Adolph Freiherr Knigge
Geschichte Peter Clausens
Adolph Freiherr Knigge

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Capitel

Abreise von Amsterdam. Rest des Manuscripts.
Rückkunft nach Hamburg.

Die Gesellschaft, welche ich auf dem Schiffe antraf, war nicht die ausgesuchteste. Ein alter holländischer Officier mit einer schwarzen Perücke und seiner ganzen Familie, die, um eine Erbschaft in Hildesheim zu holen, sich auf den Weg gemacht hatten – lauter elende Caricaturen! Sodann junge Kaufleute, ein Professor aus Leiden, eingenommen von seinen Kenntnissen in orientalischen Sprachen, in welchen es ihm auf unserm Schiffe niemand leicht zuvorthun konnte; ein junger Jurist, gleichfalls aus Leiden, ein französischer Comödiant und endlich außer viel andern unbedeutenden Personen noch ein junger teutscher Edelmann mit seinem Hofmeister. Dieser schien ein unerträglicher Egoist zu seyn, sprach mit beleidigender Selbstgenügsamkeit nur immer von seiner eignen Person, so daß jede seiner groben Reden von den Ausdrücken durchflochten war: »Sehen Sie, mein Herr! Mich kennen Sie nicht. Ich bin ein solcher Mann, der strenge auf Wahrheit und Gerechtigkeit hält.« oder: »Ich sehe alles von der graden Seite an. Mich kann nichts verblenden. Ich bin über alle Vorurtheile hinaus, so fest, so ohne Ansehn der Person.« Und so ging dann sein Lob gewöhnlich auf aller übrigen Leute Unkosten hinaus. »Ich bin nicht wie die mehrsten andern schwachen, elenden Menschen, welche die Sachen nur halb, nur durch Blendgläser betrachten« u. s. f. Da er sich auf diese Art als den Mittelpunct aller Weisheit und Unfehlbarkeit ansah, ließen wir ihm die Freude, sich selbst allein zu genießen. Natürlicherweise mußten ihm auch so mittelmäßige Leute, wie wir waren, zur Last seyn. Einer nach dem Andern schlich sich neben ihm fort, und ich, da ich von der ganzen Gesellschaft nicht sehr erbauet war, stieg auf das Verdeck, setzte mich da hin, zog meine Handschrift wieder hervor und las den Rest von Bricks Erzählung, der also lautete:

Rest des Manuscripts

»Die ganze Insel hatte eigentlich keine durch schriftliche Gesetze gegründete Regierungsform; aber dagegen die allernatürlichste, die man haben kann, und diese beruhete ungefähr auf folgenden Grundsätzen: Die sechzig Familien, welche sich gleich anfangs dort festgesetzt, hatten die Hälfte der Insel in ebensoviel gleiche Theile getheilt. Auf jedes dieser Theile wurde sogleich ein kleines Haus gebauet, das für eine Familie von vier erwachsenen Personen groß genug war. Felder, Wald, Gärten, kurz! alles auf dieser Hälfte war also in gleiche Theile getheilt und jedem Hause ein solches Stück angewiesen. Ehe die Familien hingezogen waren, hatte man sich zuerst davon versichert, daß nicht eine einzige Person darunter wäre, die nicht irgendein dem gemeinen Wesen nützliches Gewerbe treiben könnte und gern triebe. Auch hatte man sich vorher zu gewissen vorläufigen Puncten auf das Heiligste verbunden. Ich will einige derselben hersetzen, die mir itzt grade noch in Gedanken schweben: Jeder Stand, jedes Gewerbe, das etwas zum gemeinen Besten beytrug, wurde ohne Unterschied gleich hochgeschätzt. Alle Einwohner der Insel hatten sich eine gleiche, vernünftige, bequeme, dem Körperbaue und dem Clima angemessene Kleidung vorgeschrieben. Keine Bücher, keine Schriften durften mit auf die Insel genommen, ebensowenig durfte dort irgend etwas geschrieben werden, und alle wissenschaftliche Kenntnisse wurden durch mündliche Überlieferungen fortgepflanzt, so wie auch Jeder, der etwas zu wissen glaubte, seine Feyerstunden dazu anwenden konnte, diese Kenntnisse seinen Kindern und Freunden vorzuerzählen. War die Sache der Mühe werth, so pflanzte sie sich fort, die Thorheiten hingegen vergaß man. Also gab es keine gelehrten Zünfte, und die Wahrheit war ein freyes Capital, wovon jeder nach Gefallen so viel besitzen und wieder ausspenden durfte, wie er konnte, wollte und Andre von ihm annehmen mochten. Zwanzig Häuser hatten immer vier gemeinschaftliche öffentliche Gebäude: Das eine zu Erziehung der Kinder beyder Geschlechter, die vom sechsten Jahre an bis in das vierzehnte Alle dem Staate gehörten und eine gleiche Erziehung genossen. Alsdann aber wurde bestimmt, zu welcher Lebensart sie Geschick und Lust hatten: ob zum Unterrichte der Jugend? und dann blieben sie in diesem öffentlichen Gebäude, oder bloß zum Landbaue oder zu einem der wenigen Handwerke, deren man bedurfte, und dann wurden sie in die Wohnhäuser vertheilt, wo grade ein Platz offen war, denn Alle machten nur Eine Familie aus, und gelegentlich ohne Zwang, aber nach gutem Rathe und Überlegung, verheyrathet, wobey Rücksicht auf die Gemüthsart genommen wurde. Von heftigen und winselnden Leidenschaften hörte man nichts. Wer zur Arzeneykunde und Wartung der Kranken Geschick hatte, kam in das zweyte öffentliche Gebäude, wo Diese, deren es bey so einfacher Lebensart wenige gab, verpflegt wurden.

