haus wollte nicht ganz das wieder werden, was es ihm in Berlin gewesen war. Hatte sich doch so Manches seit jener Zeit geändert! Er fand in Halle Gelehrsamkeit, Reichthum an Kenntnissen, Lehrsätze und auch Wichtigthuerei. Vieles hörte er, was er in Gedike's Schule bereits für immer abgethan zu haben meinte; aber vergebens suchte er nach dem, was seinem Herzen Befriedigung gegeben hätte. Abermals begann er mitten in dieser selbstzufriedenen und 137 behaglichen Welt der Meister und Jünger der Wissenschaft sich unendlich einsam zu fühlen.

Zwar fand er unter den Studiengenossen einen alten Bekannten, selbst einen Freund wieder, aber keinen, der seinem Herzen so nahe gestanden hätte wie Wackenroder, nach dessen Anblick und Rede ihn oft eine heiße Sehnsucht ergriff. Es gab keinen, dem er sich so rücksichtlos hätte hingeben können, der ihn so ganz verstanden hätte. Ein zweideutiger Charakter, wie sein Stubengefährte Schmohl, hatte von dem, was sein Herz bewegte, keine Ahnung, und war offenbar unzuverlässig. Ein älterer Genosse, mit dem das frühere, freundschaftliche Verhältniß wieder angeknüpft wurde, war Wilhelm von Burgsdorff, der seit einem Jahre in Halle studirte. Soviel Anlagen, gewinnende Frische und Gutmüthigkeit dieser auch besaß, so traten doch manche Gegensätze hervor. Im geselligen Verkehr wie in wissenschaftlichen Fragen schlug er gern einen hohen und vornehmen Ton an, und reizte dadurch seine Freunde, die nur zu gut wußten, wie es im Grunde mit ihm stehe. Er hatte sich einem wilden Studentenleben ergeben, in dem er Genialität und den Ausdruck innerer Kraft sah, und gerieth in Verbindungen, in welche Tieck ihm nicht folgen mochte.

Schon früher hatte Burgsdorff eine Vorschule in diesem Sinne durchgemacht. Er war als Schüler in Berlin sich selbst überlassen gewesen, und in schlimme Hände gerathen. Ein älterer Gefährte, Namens Wiesel, der auf den ersten Blick anziehend und gewinnend erschien, hatte sich ihm angeschlossen. Mit Leichtigkeit bewegte sich dieser in den verschiedensten Lebensformen, er war heiter, entgegenkommend, witzig und sicher überall Beifall und Anhänger zu finden. Hinter dieser gefälligen Außenseite lauerte Herzlosigkeit, kalte Berechnung und ein schneidender Hohn, mit welchem sich in wahrhaft 138 Mephistophelischer Weise eine sinnlich verzehrende Glut verband. Er war ein jugendlicher Anhänger jener sinnlichen Starkgeisterei, welche in der Literatur in Heinse und Goltz ihre Vertreter fand.Eine Charakteristik Wiesel's, dieses sonderbaren Menschen, der zuletzt ein Freund und Schützling Adam Müller's war, hat Varnhagen gegeben in seinen »Denkwürdigkeiten«, VI, 265.

Dieses Treiben ward um so widerlicher, als Wiesel daraus eine Art von dämonischer Philosophie der Sinnlichkeit entwickelte, die von beschränkten Genossen als Tiefsinn angestaunt wurde. Zuweilen ließ er sich in orakelhaftem Tone vernehmen, welcher tiefe Sinn in diesen Orgien sei, in der sinnlichen Hingebung sollte die Offenbarung einer göttlichen Kraft liegen. Seiner falschen Weisheit gelang es, sie mit dem Schimmer einer mystischen Geheimlehre zu umgeben, die schwache Köpfe vollends in Verwirrung brachte. Hatten sich dann die Jünger im sinnlichen Taumel vollständig selbst verloren, so rüttelte der Meister sie schonungslos auf, und konnte ihnen mit schneidendem Spott ihre Schwäche und den Mangel an Selbstbeherrschung vorrücken. Wer dagegen bedenklich ward, dem schloß er den Mund mit bitterm Hohn über solche Engherzigkeit; nichts pflegte er mit seinen geifernden Reden zu verschonen.

