Adolph Freiherr Knigge
Geschichte Peter Clausens
Adolph Freiherr Knigge

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Fünftes Capitel

Peter Claus und seine Gehilfen wandern nach Braunschweig.
Wie sie sich unterwegens und dort auf eine ehrliche Art durchhelfen.

Jetzt war die Frage, wohin wir unsre Schritte leiten und was wir anfangen sollten, Unterhalt zu finden. Unsre Entweichung war so eilig zugegangen, daß keiner von uns Zeit gehabt hatte, sich mit eigenem oder fremdem Gelde zu versehn. Als indes der Morgen herankam und wir uns außer den *** Staaten sahen, fingen Hunger und Durst an, sich bey uns zu melden. Es wurde deswegen ein Kriegsrath gehalten, in welchem der erfahrne, an Einfällen unerschöpfliche Haudritz den Vorsitz hatte. Man untersuchte den Cassenbestand und entdeckte, daß derselbe sich nicht höher als auf einen Groschen und vier Pfennige belief, welche Reyerberg bey sich führte. Bey diesen traurigen Umständen wurde beschlossen, wir wollten zuerst die Mildthätigkeit guter Menschen um Hilfe ansprechen, und wenn wir eine kleine Summe würden erbettelt haben, unsre Röcke gegen andre Kleider vertauschen, sodann, weil eben die Zeit der braunschweigschen Messe herannahete, diese große Stadt besuchen, um bey der Menge dahin kommender Fremden unser Heil zu versuchen, entweder als Bediente oder, wenn es gar nicht anders seyn könnte, in herzoglichen Diensten als Soldaten anzukommen.

Als wir eben hierüber einig geworden waren, hörten wir in einem nahe gelegnen Dorfe zur Kirche läuten, denn es war Sonntag. Wir wendeten desfalls unsre Schritte dahin und dachten, an einem Tage, der zum Gottesdienst bestimmt ist, würden die Menschen auch zum höchsten Gottesdienste, zu der Erfüllung ihrer Pflichten, zur Wohlthätigkeit, am besten vorbereitet seyn. Der Pfarrer stand schon auf der Canzel, als wir in das Bethhaus traten. Es war gegen die Mitte des Augustmonats und das Evangelium Math. Cap. VII. v. 15. Dies gab dem Redner Gelegenheit, von guten Werken zu predigen. Er ermahnte auch seine Zuhörer mit so viel Salbung, gute, wohlthätige Früchte zu bringen, daß er selbst gegen das Ende der Predigt wie ein Schloßhund heulte. Der dicke Mann schimpfte dermaßen gegen die Hartherzigkeit, daß er pechbraun dabey wurde – Eine solche Predigt, meinten wir, gehöre dazu, das ganze Dorf zu der edlen christlichen Freygebigkeit vorzubereiten, welche wir nach der Kirche auf die Probe zu setzen beschlossen hatten. Sobald also der geistliche Mann etwa zu Hause seyn und Mantel und Kragen abgelegt haben konnte, gingen wir demüthig seinem Hause zu.

Wir sahen ihn im Hofe vor der Thür stehen, wo er, mit einer Pfeife im Munde, gegen einen Bauern stritt, welcher ihn in den kläglichsten Ausdrücken beschwur, sein achtes Kind, in Betracht seiner großen Dürftigkeit, unentgeltlich zu taufen, aber der Pharisäer überhäufte den armen Mann mit Schmähungen und jagte den weinenden Vater, ohne ihm seine Bitte zu gewähren, fort. Dies war nun freylich keine Ermunterung, ihm unser Anliegen vorzutragen; dennoch wagten wir es und erzählten ihm mit aller Offenherzigkeit, wie man uns betrogen und gezwungen habe, Soldaten zu werden (dies paßte eigentlich auf Haudritz nicht mit) und wie wir endlich, um das Joch der Sclaverey abzuschütteln, entwischt wären, in der Absicht, auf andre ehrliche Art unser Brot zu verdienen. – Aber da hätten Ew. Hochwürden den heiligen Mann, der von der Wohlthätigkeit gepredigt hatte, ja! mein Herr! da hätten Sie ihn sollen toben hören. Er nannte uns Landläufer, drohete uns festsetzen und ausliefern zu lassen; allein wir eilten von ihm weg, nachdem wir ihm einige beißende Dinge gesagt hatten, die er vielleicht nicht einmal verstand, weil sein Geist schon mit der Mahlzeit beschäftigt war, zu welcher ihn seine Frau rief.

In der Hoffnung, daß indessen die Predigt eine bessere Wirkung auf das Herz der Zuhörer als auf den Redner selbst gemacht haben würde, gingen wir von Haus zu Haus – Traurige Erfahrung! Von den Leuten, bey denen irgend einiger Wohlstand zu herrschen schien, bekamen wir nicht nur kein Geld, sondern noch böse Worte obendrein, die Armen aber hatten selbst nichts. Der einzige Bauer, den wir bey dem Pfarrer angetroffen hatten, rief uns von freyen Stücken zu sich herein. Er war noch ganz traurig, setzte uns ein bißchen Brot und ein Glas Branntwein vor und entschuldigte sich, daß er nicht mehr zu geben habe. Der gute Reyerberg wollte, in einer Aufwallung von Großmuth, unsre ganze Barschaft zur Vergeltung dieser wahrhaftig edeln Gastfreundschaft hingeben, aber der arme Bauer nahm durchaus nichts. Indes biß Haudritz, voll Unwillen über das Menschengeschlecht, die Zähne zusammen, und da er sich im Stillen einen Plan entworfen hatte, kaufte er für vier Pfennige einen Topf und ging mit uns zum Dorfe hinaus.