Vermehrte sich die Bevölkerung also, daß in jedem Hause mehr wie vier erwachsene Menschen oder zwey Paar wohnten, so nahm man von der andern unbebaueten Hälfte der Insel neue Landportionen von gleicher Größe dazu. Niemand aber durfte mehr bebauen wie sein dem Hause angewiesenes Stück, und dies Stück mußten die Bewohner jedes Hauses selbst bebauen, unbeschadet ihrer übrigen Gewerbe. Wald und Wiesen waren gemeinschaftlich, standen unter der Aufsicht der Ältesten. Man aß Eyer und Milch der Thiere, aber nie das Fleisch, überhaupt wurde kein Thier getötet, in der sichern Überzeugung, daß der Schöpfer dafür gesorgt hat, daß sich jede Gattung nur verhältnismäßig vermehrt. Man hatte Mittel ersonnen, die Fluren gegen die Verheerung der Thiere zu bewahren. Gern gab man aber andern Creaturen einen Theil seines Überflusses. Wilde reißende Thiere sah man dort nicht.

Sobald jemand sechzig Jahre alt war, wurde er von der gewöhnlichen Arbeit freygesprochen und kam dann in das dritte öffentliche Gebäude, um entweder Richter des Volks zu seyn oder Aufsicht über die Erzieher oder über die Krankenverpfleger zu haben. Die alten Frauen aber besorgten die Küche in den öffentlichen Gebäuden oder machten sich ein anders freywilliges Geschäft, denn vom sechzigsten Jahre an war Jedem Muße und Ruhe vergönnt. Wer aber so lange thätig gelebt hat, pflegt dann nicht gern müßig zu seyn. In dem vierten öffentlichen Gebäude wurden die achtzig Personen, aus welchen die zwanzig Familien bestanden, täglich zweymal gespeist. Die Stunden, welche den Mahlzeiten gewidmet waren, die Anzahl und die Art der höchst einfachen Speisen, alles war bestimmt.

Die Menschen wurden auf dieser Insel sehr alt. Die Leute, welche über achtzig Jahr erlebt hatten, machten den engern Ausschuß Derer aus, welche über die ganze Insel die Aufsicht hatten und sich jedes Jahr einmal an dem großen Festtage versammelten, wo sie, mit Zuziehung der Ältesten jedes Stamms, berathschlagten, was im Allgemeinen zu thun wäre. Diese Greise waren die einzigen Priester auf der Insel, wie wir nachher hören werden.

