Adolph Freiherr Knigge
Geschichte Peter Clausens
Adolph Freiherr Knigge

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Zweytes Capitel

Peter Claus hatte das unerwartete Glück, in den Stand der heiligen Ehe zu gerathen.

Man wird sich leicht vorstellen, daß ich nicht so gutwillig in den Wagen gestiegen seyn, sondern mich mächtig gesperrt haben würde, wenn ich irgend hätte vermuthen können, daß mir das etwas helfen möchte. Allein, sobald meine erste Überraschung vorbey war und ich mich nun zur Wehr setzen wollte, hielt mir der eine meiner Führer seinen Degen auf die Brust und drohete mir, mich augenblicklich zu erstechen, wenn ich einen Finger zu meiner Vertheydigung rühren oder einen Laut von mir geben würde. Was war also zu thun? Es schlief noch jedermann in der Nachbarschaft; die Gasse war ohnehin abgelegen – »Und dann, was ist es auch mehr?« dachte ich. »Man wird bald den Irrthum einsehn. Sie werden ja den Mann kennen, den sie suchen, und wenn Diese auch fremde Personen sind, so kostet es mich doch nur eine Erklärung, wie ich zu den fremden Kleidern gekommen bin, um wieder befreyet zu werden.« Doch nahm ich mir vor, das Letztere nicht eher zu thun, als bis die Noth am größten wäre, damit der arme Mensch, welcher mich so flehentlich um meinen Schutz gebeten hatte, unterdessen Zeit gewönne, sobald die Thore geöffnet seyn würden, aus der Stadt zu kommen.

Als wir in der Kutsche saßen, fuhr der Kutscher fort. Ich fing nun an, meine Entführer genauer zu beobachten. Der Eine schien ein holländischer Officier, der Andre ein Kaufmann zu seyn. »Mein Herr!« sagte Dieser. »Sie hofften wohl nicht, daß die Familie, welche Sie beschimpft und entehrt haben, Ihnen aus Livland her nachspüren und hier in Hamburg Freunde finden würde, welche sich dieser Sache annähmen, als wenn es ihre eigne wäre? Ist es erlaubt, ein unschuldiges Mädchen aus einem der angesehensten und reichsten Häuser zu verführen, unglücklich zu machen, dann wie ein Dieb in der Nacht davonzugehn und das entehrte Frauenzimmer bey einem trostlosen, kranken Vater zurückzulassen?« »Mein Herr!« antwortete ich, »sehen Sie mich doch an! Halten Sie mich einer solchen Schandthat fähig? Hätte ich vermuthen können, daß Sie einen solchen Menschen suchten, nimmermehr hätte ich diese Kleider« – »Hier hilft kein Geschwätz«, fiel mir der Officier in die Rede. »Können Sie die That leugnen?« »Freylich kann ich das«, erwiderte ich. »Ich bin gar nicht der Mann, dem Sie nachstellen« – »Unverschämtheit ohne Beyspiel!« rief hier der Kaufmann. »Glauben Sie, daß, weil wir Ihnen fremde Gesichter sind, wir Sie deswegen nicht kennen? Man hat Sie uns zu genau beschrieben und wir haben Ihnen seit einigen Tagen zu sorgfältig nachgespürt, um uns in der Person irren zu können. Waren Sie nicht gestern abend im Gasthofe, in eben dieser Kleidung? Haben wir Sie nicht mit unsern eignen Augen dort gesehen? Haben Sie nicht die Nacht in einem Eckhause, welches einem Seifensieder gehört, zugebracht? Leugnen Sie das, wenn Sie können! – Doch was bedarf ich so vieler Worte? Bald werden Sie eine dritte Person sehn, gegen welche Sie, wenn noch ein Funken von Ehre in Ihrem Herzen ist, schwerlich die Frechheit haben werden, die Augen aufzuschlagen.«

