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Die Einrichtung der alten Bühne ist für mich immer noch dunkel, so viel auch darüber gesprochen und gestritten worden ist. Wir haben den schönen Versuch gemacht, die antike Tragödie bei uns herzustellen, aber dabei ist erst recht klar geworden. wie Vieles hier für uns räthselhaft und unbegreiflich ist. Gewiß hat man damals Mittel gehabt, in großen Räumen und auf große Massen gewaltig zu wirken.
Ich habe immer eine große Vorliebe für die alte englische Bühne gehabt, und ich glaube, daß sie höchst zweckmäßig eingerichtet war. Sie war nicht tief, aber breit. Dadurch, daß sich die Figuren auf einem nicht zu tiefen Hintergrunde bewegen, bekommt das Zusammenspiel eine ganz andere Haltung und Einheit. Die Decorationen waren die einfachsten, und man spielte am Tage; das ist ein großer Vorzug. Als ich nach Berlin zurückgekehrt war, habe ich mich eine Zeit lang mit dem Gedanken beschäftigt, daß man nach dem Vorbilde der altenglischen Bühne ein Theater, etwa im Thiergarten, aufschlagen könne. Zunächst hätte es nur 227 für Shakspeare'sche Stücke sein sollen, und ich bin überzeugt, daß der Versuch gelungen wäre. In dem Lichte des Tages würde Alles einfacher und natürlicher erscheinen; freilich hätte es nicht etwa von vorn, sondern durch eine Oeffnung von oben her auf die Bühne fallen müssen.
Unsere gewöhnliche Bühne hat viele Mängel; sie ist vor allem zu tief und zu hoch. Die großen Häuser sind der Verderb des Schauspiels. Wie soll selbst ein bedeutender Schauspieler den Raum füllen, wenn der Schall seiner Stimme nicht gesammelt wird, sondern in dem tiefen Hintergrunde und nach oben hin verhallt? Das Mienenspiel, alle seine Nüancen bleiben unbemerkt, und der Schauspieler muß in diesen weiten Räumen verloren gehen. Das eigentliche Schauspiel ist nur auf ein mäßiges Haus berechnet, und nur hier kann die tragische Kunst zur vollen Wirkung kommen. Auch ist die Beleuchtung viel zu hell. Von zahllosen Oellampen ist man jetzt gar zum Gas gekommen. Das geht über den milden Schein des Tages weit hinaus. Nun erscheint Alles in einem grellen und übertriebenen Lichte, und daraus ergeben sich wieder andere Uebelstände; Alles wird unnatürlich. Die Täuschung, welche die Bühne will, kann ein solches Licht nicht vertragen. Damit hängt auch der übermäßige Prunk in Costümen, Decorationen und Maschinerien zusammen; er gehört auch zum Verderb der Bühne. Aber das ist jetzt eine Nothwendigkeit für sie geworden, sie kann ohne das nicht mehr bestehen, und Bühne und Publicum ruiniren sich gegenseitig. Mit wie einfachen Mitteln und einfachen Costümen spielte man nicht früher, als man das sogenannte historisch getreue Costüm noch nicht kannte! Für das wirkliche Spiel ist damit gar nichts gewonnen, und die Aufmerksamkeit wird auf Nebendinge hingeleitet.
Diese erdrückende Pracht ist eine Folge davon, daß in 228 neuerer Zeit unsere größern Bühnen fast alle zu Hoftheatern geworden sind; sie sind nun Anstalten eines nothwendigen Luxus. Die Kunst im Ganzen war besser daran, als die Schauspieler unter ihren Principalen und Directoren standen, und man sie noch nicht als lebenslänglich angestellte Beamte ansah. Das berliner Theater hat unbezweifelt seine beste Zeit unter Engel's Leitung gehabt, dessen Verdienste man anerkennen muß. Er hatte Urtheil und Einsicht in die Sache, er stand mit den Schauspielern gleich, und gab sich mit ihrer Bildung und dem Einstudiren der Stücke große Mühe. Als Friedrich Wilhelm II. damals zuerst jährlich eine kleine Summe für das Theater aussetzte, wurde das von allen Kunstfreunden mit Jubel begrüßt, als der Anfang einer neuen Periode. Man kann aber ohne Uebertreibung sagen, daß damit das Sinken des Theaters begonnen hat. Die Komödianten fingen an sicher und träge zu werden. Seit jener Zeit sind die königlichen Zuschüsse alljährlich gewachsen; jetzt kann das Theater ohne sie gar nicht mehr bestehen, und was wird damit erreicht?
