Adolph Freiherr Knigge
Geschichte Peter Clausens
Adolph Freiherr Knigge

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Elftes Capitel

Peter wird Schriftsteller.

Des Menschen Ehrgeiz begnügt sich nicht mit kleinen Befriedigungen. Als ich daher eine Zeitlang Corrector gewesen war, fing diese subalterne Rolle an, mir zu mißfallen. Ich hatte einen so hohen Begriff von meinen Talenten und glaubte, so gut das Bedürfnis des Publicums zu kennen, daß mich nichts abhalten konnte, selbst ein Schriftsteller zu werden. In Gedanken sah ich schon die Unsterblichkeit einen Kranz um meine Schläfe winden, im Geiste zählte ich schon die Louisd'ors, welche wie Hagel in meinen Beutel regnen sollten. Also schritt ich zum Werke. Da das nonum prematur in annum jetzt gar nicht mehr Mode ist, war zwischen meinem Entschlüsse, ein Autor zu werden, und der Herausgabe meines ersten Werks kaum ein Zwischenraum von vier Wochen – Und nun erschien dies erhabene Werk. Es war ein Trauerspiel in sieben Aufzügen, ganz nach teutsch-englischem Geschmacke gearbeitet, ließ aber, meiner geringen Meinung nach, alle ähnlichen Stücke dieser Art weit hinter sich – Nichts wie Handlung, ja! gewaltsame Handlung, unerhörte Verwicklung, erschütternde Scenen – Die Haare standen mir schon zu Berge, als ich es abschrieb. Dies Trauerspiel umfaßte einen Zeitraum von etwa fünfundneunzig Jahren. Der erste Aufzug handelte von Dingen, die in Quedlinburg vorgingen. Im zweyten wußte ich meine Zuschauer nach London zu versetzen, und am Ende starb die ganze Gesellschaft auf der Küste von Grönland. Da sah man einmal allerley Charactere, ey! und wahrhaftig Charactere, wie man sie in dieser Lumpenwelt nie antrifft. Der Held meines Stücks war, sobald er reden konnte, schon ein so eingefleischter Teufel, daß die ersten Worte, welche er stammelte, Gotteslästerungen waren, und im sechsten Jahre seines Lebens erfand er das Mittel, durch gestoßenes Glas seine Mutter zu vergiften. Menschen aus allen Ständen sprachen da durcheinander, jeder auf seine Weise. Waren es Bauern, so traten sie nie ab, ohne sich entweder derbe geprügelt oder doch entsetzlich geschimpft und zu Gaste gebethen zu haben, und kein Fürst durfte auftreten, ohne von mir wie ein wollüstiger Wüthrich abgemalt zu werden. Kurz! was man im gemeinen Leben nur einzeln antrifft, das sah man hier wie entscheidend allgemein dargestellt. Dabey sprachen meine Leute Alle eine Sprache, die, wenn sie nicht eigentlich teutsch, doch ganz besonders naiv war, wie etwa die Mundart ist, welche die Kindermägde mit den kleinen Kindern reden: »'s is doch warlich 'n lieber Junge! Nit wahr? Hast 'n ja auch gsehn« u. s. f. Viel witzige Einfälle und Wortspiele, trotz den Zeiten Jacob des Ersten in England, kamen auch vor und kühne poetische Bilder, als: »der Gedanke an einen Hauch, der Schatten eines Spinnengewebes« und mehr dergleichen. Im dritten Aufzuge ließ ich den Satan mit zweyundsiebenzig seiner Cameraden und Hofleute erscheinen und vor aller Leute Augen einen Pfaffen lebendig zerreißen, dessen Geist aber im vierten Aufzuge wieder auftrat, so daß das ganze Parterre bey diesem Anblicke mit den Zähnen klapperte. In dem zweyten Act hatte dieser Pfaffe auf dem Theater ein unschuldiges Mädchen mit Gewalt entehrt, wobey immer die Musik ging, welche ich selbst componiert hatte. Siebenundzwanzig Personen kamen überhaupt in diesem Stücke ums Leben, wovon Viele verhungerten, den Hals brachen, zerfleischt wurden (Alles abwechselnd und höchst interessant), Einer aber über eine halbe Stunde im Todeskampfe lag – Allein Dieser war auch ein erzböser Kerl gewesen und hatte im ersten Aufzuge, öffentlich vor den Zuschauern, seine Eltern und einen alten Großvater aufgefressen. Es gehörten wenigstens fünf Stunden Zeit dazu, um dies Stück mit allen Aufzügen, Seeschlachten, Verheerungen von Städten und solchen großen Maschinerien, welche darin vorkamen, aufzuführen. Wenn ich nun wirklich eine Menge Ungeheuer hier zur Schau ausgestellt hatte, so war doch dafür gesorgt, daß ich auch dem elendesten Bösewichte, welcher Gott, der Natur und den Gesetzen trotzte, Eine so glänzende Seite gegeben hatte, daß junge Leute fast hätten versucht werden mögen, ihm zu folgen, und die guten Menschen meines Stücks wurden so sehr das Opfer ihrer edlen Denkungsart, daß man sie nur bedauern konnte – Das ist Natur! aber so etwas verliert bey der Erzählung; man muß es gesehn haben. Auch machte es in der Aufführung ungeheuren Effect. Sobald dies große Werk fertig war, lief ich damit zu dem Buchhändler. Mein Name war zu bekannt, mein Ruf zu festgesetzt, als daß ein Trauerspiel, wovon ich mich als Verfasser angab, nicht hätte sollen gut bezahlt werden. Ich bekam acht Louisd'or dafür, und bald nachher wurde es auf einem Nationaltheater aufgeführt. Es ist wahr, der Neid einiger gemeiner Schriftsteller wußte es durch Cabalen dahin zu bringen, daß bey der zweyten Vorstellung gewaltig gepfiffen wurde, und einige, nicht boshafte, aber schwache Menschen hatten so wenig Sinn für das Erhabne in diesem Trauerspiele, daß sie glaubten, das Ganze sey nur eine Parodie und aus Satyre gegen die unbändigen Nachahmer des englischen Geschmacks also verfertigt. Dennoch fühlten die edlern Jünglinge, voll Kraft und Drang, den Werth davon und gaben mir Muth, da ich in diesem Fache so viel Ehre eingeerntet hatte, mich auch in den andern Zweigen der Literatur sehn zu lassen.