Und nun hielt die Kutsche vor einem wohlgebaueten Hause still. Wir stiegen aus. Man ließ mich in das erste Stockwerk hinaufsteigen, und wir traten sodann in eine Art von Vorzimmer, in welchem ein Mann im pfirsichblüthenfarbenen Rocke uns bewillkommte. »Freude, Freude! Glücklich gefangen!« rief der Officier. »Nun wird, hoffe ich, alles gutgehn. Aber was macht die arme Demoiselle, lieber Herr Doctor?« »Sie ist der Stunde ihrer Entbindung nahe«, antwortete der Aesculap, »aber sie ist äußerst schwach. Gott weiß, ob sie es überlebt! Wenn nicht das Vergnügen, ihre Ehre auf diese Art gerettet zu sehn, ihr neue Kräfte gibt, so ist mir bange. Sie hat die ganze Nacht durch phantasiert.« »Sehen Sie«, sprach hier der Kaufmann zu mir, »sehen Sie, Unbesonnener! das ist Ihr Werk! Herr Doctor! Ist denn ein Geistlicher bestellt?« »Ja!« antwortete derselbe. »Er ist wirklich bey der Kranken und redet ihr Trost zu.« –

Ich stand wie versteinert da – Der Arzt rieth, man solle, um die Gebärende nicht auf einmal zu sehr zu erschrecken, erst leise den Herrn Pastor herausrufen und durch denselben das Frauenzimmer benachrichtigen lassen, daß man ihren Liebhaber hierhergeführt habe – Das geschah. Ich spielte eine elende Rolle dabey –

»Herr Magister!« sagte der Kaufmann, als Sr. Ehrwürden erschienen. »Lesen Sie diese Papiere! Hier ist eine Einwilligung von dem Vater des Frauenzimmers, die uns bevollmächtigt, seine Tochter, sobald wir sie finden würden, dem jungen Manne, dem sie nachgereiset war, antrauen zu lassen. Und hier ist die Vollmacht von dem Vater des Verführers, aus Holland, die uns berechtigt, im Fall er sich weigern würde, durch priesterliche Einsegnung die Schande, welche er der Meinhardtschen Familie zugefügt, auszulöschen, ihn sogleich nach Ostindien zu schicken.« (Er gab ihm zwey Schriften.) »Es kömmt nur jetzt darauf an, Herr Magister! daß Sie die Unglückliche auf gute Art zu dem Schritte vorbereiten. Übrigens haben Sie doch kein Bedenken, die Trauung vorzunehmen?« »Im mindesten nicht«, erwiderte der geistliche Herr, »und wie wird sich das arme Kind freuen! Aber Sie, ruchloser Mann!« (Er wendete sich zu mir.) »Greifen Sie in Ihr strafbares Gewissen! Das Maß Ihrer Sünden ist voll. Wäre es Wunder, wenn der Allerhöchste dies unzüchtige Herz nicht wieder zu Gnaden annähme, wenn er über Sie den Fluch verhängte, den er über Sodom und Gomorrha und über die Rotte Coran, Datan und Abiram ergehn ließ? Doch, ich überlasse alles seiner unendlichen Barmherzigkeit, welcher Sie Sich jetzt in die Arme werfen müssen, und eile zu der unglücklichen verführten Kreuzträgerin zurück.«

Er ging in das Zimmer. Jetzt konnte ich nicht länger schweigen. »Ich bitte Sie um Gottes willen, meine Herrn!« rief ich. »Hören Sie mich! Ich bin nicht der Mann, den Sie suchen.« – »Still! guter Freund!« fuhr mich der Officier an. »Nicht raisonniert! Nach Ostindien, oder getrauet!« »Nun, wenn es dann seyn muß«, sagte ich. »Aber Sie werden sehn, was das Frauenzimmer dazu sagen wird, wenn man sie mit einem Fremden, den sie gar nicht kennt, einsegnen will.« – Und damit schwieg ich –