Wir schritten, ohne miteinander zu reden, ein Stück Weges fort, bis wir einen grünen Rasenplatz am Ufer eines Bachs antrafen, woselbst wir uns hinsetzten, da dann Haudritz also zu reden anfing: »Da seht Ihr nun, wie die Schelme, die Menschen, sind! Der Bösewicht lebt im Überflusse, der Redliche von Noth und Armuth zu Boden gedrückt. Die Lehrer der Religion sind Heuchler, begnügen sich zu predigen, was sie selbst nicht Lust haben auszuüben, und von den Zuhörern nimmt jeder so viel für sich heraus, als mit seinem Eigennutze bestehn kann. Der aufrichtige Mann ist nirgends an seinem Platze, und der Bösewicht erlangt, was er will. Ist es ein Wunder, wenn zuletzt niemand mehr auf seine eignen Unkosten ehrlich seyn will? Ist es Wunder, daß, wenn dann Betrug täglich allgemeiner wird, auch die Besten nicht mehr trauen und glauben wollen? Ist es Wunder, daß endlich, sobald alles Zutraun wegfällt, niemand mehr sich die Mühe gibt, als ein redlicher Kerl zu verhungern, wenn er auch nicht einmal mehr durch äußere Achtung belohnt wird? Die Welt will betrogen seyn; so laßt sie uns dann betrügen! Ich habe mir allerley Pläne ausgesonnen, bey denen wir wahrlich nicht verhungern werden, und wenn Ihr folgen wollt, so sollen unsre Umstände bald anders aussehn.«

Ich sah wohl die große Lücke in diesem Systeme, fühlte wohl, daß hier auf die innere Beruhigung, welche Rechtschaffenheit und Religion der Seele gewähren und sie mit stillem Frieden erfüllen, gar nicht gerechnet war; aber ich ersuche Sie, lieber Herr Geheimrath! dabey zu überlegen, daß man die Stärke dieser Gründe viel besser empfindet, wenn man reichlich besoldet wird; wenn die Augen des Publicums auf uns gerichtet sind; wenn kein Reiz da ist, anders zu handeln; viel besser, als wenn man in seinen besten Jahren, unsicher und ohne Namen in der Welt umherirrend, von den mächtigen Buben gedrückt, mit Mangel, Noth, Hunger und Durst kämpft – Kurz! wir versprachen zu folgen, und wer in denselben Umständen, mit denselben Leidenschaften und Anlagen, anders handeln würde, der – nun! der ist besser wie wir –

Wir fingen nunmehr sogleich unsre Unternehmungen an. Haudritz lief mit seinem Topfe in ein nahgelegnes Dorf. Daselbst weinte er bittre Thränen, in allen Häusern, klagte: er sey ein armer verabschiedeter Soldat; seine Frau und vier unmündige Kinder lägen in der Nähe krank, kümmerlich, elend. Er bat nicht um Geld, nur um ein bißchen Suppe und um ein altes Hemd. Die Art, wie er dies den theils mitleidigen, theils eiteln Seelen vorbrachte, rührte Weiber und Männer. Man gab keine Suppe, man gab Geld, und als er abends an einen von uns verabredeten Ort kam, brachte er, nebst einem vollen Magen, noch einen Thaler und sieben gute Groschen mit.

Ich hatte mir zwey Krücken im Walde geschnitten, die Füße mit unsern Schnupftüchern umwunden, und in dieser Verfassung hinkte ich in ein benachbartes Städtchen, erzählte, nicht ohne innern Widerwillen, eine Fabel, welche Haudritz mich gelehrt hatte, und bewegte das Mitleid der Leute dahin, daß sie mir, besonders die alten Jungfern, so viel Brot, klingende Münze und Segenswünsche auf den Weg gaben, daß, wenn die letztern mich nicht in den Himmel brachten, ich doch von dem ersten sehr viel an andre Bettler gegen Heller vertauschen und meinen Gefährten noch einen Gulden bar mitbringen konnte.

Reyerberg, welcher Seitengewehr mit sich führte, gab sich für einen beurlaubten preußischen Soldaten aus, dem die österreichschen Werber schelmischerweise seinen Paß und sein Geld des Nachts im Wirthshause abgenommen hätten. Durch diese Erzählung erpreßte er auf den benachbarten adeligen Gütern etwas über einen französischen Laubthaler.