Um indessen ein wenig auszuruhn, gab ich allerley kleine Schriften heraus. Niedliche, süße Gedichte, auf ein Blümchen, an den Mond, an eine Silberquelle, und solche Sächelchen, die überaus empfindsam machten und manchem holden Mädchen Thränen ablockten, so wenig ich auch dabey gefühlt hatte, als ich sie schrieb. Die Sylbenmaße erfand ich zum Theil selbst, und wo ein langer Fuß mir Zwang verursacht haben würde, da nahm ich statt dessen ein halbes Dutzend kurze. Niemand wagte es, dies für eine unpoetische Freyheit zu halten, und da die Kenntnis der griechischen und lateinischen Literatur und der Geschmack an Regeln und Wohlklang immer seltener werden, so dachte man, ich hätte irgendein Sylbenmaß aus einem alten Dichter entlehnt. Man schämte sich, zu bekennen, daß meine Verse Gefühl und Ohren beleidigten, und man setzte sogar Musik dazu.

Ich bearbeitete auch mythologische Gegenstände, beschrieb, ungeachtet ich selbst nur schlechte Kost aus der Garküche aß (Leipzig ist ein theures Pflaster), die Mahlzeiten der Götter, als wenn ich wöchentlich zweymal bey ihnen speiste, und wußte durch die Erzählung von genossenen Paradiesvögeln mit Nectarsaucen manchem hungrigen Schlucker das Maul wäßrig zu machen.

Kurz nachher gab ich ein altes Manuscript heraus, welches ich in der Vorrede für ein schätzbares Überbleibsel von der kraftvollen Poesie der alten teutschen Dichter des mittlern Jahrhunderts gelten ließ, obgleich es nichts mehr und nichts weniger war als ein verworfnes Buch, das ich bey einem Verwalter auf dem Lande erhascht hatte und die Jugendversuche eines Großvaters enthielt, welcher Schulmeister gewesen war, diese jämmerlichen Verse aber zu Papier gebracht hatte, als er noch in Secunda ging, von da sie dann in die Spinnstuben gekommen waren.

Hierauf kam die Reyhe an Idyllen. Ich ließ Schäfer reden, wie kein Schäfer je geredet hat, und wußte den Leuten eine so idealische Welt vorzumalen, daß ihnen die gegenwärtige unerträglich und sie wiederum der Welt unnütz wurden. Die Ware ging aber schlecht ab. Sie wurde nebst dem Briefwechsel zwischen Gleim und Jacobi kurz nach der Herausgabe um den halben Preis ausgebothen; ich warf mich also in ein anders Fach und schrieb Satyren. Zuerst allgemeine, über den Verfall der Sitten und des Geschmacks, welches eigentlich darauf zielen sollte, daß man meine Schriften nicht nach Würden schätzte. Ich fand alle neuern Werke (die meinigen ausgenommen) kalt und wäßrig und schrieb einen Tractat: »Über Verkältung der Seele, und die daher rührende Seelenkolik –«. Aber niemand wollte dies Büchelchen kaufen. Deswegen fing ich an, gegen die Fürsten Teutschlands zu Felde zu ziehn. Da diese aber mit der Muttersprache nicht recht fertig werden konnten, lasen sie mein Buch nicht, und mein Zweck, sie zu verbessern, scheiterte.