Für Tieck hatte Wiesel's Erscheinung etwas Feindseliges, Abschreckendes, ja Grausenhaftes; nicht ohne Schauder verweilte er in seiner Nähe. Ja vielleicht war dieser der Einzige, auf den er einen wahrhaften Haß geworfen hatte. Dennoch versuchte er es, diese Gesellschaft für höhere Dinge zu gewinnen, und hatte die Gutmüthigkeit, ihnen die Größe Shakspeare's anzupreisen, ja fühlbar machen zu wollen. Er wagte es eines Abends, den »Sturm« vorzulesen, und da das bunte Zauberspiel Beifall gefunden hatte, ließ er, dadurch ermuthigt, den »Sommernachtstraum« folgen. Doch das war zu viel. Kaum hatte er die ersten Scenen gelesen, als man ihn dringend bat aufzuhören, das sei nicht zu ertragen. Wiesel meinte, 139 er begreife nicht, wie ein vernünftiger Mensch, wie Tieck doch sonst sei, an diesen abgeschmackten Possen Gefallen finden könne. Seit dieser Erfahrung gab er dergleichen Bekehrungsversuche auf.

Außer Burgsdorff fand er auch seinen alten Schulgefährten Bothe in Halle wieder, dessen Starrsinn ihm früher so viel Thränen gekostet hatte. Aber nach jenen ersten schmerzlichen Erfahrungen erschien er ihm auch jetzt kalt und steif, und ein freundschaftlicher Verkehr ließ sich auch hier nicht erwarten. Es ward ihm klar, er werde wiederum seines Wegs allein gehen müssen, mochte er immerhin den Altverständigen für einen Träumer und Sonderling gelten, und mochten die Klugen selbstgefällig über ihn die Köpfe schütteln.

In dieser Vereinsamung kehrte er zur Natur zurück, die ja in den schwersten Augenblicken ihre heilende Kraft an ihm bewährt hatte. Ganz anders, voller, freundlicher trat sie ihm in dem grünen Saalthale entgegen, als in den flachen Haiden um Berlin. Mit doppelter Gewalt ergriff ihn jenes Gefühl unendlicher Sehnsucht, das bis zur schmerzlichsten Erregung sein Herz erfüllte, wenn er im Frühlinge durch den Wald streifte. Dann kehrte ihm jene Naturtrunkenheit wieder, eine geheimnißvolle Macht schien ihn vorwärtszutreiben. Nirgends weilte er lieber als auf der sogenannten Höltybank in der Nähe des Giebichensteins. Hier überblickte er Fluß und Thal. Wie oft sah er die Sonne hinter den Abendwolken versinken, den Mond in tausend goldenen Strahlen in den sanft bewegten Wellen sich widerspiegeln oder träumerisch durch Busch und Zweige blicken! Hier hatte er in verzückter Selbstvergessenheit in mancher Sommernacht gesessen und Natur getrunken in vollen Zügen. Er hörte es nicht, wie die Glocken der Stadt eine Stunde nach der andern anschlugen, er sah nicht, wie 140 Alles um ihn her in tiefere Nacht versank. Endlich erhob er sich, durch dunkle Büsche, an einsamen Häusern vorüberstreifend, überließ er es dem Zufall, welcher Weg ihn nach der Stadt führen werde. Sah er ein Licht durch die Nacht blitzen, hallte der Laut einer menschlichen Stimme aus der Ferne zu ihm herüber, so erregte es wunderbar sein Gefühl. Wie fern, wie räthselhaft, wie unverstanden lag die Welt vor ihm, wie einsam fühlte er sich in ihr, und doch wieder wie nah und verwandt! Ihre Leiden und Freuden, waren sie nicht auch die seinen?

Die Gefährten wollten diese nächtlichen Fahrten, auf denen er bisweilen Einen und den Andern durch Naß und Trocken mit sich zog, nicht sonderlich rühmen. Einst hatte er mit Bothe bis nach Mitternacht auf der Höltybank gesessen, als ein ferner Donner Beide aus ihren Träumen weckte. Ein Gewitter war im Anzuge. Eilig, in tiefer Finsterniß, drängten sie sich durch Busch und Strauch, und retteten sich endlich in den Garten von Giebichenstein, wo sie einen Zufluchtsort vor dem strömenden Regen zu finden hofften. Sie tappten nach dem Wege suchend umher, als plötzlich der Boden unter ihnen schwand, und sie in eine Tiefe von mehrern Fußen hinunterstürzten. Nicht ohne Gefahr, aber doch auf dem kürzesten Wege erreichten sie eine schützende Stelle. Es war eine ihnen sonst wohlbekannte künstliche Grotte, die sie aber so nahe nicht vermuthet hatten. Bothe schalt und zürnte über solche Thorheiten. Aber was war zu thun? Man mußte froh sein, ein Obdach gefunden zu haben, und ausharren, bis das Gewitter ausgetobt hatte und der Morgen anbrach.