Bey diesen herrlichen Fortschritten unsrer Schelmereyen und der reichlichen Einnahme, welche wir dadurch erhielten, ist es leicht zu denken, daß wir dies edle Handwerk so lange forttrieben, bis wir die ganze Gegend in Contribution gesetzt hatten, welches alles glücklich von Statten ging. Wir spielten nicht allzeit dieselbe Comödie, und Haudritz besonders wußte seine Erzählungen nach den Physiognomien und dem Rufe der Leute, mit denen er zu thun hatte, einzurichten. Wo er nicht glaubte, es mit Klagliedern durchsetzen zu können, da machte er den lustigen, sich auf Gott und gute Leute verlassenden Bettler, sang in den Bierhäusern ein fröhliches Stückchen und bey alten Weibern ein geistliches Lied; die Heuchler schmeichelte er durch die Versicherung, man spreche in der ganzen Gegend von ihrer Wohlthätigkeit und Gottesfurcht, und bey alten Edelleuten gab er sich für einen Cavalier aus, der das Unglück gehabt habe, jemand im Duell zu erstechen, und nun in einem Soldatenkleide auf der Flucht sey. Mit unwissenden Pfarrern sprach er lateinisch und mit Leuten, die schlecht französisch redeten, französisch; kurz! er log sich mit unverschämter Frechheit durch, wurde freylich, wie sich jeder Betrug bestraft, zuweilen, wenn er dieselben Leute an einem dritten Orte antraf und er indessen vergessen hatte, welchen Namen er sich das erstemal gegeben, sehr beschämt, entriß sich mit genauer Noth der Ahndung, wurde auch wohl durch die übermäßige Höflichkeit eines Gerichtsdieners über die Grenze gebracht – Aber unterdessen stiegen doch unsre Fonds, und als wir nach Helmstedt im Braunschweigschen kamen, hatten wir drey Louisd'or und ein Paar Thaler Barschaften. Wir verkauften aber erst in Schöppenstedt unsre Röcke, die von der letzten Revue und also noch ziemlich neu waren. Da Haudritz und ich den Abend der Entweichung aus der Garnison über unsre Montierungen her noch alte geliehene Überröcke gezogen hatten, um uns bey unsern Bubenstücken unkenntlich zu machen, diese Überröcke aber zu schwer fortzubringen gewesen waren, hatten wir dieselben schon vorher verhandelt. In Schöppenstedt nun veränderten wir unsre ganze Garderobe, schrieben uns selbst allerley falsche Attestate und gingen dann nach Helmstedt, wo wir uns für Studenten ausgaben, die, mitten in ihren Studien, in ihr Vaterland zurück müßten, weil ihre Eltern durch Brandschaden unglücklich geworden wären. Diese neue Practik brachte uns dort viel freye Mahlzeiten und zwölf Thaler an Gelde ein, wodurch dann unsre Gasse auf dreyunddreyßig und einen halben Thaler stieg, und nun setzten wir unsre Reise über Schöningen nach Braunschweig fort.

Wären wir noch keine Bösewichte gewesen, so hätten wir es durch die Erfahrungen, welche wir auf diesen verschiednen Wegen machten, werden müssen. Wir sahen so mancherley Arten von Menschen und hatten Gelegenheit, sie in der Stille zu beobachten, weil man sich gegen Bettler nicht so in Acht nimmt, und da erblickten wir dann aller Orten, in allen Ständen, Betrug und Verstellung in verschiednen Gestalten und Kleidern. Am genauesten hatten wir Gelegenheit, die Schelmereyen der Gastwirthe und Fuhrleute kennenzulernen. In Schöningen schliefen zugleich mit uns im Wirthshause einige Karrenführer, welche Wein nach Braunschweig bringen sollten. Die Fässer waren versiegelt, und dennoch wußten sie den Wein herauszubringen, schoben leise einen Reif zurück, bohrten ein kleines Loch darunter in das Faß, zogen durch einen Federkiel einige Flaschen heraus, indem sie durch ein andres Loch Luft hineinbliesen. Alsdann wurde das Fehlende durch Wasser und etwas Branntwein ersetzt; in die Löcher steckte man kleine hölzerne Pfropfe, welche oben gleichgeschnitten wurden. Darauf schlugen sie den Reif wieder fest und verkauften dem Wirthe die einzelnen Bouteillen um eine Kleinigkeit.

Ich würde nicht fertig werden, wenn ich alle die verschiednen Betrügereyen erzählen wollte, welche wir aller Orten wahrnahmen, wodurch wir täglich in der bösen Meinung, die wir von den Menschen hatten, bestärkt und von unsrer Seite gleichfalls schlecht zu handeln angereizt wurden, ja! uns, nach unsrer falschen Philosophie, dazu berechtigt glaubten.

Endlich kamen wir nach Braunschweig. Die Messe war kaum angegangen, und es kam nun darauf an, hier, wo so viel Menschen des Gewinnstes wegen sich versammelt hatten, auch für uns ein Stück Brot zu finden; unsre bessern Geldumstände hatten uns aber schon so übermüthig gemacht, daß vom Betteln gar nicht mehr die Rede war. Da nun die Schelmereyen so gut und glücklich abgingen, vergaßen wir auch darüber unsern Endzweck, Dienste zu suchen, und dachten nur daran, zu mausen, wo eine Gelegenheit zu machen war. Dies edle Handwerk aber trieben wir ordentlich methodisch, durchstrichen zuerst des Abends die ganze Stadt, um uns zu orientieren, quartierten uns sodann auf die Nacht in ein ziemlich berüchtigtes Wirthshaus vor dem Augustthore ein. Der Wirth hieß Danehl; das Haus lag an der Straße, welche nach Wolfenbüttel führt, und von da durchsuchte täglich Jeder besonders einen Theil der Stadt, damit unsre Gesichtszüge in den übrigen Quartieren nicht bekannt werden möchten.