Dieser letzte unglückliche Versuch schwächte ein wenig meinen Credit, und ich konnte beynahe keinen Verleger mehr finden, als auf einmal mein Kopf mir ein neues Hilfsmittel angab. Ich schrieb nämlich über die Freymaurerey. Meine Leser werden vielleicht hier fragen, warum ich denn, bey Erzählung meiner Begebenheiten, von meiner Aufnahme in diesen Orden Nachricht zu geben vergessen hätte? Nein, meine Herrn! vergessen habe ich das nicht; ich hätte Ihnen aber eine Lüge erzählen müssen, wenn ich mich für einen Freymaurer ausgegeben hätte. Ich bin nie dazu aufgenommen, aber deswegen läßt sich doch schon allerley darüber sagen, besonders wenn man in einer so guten Mysterienschule gewesen ist wie ich bey dem Herrn Noldmann in Regensburg. Der größte Theil der Bücher, die über den Orden erscheinen, hat Leute zu Verfassern, die mit eben demselben Rechte eine Beschreibung von dem Hofe des Kaisers von Marocco liefern könnten. Ich muß immer lächeln, wenn ich sehe, daß sogenannte Profane dumm genug sind, Bücher über die Freymaurerey zu lesen. Denn, sehen Sie nur! Der, welcher wirklich etwas von einem Geheimnisse weiß, darf ja nicht reden, und wenn er redet, so sagt er gewiß nur ein Märchen, das er hinwirft, um des Publicums Aufmerksamkeit von dem wahren Gesichtspuncte ab auf Irrwege zu leiten. Wer aber nichts weiß, von dem kann man nichts lernen. Wenn ein Solcher also schreibt, so geschieht es, weil er Geld nöthig hat – Und das war auch mein Fall.

Ich schrieb ein großes Buch, mit einem Aufmerksamkeit erregenden Titel und allerley Kupferstichen. Darin entwickelte ich die ganze Geschichte, den Zweck und die Bedeutung der Hieroglyphen des Ordens. Ich bewies, daß die wahren Obern eigentlich im Oriente wohnten, und nannte Einen von ihnen, mit dem ich im Briefwechsel zu stehn vorgab. Er hieß mit dem Ordensnamen Abracadremis. Seinen wahren weltlichen Namen aber erfuhr man erst (meiner Aussage nach), wenn er tot wäre. Den Ursprung des äußern Ordens setzte ich unter die Regierung Seiner Majestät des Königs Nimrod und producierte ein von ihm der Loge in Babylon ertheiltes Privilegium. Was den Zweck betraf, so begnügte ich mich zu erzählen, was er nicht sey, und überließ den Lesern, wenn sie sich durch mein mystisches Gewäsche hindurchgearbeitet hätten, wieder bey der Frage anzufangen: welches nun eigentlich der Zweck des Ordens seyn möchte. Dabey verketzerte ich alle übrigen bekannten Secten der Freymaurer und hatte die Frechheit, von einem Manne, der kürzlich aus gewissen Gründen etwas über diesen Gegenstand geschrieben hatte, gradehin zu behaupten, er sey gar nicht Freymaurer. Sodann zeigte ich den Zusammenhang zwischen den alten und neuen Mysterien und bewies durch Kupferstiche, daß man schon lange vor Christi Geburth Triangel mit drey Ecken gezeichnet, und nachdem ich dargethan, daß die alten philosophischen Schulen ähnliche Hieroglyphen gehabt hätten, zog ich daraus die Folgerung – nicht, daß von den Freymaurern daher die verschiednen Bilder entlehnt, sondern, im Gegentheil, daß jene Philosophen Freymaurer gewesen wären – Mit Einem Worte! es war ein herrliches Buch voll Weisheit, welches ich schrieb. In dem Anhange lieferte ich ein Recept, wie man aus Menschenblut, Brotrinden und Weintrauben Gold machen könne.