Bühne und Schauspielkunst befinden sich bei uns in tiefem Verfall; überall herrscht Naturalismus, Roheit oder Verbildung. Große Künstler haben wir gar nicht mehr. Ein solcher war Fleck. Er war einer der größten instinctiven Schauspieler, die es je gegeben haben mag. Alles kam bei ihm aus einer tiefen Begeisterung und schöpferischen Phantasie hervor; wenn sie ihn ganz erfüllte und beherrschte, konnte er gar nicht anders als gewaltig und erschütternd wirken. Er war selbst eine große und dichterische Natur. Aber er wurde schwach, sobald er zu reflectiren anfing, oder überwiegend mit Hülfe des Verstandes darstellen wollte; er spielte dann auch nicht gut. Darum wollte ihm der Odoardo in der »Emilia Galotti« nicht gelingen; es lag in 229 dieser Rolle zu viel Berechnetes für ihn. Die kühnen, gewaltsamen und oft scheinbar unerklärlichen Uebergänge der Leidenschaft, die wunderbaren Combinationen der Phantasie, die seltsame Mischung der Tragik und des Humors, die das eigentlich erschütternde Pathos ausmacht, das Alles traf er, und durchlief mit staunenswerther Sicherheit die ganze Stufenleiter dieser Töne. Hier konnte er sich seinem Genius sicher überlassen. Er war durchaus edel in seinem Anstande. Die edle Würde war ihm angeboren; man hätte ihm das Höchste bieten können, wenn er auch gewollt hätte, er würde nicht unedel oder gemein haben erscheinen können. Mit einem königlichen Anstande ging er schon über die Straße. Die Rolle, welche er am Abend spielen wollte, erfüllte ihn vorher, und man sah den Helden einherschreiten, den er darstellen sollte. Ein gewaltigeres, volleres Organ als das seine hat es nicht gegeben; es konnte Musik sein und im Sturme der Leidenschaft sich bis zum Donner steigern. Er war stolz im Gefühle seiner künstlerischen Kraft, aber dennoch bescheiden, denn er kannte die Grenzen seines Talents, so groß es auch war, sehr gut, und wußte, was für ihn paßte. Die einzige niedrig komische Rolle, die er mit einer Art Vorliebe zu spielen pflegte, war der Poet Flickwort im »Schwarzen Mann«. Obgleich er sich hier erniedrigte, war er doch nie gemein. In frühern Zeiten sang er auch, z. B. die Rolle des Vaters in Gotter's Oper: »Romeo und Julie.« Doch gab er dies später auf.