Bei solchen Stimmungen stiegen auch jene finstern Bilder und Gedanken wieder auf, die ihn mehr als einmal bis zum Abgrunde des Wahnsinns hinzureißen gedroht hatten. Nicht gebannt waren die Furien, sie schliefen nur, jetzt erwachten 141 sie, und jagten ihn von neuem in Angst und Entsetzen. Es steigerten sich diese Anfälle zu einer Höhe, daß seine Gefährten von Grausen erfüllt meinten, er sei wirklich wahnsinnig geworden.

Eifrig hatte er sich eine Zeit lang mit dem soeben erschienenen Spukromane von Große: »Der Genius«, beschäftigt. Mit seinem Stubengefährten Schmohl und einem andern Bekannten verabredete er daher, ihnen jenes Nachtstück vorzulesen. Um vier Uhr Nachmittags begann die Sitzung. Ohne sich einen Augenblick Erholung zu gönnen, las er das ganze Buch in einem Zuge durch. Es war zwei Uhr Morgens, als er es beendete. Längst waren seine Zuhörer eingeschlafen, während er mit steigendem Antheil las. Jetzt warfen sie sich in der anstoßenden Kammer auf das Bett.

Tieck konnte nicht schlafen. Er war überwacht, geistig und körperlich erschöpft. Er vergaß sich und seine Umgebung, seine Seele weilte noch in jener Welt, von der er gelesen hatte. Wunderliche Bilder wogten in ihm auf und ab, Traum und Wirklichkeit begannen ineinander zu verschwimmen. Plötzlich rüttelte ihn ein jäher Schrecken aus dieser Betäubung auf. Abgründe schienen sich zu öffnen, riesige Gestalten drohend auf ihn loszuschreiten, von der Decke des Zimmers, von den Wänden her streckte es grauenhaft die Arme nach ihm aus. Mit einem furchtbaren Schrei stürzte er auf die Kammer zu, in der die Gefährten schliefen. Er tobte, er schien von Sinnen. Mit dem Ausrufe: »Ich werde rasend!« sank er fast ohnmächtig zu Boden. Voll Schreck fuhren die Schlafenden empor, mit Mühe bewältigten sie ihn, und legten ihn aufs Bett. Er verfiel in das heftigste Phantasiren. Er glaubte sich bereits gestorben, sein eigener Körper ward ihm fremd, er meinte eine Leiche zu berühren, wenn die eine Hand auf die andere traf. Dieser Zustand hielt mehrere 142 Stunden an, man befürchtete ein Nervenfieber. Endlich kam er wieder zu sich, er fühlte sich matt an Leib und Seele. Von allen Schreckbildern aber blieb ihm eins, das furchtbarste, zurück, der Gedanke, daß er wahnsinnig werden könne, ja werden müsse, wenn sich solche Anfälle wiederholen sollten.

Lichtpunkte waren Wackenroder's Briefe und die Erinnerung an seine Freundschaft. In den zärtlichsten Ausdrücken bat und flehte dieser, der Freund möge sich ermannen, er möge sich den finstern Mächten entwinden, und Herr seiner Kräfte werden. Es war ein Fest der Freundschaft, als er endlich auf einige Tage nach Halle kam, und sie auf einer gemeinsamen Reise nach Leipzig und Wörlitz sich aneinander stärken konnten. Auch durch andere kleine Ausflüge suchte sich Tieck zu zerstreuen. Er sah in Lauchstädt die weimarische Schauspielergesellschaft, oder er ging nach Coswig, wo man in dem Hause des befreundeten Amtmanns in Augenblicken der Heiterkeit das Theaterspiel hervorsuchte, für das er kleine Stücke und dramatische Scherze entwarf.

Dieser vorüberrauschenden Lust folgten um so trübere Stimmungen. Aber diese Gährung, diese erregten Zustände führten endlich zu einem entscheidenden Wendepunkte.