Des Morgens eines Ziehungstags der Zahlenlotterie ging ich vor dem Hause eines Gewürzkrämers vorbey, da eben dieser aus seinem Fenster mit einem gegenüber wohnenden Schneidermeister sprach: »Lat Hey sek vertellen, Herr Naber!« hörte ich ihn sagen. »In twey Stunnen is min Schicksal entscheden. Komt mine Lottonummern herut; so bin ek up Tit-Lebens en glücklichen Kerel.« Er fügte noch hinzu: Er wolle Demjenigen zehn Thaler schenken, welcher ihm diese Nachricht brächte. Der Herr Nachbar fragte, welche Nummern er besetzt hätte; der Krämer nannte sie, und ich schrieb sie auf, ohne mich nur einmal umzusehn, ging augenblicklich von da zu einem Collecteur und nahm für eine Kleinigkeit ein Zettel auf dieselben Zahlen.

Sobald das Lotto gezogen wurde, ging ich hin, auf den Platz vor Lutterlohs Hause, und als drey Nummern aus dem Rade heraus waren, lief ich schnell in die Gasse, wo der Gewürzkrämer wohnte, hielt immer mein Lottozettel in die Luft, rief und jauchzte laut, und stellte mich fast rasend von Freude. Der Mann stand voll Erwartung vor seiner Hausthür. Unmöglich konnte er bemerkt haben, daß unter der Menge Vorübergehender grade ich diesen Morgen sein Gespräch mit angehört hatte: »Was hat Er? guter Freund!« rief er mir zu. »Weswegen freuet Er Sich so sehr?« Ich antwortete nur flüchtig, als wenn mir nichts daran gelegen wäre, ihm diesen Bescheid zu geben: ich sey so glücklich gewesen, durch eine Terne drey Reichsthaler zu gewinnen. »Was ist denn herausgekommen? Lasse Er doch sein Zettel sehn!« fiel mir der ungeduldige Krämer in die Rede. Ich zeigte es ihm; er fand drey seiner Zahlen – »Ists möglich?« schrie er, »das ist gezogen worden, und Er hat nur drey Thaler dabey gewonnen? Armer Mann! Komme Er her! Ich habe dieselben Nummern; Sie bringen mir einige tausend ein. Für Seine gute Nachricht soll Er zwey Pistolen geschenkt haben. Darauf habe ich mich verheißen.« Und so zog er mich in den Laden, verkündigte dem ganzen Hause seine Freude, drückte mir das Geld in die Hand. Ich bedankte mich, lief fort, und nicht Eine seiner Zahlen war herausgekommen.

Haudritz und Reyerberg hatten Fuhrmannskittel angezogen und einen falschen Frachtbrief geschrieben, als wenn sie einem Speditionshändler sechs große Fässer voll Caffee brächten, mit der Bitte, diese Ware bis zur Abforderung bey sich stehn zu lassen. »Ich kann Euch die Last nicht vor das Haus bringen«, sagte Haudritz, »und muß auch noch heute wieder fort. Bezahlet mir nur die Fracht! Mein Knecht soll hier bleiben und mit Euch in die Herberge gehn, wo Ihr die Fässer nach Gefallen abholen lassen könnt. Die Abgaben sind berichtigt.« Der Kaufmann bezahlte die laut Frachtzettel accordierten zwanzig Thaler, Haudritz ging fort, und Reyerberg blieb. Der Kaufmann ging indessen in sein Hinterstübchen, um sich anzukleiden, und Reyerberg blieb im Laden stehn, ging von Zeit zu Zeit an die Hausthür, wischte endlich, da die Leute im Comtoir zu beschäftigt waren, um genau auf ihn Acht zu geben, hinaus auf die Gasse, sodann um die Ecke herum, zog geschwind sein Fuhrmannshemd über den Kopf her aus, warf es von sich und ging, als wenn ihn nichts anfechten könnte, langsam weiter. Ehe Lärm in und vor dem Hause über seine Verschwindung entstand, war nirgends kein Fuhrmann mehr zu sehn. Vielleicht würde dieser Schelmstreich nicht so gut gerathen seyn, wenn meine Gefährten nicht gewußt hätten, daß der Mann, mit dem sie es zu thun hatten, schon früh morgens sich in Branntwein zu betrinken pflegte, wodurch nicht nur er zu vorsichtiger Behandlung seiner Geschäfte untüchtig wurde, sondern auch unter seinen Handlungsbedienten eine unverzeyhliche Sorglosigkeit herrschte.

Zu einiger Entschuldigung der Lebensart, welche wir itzt führten, muß ich sagen, daß wir (wenigstens Reyerberg und ich) anfingen, uns für Werkzeuge der Vorsehung anzusehn, um die Thorheiten und Betrügereyen der Menschen zu bestrafen, daß wir desfalls keinen Mann kränkten, von dem der Ruf uns sagte, er sey redlich und weise. Dies rechtfertigt freylich unsre Diebstähle nicht, ich führe es aber nur an, um dem Leser zu zeigen, wie die Menschen so leicht für jedes ihrer Verbrechen eine Beruhigung zu finden wissen.

