Rudolf Köpke
Ludwig Tieck
Rudolf Köpke

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6. Jugendgefährten.

Es war eine schöne, ahnungsvolle Zeit, als der Knabe zum Jüngling ward. Noch sah er halb träumerisch in das Leben hinein, das vor ihm lag wie eine Morgenlandschaft, über welcher die Sonne golden und funkelnd aufgegangen ist. Durch die zerreißenden Nebelschleier öffneten sich helle Blicke in die Tiefen der Ferne, und die fremdartigen Schatten der Wolkenstreifen, welche in wechselnden Lichtern und Farben darüber hingleiten, lassen sie noch wunderbarer und lockender erscheinen. Indem sich das Knabenauge diesem Anblicke erschloß, war er selbst ein Anderer geworden. Wie regten sich seine geheimsten Kräfte, und die Quellen seiner Gefühle und Phantasien drängten sprudelnd zu Tage empor. Tausendfach stiegen unbekannte Gedanken und Empfindungen in ihm auf; Sehnsucht und Zuversicht, Zweifel und Hoffnung, Trauer und Freude durchkreuzten sich in seiner Seele. Er war wie ein junger Baum, über den der erste warme Frühlingshauch hingeht, und dessen gährender Saft sich durch alle Adern und Zweige ergießt und zu vollen Knospen emporschwillt.

Sein Herz war zum Ueberfließen voll. Er hatte soviel zu sagen von seinen Träumen und Ahnungen, von seinen Gefühlen, die ihn selig machten und ängstigten zugleich. Er dürstete nach Freundschaft. Mit der Kraft leidenschaftlichen Wollens suchte er ein Herz, in welches er das seine ganz ausschütten könne. Vor dem strengen Vater zitterte er, seine Geschwister sahen zu ihm hinauf, und fremd standen ihm seine Lehrer gegenüber. Sie Alle dachten, fühlten anders als er. Er wollte ein Herz, das mit dem seinen in gleichem Pulse schlage, das ihn verstehe, das seiner Liebe und 64 Freundschaft ausschließlich lebe, das er sein Eigenthum nennen könne.

Schon früher war Ludwig auf einen seiner Mitschüler aufmerksam geworden, der um diese Zeit einen ihm selbst räthselhaft anziehenden Eindruck auf ihn machte. Dies war Friedrich Heinrich Bothe aus Berlin, eben jener, welchem er die Bekanntschaft mit Holberg's Lustspielen verdankte. Mit Eifer und Erfolg hatte sich Bothe auf das Studium der alten Sprachen und Literatur geworfen; schon damals nahm er, dem Anstoße Gedike's folgend, eine philologische Richtung. Er war fähig und nicht ohne Geschmack und Sinn für die sprachliche Seite der Poesie; den Versuchen, welche er gemacht hatte, fehlte die Anerkennung der Lehrer nicht. Auch besaß er ein angenehmes Aeußere. Aber das Bewußtsein seines Strebens und der Ernst, mit welchem er zu Werke ging, gab ihm eine etwas steife Haltung, und nicht ohne Altklugheit fand er die männliche Würde in einem kalten, abgemessenen Wesen. Ludwig, stets leidenschaftlich bewegt, war unendlich verschieden von ihm. Aber gerade auf ihn fiel der vollste und heißeste Strahl seiner Freundschaft. Er sah die natürlichen Einseitigkeiten dieses Geistes nicht, und ohne es zu ahnen, stattete er ihn mit allen Vorzügen eines Ideals aus, welches ihm seine eigene dichtende Phantasie vorgebildet hatte. Bothe war in seinen Augen der begabteste, liebenswürdigste Jüngling; nur er war würdig, ihm seine Gedanken und Empfindungen mitzutheilen, nur er sollte und durfte sein Freund sein.