Der Pastor hatte indes seinen Auftrag vollzogen, und nun öffnete er die Thür des Zimmers. Die Vorhänge des Bettes, darin meine schwangre Braut lag, waren halb und die Fenstergardinen gänzlich zugezogen; doch war es noch hell genug, daß sie mich hätte erkennen können, wenn sie nicht, wie ich fest überzeugt bin, phantasiert hätte. Denn ihre Nerven waren hoch gespannt: »Ungetreuer!« rief sie mir entgegen. »Konntest Du mich verlassen! Doch nein! Du warst mir nie untreu. Die Furcht, daß unsre Eltern nicht in unsre Verbindung einwilligen würden, bewog Dich zur Flucht. O Carl! welchen Kummer hast Du aber Deiner Julie gemacht! Komm zurück in ihre Arme!« Nun fing sie an ohne Zusammenhang zu reden. »Sie erschöpfen Ihre Lebensgeister«, unterbrach sie der Arzt, »und bedürfen noch dieser Kräfte zu größerer Anstrengung. Lassen Sie uns den Trauungs-Actus vornehmen!«

»Nun, mein Herr van Haftendonk!« sagte hierauf der Kaufmann spöttisch zu mir. »Irrt sich dies Frauenzimmer auch in der Person? Wollen Sie Sich itzt trauen lassen oder lieber eine Lustreise nach Indien machen?« »Ich verstumme beynahe«, war meine Antwort. »Nie hat ein Mensch sich in so viel verwickelten Lagen befunden wie ich seit meiner zartesten Jugend. Aus jeder derselben hat mich das Schicksal glücklich geführt. Es wird mich auch hier nicht steckenlassen. Machen Sie mit mir, was Sie wollen! Ich bin in Ihrer Gewalt. Aber wenn es Sie je reuet, wozu Sie mich heute zwingen, so denken Sie, daß ich alles angewendet habe, Ihnen die Augen zu öffnen.«

Und nun ging ich getrost an das Werk und ließ mich frischweg als Herr Carl van Haftendonk mit der Demoiselle Julie Meinhardt trauen.

Wer von meinen Freunden mich hier erblickt hätte, in einem geborgten Rocke, einer der Geburtsstunde nahen Person im Bette, einer Person, die ich nie in meinem Leben gesehen hatte, als Ehemann die Hand geben und ohne mein Zuthun zugleich Gatte und Vater werden, der hätte wahrlich nicht gewußt, ob er das Ding hätte tragisch oder comisch finden sollen. Es war ein so possierlich betrübter Anblick – Man hätte vor Lachen – weinen mögen.

Kaum war die Ceremonie vorbey, als meine Frau Gemahlin anfing, ganz erschrecklich zu phantasieren. Zugleich kamen die heftigen Geburtsschmerzen. Mein Stiefkind war im Begriff zu erscheinen, aber man erlaubte mir nicht, diesen zarten Sprößling, die neue Frucht meiner viertelstündigen Ehe zu sehn, sondern führte mich wieder in das Vorzimmer.

Hier redete der Officier viel freundlicher wie vorher mit mir: »Mein Herr!« sagte er, »die beyden Familien sind itzt befriedigt, und ich hoffe, Sie werden inskünftige die Ehre derselben als die Ihrige ansehn. Jetzt müssen Sie sogleich mit mir nach Holland zu Ihrem Herrn Vater. Ihre Frau Gemahlin ist dazu vorbereitet und wird uns, sobald sie hergestellt ist, folgen. Indessen will Ihr Herr Vater Ihnen einen Plan zu künftiger Versorgung vorlegen. Kehren Sie reuevoll zu ihm zurück, so verzeyhet er Ihnen gewiß.«

Nun versuchte ich nochmals, zu bitten, man möchte mir wenigstens erlauben, erst meine Sachen einzupacken; eigentlich aber war meine Absicht, meine Freunde um Rath und Hilfe anzusprechen – Allein alles vergebens – »Ich habe mehr Geld, wie Sie brauchen, von Ihrem Herrn Vater bekommen«, sagte der Officier. »An Kleidern und Wäsche soll es Ihnen auch nicht fehlen. Also hält uns nichts auf.« – »So sey es dann! Es geht bunt in der Welt her«, erwiderte ich in einem halb lustigen, halb verzweiflenden Tone – »Es wird sich alles zu seiner Zeit aufklären. Kommen Sie! – Es ist unvernünftig, zu bellen, wenn man an der Kette liegt.«

Wir gingen fort, bestiegen ein Schiff und fuhren gegen neun Uhr des Morgens nach Holland zu.


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