Adolph Freiherr Knigge
Geschichte Peter Clausens
Adolph Freiherr Knigge

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Elftes Capitel

Clausbach trägt nicht wenig dazu bey, seinen Sturz zu beschleunigen.

Es ist schon oft gesagt worden, daß, wenn man den Muth verliert, man alles verloren habe und daß alsdann jede Sache krebsgängig gehn müsse, da hingegen der Mann, den Verstand, Gegenwart des Geistes, Hoffnung und Zuversicht in entscheidenden Augenblicken nicht verlassen, sich auch aus den verwickeltsten Lagen mit Ehren herausziehen könne. Ferner will man bemerkt haben, daß auch die größten Minister mehrentheils den Kopf verlieren, wenn ihr Ansehn zu wanken anfängt, und daß sie dadurch ihren Sturz beschleunigen. Wenn man Unruhe und Furcht an der Stelle der vorigen Selbstgenügsamkeit und Sicherheit auf dem Gesichte eines großen Mannes liest, so gibt das den Feinden Muth und den Unpartheyischen Argwohn. Wenn er anfängt, ängstlicher, zudringlicher um die Person des Fürsten herumzugehn, so fällt auch bey Diesem jene Ehrerbiethung gegen das wahre Verdienst weg, die vielleicht bis dahin noch die Waagschale des Mannes, den man anzutasten sich nicht erkühnt hätte, gegen die Verleumdung niederhielt; und wenn er endlich in seinem äußern Betragen höflicher, herablassender wie vorher gegen das kleine Hofvolk und vertraulicher mit niederträchtigen Subalternen wird – ja! wenn er gar sich so weit vergißt, über Feinde und Verfolgung zu klagen – so ist er verloren! Bleibt er hingegen sich immer gleich, verbeißt jeden Kummer, jeden Unwillen, bis er in sein Kämmerlein oder in den Schoß seiner Familie zurückkömmt (Nota bene! wenn er ein kluges Weib hat, denn sonst wollte ich bitten, auch da zu schweigen), thut er ohne Affectation, als wenn er freywillig wenig mit dem Fürsten redete – Man weiß ja nicht, ob er nicht schon im Cabinette bey ihm gewesen ist – Scheint er nicht nachdenkender, nicht ernsthafter, nicht mißtrauischer, nicht gefälliger, nicht höflicher, nicht kränklicher, aber auch nicht gezwungen lustiger noch gröber, noch hochmüthiger, noch erheischender wie vorher, so merkt die große Anzahl derer, die den Zusammenhang nicht wissen, weiter nichts, forscht auch nicht, und die dii minorum gentium wagen nichts, sondern denken: »Ma foi! der Mann muß seiner Sache sehr gewiß seyn! Vielleicht hat er geheimen Schutz. Fürsten sind falsch. Vielleicht hält selbst der Herr es im Grunde mit ihm und will uns nur auf die Probe setzen.« Dann werden auch die Hauptfeinde irre, können wenigstens nicht alle ihre Maschinen in Bewegung setzen, fallen zuweilen in ihre eigenen Schlingen, oder die Sache wird dergestalt in die Länge gezogen, daß der erste Eifer verraucht oder indes eine neue Revolution in den Gemüthern und Begebenheiten zum Vortheile des Verfolgten vom Schicksale herbeygeführt wird.

Überhaupt, meine werthen Leser! wage ich es, Ihnen aus eigner Erfahrung mit dem Rathe unter die Arme zu greifen, jeden Unfall Ihres Lebens soviel möglich vor allen andern Menschen zu verbergen. Wenn Sie diesem meinem Rathe folgen, so stehe ich dafür ein, daß Sie eine Menge Ihrer Brüder von Einer schlechten Seite weniger kennenlernen und Sich manche noch trübere Stunde ersparen werden.

