Adolph Freiherr Knigge
Geschichte Peter Clausens
Adolph Freiherr Knigge

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Fünftes Capitel

Bemerkungen und Begebenheiten auf der Reise.

Nach dem, was ich eben über die Bemerkungen, welche Reisende machen, gesagt habe, werden meine Leser, hoffe ich, mir zutrauen, daß ich sie nicht mit denen, welche wir einzeln aufsammelten, heimzusuchen und überhaupt hier keine weitläufige Beschreibung unsers Zuges zu liefern die Absicht hege. Da wir übrigens gleich anfangs ausgemacht hatten, daß Jeder von uns ein Journal führen sollte, auch vom Fürsten bis auf den Cammerdiener Jeder in seinem Departement angewiesen war, welche Gegenstände ihm vorzüglich zu beobachten oblägen, und endlich dieser ganze Schatz von Beobachtungen gegenwärtig in meinen Händen ist, so könnte es leicht noch kommen, daß, wenn mich einmal wieder die Autormanie befiele, ich den ganzen Bettel auf Pränumeration herausgäbe.

So viel kann ich Sie indessen versichern, daß wir die Menschen aller Orten gleich fanden – Ein narrisches Volk, wahrhaftig! In ewigem Streite um Kleinigkeiten; miteinander, gegeneinander, durcheinander wirkend; in unbestimmter Thätigkeit; in unaufhörlichem Widerspruche mit sich selber; Tugend wollend und Bosheit ausübend; Wahrheit suchend, Wahrheit verwerfend; die Stecknadel aufhebend und den Ducaten mit Füßen tretend; bauend, um niederstürzen zu dürfen; sich einander zerreißend, um dann die Stücke wieder zusammensuchen zu können; wie die Kinder von erdichteten Begebenheiten gerührt und bey wahrhaften Unglücksfällen kalt; weinend bey einem Roman, aber gleichgültig den Jammer von Messina im Calender lesend; Herr seines Schicksals und doch murrend über das Werk seiner Hände; nie zufrieden mit seinem Zustande; suchend, was es hier unten nie finden kann; begehrend, was es nicht hat; seyn wollend, was es nicht ist; strebend nach dem, was ihm nicht nützen kann. Da will der kleine Graf den Kaiser spielen, und Kaiser und König möchten lieber leben wie Bürger; der Gelehrte trägt gern einen Rock, der einer Uniform ähnlich sieht, und der Officier Cavalierskleider, der Geistliche bunt und der Weltmann ein clericalisches Gewand; der Pfarrer sammelt Insecten, und der Arzt liest Kirchenväter. Der Eine speist bey Tische die besten Brocken zuerst vom Teller weg, der Andre sucht die Kastanien aus dem braunen Kohl heraus, legt sie auf die Seite und spart sich den Genuß auf; und Jeder raisonniert darüber und behauptet, daß Er Recht habe. »Ich verlängre meine Freuden«, sagt Hans, »indem ich die Kastanien erst lange vorher mit Vergnügen anschaue und endlich speise.« »Ich nütze den Augenblick«, sagt Fritz, »weil ich noch Hunger habe und noch lebe.« – »Meinetwegen thut, was Ihr wollt, nur schlaget Euch nicht um die Meinungen«, sagt der Minister, Peter Claus von Clausbach. – Arme Narren! Lasset uns doch Geduld haben Einer mit dem Andern! Ich trage meine Kappe mit Freuden, mag sie keinem Andern abreißen, auch die meinige niemand aufhängen.

Doch wohin gerathe ich? Das alles wissen Sie ja ebensogut. Es ist nun einmal unter dem Monde nicht anders. Wir wollen es in Gottes Namen also seyn lassen.