Mit überschwänglichem Gefühlssturm hatte er dem Auserwählten das innige »Du« angetragen, welches den Seelenbund besiegeln sollte. Doch wie bestürzt war er, als Bothe den schwärmerischen Antrag mit der kühlsten Ruhe aufnahm, zuerst ausweichend antwortete und ihn endlich geradezu 65 ablehnte. Er begriff diese verzehrende Glut nicht, welche sich plötzlich auf ihn warf, denn er fand bei sich selbst nichts, was jenen Gefühlen entsprochen hätte. Er verstand die tiefe Natur nicht, der es ein Bedürfniß war, von ihren Schätzen mitzutheilen, und endete damit, Ludwig's Benehmen sonderbar und unerklärlich zu finden. Diese Entdeckungen machten Ludwig in einem hohen Grade unglücklich. Er hatte nicht anders denken können, als so stürmische Liebe müsse Erwiderung finden, jener müsse sich ebenso sympathetisch bewegt fühlen. Er begann an sich selbst irre zu werden, und doch zog es ihn mit der Gewalt eines geheimen Zaubers zu seinem spröden Gefährten hin. Aber je dringender er ward, desto kälter, abweisender zeigte sich jener. Ein brennend heißer Schmerz durchbohrte seine Seele. Er sah sich verkannt, das Beste, was er geben konnte, verschmäht. Eine bittere Selbstverachtung bemächtigte sich seiner. Wie niedrig mußte er nicht stehen, wenn ein so hochbegabter Jüngling ihn mit voller Absicht verwerfen konnte! Die leidenschaftlichsten Auftritte erfolgten. Schmerz, Zorn, Wuth arbeiteten in seiner Seele. Oft brach er in Thränen aus, er bat, flehte, beschwor. Umsonst! Jener blieb altklug, kalt und verschlossen.

Zwar wurde der literarische Verkehr nicht abgebrochen, ja sogar zu Spaziergängen und kleinen Wanderungen ließ sich der Gefährte bereit finden, aber überall blieb er sich gleich. Ein längeres Beisammensein machte ihn nicht vertraulicher, und manche Entbehrungen und Abenteuer, die sie miteinander theilten, öffneten sein Herz nicht. In den Ferien pflegte Ludwig seine mütterlichen Verwandten zu besuchen. Ein Bruder seiner Mutter war Schmiedemeister in Golzow bei Brandenburg, und auch in Lehnin hatte man Freunde und Bekannte. Auf einer solchen Ferienreise 66 gegeschah es, daß die Gefährten sich in den Haiden hinter Potsdam verirrten. Sie glaubten im heimischen Sande verschmachten zu müssen, bis sie nach manchen Irrfahrten nach Potsdam zurückkamen, von wo sie ausgegangen waren.

Endlich mußte sich Ludwig mit Schmerzen überzeugen, sein stürmisches Liebeswerben sei vergeblich. Er verfiel in Trübsinn, in Schwermuth. Er, sonst so frisch und heiter, ward finster, wortkarg und gleichgültig gegen das Zureden der Aeltern und Geschwister; sein sonst so offener Sinn schien für die Außenwelt verschlossen. Neue heftige Ausbrüche der Leidenschaft rissen ihn aus dieser Abspannung empor, um ihn dann nur tiefer versinken zu lassen. In gewohnter Weise hatte er den feindseligen Freund eines Nachmittags auf dem Heimwege aus der Schule begleitet. Abermals hatte er ihn mit vergeblichen Bitten bestürmt. Da ergriff ihn eine verzweifelte Wuth; er war sich selbst zur Last, zum Ueberdrusse. In diesem Augenblick gingen sie über die Gertraudtenbrücke. Ludwig durchzuckte ein Gedanke. Er wollte das verhaßte Leben von sich werfen, sich vor den Augen des Freundes in das Wasser stürzen. Sein Tod sollte das felsenharte Herz rühren und ihn überzeugen, wie sehr er ihn geliebt habe. Er trat an den Rand der Brücke, und verzweifelt und kindisch zugleich stieß er einen schweren Stein, welcher dort als Brückenbeschwerer lag, in den Fluß. Mit großem Geräusch stürzte der Stein hinab. Aber ohne den Kopf zu wenden, ging der Andere seines Wegs weiter. Ludwig's Zorn über diese neue Härte steigerte sich zum Ingrimm. Er stürzte dem Freunde nach und ereilte ihn auf dem Dönhoffsplatze. Die Stimme versagte ihm vor innerer Bewegung. Endlich rief er: »So, jetzt habe ich Sie erkannt! Ist das auch nur menschlich gehandelt? Was würden Sie denn gethan haben, wenn ich mich nun wirklich in das 67 Wasser gestürzt hätte?« »Ich würde Sie unaussprechlich verachtet haben«, erwiderte jener ruhig. Ludwig verstummte, und ging weinend nach Hause.