Da es übrigens sehr gewöhnlich ist, daß man andre Leute zu Tugenden ermahnt, die man selbst nicht hat, so brauche ich mich wohl nicht zu scheuen, Ihnen zu bekennen, daß ich mich in meiner vorher beschriebnen critischen Lage gar nicht so aufführte, wie es die Ihnen eben angepriesene Klugheit erfordert hätte, denn, so wie ich von Tage zu Tage mein Ansehn sinken sah, wich auch aller Schein von Ruhe, Würde, Zufriedenheit und Gesetztheit von mir. Alles Zureden meines Freundes und meiner Frau half nichts. Meine Launen waren unerträglich, und diese meine unweise Aufführung machte, daß von den erbärmlichsten Hofschranzen an bis zu dem Fürsten hinauf alle Schonung, alles äußere Zeichen von Achtung und Ehrerbiethung und alle Dankbarkeitsbezeugungen für meine wahrhaftig uneigennützigen Dienste sehr merklich gegen mich nachließen.

Der alte Mehlfeld warf nun auch öffentlich seine Larve ab. Er und seine Nichte begegneten mir mit ausgezeichneter Verachtung. Der alte Heuchler fing an, wieder auszugehn, zuckte die Achseln, wenn von mir die Rede war, versicherte: es sey ihm leid, zu hören, daß sich so sehr böse Dinge gegen den Herrn Geheimenrath von Clausbach hervorthäten; auf gewisse Weise mache er sich selbst Vorwürfe deshalb, da er im Grunde mit die Veranlassung gegeben hätte, diesen Fremden in einem so ansehnlichen Posten zu placieren. Auch fehle es dem Herrn von Clausbach nicht an Verstande und Fähigkeiten; aber das Herz, das Herz! Und das sey doch die Hauptsache. Ein Mann ohne Christenthum sey ein gefährlicher Mann; Gott wisse alles an den Tag zu bringen. Auf dergleichen Art hetzte er unaufhörlich, reizte Jeden an, aufzusuchen, was man mir etwa zur Last legen könnte, und brachte es endlich dahin, daß der Fürst ihm, als einem unpartheyischen, der Sache aus alter Erfahrung kundigen Manne, auftrug, mit Hilfe von einem paar andern Leuten, die er selbst wählen möchte, in der Stille die gegen mich angebrachten Gravamina unter der Hand zu untersuchen.

Kaum hatten es meine Feinde dahin gebracht, so präsentierte sich mein Sultan in einem Lichte, in welchem ich ihn lieber nicht möchte erblickt haben, obgleich böse Menschen behaupten, daß Viele seiner Collegen sich gern darin zu zeigen pflegen; ich meine nämlich mit der schändlichsten Verstellung ausgerüstet. Er war immer gleich freundlich und artig gegen mich. Man sah ihm auch nicht im Mindesten an, daß es ihn betrübt hätte, sich von einem Freunde hintergangen zu glauben, und vorzüglich galant und verbindlich war er gegen meine Frau, der er, sooft sie bey Hof erschien, tausend Schmeicheleyen sagte.

Hier muß ich einen Augenblick abbrechen, um Ihnen etwas von der Lebensart dieses guten Weibes und von unsrer häuslichen Lage zu erzählen. Ich denke, ich habe zu lange davon geschwiegen; allein daran sind die verzweifelten Hofcabalen Schuld.

Sie wissen, daß, als ich meine Frau nach . . . brachte, der hohe Adel uns zum Theil von oben herab mit stiftsmäßiger Verachtung behandeln und uns persiflieren wollte. Ein paar kräftige Scenen aber, die meine Gattin mit Einigen von diesen noblen Damen spielte und in welchen von ihrer Seite Witz, gute Laune und Gegenwart des Geistes, sehr auf Unkosten dieser armen Geschöpfe, hervorglänzten, machten auf einmal dem Dinge also ein Ende, daß Keine es fernerhin wagte, ihr anders wie mit Huldigung zu begegnen. Weil sie indessen nicht den geringsten Beruf fühlte, sich mit solchen Menschen enger zu verbinden, wählte sie sich ein paar gute, mit ihr sympathisierende Weiber zu ihrem Umgange und enthielt sich übrigens, soviel es ohne Verletzung der höflichen Anständigkeit geschehn konnte, aller leeren, unbedeutenden Gesellschaften. Bey Hofe erschien sie grade so oft, wie es Klugheit und Gefälligkeit für unsern Despoten forderten, und sie wurde daselbst mit derjenigen ausgezeichneten Aufmerksamkeit bewillkommt, welche der Rang ihres Mannes, noch mehr aber die Würde und Feinheit ihres untadelhaften Betragens mit Recht erwarten konnten. Den übrigen, größten Theil ihrer Zeit widmete sie ihren häuslichen Pflichten. Es schien nicht, als wenn wir mehr Kinder bekommen sollten. Unterdessen wuchs aber unser Albert heran (Er ist jetzt acht Jahre alt und verspricht ein redlicher teutscher, grader, gesunder Kerl an Leib und Seele zu werden), und seine Erziehung war ihr wichtigstes und liebstes Geschäfte.