Unsre Capitalien waren durch diese und unzählige andre dergleichen Cameraloperationen bis auf neunzig Thaler angewachsen. Dabey waren wir ziemlich gut in Kleidung und Wäsche und zehrten mehrentheils unentgeltlich: denn wenn junge unerfahrne Leute auf Angotts Keller oder sonst in die Wirthshäuser kamen, ließen wir uns mit denselben in ein Gespräch ein, schmeichelten ihre Eitelkeit, lobten ihre Feinheit in Billard- und Kartenspielen, gewannen ihnen dann das Geld ab oder ließen uns wenigstens von ihnen frey halten. Endlich bekamen wir einmal Lust, auf die Mascarade zu gehn, um an der Pharaobank unser Glück zu versuchen; und wie das leichtfertige Glück mehrentheils solche Menschen sucht, welche keine dauerhafteren Freuden verdienen, hingegen diejenigen durch Widerwärtigkeiten warnet, welche in der Rechtschaffenheit sich ohne den Besitz eitler Schätze entschädigen können, so gewannen wir, im Müßiggange und in Schelmerey versunkene Jünglinge, in kurzer Zeit beynahe achthundert Thaler.

Solange wir wenig gehabt hatten, war Einer von uns tageweise abwechselnd Schatzmeister gewesen. Jetzt, da wir viel besaßen, fingen wir an, gegen einander mißtrauisch zu werden. Wir theilten daher unsern Mammon, und jeder sollte mit seinem Antheile wuchern, so gut er könnte. – Wie wollten auch Menschen, die andre Leute betrügen, unter sich ein dauerhaftes, auf gegenseitiges Vertrauen gestütztes Bündnis errichten können? Indessen hatten wir uns im goldenen Engel zwey Zimmer gemiethet und, wie es sich versteht, andre Namen angenommen.

Ich spielte täglich, und fast immer mit Glück, hatte dabey die Eitelkeit, mir allerley Ringe, Federhüte, Spitzenmanschetten, seidne Westen, Strümpfe, Schnallen und dergleichen zu kaufen und in den Gesellschaften andrer müßigen Leute für einen jungen Edelmann zu gelten. Zuweilen machten wir Lustreisen auf das Land, und da trieben wir dann allerley Muthwillen, neckten die Leute und prahlten entsetzlich.

Unter anderm waren wir einmal mit einer lustigen Gesellschaft nach einem benachbarten Städtchen gefahren. Der Wirth im Gasthofe, wo wir den Nachmittag zubrachten, war ein langweiliger Schwätzer, der sein Haus mit allem, was darin war, erhob und empfahl: Vorgestern hatten zwey Grafen bey ihm logiert. In jenem Bette hatte noch diese Nacht ein Geheimerrath geschlafen. Sein Wein war, wie er sagte, besser wie der, welchen man am Hofe in Braunschweig tränke. Haudritz nahm sich vor, den Mann zum Besten zu haben. Nachdem wir nun eine unbescheiden große Zeche bezahlt hatten und bald wieder fort wollten, fragte ich, ob man bey ihm auch Braten portionsweise haben könne? »Ey! freylich«, antwortete der Wirth, »ich schneide Ihnen ein Stück ab, so groß Sie Appetit dazu haben, sogar für einen Groschen.« Nach einigen Augenblicken lobte Haudritz einen Canarienvogel, der in der Stube im Bauer unaufhörlich pfiff und uns bey unserm Kartenspiele die Ohren betäubte. »Einen solchen Vogel möchte ich gebraten essen!« fügte er hinzu, »nur aus Neugier, ob das Fleisch sehr zart schmeckte.« »Ey potz Stern!« erwiderte der Wirth, »das möchte ein kostspieliges Gericht werden. Ew. Gnaden mögen es mir nun glauben oder nicht, der Vogel kostet mich an die vier Reichsthaler« – »Das kann wohl seyn«, sagte Haudritz. »Indessen habe ich Appetit dazu, er sey auch noch so theuer« – Der Wirth lächelte boshaft – »und wenn Sie ihn braten wollen, so werden wir, so theuer auch der Vogel ist, doch für unser Geld unsre Neugier befriedigen« – »Je nun! warum nicht? Alles in meinem Hause ist Ew. Gnaden feil. Aber, wie gesagt, er kostet vier Thaler, der kleine Vogel, aus Freundschaft für Sie mag er denn herhalten« – Und damit wurde der arme Vogel geschlachtet, in Butter gebraten und hereingetragen. »Nun, meine Herrn! da ist der theure Braten!« – »Wohlan Herr Wirth!« rief Haudritz. »Jetzt schneiden Sie jedem von uns für einen guten Groschen ab!« Der Wirth sah, daß er betrogen war. Er bat, sträubte sich, wollte grob werden; nichts half. Voll Ärger warf er den ganzen Braten zum Fenster hinaus, und wir fuhren, gerächt wegen der theuren Zehrung, wieder nach Braunschweig.