Aber er täuschte sich. Er hatte keineswegs den störrischen Freund erkannt, und noch Manches sollte er leiden, ehe er zur wirklichen Erkenntniß kam. In seinem Zimmer hatten sich die leidenschaftlichen, nie zu schlichtenden Kämpfe zwischen dichterischer Täuschung und altkluger Verständigkeit wiederholt. Erschöpft war er endlich auf das Bett gesunken, und während Bothe gleichgültig neben demselben saß, in einen tiefen Schlaf verfallen. Diesen Augenblick benutzte der Ungetreue, um sich in der Stille zu entfernen. Als Ludwig nach einiger Zeit erwachte, und sich auch um den Abschied betrogen sah, packte ihn eine wildere Wuth als jemals. In einer Art von Raserei sprang er empor, er schlug um sich, er zertrümmerte die Fensterscheiben, und zerbrach was ihm unter die Hände kam. Ermattet stürzte er endlich unter krampfhaftem Schluchzen wieder auf das Bett, und begrub sein Gesicht in die Kissen. Mit Schrecken sah die herbeieilende Mutter die Verwüstung, welche er angerichtet hatte. Ihr erster Gedanke war das Strafgericht, das hereinbrechen mußte, sobald der Vater nach Hause kam. Beschwichtigend redete sie dem Sohne zu; er ward stiller, an die Stelle des Zorns trat die Furcht. Als der Vater zurückkehrte, hörte er den Bericht über den sonderbaren Vorfall schweigend an. Er schalt nicht, er strafte nicht, er hieß Ludwig zu Bette gehen und ausschlafen.

Zagend trat er am andern Morgen vor den Vater. Ohne des angerichteten Schadens mit einem Worte zu gedenken, sagte dieser ruhig, doch mit tiefem Ernst zu ihm: »Ich sehe, du erwartest Strafe. Auch hast du sie hinreichend verdient, doch soll sie dir diesmal erlassen sein. Aber nun bitte ich 68 dich, besinne dich! Wohin ist es mit dir gekommen? Du bist ein anderer Mensch geworden! Du zeigst dich nichtachtend gegen deine Aeltern, vernachlässigst deine Geschwister, und bist gleichgültig gegen unsere Liebe. Und das Alles, weil du einen Menschen mit deiner Liebe verfolgst, der von dir nichts wissen will! Siehst du denn nicht, daß du ihm nichts bist? Er hat kein Herz für dich, er begreift nicht einmal deine Liebe zu ihm! Und wohin wird dich diese Leidenschaft und blinde Wuth noch führen? Ich fürchte, sie wird einmal sehr unglücklich machen!«

So mild, so überzeugend hatte Ludwig den strengen Vater noch nicht sprechen hören. Diesen Ton kannte er kaum an ihm. Und gerade bei dieser Veranlassung verfehlte er seinen Eindruck am wenigsten. Er war tief erschüttert; er fühlte die Wahrheit der väterlichen Worte, und kam allmälig zur Besinnung. Endlich sollte er diese Bande ganz sprengen.

Wiederum hatten die Genossen eine gemeinsame Fußreise unternommen. Soeben hatten sie Brandenburg verlassen, als Bothe plötzlich erklärte, er müsse noch einmal dahin zurückkehren, und zwar allein. Dessen ungeachtet trug Ludwig in dringender Weise seine Begleitung an. »Ich kann Sie nicht brauchen«, erwiderte jener kalt, »und werde allein gehen!« Nochmals flammte die ganze Leidenschaft auf. Weinend und beschwörend, ihm wenigstens Gründe für diesen unerwarteten Entschluß anzugeben, ging er eine Zeit lang neben Bothe her. Da dieser schweigend seinen Weg verfolgte, so riß seine Geduld, und plötzlich schien die Liebe in Haß umzuschlagen. »So geh' denn, dummer Junge!« rief er trotzig. Aber schon in demselben Augenblicke ergriff ihn Schrecken über die Lästerung, die er auszustoßen gewagt hatte. Er wollte den Gekränkten um Verzeihung bitten, aber dieser ging ohne auf 69 die Schmähung zu achten weiter. Beschämt blieb Ludwig stehen. Dann machte er sich schmollend und trotzend allein auf den Heimweg.

Mit jenem knabenhaften Ausrufe hatte er sich befreit; er gedachte der Worte des Vaters, der Schleier, der auf seiner Seele gelegen hatte, war zerrissen. Er fing an zu zweifeln und zu prüfen, und endlich sah er den harten Freund mit andern Augen an. Der verklärende Schimmer, mit dem er ihn umgeben hatte, war verschwunden, er erschien ihm gleichgültig und gewöhnlich, wie viele seiner Schulgefährten. Zuletzt war seine Leidenschaft ihm selbst zum Räthsel geworden.