 

Kaum war mein Werkchen erschienen, von dem Verleger gut bezahlt und von dem Publico brav gekauft, als von allen Ecken her Freymaurer zu mir kamen, um sich nähere Erläuterungen über meine versteckten Winke auszubitten. Aber wer da geheimnisvoll that, das war ich. Vielleicht hätte ich indessen Vortheil davon ziehen können und mich zum Haupt einer neuen Secte aufwerfen, wenn ich nicht gefürchtet hätte, meine Geschichte mit dem Apotheker möchte bey genauerer Nachforschung ruchbar werden. Also gab ich dies Fach ganz auf.

Unterdessen bat mich ein Buchhändler aus Halle, etwas zu schreiben, das confisciert werden könnte. Desfalls gab ich Scenen aus Davids Geschichte, theatralisch verarbeitet, heraus – Allein zu meinem Unglücke machten diese Blätter gar kein Aufsehn, worauf ich dann Zweifel gegen die Echtheit der Evangelisten drucken ließ. Dies veranlaßte einen gewaltigen Streit unter einem paar Predigern, wovon der Eine dem Andern vorwarf, er habe durch seine heterodoxen Predigten Gelegenheit zu meinen gefährlichen Sätzen gegeben (obgleich ich nie in seine Kirche ging). Während nun diese beyden ehrwürdigen Männer sich vor der Welt schimpften und preisgaben, wurde mein Buch, als der Stein des Anstoßes, fleißig mitgekauft.

Bald nachher fing ich an, Schriften über die Reformation der Mönchsorden herauszugeben. Ich suchte darin zu beweisen, daß die Domstifter eigentlich das wären, mit deren Einziehung man den Anfang machen müßte. »Ein armer unschädlicher Mönch«, sagte ich, »lebt still, niemand zur Last, von so wenig Gelde, da indes ein Domherr, in Wollüsten ersäuft, jährlich so viel verpraßt, wie vielleicht der Unterhalt eines ganzen Klosters beträgt. Sagt man, daß die große Anzahl der Mönche dem Staate nicht nützt, so antworte ich: wenn man das Heer von Advocaten, Räthen, Hofleuten, Officieren u. s. f. ausmustern wollte, wie viel würden übrigbleiben, die dem gemeinen Wesen wahrhaftig Vortheil bringen? Das gebe ich gern zu«, fuhr ich fort, »daß unerhörte Mißbräuche bey der Verfassung der Klöster eingeschlichen sind. Aber muß man desfalls das Ganze zerstören? Wie herrlich, wenn die Klöster Zufluchtsörter wären, in welchen der Mann, der den Frühling und Sommer seiner Jahre dem Staate treu und nützlich gewidmet hätte, am Ende seiner Laufbahn ausruhn könnte von seiner Arbeit, sich den Wissenschaften widmen, die Resultate seiner Erfahrungen sammeln, der Welt mittheilen, die Jugend bilden, ohne Nahrungssorgen heiter und friedvoll leben und sterben, Trost und Rath um sich her verbreiten« – Ich sagte viel schöne Sachen über diesen Gegenstand sowie über die gewissenhafte gemeinnützige Verwendung des jetzt eingezogenen Privateigenthums der Klostergüter. Fast glaube ich, dies war das beste meiner Werke, und doch, weiß der Himmel warum! fand es sehr wenig Beyfall.

Noch ein Versuch dieser Art lief ebenso unglücklich ab. Es wurde nämlich aus einem benachbarten Lande von dem Fürsten ein Preis Demjenigen ausgesetzt, welcher die beste Schrift über die Frage einliefern würde: »Wie man es anzufangen habe, der einreißenden Betteley Einhalt zu thun?« Da machte ich mich nun an das Werk, schrieb und that Vorschläge. Ich behauptete: Betteley käme von Müßiggang und Luxus, und Müßiggang und Luxus müßten nicht theoretisch, sondern practisch bekämpft werden. Was hülfe alles Raisonnieren darüber? Am Hofe, von woher die Corruption sich in das Land ausbreitete, müsse der Fürst ein Beyspiel von Thätigkeit und Mäßigkeit geben, nicht, umringt von leeren, schalen Köpfen, beschäftigt mit unnützen Kleinigkeiten, sorglos sich in Üppigkeit und Faulheit herumwälzen, nicht den Erwerb einer ganzen Familie, wie ein unwürdiger Prasser, mit Einem Bissen verschlucken. Er müsse Gelegenheit geben, daß jeder fleißige Mann in seinem Lande Brot und Freyheit finden könne, und wenn er durch sein eigenes Beyspiel den Müßiggang in Verachtung brächte, folglich Wirksamkeit und Fleiß hier in allen Ständen zu Hause wären, so würden auch nicht so viel ausländische Faulenzer in das Land ziehen, noch ihren Unterhalt in einer Provinz suchen, wo die Zucht- und Arbeitshäuser den gemeinen Pöbel und die allgemeine Verachtung den vornehmen Müßiggänger abschrecken würden, dem Staate zur Last zu fallen.