Geboren war er für das Erhabene und die eigentlichen Heldenrollen. Nichts ging über seinen Karl Moor, wo er die rührendste Weichheit neben der ganzen Wildheit und zerschmetternden Kraft zeigte, die in dieser ungeheuern Rolle liegt. Der »Wallenstein« schien für ihn gedichtet zu sein. Erschütternd war sein »Otto von Wittelsbach« Wie 230 erschien er nicht in Shakspeare's Tragödien! War er in den beiden ersten Acten des »Macbeth« weniger bedeutend, als man hätte erwarten sollen, so war er groß in den drei letzten, unübertrefflich als Tyrann und in den letzten Momenten, wo er zum verzweifelten Kampfe aufgestachelt wird. Mächtig wirkte auch sein Othello, den er einfach, wahr, menschlich edel im Anfange spielte, und furchtbar in der Entwickelung der Leidenschaft. Eigenthümlich war es, daß er ihn in einer Art von modernem Costüm darstellte, welches mit einer Generalsuniform Aehnlichkeit hatte; er trug Stern und Ordensband. Er modernisirte dadurch die Rolle in gewissem Sinne, aber die Wirkung litt darum nicht. Man kann Othello vielmehr ein bürgerliches Stück nennen, und da war eine solche äußere Annäherung an unsere Zeit an ihrer Stelle. Ein schauriges Bild stellte er als Shylock auf. Es ist in neuerer Zeit Sitte geworden, diese Rolle in einem glänzenden orientalischen Costüm zu spielen; viel einsichtsvoller erschien Fleck in einem einfachen schwarzen Kaftan, einen breitkrämpigen, an den Seiten aufgeschlagenen Hut auf dem Kopfe, einen Stock in der Hand. Es war eine dürre, ausgetrocknete, zähe Gestalt, ein scharfes, hart gefurchtes Gesicht, dem die schmalen blutlosen Lippen, der dünne eisgraue Bart, der in eine Spitze auslief, die buschigen weißen Augenbrauen einen furchtbaren Ausdruck gaben. Es war das Bild der Habgier, des Neides, des Geizes selbst, der sich unter Entbehrungen abmüht, und sich nichts gönnt, und noch viel weniger Andern: Aus den stechenden Augen blitzte der verbissene Ingrimm, die Rachgier unheimlich hervor. Hier gab es kein Mitleid! Wer diesen Shylock einmal gesehen hatte, vergaß ihn in seinem Leben nicht wieder.
Eine ganz entgegengesetzte Natur war Schröder, neben 231 Fleck gewiß der größte Schauspieler jener Zeit. Auch er brachte sein Spiel zur höchsten Wirkung, aber auf umgekehrtem Wege. Er war scharfblickend, voll tiefer Einsicht und Auffassung; er übersah seine Aufgabe mit selbstbewußter Klarheit, aber die schaffende Phantasie trat ihr unmittelbar an die Seite, und Alles, was er gab, war ein ausgeprägtes, volles Kunstwerk aus einem Gusse.
Iffland legte zuerst kleinliche Absicht in das Spiel; er war ein großes, aber doch nur auf eine Sphäre beschränktes Talent. Für ihn waren die mittlern, die berechneten und fein komischen Rollen; in diesen konnte er ausgezeichnet sein. Er war daher für das bürgerliche Schauspiel und Lustspiel, aber durchaus nicht für die Tragödie geeignet. Das wirklich Heldenmäßige lag seiner Natur ganz fern. Schon seine Stimme reichte nicht aus, sie war schwach, und hatte nur einen mäßigen Umfang. Er wollte durch Kunst ersetzen, was an Kraft fehlte; daher jenes Dehnen und Schnarren, das Accentuiren, das Hüsteln und die sogenannten Kunstpausen, durch die er die Rede zerriß. Lauter schwache Hülfsmittel, die er zuerst aufgebracht hat, und in denen man dann eine große Kunst finden wollte. Er hat aber dadurch die Kunst zur unleidlichen Manier gemacht. Verse verstand er gar nicht zu sprechen; es war ihm Bedürfniß, sie in Prosa umzusetzen. Ein großes Verkennen seiner Kraft war es daher, als er nach Fleck's Tode den Wallenstein zu spielen versuchte, dem er gar nicht gewachsen war. Dagegen war er für den Octavio Piccolomini ganz gemacht; ich habe ihn niemals besser darstellen sehen. Auch sonst hatte sein Spiel kleine Züge; Alles war berechnet und überlegt, in Alles legte er eine Bedeutung hinein. Wenn er einen Finger fast unmerklich hob oder senkte, den Fuß mehr so oder so wendete, so hatte dies Alles seine Bedeutung, und sollte 232 gewisse Stimmungen und Gemüthsbewegungen ausdrücken. Es war eine Menge von einzelnen kleinlichen Zügen, aber es war kein künstlerisches Ganze. Wer Iffland's Spiel kannte, sah auch, wie eng seine dramatische Schriftstellerei mit diesem Wesen zusammenhing. Er schrieb als Schauspieler, und solche Stücke konnten nur von einer solchen Natur ausgehen. Von Iffland muß man das Sinken der Schauspielkunst datiren. Was bei ihm Nothbehelf war, sollte nachher als höchste Kunstregel gelten. Die sogenannten denkenden Künstler, die auch eine unleidliche Classe der heutigen Schauspieler sind, schreiben sich von ihm her. Bei ihnen ist Alles gemacht, Alles soll etwas bedeuten, aber an tiefem Berufe, an wahrer Begeisterung fehlt es ihnen ganz. Dafür sind sie desto eingebildeter.