So war ihm gerade aus der Fülle seines Herzens das bittere Gefühl menschlicher Schwäche bis zur Selbstverachtung entsprungen, und seine überschwellende Seligkeit hatte ihm einen Schmerz geboren, wie er ihn tiefer und schneidender nicht erlebt hatte. Mit den bittern Erfahrungen, die sie mit sich brachte, hatte er sich auch Das erkauft, die Geister prüfen und unterscheiden zu lernen.In den hier geschilderten Zuständen fanden die später, erst 1800, gedichteten Sonette an Bothe, Toll und Wackenroder ihre Veranlassung. Tieck's »Gedichte« (zweite Ausgabe), II, 71.

Wie er Freundschaft da gesucht hatte, wo er sie nicht fand, so hatten die besten unter den Schulgefährten um seine Freundschaft geworben, aber in seiner blinden Neigung für den Einen hatte er es nicht erwidert, ja kaum beachtet. Und er war dazu geschaffen, der Mittelpunkt eines Freundeskreises zu werden. Voll Geist und Feuer, aufbrausend in jugendlicher Lust und Laune bis zum Uebermuth, kühn und sicher in seinen Urtheilen, reich an Kenntnissen, bereit zu jeder Hülfe in Wort und That, gutmüthig, offen und hingebend, ja zu Zeiten weich, körperlich kräftig, in seiner Gesichtsbildung schön, wie hätte er da nicht die Aufmerksamkeit und Neigung gerade der begabtesten unter seinen Schulgenossen sich gewinnen sollen? Mehr noch als durch 70 einzelne hervorstechende Eigenschaften schien er durch einen stillen und unerklärlichen Zauber, der aus seinem ganzen Wesen sprach, mächtig anziehend auf sie zu wirken, und so bildete sich ein Kreis von Jugendgefährten um ihn, unter denen er mehr als einen Herzensfreund fand.

An Geist, Talent und Streben ihm der Verwandteste, als Freund der treueste und hingebendste war Wilhelm Heinrich Wackenroder. Er war eines Alters mit Ludwig, wie er geboren im Jahre 1773, und gehörte einer der angesehensten Familien Berlins an. Sein Vater, der Geheime Kriegsrath und Justizbürgermeister Wackenroder, war ein strenger und ehrenfester Beamter, ganz im Geiste des Zeitalters Friedrich's des Großen gebildet, klar, nüchtern und pflichtgetreu, umsichtig und unermüdlich, erfüllt von dem Gedanken der Bürgertugend, und von warmer Hingebung an den jungen, wachsenden Staat und den großen König, der ihn geschaffen hatte. In den schweren Zeiten des Siebenjährigen Krieges, als Berlin durch Russen und Oestreicher besetzt wurde, hatte er im Namen der Stadt mit den feindlichen Generalen verhandelt, und später in Stadt- und Staatsämtern durch seinen Eifer sich hervorgethan.Ueber Wackenroder's Vater ist zu verweisen auf die kleine Schrift: »Erinnerungen an Ch. B. Wackenroder, königl. preuß. Geh. Kriegsrath und ersten Justizbürgermeister zu Berlin von J. Klein« (Berlin 1809). Der alte Wackenroder war auch Schriftsteller; er verfaßte »Betrachtungen über Geschäfte und Vergnügungen« (Leipzig 1768) die drei Auflagen erlebten. Er starb 1806, 77 Jahre alt. Mit größter Sorgfalt ließ er seinen einzigen Sohn erziehen. Zuerst hatte er ihn durch häuslichen Unterricht bilden lassen, und dann der anerkannten Schule seines Freundes Gedike übergeben. In der zweiten Classe des Friedrich-Werderschen Gymnasiums war es, wo Ludwig und der junge Wackenroder zuerst sich begegneten. Sogleich fühlte dieser sich angezogen, und nach den schmerzlichen Erfahrungen, die er gemacht hatte, hielt nun auch Ludwig den neugewonnenen Freund um so fester.