Zur Abwechselung will ich Ihnen aber noch allerley erzählen, was uns unterwegens begegnete. Wir reisten durch mein hannoversches Vaterland und kamen bey dem Thore des Städtchens Pattensen vorbey. An der Kutsche, darin ich mit dem Fürsten saß, zerbrach etwas, und wir mußten über sechs Stunden lang liegen bleiben. Ich nützte diesen Zwischenraum, um den Fürsten zu bitten, mir zu erlauben, nach Eldagsen zu fahren. Warum? darüber erklärte ich mich gegen ihn nicht deutlich. Doch Sie wissen, meine Herrn und Damen, es war mein Geburtsort, und der Geburtsort hat so etwas Anziehendes, das sich nun freylich besser empfinden wie beschreiben läßt. Wenn man sich da zurückdenkt, in jene unschuldig glücklichen Jahre der Kindheit, wo das harmlose Gemüth noch von keinen Nahrungssorgen gedrückt, von keiner der unzähligen Leidenschaften, Begierden, Bedürfnisse und Wünsche, die nachher unser Elend bauen, in Aufruhr gebracht wurde; wo noch kein mißlungner Plan, keine betrogne Hoffnung, kein untreuer Freund, kein schelmischer Bube, kein leichtsinniges Mädchen unsre Ruhe untergraben hatte; wo noch nicht das Andenken an so manche ausgestandne Leiden noch die Furcht vor künftigem Gram uns den Genuß der Lebensgüter verbitterte; wo noch nicht Abnahme der geistigen und körperlichen Kräfte uns jeden Augenblick an die Vergänglichkeit und Nichtigkeit der irdischen Freuden erinnerte und keiner dieser traurigen Eindrücke den glücklichen Unwissenden mit Sehnsucht nach einer bessern Welt erfüllte – Nein! wo, versunken in den Genuß des Gegenwärtigen, noch eine weite lachende Aussicht von freudenvoller Zukunft, in dem herrlichsten Lichte, mit lebhaften Farben vor unsern Augen dastand – Wenn man sich da herumtummelte auf seinem Steckenpferdchen, das keinen willkürlichen Sprung machte, sondern treulich folgte, durch Dick und Dünn, ohne hintenauszuschlagen, wohin man es auch zog – Ach! lachen Sie nicht, Monsieur! Sie werden ja das auch wohl schon einmal in Ihrem Leben empfunden haben. Oder fehlt Ihnen der Sinn dafür – Was hilft es dann, daß ich viel davon schwatze? – Also zur Sache!

Ich kam nach Eldagsen und sah nicht ohne Rührung die Hütte und das Gärtchen meines Vaters – jetzt in fremden Händen – Ich sah, wie sich hier alles in dreyßig Jahren verfeinert, cultiviert und corrumpiert hatte, wie der Luxus gestiegen war, wie die Mädchen nicht mehr freundlich und treuherzig mit dem Kopfe nickten, sondern, als ich mit meinem Orden vom blauen Heringe vorüberging, mir eine französisch-teutsche Verbeugung machten. Es lebte von meinen Verwandten noch der einzige Sohn meines Oheims, des Bürgermeisters und Apothekers Dromeyer, aber er war gänzlich verarmt. So wenig Beruf ich nun fühlte, mich ihm und Andern zu erkennen zu geben, so hätte ich ihm doch gern etwas zugut gethan, nur wußte ich es nicht recht anzugreifen. Als ich noch darüber nachdachte, ging ich vor dem Rathhause vorbey (das in Amsterdam ist schöner, auch größer). Es fiel mir ein, die Anschlagzettel am schwarzen Brette zu lesen, und da fand ich dann, daß: Peter Claus, von mittlerer Größe, mager von Statur, mit etwas einwärts gebognen Knien und röthlich blonden Haaren (das Lumpengesindel! wie sie mich da abmalten!), gebogner Nase, großen blauen Augen u. s. f., vor etwa dreyßig Jahren das Land verlassen und sich seit dieser Zeit nicht wieder in demselben habe betreten, auch nichts von sich hören lassen, nach dreymaliger Citation nunmehro zum letztenmal vorgeladen werde, eine gewisse Erbschaft von der alten verstorbnen Jungfer Catharina Tütgenmüller, welche deductis deducendis und nach Bezahlung der clausischen väterlichen Schulden 125 Rthlr., 17 Mariengroschen und 3 Pfenninge betrüge, in Empfang zu nehmen oder aber zu gewärtigen, daß besagter Nachlaß seinem Vetter, Jost Heinrich Dromeyer, als nächstem Erben verabfolgt werden würde – »Desto besser!« rief ich aus. »Ich will mich gewiß nicht melden; so hat doch der arme Schlucker auch einmal einen fröhlichen Tag.« Wie konnte auch der Ritter vom blauen Heringe sich um die geringe Erbschaft einer alten Jungfer melden? –

Als ich gegen Abend nach Pattensen zurückkam, fand ich, daß indes der Kammerdiener des Fürsten eine comische Beschreibung dieses Städtchens, in welchem mein gnädigster Herr und sein Gefolge, ich bekenne es, die Stunden nicht eben sehr kurz gefunden, aufgesetzt hatte. Hier ist zur Probe der Anfang dieses Manuscripts:

»Pattensen soll, wie Büsching versichert, ehemals Pattenhusen geheißen haben. Da der alte Name weit länger wie der jetzige ist, so steht zu vermuthen, daß diese in der That gegenwärtig nicht sehr glänzende Stadt ehemals viel größer gewesen seyn müsse und man den Namen abgekürzt habe, als der Ort kleiner geworden, aus Bescheidenheit, um keine großen Erwartungen bey Reisenden zu erregen. Die Unsrigen wurden wirklich äußerst mäßig, sobald meines gnädigsten Herrn Durchlaucht nebst Suite in den besten Gasthof zur Leuchte eintraten und denselben nicht allerdings mit den größten Bequemlichkeiten versehn fanden. Da für das Gefolge des Fürsten außer dem ziemlich sauren weißen Bier und dem in Lübeck verfertigten Franzweine sich kein genießbares Getränk fand, eilte ich nebst dem Friseur Jaques la Marque in die Apotheke, und ließen wir uns daselbst zwey Gläser voll einfachen Kümmelaquavit reichen (vom doppelten war grade damals nichts vorräthig). Besagte Apotheke liegt an einem etwas unfreundlichen Platze, welcher aber, wenn er von schönen Häusern umgeben (das Rathhaus ist doch eines der ansehnlichsten darunter), sehr viel größer, gut gepflastert und etwa mit einem Springbrunnen oder dergleichen versehn wäre, gewiß einer der vorzüglichsten in Teutschland seyn würde. Wir besahen gleich darauf die naheliegende Kirche. Wäre diese von beträchtlich größerm Umfange und besser gebauet, so würde sie den berühmtesten Domkirchen nichts nachgeben. An dem Thurme, welcher in ganz eignem Geschmacke aufgeführt, mit keiner Spitze geziert ist und fast zu niedrig scheint, fiel uns der Mechanismus von zwey Wetterhähnen in die Augen, die, welches gar curios anzusehn ist, sich jedesmal umdrehen, sooft der Wind sich verändert. Es fügte sich grade, daß der Stadtmusicus ein geistliches Lied vom Thurme herabposaunte, und es gereichte uns nicht zu geringer Freude, zu bemerken, daß, da er vermuthlich gegenwärtig mit keinem Gehilfen versehn ist, er sein Amt auf das treueste allein in seiner Person versah, so daß wirklich seine Backen, wie man es gar eigentlich wahrnehmen konnte, vor Diensteifer pechbraun wurden. Nachdem wir auch die Parade hatten stellen gesehn, welches im Grunde nicht viel Zeit wegnahm, trieb mich die Neugier, die in Büschings Erdbeschreibung angezeigten fünf adligen Güter in Augenschein zu nehmen. Hier muß ich aber sagen, daß es uns sehr leid that, die schönen Schlösser der Gutsherrn nebst den Haushaltungsgebäuden nicht bewundern zu können, welches hauptsächlich von dem Umstände herrührte, daß dergleichen zur Zeit nicht vorhanden, sondern in den leidigen heillosen Kriegsjahren verbrannt und verwüstet sind, doch ließen sich noch die Plätze bemerken, wo besagte Gebäude gestanden haben sollten.

Nur Ein Gut fanden wir in vollkommnem Stande, und wenn die Wohn- und ökonomischen Häuser auf selbigem nicht massiv gebauet waren, so mag dies daher rühren, daß etwa die Steine daselbst rar sind, welches ich schon in mehr Gegenden von Teutschland bemerkt zu haben glaube. Der Besitzer dieses Guts sowie einiger andern, welche in der Nachbarschaft liegen sollen, hatte, wie es unter Cavalieren Sitte ist, von seinen Vorfahren beträchtliche darauf haftende Schulden geerbt, welche aber in seiner Abwesenheit, seit neunzehn Jahren, unter der strengsten Aufsicht der Justitz von den Revenüen abbezahlt werden. Er selbst soll, wie ich hörte, die freudenvollen Aussichten, welche ihm diese Einrichtung eröffnet, in fremden Provinzen abwarten, woselbst er aber auf einen gar zu bürgerlichen, einfachen Fuß mit seiner Familie, fern von seinem Vaterlande, als ein Fremdling, mäßig, ein wenig kränklich, aber zufrieden lebt, dabey allerley unnützes Zeug treibt, seine Kinder selbst unterrichtet, Bücher schreibt, viel reist und sich um seine Güter gar nicht bekümmert, welches manchen Leuten sonderbar scheint, doch aber wohl seine Ursachen haben mag.«

Nur getrost, liebe Leser! Wir wollen es zwar bey dieser Probe bewenden lassen; wenn ich aber erst unsre vollständigen Reisejournale herausgebe, dann sollen Sie den ganzen Aufsatz über Pattensen in extenso haben nebst einem saubern, in Kupfer gestochenen Plane der ganzen Gegend, um welchen ich wirklich an jemand aus dem dortigen Magistrate geschrieben habe.

Übrigens reisten wir, sobald der Wagen hergestellt war, weiter.


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