Zwanzig Familien machten also eigentlich einen Stamm aus; aber die ganze Insel war nur wie ein einziges Haus zu betrachten, bewohnt von Menschen, bey denen kein Luxus, keine Unmäßigkeit und kein Unterschied der Stände herrschte. Das Interesse eines jeden war das Interesse des Ganzen, und niemand hatte Reiz oder Veranlassung, anders zu handeln, wie es die gesunde Vernunft mit sich brachte, wobey sich Jeder sehr wohlbefand, worin Jeder erzogen war und welches ihm zum Bedürfnisse geworden war. Er kannte nichts andres, sah nichts andres, fühlte nichts andres; seine Lebensgeister waren immer in gehörigem Gleichgewichte und sein Körper nicht zu reizbar und nicht abgestumpft. Dabey hatte niemand Nahrungssorgen, denn auch von dem Unterschiede der Vermögensumstände wußte man nichts. Es war hier kein Eigenthum; jeder Handwerker mußte wöchentlich sein festgesetztes Stück Arbeit in das Haus liefern, wo die alten Männer wohnten; jeder Landbauer den Ertrag seines Feldes auf den gemeinschaftlichen Boden tragen, und von daher wurde Jeder mit Nahrung und Kleidung versehn. Der von Natur Thätige half dem Trägern, denn ihm nützte seine größere Thätigkeit übrigens nichts, weil er nichts weiter damit erwerben konnte. Täglich wurden von den Richtern alle Häuser und Felder besucht und nachgesehn, ob Jeder die Verträge der Gesellschaft erfüllte. Artete Einer aus (doch hatte man, bey dem guten Beyspiele und dem Mangel an falschem Interesse, in hundertundzwanzig Jahren nur Ein Beyspiel davon gehabt), so wurde Derselbe mit verbundnen Augen zu Schiffe gebracht und bey den Si-mi-schi-räs ans Land gesetzt. Der Rückweg war nicht zu finden; niemand kannte die Insel wie die Mitglieder des geheimen Bundes in Si-mi-schi-rä, und kein Fremder durfte oder vielmehr konnte die Insel betreten, so wie auch kein Einwohner derselben je reisen durfte noch mochte. Ebensowenig kamen auch ausländische Producte in das Land, und die Stifter dieses Staats, welche sehr wohl einsahen, daß nichts so viel Einfluß auf die ganze Form eines Staats und die Sittlichkeit der Unterthanen hat als der Gang, den die Handelschaft im Großen nimmt, wollten keine Art von Handel einführen, um wenigstens so lange Meister über ihr Werk zu seyn, wie die Natur der Dinge es erlaubte.

Landesverweisung war, wie schon gesagt ist, die einzige Strafe für die, welche die Ordnung des Staats störten. Dies ging um so leichter an, da die Insel gänzlich unbekannt blieb. Aber wenn auch das nicht gewesen wäre, so würde man doch nie Todesstrafen eingeführt haben, denn die Richter waren sehr überzeugt, daß ein Mensch dem andern nichts nehmen darf, was er ihm nicht geben kann. Nun kann keine Regierung auf der Welt den Unterthanen das Leben weder geben noch zusichern; folglich darf sie auch Keinem das Leben nehmen. Jedem in der Welt muß es erlaubt seyn, sich sein System von Moralität zu machen und andre Systeme anzuerkennen oder nicht – Das ist seine Sache – Aber der größere Theil hat das Recht, sich zu verwahren, daß der Mangel an Grundsätzen bey Einzelnen nicht die Ruhe des Ganzen störe. Folglich darf man durch die Mehrheit der Stimmen jemand zwingen, gewisse vernünftige Gesetze anzuerkennen, und ihn, wenn er dies nicht halten will, verweisen, binden, zwingen, fesseln, ihn aus der Reyhe der Bürger, aber nie aus der Reyhe der Menschen ausstreichen; denn er war Mensch, ehe er Bürger war. Die bürgerliche Existenz gibt ihm der Staat und kann sie ihm nehmen; aber die natürliche Existenz kann ihm nur Der nehmen, der sie ihm gegeben hat.

Also beruhete die ganze Verfassung auf Natur. Die Sache selbst regierte, der gemeinschaftliche Vertrag und nicht die Person. Leidenschaft und Interesse hatten keinen Einfluß auf Geschäfte, und alles erhielt sich selbst.