Madame Novanelle war, wie bekannt, die Schöpferin meines Glücks. Nicht nur also verbanden mich Gefühle der Dankbarkeit, sie mit Güte und Schonung zu behandeln, sondern, wenn ich auch, solange sie in Ansehn stand, nicht hätte auf politische Klugheit Rücksicht nehmen wollen, so war sie doch, wie wir gesehn haben, weder eine gefährliche Person von schlechter Gemüthsart noch auch unangenehm im Umgange. Ihre Verbindung mit dem Fürsten war freylich nicht sehr canonisch, aber Dieser hatte ja keine Gemahlin, und am Ende war ich nicht Richter über ihre Handlungen. – Man geht ja auch in der großen Welt oft mit vornehmen Damen um, die ein weit ärgerlichers Leben führen, ohne daß weiter jemand darüber spricht. Desfalls nun hielt es meine Frau nicht für schimpflich, die Dame Novanelle zuweilen freundschaftlich zu besuchen; und als ihre Gesundheit zugleich mit ihrem Glanze zu sinken anfing, wurde es ein Gewissenspunct für uns, sie nicht zu verlassen. Meine Gattin ging daher auch jetzt noch fast täglich an der Hand unsres Söhnchens mit ihrer Arbeit zu ihr, setzte sich dann vor das Bette der Kranken und plauderte ihr etwas vor – Es war Trost für die Leidende, denn das Heer von Schmeichlern und Schmeichlerinnen floh nun weit von ihr, seitdem es Ihrer nicht mehr bedurfte.

So standen dann überhaupt die Sachen, als ich die unerwartete Nachricht bekam, daß der alte Haftendonk in Amsterdam ohne alle rechtmäßige Erben gestorben wäre, auf seinem Totenbette zwar den größten Theil seines Vermögens den Armen hinterlassen, aber auch ein Capital von achtzigtausend holländischen Gulden dem kleinen Albert menschenfreundlich vermacht hätte. Gott segne ihn noch dafür in der Ewigkeit! Es war doch wahrlich recht edel gehandelt, und wir hatten nun ansehnlich an Reichthum gewonnen. Soll ich es indessen zu meiner Schande bekennen? Ich war noch so voll falschen Vorurtheils über die elende Ehre der Welt, daß ich gern alles Geld hingegeben hätte, wenn es möglich gewesen wäre, mich dadurch aus meiner unangenehmen Lage zu reißen.

Unterdessen wurde alles folgendermaßen verabredet: Die Erbschaft sollte ein Geheimnis vor der ganzen Stadt bleiben. Das Geld war schon in Hamburg deponiert; dahin mußte ich also nothwendig reisen. Unterwegens sollte ich ein gewisses Landgut beschaun, das wir uns zu unsrer Retirade ausersehn hatten, deren wir, wie es klar am Tage lag, nun bald nöthig haben würden und wovon wir im folgenden Capitel mehr reden werden.

Ich nahm unter einem scheinbaren Vorwande auf vierzehn Tage Urlaub von meinem Herrn, welcher mir denselben mit der falschesten Freundlichkeit zugestand, und so beging ich dann auch den letzten erzdummen Streich, mich in einer so kitzligen Situation zu entfernen und meinen Feinden das freye Feld zu lassen. Aber es war nun einmal von der Vorsehung zu meinem Besten beschlossen. Ich reiste also am zwölften August ab.


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