So verstrich ein großer Theil der Messe. Das Spiel gab uns Gelegenheit, mit manchen angesehenen Männern vertraut umzugehn, wie denn überhaupt dies edle Handwerk oft die erbärmlichsten Menschen in Gesellschaften emporhebt und allerley Arten Originale durch das lose Band des Interesses vereinigt. Auf einer der letzten Mascaraden ging Reyerberg mit seinem gefüllten Geldbeutel an den Pharaotisch. Der Glanz des ausgekramten Goldes blendete, reizte ihn. Er zog seinen Schatz hervor, verlor etwas weniges, welches ihn nur noch mehr erhitzte. Er wagte einen Louisd'or nach dem andern – In kurzer Zeit war alles fort und sein ganzer Reichthum bis auf zwey Harzgulden geschmolzen. »So geh dann hin, Lumpenware! eben so liederlich zerronnen, wie sie erworben war – Geh hin!« rief er aus, fluchte ein wenig und kehrte zu uns in den goldnen Engel zurück. Da saßen wir noch und hatten einen holländischen Grafen in der Cur, dem wir in 1'ombre seine gerändeten Ducaten abnahmen. Ein junger Engländer, ein äußerst ausschweifender, hitziger, aber sonst gutmüthiger und dabey reicher Mensch, saß neben uns, bey Punsch. Er hieß Southerland und hatte immer vorzügliches Vergnügen an Reyerbergs Umgange gefunden. Auch war dieser wirklich ein angenehmer, kühner, edler Junge, der bey allen Ausschweifungen und Betrügereyen, wozu uns Noth und Verführung verleitet hatten, doch bey weitem der Beste unter uns Dreyen blieb. Es verging fast kein Tag, ohne daß er irgendeine Handlung beging, welche ihm ernsthaftere, tugendhaftere Menschen nicht nachthun würden, und wenn er einem armen Schelm in der Stille etwas Geld in die Hand gedrückt, einen Traurigen getröstet oder sich eines Gekränkten, selbst gegen uns, angenommen hatte, dann verwünschte er allzeit die Lebensart, welche wir führten, und fühlte recht gut den Vorwurf, daß er die Freude, edel zu handeln, nur halb und selten verdiente.

Als wir nun also da versammelt waren, bemerkten wir in der Ecke des Saals einen einfach grau gekleideten Mann, der auch schon seit acht Tagen im goldenen Engel logiert und itzt die Wirthsrechnung vor sich liegen hatte. Er blickte mit sichtbaren Zeichen von Verlegenheit und Betrübnis auf das Blatt hin, seufzte tief, und eine Thräne stahl sich aus seinen Augen hervor. Reyerberg, der in der Stimmung, darin er war, mit bessern Plänen und Vorsätzen für sein künftiges Leben beschäftigt, still und ruhig den Fremden beobachtete, empfand Mitleiden und beschloß, ihn zu bewegen, daß er ihm seine Noth klagen möchte. Er setzte sich neben den betrübten Mann und ließ sich in ein Gespräch ein. Bald hatte er ihn dahin vermocht, sein Herz zu öffnen, und nachdem er von demselben die Ursachen, warum er so niedergeschlagen war, erfahren hatte, bewog er ihn, der übrigen Gesellschaft die Hauptbegebenheiten seines Lebens zu erzählen. Er sagte ungefähr Folgendes, obgleich in einem nicht so lustigen Tone:

Geschichte des Mannes im grauen Rocke

»Ich heiße Brick und bin der Sohn eines Tuchmachers aus dem Württembergischen. Hätte mich mein Vater, seiner Neigung gemäß, in seinem Stande und zu seinem Handwerke auferzogen, so wäre ich vielleicht jetzt ein nützlicher Bürger, ein wohlhabender Mann und ein glücklicher Hausvater. Aber meine Mutter, die in Stuttgart geboren und durch die Stadterziehung an den falschen Glanz und das Geräusch gewöhnt war, wodurch die Leute am Hofe und in den Residenzen ihre Armuth, ihre Langeweile, ihren Müßiggang und ihren Mangel an nützlichen Kenntnissen vergessen zu machen suchen, hatte sich in den Kopf gesetzt, ich sollte studieren, um einst auch an dem herrlichen Elende der müßigen Städter Theil zu nehmen. Ich wurde daher nach Ulm geschickt und ging von da nach Göttingen, um ein Gelehrter zu werden. Ich muß mir selbst das Zeugnis geben, daß ich sehr fleißig meine juristischen Hörsäle besuchte, daß ich mehr nachschrieb wie irgendein Andrer und daß ich auch wirklich in drey Jahren von der allertrockensten Wissenschaft der Rechtsgelehrsamkeit, ungeachtet alles Ekels, den sie mir verursachte, so viel in das Gedächtnis pfropfte, daß, wenn ich also fortgefahren, ich gewiß zu allen übrigen Dingen untüchtig geworden wäre, wozu man graden Menschensinn braucht. Mein römisches Recht aber hatte ich sehr gut inne, dabey ein ungeheures Gedächtnis, und da mir die Natur noch obendrein ein bißchen spitzfindigen Witz gegeben hatte, war ich im Stande, die auf unsre deutsche Verfassung am wenigsten passenden Gesetze und Verordnungen des Kaisers Justinian so herumzuzerren, so zu drehn, daß niemand, der die gesunde Vernunft brauchte, mit mir fertig werden konnte, wenn ich in mein Fach kam. Allein mein Widerwillen gegen diese Wissenschaft wurde dadurch nicht geringer. Ich hatte ein fühlbares Herz, einen offnen Kopf und einigen Geschmack an Literatur. Es empörte mich, als ich in meine Vaterstadt zurückkehrte, dort Sachwalter wurde und nun Processe unter die Hände bekam, daß ich sehn mußte, wie unbarmherzig man mit dem Vermögen und den natürlichen Rechten der Menschen, mit verschuldeten Gütern, mit dem Eigenthume der Unmündigen umgeht; wie die Advocaten, um sich zu bereichern, was sie auf einer Quartseite sagen könnten, in dem unnatürlichsten, langweiligsten Styl auf zehn Bogen vortragen; wie die Richter zu diesem allen schweigen, weil sie auch ihren Vortheil dabey finden; wie also der Reiche, an der Hand eines verschmitzten Sachwalters, fast immer Mittel findet, seine Sache durchzusetzen oder wenigstens seine ärmere Gegenparthey lahm und müde zu machen; wie fast jede Sache so zwey Seiten hat, daß auch der klügste Mann, weil er nicht nach Überzeugung, grader Vernunft und Billigkeit sprechen darf, sondern nach einer elenden Form richten muß, nicht sicher ist, ob er nicht den Unschuldigen gekränkt und dem Unterdrücker die Hand gereicht hat; daß eben deswegen dies traurige Handwerk mehrentheils von Leuten ergriffen wird, die entweder die schalsten Köpfe sind oder doch mit der Zeit alles Genie, allen bon sens weginterpretieren – Das alles, sage ich, empörte mein Gefühl für Tugend und Wahrheit. Ich wies eine Menge Processe, welche mir meine Verwandten zuführten, wieder von mir, weil ich sie für unbillig hielt, verfaßte meine Schriften in einer natürlichen Form und Schreibart, half dem redlichen Armen unentgeltlich gegen den reiche Schurken und blieb also ohne Vermögen, ohne Ansehn und ohne Ruf.

Unterdessen starb mein Vater und hinterließ ein ziemlich ansehnliches Vermögen, welches aber in meiner Mutter Händen blieb. Diese beging bald nachher die Thorheit, ihr Gewerbe aufzugeben und sich an einen verschuldeten jungen Regierungsrath zu verheyrathen, der an ihrer Seite die schönen Thaler, welche mein Vater durch Fleiß und manche Sorge gesammelt hatte, nach und nach verzehrte und dabey mit seiner Frau so schlecht umging, daß Diese nach wenig Jahren an der Auszehrung starb. Ich hatte also kein anders Einkommen, als welches ich mir durch meine Arbeit erwarb, und das war, wie ich schon gesagt habe, sehr wenig.

Unzufrieden mit dieser Lage, machte ich unzählige Pläne, wie ich etwa meine Aussichten verbessern könnte; aber es war alles vergebens. Dort sah ich jemand auf den Gipfel des Glücks erhoben, weil er die Haushälterin des Ministers geheyrathet hatte; hier einen Andern zum Secretair oder gar zum Rath bey einem Collegio angesetzt, damit er die Partie des Präsidenten gegen einen Feind, der sich seinen Schelmereyen entgegensetzte, verstärken und diesen beschwerlichen Mann zu Schande zu machen helfen sollte. Hier wurde ein Betrüger mit einer einträglichen Beamtenstelle bekleidet, damit er die Küche des Cammerdirectors stets gefüllt erhalten sollte; dort wurde ein höchst unwissender Mensch durch das Vorwort eines Weibes Stadtrichter, weil er seinem Wohlthäter Hörner aufsetzte – Nur ich allein, der ich meinen graden Weg ging, konnte nie zu etwas gelangen.

Der Mißmuth über diese verkehrte Einrichtung in der Welt fing endlich an, meine Moral wankend zu machen. Wenn denn, dachte ich, der Schelm aller Orten den Meister spielt, und Du, alles Kämpfens ungeachtet, weder für Andre etwas Gutes stiften noch Dich selber gegen Mangel und Verachtung schützen kannst, so stimme denn auch Deine Saiten hinunter und sieh zu, ob Du aus dem allgemeinen Raubschatze Dein Theil mit zugetheilt bekommen könnest. Ich fing an, die Armen von meiner Thür wegzuweisen, nahm eine vornehme Miene an, that, als wenn ich mit den wichtigsten Geschäften überladen wäre, machte Libelle, woran zwey Menschen zu tragen hatten, zog die unbeträchtlichsten Processe unverantwortlich in die Länge und erregte dadurch bald die Aufmerksamkeit der Gerichte, erwarb mir den Beyfall der eigennützigen Richter, gewann Geld, lebte wollüstig, trug besetzte Kleider und mußte meine Camisöler weiter machen lassen.