Der Umgang zwischen beyden Geschlechtern war so unschuldig wie möglich, und dies ohne alle Kunst. Man hatte kein Beyspiel von unregelmäßigen Verbindungen, denn die einfache Lebensart erweckte nicht unzeitige Begierden, und eine Menge andrer Dinge, welche bey uns Gelegenheit zu Ausschweifungen geben, fielen auch weg. Sobald jemand zu reifen Jahren gekommen war und der allen Geschöpfen eingepflanzte Trieb zur Begattung sich bey ihm regte, suchte er sich eine Gattin und fand sie leicht. Alle waren gleich reich, fast Keine gebrechlich noch entstellt, und beständige Geschäftigkeit und Aufsicht verhinderte die Entstehung sträflicher Begierden. Nie durfte (das war ein allgemein anerkanntes Gewohnheitsgesetz) ein Frauenzimmer mit einer Mannsperson allein reden, sie müßten denn Mann und Weib gewesen seyn. Überhaupt sprach auf der ganzen Insel kein Mensch, unter sechzig Jahren alt, nie das Geringste heimlich mit einem Andern, den man begriff nicht, was sie hätten zu sagen haben können, das nicht Jeder hätte hören dürfen, da Alle gemeinschaftliches Interesse hatten, Jeder frey thun durfte, was recht war, und bey völlig gleicher Erziehung nie, so wie bey uns, der Fall eintrat, daß man mit gewissen Leuten von gewissen Dingen gar nicht hätte reden können.

Der Unterricht der Kinder war sehr einfach. Kenntnis der Natur und der Pflichten, das war es, was man sie lehrte. Man machte sie aufmerksam auf den majestätischen Bau des ganzen Weltgebäudes und zeigte ihnen, wie auch in den kleinsten Theilen dieser großen Maschine die höchste Ordnung und Harmonie herrschen, wie hier nichts unnütz noch unthätig sey, die Vollkommenheit des Ganzen zu befördern. Man stellte ihnen ein lebhaftes Bild ihrer gegenwärtigen Bestimmung auf dieser Welt vor Augen und bewies ihnen, daß, um darin Glück und Ruhe zu finden, sie jene Harmonie der Natur nachahmen müßten. Aus diesem Gesichtspuncte zeigte man ihnen die Wichtigkeit aller häuslichen und geselligen Pflichten, nämlich so, daß sie sehn mußten, wie nur die vollkommenste Ausübung der Tugend allein den höchsten Grad von Glückseligkeit gewähren könne und wie Derjenige seinem Interesse am mehrsten schadete, am mehrsten sich selbst beleidigte, der Andre kränkte. Dies war die Art des theoretischen Unterrichts, den sie erhielten. Der practische bestand in guten Beyspielen, in strenger Aufsicht auf ihre Sitten, in Rührung ihrer Herzen durch seelenerhebende Gespräche – Aber hier durfte nur Wahrheit rühren, und gegen alle Eindrücke fantastischer Gegenstände wurden sie stumpf gemacht. Sie durften nichts glauben, als was sie fassen konnten, aber auch an keinem Dinge gradehin zweifeln, das sie nicht einsahen. Von dem Wesen Gottes wurde ihnen in diesen jungen Jahren nichts gesagt, als daß dies Wesen, welches alles schaffe, erfülle und erhalte, über unsre Begriffe [gehe], und daß der einzige Weg, es näher kennenzulernen, der sey, uns selbst, nach dem Muster des ganzen Weltgebäudes, vollkommner zu machen, daß endlich, wenn sie auf diese Art ihr irdisches Leben nützlich hingebracht hätten, die Priester (die Greise) am Ende ihrer Tage sie, aus eigner Erfahrung, von dem unterrichten würden, was sie als Preis ihrer Arbeit zu erwarten hätten. Kein Mensch auf der Insel erhielt daher eher Unterricht in der höhern Weisheit, in den Geheimnissen der Religion, als nachdem er sechzig Jahre lang nützlich und redlich in der Welt gelebt hatte, und man fand nicht Einen, der, wenn er die Tugend ausübte, unruhig gewesen wäre und gefragt hätte: warum er sie ausüben müsse? Jedermann glaubte gern, daß diese Vorschriften wirkliche Offenbarungen Gottes wären, weil jedermann fühlte, daß es Resultate der höchsten Weisheit und Güte waren, und sie verlangten keinen andern Beweis von der Wohlthat der Gottheit, als daß sie die Früchte derselben genossen.