In späterer Zeit wurde Wolff sehr gerühmt, aber auch sein Talent war ein beschränktes; er hatte etwas Schwächliches und Kränkliches, und spielte gut, wo dies in der Rolle lag. Schon in den großen Beifall, welchen sein Hamlet fand, habe ich nicht einstimmen können. Bedeutend war Ludwig Devrient. Er besaß ein großes Talent für Mienenspiel und Maske; man könnte ihn daher eher einen ausgezeichneten Mimen als Schauspieler nennen. Er ging oft über das Maß hinaus, sein Spiel war grell und wurde leicht Caricatur.
Die heutige Kunst leidet an verbildetem Virtuosenthum und rohem Naturalismus zugleich. Das Virtuosenthum ist der gerade Gegensatz aller Kunst. Es beruht nicht auf allseitiger Durchbildung und schöpferischer Kraft, sondern auf einseitiger Fertigkeit, über die man allenfalls staunen kann; das ist aber auch Alles. Es hat angefangen, die echte Kunst überall zu verdrängen, auch im Schauspiel. Ein Jeder geht auf den einseitigen Effect aus, an das Ganze 233 denkt Niemand mehr. Im Zusammenspiel stehen die Franzosen immer noch weit höher als unsere Schauspieler. Ist ihr declamatorischer tragischer Ton auch ganz unleidlich, so sind sie doch Meister im feinen Lustspiel und im Conversationsstück. Sie studiren wirklich noch. Auch haben sie immer noch einzelne große Talente. Wo haben wir z. B. jetzt einen Schauspieler wie St.-Aubin?
Wenn der Schauspieler seine Aufgabe recht faßt, so muß er ein Künstler, aber kein Virtuos sein. Freilich gehört eine große eigene Productionskraft dazu, die Gestalten des Dichters lebendig hinzustellen. Die jetzigen Schauspieler können das nicht mehr; in ihrer Anmaßung und ihrem Naturalismus haben sie keinen Begriff davon, und sie lassen sich auch nicht belehren. Die Naturalisten meinen, Alles soll sich von selbst machen. Wer eine gute Figur und eine erträgliche Stimme hat, glaubt auch zum Theater berufen zu sein, und macht er auf den Bretern wirklich eine leidliche Erscheinung, so wird er besser bezahlt als hohe Staatsbeamte, und was leistet er dafür? Als die Schauspieler unter einem unbilligen Druck lebten, hielt die Begeisterung für ihre Kunst sie aufrecht; heute findet man sie in allen Gesellschaften, man fühlt sich geschmeichelt, mit ihnen zu verkehren; der Stand hat gewonnen, die Kunst aber verloren. Das Wesen keiner Kunst ist so schwer zu fassen, als gerade dieser; überall kann man sich leichter zurecht finden. Aber alle Welt glaubt über das Theater reden und urtheilen zu können; es scheint sich von selbst zu verstehen, daß hier ein Jeder von Hause aus Kunstkenner ist, und doch wissen die Allerwenigsten, worauf es ankommt. 234