Es war im Juli des Jahres 1792, als er eine Reise nach dem Harze unternahm. Zum ersten Male wollte er das Gebirge betreten, um eine langgefühlte Sehnsucht zu stillen. Der reinste, herrlichste Sommerhimmel war über ihm, als er die Stadt verließ. Kaum hatte er sich jemals leichter und glücklicher gefühlt als in diesem Augenblicke; Sonne, Feld, Wald, Alles wirkte erfrischend. Er schlug den Weg nach Eisleben ein. In den Dörfern, durch die er kam, herrschte freudige Bewegung. Es war Johannistag, und Mädchen und Burschen banden den durchziehenden Wanderer unter 143 üblichen Sprüchen an, der sich dann loskaufen mußte. Unfern Eisleben begegnete ihm ein Leichenzug. Ein Bergmann wurde zur Ruhe bestattet. Eine tiefe Rührung ergriff ihn; in seinen ersten und einfachsten Formen trat ihm das Leben entgegen. In vollem Mondenschein legte er den letzten Theil des Weges zurück.

In der Schenke, wo er übernachten wollte, ging es laut und fröhlich zu. Mit Spiel und Tanz wurde das Johannisfest gefeiert. Auf dem Hausflur, vor seinem Zimmer, lärmte und wogte es durcheinander. Halb träumend blickte er von seiner Lagerstätte aus das bunte Gewirr. Endlich ward es still, aber er fand keinen Schlaf. Alle Lebensgeister pulsirten, die Sehnsucht nach der Natur ließ ihm keine Ruhe. Im Morgengrauen wanderte er weiter. Noch war die Sonne nicht aufgegangen. Fahl und bleifarben, eine eben erglühende Kugel, stieg sie am Rande des Himmels empor. Da durchbrach sie den Dunstkreis, und plötzlich mit stechendem Glanze schossen die ersten einzelnen Strahlen über die Ebene daher. Sie trafen ihn unmittelbar; ihm war, als hätten sie bis in sein tiefstes Herz hineingeblitzt. In ihm zerriß es wie ein Schleier; eine innere Erleuchtung war es, die ihn erfüllte; Himmel und Erde sah er in nie geahntem Glanze verklärt. Ihm war, als träte Gott selbst auf ihn zu, als schaue er in sein Angesicht. »Das ist Gottes Erscheinung!« so durchbebte es sein ganzes Wesen. Die Gewißheit Gottes, die höchste Seligkeit, ein himmlischer Schmerz durchströmte ihn. Aus seinem Herzen quoll das Gefühl unendlicher Gottesliebe. Ja, der ewige Gott liebte auch ihn! Er brach in lautes Weinen aus; es waren Thränen der Seligkeit, die unaufhaltsam flossen. »Ich habe keine Worte für diesen einzigen Zustand«, so erzählte der Greis Tieck voll tiefer Bewegung im hohen Alter. »Weder vorher noch nachher habe ich je Aehnliches 144 erlebt; es war die unmittelbarste Gewißheit Gottes, das Gefühl, mit ihm eins zu sein; an meinem Herzen fühlte ich ihn. Es war eine Stätte der Offenbarung. Ein Patriarch des alten Testaments würde hier einen Denkstein errichtet haben!«

Nur einen Augenblick dauerte diese Entzückung. Aber die Gewißheit, Gottes Geist habe ihn durchschauert, blieb ihm, und wie ein Nachhall jener Seligkeit erfüllte der reinste Friede sein Herz. Lange noch flossen seine Thränen, er konnte ihrer nicht Meister werden. Nach mehrern Stunden warf er sich auf die Bank vor der Thür einer Dorfschenke. Der Wirth brachte ihm Frühstück, wies aber, als er ihn weinen sah, jede Bezahlung zurück. »Ich sehe ja« meinte er, »Sie sind ohnehin unglücklich genug.« Es war der Humor, der ihn wieder in das alltägliche Leben zurückrief. Halb lachend, halb weinend zog er weiter.

Als er um Mittag bei einem Wirthshause anlangte, schallte ihm wüster Lärm aus demselben entgegen. Eine Schar hallescher Studenten, die auch nach dem Harze wanderte, hatte sich einquartiert. In ihrer Mitte traf er den Mephistophelischen Wiesel. Er hatte das Gefühl der Entweihung, als er den rohen Kreis betrat. Auf die höchste Entzückung folgte die gemeine Ernüchterung. Er legte sich das Gelübde ab, die Offenbarung, die er heute erfahren, als sein heiligstes Geheimniß im Herzen zu verschließen, und Jahre sind vergangen, ehe er davon zu sprechen wagte.

Unter den Nachklängen jener Verzückung durchzog er das Gebirge. Er fühlte sich der Natur noch näher als sonst, und auf einsamen Pfaden emporklimmend, verlor er sich gern in jene Nebelwolken, die an den Felsenspitzen hingen. 145



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