Um aber die Herzen der Einwohner von Zeit zu Zeit mit neuem göttlichen Feuer für die Tugend zu erwärmen, sie fester aneinanderzuknüpfen, sie einen Grad von Enthusiasmus fühlen zu lassen, der die Sinne rührte, ohne sie zu betäuben, und der zugleich dem ganzen Volke Gelegenheit gäbe, sich wie eine einzige glückliche Familie zu gemeinschaftlicher Freude versammelt zu sehn, war jährlich ein großer religiöser Festtag angesetzt. Hier wurde mit majestätischen, aber höchst einfachen Ceremonien die Gottheit durch Gesänge, Tänze, bey mäßigen, fröhlichen Mahlzeiten von den besten Früchten der Insel gepriesen, und außer diesem Tage, auf welchen sich jeder Redliche das ganze Jahr hindurch freuete, war kein Tag zum äußern Gottesdienste bestimmt, damit diese wohlthuende Herzensergießung durch Gewohnheit nicht ihre Kraft verlöre. Jedem einzelnen Menschen aber blieb es überlassen, und es wurde ihm Bedürfnis der Seele, in einsamen Augenblicken, wenn das Herz durch eine Reyhe guter Handlungen veredelt war, dies Herz vor dem Schöpfer aller Dinge zu entfalten, und der höchste Genuß des Tugendgefühls war also ihr Gebeth und brachte die Menschen der Gottheit näher. An jenem großen Feyertage aber, der eigentlich drey Tage lang dauerte, wurden zugleich alle Hauptangelegenheiten des Volks entschieden, Gerichte gehalten, neue Vertheilungen vorgenommen, Ehen geschlossen, die Sechzigjährigen losgesprochen u.d.gl. Ich wohnte grade einem solchen Tage bey. Wir standen des Morgens« –

 

Wo Henker! war denn der Rest des Manuscripts? Ich hatte doch wahrlich nichts davon verloren; die Bogenzahl war noch dieselbe wie damals, als ich es zuerst auf meiner Reise von Hamburg nach Kopenhagen erbrach – Ich unglücklicher Mensch! Da fehlte ja das Hauptstück, die Nachricht, wo diese Länder lägen, welche Brick gleich anfangs versprach. Wer wird mir nun glauben, daß das Ganze nicht ein Traum gewesen? Ach! ich dachte es gleich, daß es wohl nur ein ipse fecit vom Herrn Brick, Gott hab ihn selig! seyn möchte. Ich trauete gleich nicht viel auf die Reichthümer, welche Reyerberg und ich mit dieser Handschrift verdienen würden. Doch habe ich es für meine Pflicht geachtet, Ihnen, wertheste Leser! dies Bruchstück so mitzutheilen, wie ich es empfangen habe. Machen Sie nun damit, was Sie wollen! Ich dächte, das beste wäre, so unwahrscheinlich die Erzählung Ihnen auch vorkommen mag, sie vorerst für wahr anzunehmen und, wie die Juristen zu sagen pflegen, dem Vater in favorem partus zu glauben. Reiset aber einer von Ihnen hin, diese Länder zu suchen, so – reise ich nicht mit.

Der Wind war uns bey dieser Schiffahrt wiederum sehr günstig, und es begegnete mir nicht der geringste Unfall (weswegen ich abermals gehorsamst um Verzeyhung bitten muß), als daß ich gegen Abend eine heftige Colik bekam. Der französische Comödiant war der Einzige von der Gesellschaft, welcher aufrichtiges Mitleiden mit mir zu haben schien und mir treulich zur Hand ging. Er war au désespoir, mir nicht helfen zu können, doch wärmte er mir Servietten, wollte mir durchaus ein Lavement geben, und seine Dienstfertigkeit fing beynahe an, mir zur Last zu werden, als er auf einmal freudig in die Cajüte sprang, in welcher ich lag, und ein Buch in der Hand hielt: »Mein Herr!« sagte er. »Hier habe ich bey dem jungen Juristen, der oben auf dem Verdecke ist, ein Buch gefunden, ein goldenes Buch, in welchem Sie gewiß Mittel gegen Ihre Indigestion finden werden. Verstünde ich nur Latein! Aber Sie sind ja ein Gelehrter. Suchen Sie Sich selbst ein Recept aus!« Ich mußte, um Seiner loszuwerden, das Buch aufschlagen; da sah ich dann, daß es eine Introductio in jus digestorum war, und der Franzose hatte geglaubt, es sey darin von einer jus de digestion (Verdauungssuppe) die Rede. Ich konnte, so krank ich auch war, mich nicht enthalten, über die Unwissenheit des guten Narren zu lächeln. Indessen wurde der Schmerz nach und nach leidlicher, und als wir durch den Niederbaum in Hamburg einfuhren, war ich völlig hergestellt und stieg gesund an das Land.


 << zurück weiter >>