Wackenroder war eine ahnungsvolle, prophetische Natur. Still und träumerisch schien er den Blick nur in die Tiefen seines Innern zu senken, und den Sinn für die Außenwelt 71 weder zu besitzen noch zu vermissen. Im täglichen Verkehr war er linkisch und unbehülflich, daher weltklügere Genossen nicht selten über ihn lächelten, und ihn mit wohlfeiler Mühe zum Gegenstande ihres Witzes machten. Sie begriffen das Weiche, Zarte, ja Rührende nicht, das wie ein geheimnißvoller Schleier auf seiner ganzen Erscheinung ruhte. Es lebte in ihm der einfache, unschuldige Kinderglaube, dem es ein unbewußtes Bedürfniß ist, sich an Höheres hinzugeben. Um seinetwillen konnte er auch das mit dem größten Vertrauen hinnehmen, was seiner eigenen Natur zuwider war. Darum war nichts leichter, als ihn in gewöhnlichen Dingen zu täuschen und irrezuführen. Das Wunder schien die Welt zu sein, in der er eigentlich lebte, während das Alltägliche für ihn zum Wunder wurde. Aus diesen Träumen zuckten dann Blitzen gleich tiefsinnige Auffassungen hervor; er konnte zu Zeiten schwärmerisch scheinen. Als wenn er dunkel gefühlt hätte, daß diese innere Welt eines äußern Gegengewichts bedürfe, wenn er nicht ganz in ihr verloren gehen wolle, klammerte er sich ängstlich an gewisse Ordnungen. Sobald sie ihm einmal zur Gewohnheit geworden waren, gab er sie nicht wieder auf. Er war ein peinlich fleißiger Schüler, und in aller Ueberschwänglichkeit hielt er mit Zähigkeit an einer bestimmten Zeiteintheilung fest, die ihm anerzogen worden war. Wer ihn nur in solchen Augenblicken sah, konnte ihn für nüchtern, ja pedantisch halten. Die bürgerliche Natur des Vaters schien dann die Oberhand zu gewinnen. Allmälig entwickelte er die glücklichsten Anlagen. Vor allem schien die Musik sein ganzes Wesen zu durchdringen. Ein elektrischer Stoff hatte sich hier angesammelt, der nur auf die rechte Art der Berührung wartete, um durch seine sprühenden Funken zu blenden.

Zwei Geister waren zusammengeführt worden, die für 72 einander geschaffen zu sein schienen. Beide wandten sich mit ganzer Kraft dem Leben in der Phantasie und Dichtung zu. Aber sie waren doch darin verschieden, daß Ludwig seine Kreise weiter zu ziehen, mehr zu umfassen strebte, Wackenroder still beschaulich in die Tiefen des Einzelnen sich versenkte, daß jener kritisch humoristisch, dieser glaubensvoll war, der Eine mehr schöpferisch, der Andere mehr empfänglich. Dies führte zu manchen Meinungsverschiedenheiten im Einzelnen, die sich aber in den gleichen Grundtönen ihrer Seelen immer wieder auflösten. Wackenroder hielt z. B. Ramler, der in dem Hause seines Vaters verkehrte, lange Zeit für einen der ersten und größten Dichter, während Ludwig's keckes Urtheil ihn als Poeten alten Stils bezeichnete, dem die eigentlich dichterische Ader fehle. Nur sehr schwer ließ sich Wackenroder diesen Glauben durch die schonungslosen Ausführungen seines Freundes entreißen. Von jetzt an theilten sie alle Leiden und Freuden des innern Lebens wie des Schulverkehrs, und Ludwig wurde ein gern gesehener täglicher Gast und Freund in dem Hause des Bürgermeisters von Berlin.

Eine entgegengesetzte Natur war Friedrich Toll, der Sohn eines Beamten der berliner Porzellanfabrik. Er war fest und sicher, strebsam und eifrig, voller Ehrgeiz. Ganz und vollständig suchte er die Dinge zu erforschen. Mit eisernem Fleiße, aber fern von Kleinlichkeit, warf er sich auf die Schulwissenschaften, die ihm den Weg ins Leben bahnen sollten. Auch er besaß bedeutende Anlagen, war jugendlich schwungvoll und poetisch begeistert. Seine Erscheinung war edel und einnehmend; sie hatte etwas Ritterliches. In allen Künsten körperlicher Gewandtheit galt er seinen Genossen als Vorbild.