Sie können Sichs leicht einbilden, meine Herrn und Damen! daß ich mit dieser Schrift den gehofften Preis nicht erlangte. Aber was ärger wie das war, mein schriftstellerischer Ruf sank immer tiefer. Wenn ich mich nur von weitem her in den Straßen, wo Buchhändler wohnten, blicken ließ, sahen sie mir, wenn sie eben vor der Thür standen, schon nach den Taschen, ob ich etwa einige fünfzig Bogen Manuscript bey mir haben möchte; und wenn ich dann in den Laden trat, lächelten sie mir spöttisch mitleidig entgegen, winkten sich untereinander, deuteten auf mich, wiesen mich an einen andern Glaubensgenossen, weil sie eben mit Arbeit überladen wären, und ich fing an, vorauszusehn, daß in Leipzig nichts mehr für mich zu thun seyn würde. Um jedoch mit meinem Pfunde unter der Hand noch zu wuchern, schrieb ich kleine elende Romane, die ein Chorschüler, gegen eine Erkenntlichkeit, für seine Arbeit verkaufen mußte. Da bekam ich für den Bogen zwey Gulden, wenn es auch noch so elendes Zeug war, und da ich täglich wenigstens anderthalb Bogen von dergleichen Ware schreiben konnte, lebte ich doch ganz gut dabey. Ich verstellte dann meinen Styl und mußte mich oft selbst wundern, wie es möglich war, daß solches Gewäsche gekauft werden konnte. Zum Beweise schreibe ich nur den Anfang eines Romans ab, den ich in vier Bänden herausgab und welchem ich den Titel gegeben hatte: »Anne Marie, oder Beyträge zur Aufklärung der Liebe, in einer rührenden Geschichte.« Hören Sie nur!

»Ein unverheyratheter Cavalier von Meriten ging einstmals mit einer scharmanten Frauensperson, gleichfalls von guter Familie, in einem anmuthigen Garten promenieren. Die liebe Morgenröthe war, wie die heidnischen Poeten fälschlicherweise vorgeben, schon zu ihrem alten Gemahl in das Ehebett zurückgekehrt, und die wohlbeschnittenen Hecken und Taxuspyramiden, zwischen denen dies adelige Paar spazierenging, warfen längere Schatten auf die Erde, als der Cavalier folgendergestalt seine Anrede an die Dame begann, indem er sprach: Meine schöne gnädige Frölen! Es kann Ihnen nicht verborgen geblieben seyn, von welchen Sentiments mein Herz seit langer Zeit für Sie erfüllt ist und wie gleichsam das Licht Ihrer hellen Augen mein Herz in Feuer und Flamme gesetzt hat. Der Cavalier wollte noch fortfahren, diese seine verliebte Anrede zu prosequieren, als plötzlich sich in dem nahegelegnen Orangeriehause ein gräßliches Geheule hören ließ. Der Cavalier und die Dame erschraken heftiglich und kamen, wie der Franzose zu sagen pflegt, ganz außer sich. Aber wie groß war ihre Verwunderung, als auf einmal ein junger Officier von guter Leibesgestalt mit bloßem Säbel aus dem Hause hervorsprang!« – Doch genug zur Probe! Alle diese Erbärmlichkeiten wurden indessen, zugleich mit Emilie Sommer, Carl von Hellberg, Ludwig Freudenthal und andern Meisterstücken dieser Art, frisch weggelesen, und ich trank wahrlich kein Wasser dabey.

Wie sich aber auch das größte Genie am Ende erschöpft, so wußte ich zuletzt, so wahr ich lebe! nichts Neues mehr zu Papier zu bringen, welche Armuth mich dann zu der Verzweiflung brachte, nunmehro meine opera omnia herauszugeben. Allein in Leipzig war dazu keine Hoffnung. Weil ich mich indessen vortrefflich bey Cassa befand, entschloß ich mich, nach Hamburg zu reisen, um dort mit einem Buchhändler einen leidlichen Accord zu treffen –

»So lebe dann wohl, undankbares Leipzig! unbequemer Musensitz! stiefmütterliches Dichterland! – Am Ufer der Elbe gibt es auch noch Menschen, die Talente und Verdienste zu schätzen wissen. Ich eile weg von Dir.« So sprach ich und reiste ab.


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