Es fügte sich, daß der Minister, theils aus Privathaß, theils um sich bey seinem Herrn in Gunst zu setzen, einen höchst ungerechten Proceß gegen einen Edelmann mit Ernst treiben und Diesen von Haus und Hofe verjagen wollte, weil sein Rittergut einem angrenzenden Amte recht bequem lag, um damit vereinigt zu werden. Es waren einige sehr ungültige Ansprüche hervorgesucht worden, aber der Advocatus principis hatte dem Dinge keine Glaubwürdigkeit geben können. Da ich nun anfing für einen Mann zu gelten, der, wenn es darauf ankam, Jedem den Rock vom Leibe procedieren könnte, ließen mich Ihro Excellenz zu sich rufen und trugen mir die Führung dieser Sache auf, mit dem Versprechen einer großen Belohnung, wenn ich sie durchsetzte – Wie stolz würde ich vor einem paar Jahren einen solchen Antrag von mir gewiesen haben! Auch hätte man es damals nicht gewagt, mir dergleichen anzuvertraun. Jetzt nahm ich sogleich den Handel über mich. Ich trieb den armen Edelmann so in die Enge, gewann die Sache in possessorio und spielte den Proceß an die Reichsgerichte, fest überzeugt, daß er daselbst vor dem Jüngsten Gerichte nicht würde entschieden werden – Aber es nahm eine andre Wendung. Die Frau und die unmündige Familie des Cavaliers warfen sich dem Fürsten zu Füßen, klagten über Gewalt, und Dieser, welcher von guter Gemüthsart war und keinen andern Fehler hatte, als daß er, in Zerstreuungen ersäuft, sich wenig um Regierungsgeschäfte bekümmerte, nicht mit eignen Augen sah, folglich nicht wußte, wie viel Unrecht in seinem Namen geschah, wie mancher Gedrückte über ihn seufzte und Gott um Rache anflehete, indes der Landesvater in eiteln Freuden herumtaumelte; dieser Fürst, sich seines guten Willens bewußt, erschrak, daß so etwas in seinem Lande vorgehn könne. Er ließ sich die Sache vortragen; aber der Minister wußte sich fein herauszuziehn und schob alle Schuld auf den schelmischen Advocaten, welcher ihm diesen Handel von einer unrechten Seite vorgestellt hätte; ihm, der zu sehr mit Geschäften überhäuft sey, um alles so genau selbst zu durchlesen. Der gerechte Prinz, um ein Beyspiel zu geben, hob den Proceß auf, untersagte mir alle Praxin und jagte mich sogar aus dem Lande. Mein Vermögen wurde zum Besten des Waisenhauses confisciert, und jetzt, da diese Lection mir den Vorsatz eingab, wieder ein ehrlicher Kerl zu werden, fehlten mir leider! die Mittel, es der Welt zu zeigen, und wenn mir es auch darauf nicht angekommen wäre, wenigstens nicht zu verhungern. Ein verlaufener Advocat ist weder zum Holzhacker noch sonst irgendwozu gut. Indessen kam ich mit dem Restchen meiner Barschaft hierher, um eine Stelle in einem Kaufmannscomtoir zu suchen; aber auch diese Hoffnung ist mir fehlgeschlagen. Nun habe ich hier im Wirthshause auf gute Hoffnung gezehrt, und da ich soeben die Rechnung bekomme, übersteigt dieselbe um einen Gulden das bißchen, das ich noch habe, und so bin ich denn ohne Aussichten, bald vierzig Jahr alt, dahin gebracht, zu stehlen oder mich zu ersäufen.« – So weit des armen Bricks Erzählung –

 

»Das sollst Du beydes nicht thun«, rief Reyerberg. »Ich habe heute alles, was ich besaß, im Spiele verloren, bis auf diese zwey Gulden noch – Da hast Du sie! Ersäufe Dich nicht! Stehle nicht ferner! Bezahle Deine Schuld mit der einen Hälfte, für den andern Gulden wollen wir Punsch trinken, uns dann ruhig zu Bette legen, schlafen, wie Bettler, nicht Fürsten schlafen, und morgen sehn, wie wir uns weiter durch die Welt helfen. Ich denke immer, man steht sich vielleicht besser dabey, wenn man kein Schelm ist, und halb und halb bin ich der Meinung auch, eine andre Lebensart anzufangen. Wohlauf! Es soll schon gehn. Die Erde ist rund, breit und groß, und der liebe Gott braucht allerley Leute.«

Er sagte noch manches, das seine gute Laune und seinen großmüthigen, freyen, zu etwas Besserm bestimmten Character entwickelte. Wir hörten mit Vergnügen zu, gaben unser Spiel auf – Unsre Herzen öffneten sich gegenseitig – Der Engländer war von Reyerbergs edler Gemüthsart bezaubert. Er schlug ihm vor, ihn mit sich auf Reisen zu nehmen – Alles wurde richtig gemacht, und Ludwig fiel ihm mit dankbar gerührter Zärtlichkeit um den Hals. Brick beschloß, mit einem teutschen Schauspieler, der auch gegenwärtig war, den folgenden Morgen zu dem Directeur zu gehn und ihn um einen Platz in der Gesellschaft zu bitten – »Er wird die Mantelrollen herrlich machen», sagte Haudritz –

Um Mitternacht schieden wir fröhlich auseinander, und wenn Haudritz und ich nicht mit ebenso guten Entschließungen wie unser Freund zu Bette gingen, so war vielleicht der Anblick der klingenden Münze, welche uns unsre Schelmenstücke eingebracht hatten, daran Schuld.


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