Zu diesen gesellte sich Wilhelm von Burgsdorff, der Sohn eines märkischen Edelmanns. Zuerst nach den Grundsätzen der damaligen neuen Lehre im Philanthropin zu Dessau 73 erzogen, war er erst in späterer Zeit Gedike's Schüler geworden. Er war frisch, natürlich und lebhaft, von schneller Auffassung und glücklichen Gaben, gutmüthig, aber auch leichtsinnig und hochfahrend.

Der Humorist in diesem jugendlichen Kreise war Viering, der Sohn eines Landpredigers. Er lebte in dem Hause des Kriegsraths Müller, dessen Obhut er anvertraut war. Reich an launigen Einfällen und immer neuen Anschlägen, besaß er einen nicht unbedeutenden Sinn für das Komische und dessen Auffassung und Darstellung. Was er schrieb, trug oft einen so eigenthümlich frischen Humor an sich, daß Ludwig in späterer Zeit, als man Jean Paul zu lesen anfing, an seinen Jugendfreund erinnert wurde. Einst war eine moralische Abhandlung über das Sprüchwort: »Wie man's treibt, so geht's«, verlangt worden. Viering gab eine lebendige und gefühlte Schilderung des einfachen Natur- und Landlebens, in der er zuletzt mit überraschender Wendung zwei Gänsejungen erscheinen ließ, die auf verschiedenen Wegen und in verschiedenen Zeiten ihre Heerden dem gemeinsamen Weideplatze zutreiben. Der Lehrer schüttelte über solche Abgeschmacktheit den Kopf, während Ludwig's ganze Theilnahme durch die satirische Keckheit des Tons gewonnen wurde. Oft theilte der neue Freund sein helles und geräumiges Zimmer mit Ludwig. Hier arbeiteten sie miteinander, und ersannen auch manchen muthwilligen Anschlag.

Auf diesem Wege lernte Ludwig auch Adam Müller, den Sohn des Kriegsraths Müller, kennen. Doch gehörte dieser, wie Wilhelm von Schütz, bereits einem jüngern Geschlecht an. Ohne damals in diesen Kreis eintreten zu können, schlossen sich Beide an einzelne Glieder desselben erst in späterer Zeit an.

74 Dagegen hatten die Freunde einen andern Genossen gefunden, der, um mehrere Jahre älter, unter diesen kecken Geistern die alltägliche Mittelmäßigkeit vertrat, sich aber doch mit einem aufrichtigen und gründlichen Eifer für Alles zu begeistern suchte, was jene bewegte. Es war dies ein gewisser Piesker, dessen Vater Verwalter auf dem nahe bei Berlin gelegenen Gute Fredersdorf gewesen war. Er liebte es, den altklugen Mentor, das Gewissen in diesem Kreise zu spielen. Mit Verdruß sah er dem muthwilligen Treiben der Andern zu, denen es in ihren wilden Launen auf ein Mehr oder Weniger nicht sonderlich ankam. Zu ihrer großen Erheiterung konnte er sich dann ungemein ereifern; er hielt ihnen die eindringlichsten Strafreden über ihre Thorheit, ihren Leichtsinn, vor allem über ihre Neigung zur Lüge. Denn unter diesem Namen verfolgte er mit komischem Ernst jede Flüchtigkeit in der Auffassung, jede jugendliche Uebertreibung, jede ironische Wendung. Dann belehrte er die Freunde, er werde ihnen zeigen, was thatsächliche Wahrheit sei, und ihnen eine einfache Darstellung geben, wie die Sache wirklich gewesen sei. Daraus ergab sich in der Regel, daß er weniger gesehen und gehört hatte als alle Andern. Sein Aeußeres war abstoßend; er hatte eine plattgedrückte Nase, einen wulstigen, aufgeworfenen Mund, sein Gesicht war von Blatternarben entstellt. Dennoch war er allgemein geliebt, trotz seiner Steifheit und seines ungerechten und mürrischen Scheltens. Man kannte seine Treue, seine Zuverlässigkeit, man fühlte in ihm die Sicherheit einer geraden, einfachen Natur heraus.

Niemand schloß sich fester an ihn als Ludwig, der ahnen mochte, daß er bei seiner abspringenden Reizbarkeit und seinen wechselnden Stimmungen der Ergänzung durch einen nüchternen und wohlmeinenden Freund bedürfe. Auch besuchte er ihn auf dem Gute Fredersdorf. Hier streifte man 75 durch Wald und Feld, brachte die Sommernächte unter freiem Himmel zu, machte sich Herzensbekenntnisse, und verlor sich in tausend hochfliegenden Plänen für die Zukunft.



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