Adolph Freiherr Knigge
Geschichte Peter Clausens
Adolph Freiherr Knigge

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Zwölftes Capitel

Wie es Petern unterwegens bis Hamburg geht,
und welche alten Bekannten er antrifft.

So wenig ich jetzt eigentlich von Mangel gedrückt wurde, so hatte ich doch aus Erfahrung gelernt, auch in guten Tagen sparsam mit meinem Gelde Rath zu halten; also fuhr ich sehr bescheiden mit dem gewöhnlichen Postwagen. Es war eine ganz angenehme Reise. Ich lernte allerley Menschen kennen und blieb hin und wieder in einer Stadt von einem Posttage zum andern liegen, um das Merkwürdigste in Augenschein zu nehmen. Als ich nun aus eben dieser Absicht mich ein paar Tage in Gotha verweilte und daselbst im Mohren in der Vorstadt an der Wirthstafel speiste, trat ein Mann mit einer Violine, begleitet von einem alten Weibe mit der Zither, in den Saal. Sie sangen herzbrechende Lieder, und zu den Ritornellos wußte der Violinist mit dem Munde die Waldhornstimme nachzuahmen, so natürlich und noch natürlicher wie der Ritter Esser. Ich sah diese Leute mit einiger Aufmerksamkeit an; sie betrachteten mich wiederum nicht ohne dunkle Ahnung – Wir meinten, wir müßten einander irgendwo gesehn haben, und wir irrten nicht. Aber kaum hatte ich sie recht erkannt, als ich mich wohl hütete, mich näher zu entdecken. Wer, glauben Sie nun, meine Herrn! wer dies Pärchen war? Niemand anders wie der Herr Chirurgus Haber mit meiner ehemals vielgeliebten Jungfer Nagelborn. Ich kann nicht sagen, daß sich diese würdigen Leute im geringsten verändert hätten, außer daß beyde etwas kupfrig aussahen, welches vielleicht daher rühren mochte, daß sie zuweilen ein Gläschen doppelten Kümmel mehr nahmen, wie andere Leute, die keine Musici sind, zu thun pflegen. Cantores amant humores, sagt, glaube ich, irgendein Kirchenvater, und das ist sehr richtig und wohl gesagt. Was mich betrifft, so hatte ich mich in zwanzig Jahren freylich so umgebildet, daß, sobald ich meine ihnen anfangs auffallend gewesene Aufmerksamkeit von ihnen ablenkte, sie weiter nicht daran dachten, daß ihr ehemaliger Mitgenosse itzt so nahe bey ihnen sitzen könnte, und, wie gesagt, ich fühlte keinen Beruf, mich ihnen zu erkennen zu geben. Weil ich jedoch neugierig war, etwas von ihrer Geschichte zu erfahren, so stimmte ich einen unter den Gästen, ihnen diese Erzählung abzufragen: »Es möchte doch interessant seyn«, fügte ich hinzu, »zu erfahren, auf welche Art dergleichen Leute an ein so elendes Handwerk geriethen.« Dieser Wunsch wurde erfüllt, und Herr Haber fing an, Folgendes zu erzählen:

»Ich war Gerichtschirurgus bey einer adeligen Dame im Hannoverschen, und diese meine Ehefrau, sozusagen, war Kammerjungfer bey derselben. Wir liebten beyde sehr die Musik und vergnügten uns zuweilen damit, kleine Concerte, sozusagen, zu halten, in denen auch ein junger Pursche, ein böser Junge, ich versichre Sie, dem ich aus bloßer Güte einige Information auf der Violine gab, mitzuspielen pflegte. Dieser Knabe war aber ein verteufelt liederlicher Vogel, sozusagen, und wurde von unsrer gnädigen Frau fortgejagt, worauf er in *** Dienste trat und, dem Verlauten nach, desertiert seyn soll. Inzwischen hatte diese meine jetzige Ehefrau bey solcher Gelegenheit so viel Geschmack an unsern Concerten gefunden, daß sie mich bat, ihr auch einigen Unterricht sowohl in Vocal- als Instrumentalmusik zu geben. Ich fand mich ziemlich bereit dazu, aber, wie es zu gehn pflegt, Hercules, oder wie der heidnische Liebesgott heißt, spielte uns einen Streich. Ihro Gnaden wollen erlauben, man hat denn auch Fleisch und Blut – – Kurz! meine dermalige Eheliebste befand sich bald in gesegneten Umständen. Das Ding schien gefährlich, obgleich naturalia non sunt turpis – Die gnädige Frau war, ich kanns wohl sagen, ein bißchen zu punctillös in dergleichen Affairen. Zwar hatte man, mit allem Respect gegen hohe Standespersonen zu erwähnen, den Herrn Vetter, in *** Diensten, einmal mit der Dame so allein angetroffen – – Meine Frau kam unerwartet ins Zimmer. Nun! ich schließe gern meinen Mund – exempel sunt odiosel – Aber was wollte ich doch sagen? Die gnädige Frau nahm die Sache zu hoch. Sie merkte es bald, als meine Eheliebste sozusagen schwanger war – Wie es dann geht, die Domestiken schweigen nicht – Gleich hieß es: marsch! zum Hause hinaus! und damit, was war nun zu thun? Sie nahm aber einen tüchtigen Heller Geld mit – In allen Ehren, versteht sich – Nun lebten wir dann so im Dorfe, und ich trieb meine Kunst fort, aber die Frau von Lathausen that uns allen Dampf an. Sie brachte von uns aus, wir wären beyde versoffene Leute und ich verstünde nichts von der Chirurgie. Denken Ihro Gnaden an, welche Bosheit! Nun! wir sind Alle Menschen. Man trinkt, wenn man Durst hat, sozusagen, und was die Kunst betrifft, so pflegt man zu reden: ars longus, vita breva. Es war am Ende nicht mehr auszuhalten. Wir kamen sehr zurück und mußten endlich fort. Da kam ich dann auf den Einfall, also auf Reisen, sozusagen, zu gehn. Unterdessen ist der gnädigen Frau ihr Recht geschehn, Gott behüte! Sie ist elendiglich gestorben; die Leute sprechen von Krämpfen, aber wer weiß, was das für Krämpfe gewesen sind! Wir ziehen dann so herum, und ich kann Ihro Gnaden versichern, in Hessen, da haben wir was Rechtliches verdient. Viel Geld haben die Leute da nicht, aber dagegen verstehen sie auch nichts von Musik, und wir, obgleich wir nicht so ganz vortrefflich spielen wie des Grafen von Werthheim seine Musicanten (ich bin daher gebürtig), fanden doch aller Orten applausum. Hier in Sachsen will es nicht recht gehn. Der Henker weiß, die Leute haben Ohren, wie Postpapier so fein. Aber was wollte ich doch sagen?« »Laß Er es nur gut seyn, theurer Herr Haber!« fiel ich ihm hier ins Wort, »laß Er es gut seyn! Er spielt gut, recht gut, und erzählt noch besser. Aber wir wollen doch den Rest Seiner Geschichte lieber auf ein andermal versparen.« Wir gaben also dem holden Paare etwas Geld, und ich war froh, unerkannt loszukommen.

In Kassel logierte ich im Posthause am Königsplatze. In dem Zimmer neben mir an war ein alter fremder Geheimerrath abgetreten. Die Stadt gefiel mir so gut, daß ich acht Tage dort blieb. Wenn ich nun des Abends zu Hause kam, so hörte ich meinen Nachbar immer sehr laut, und das zuweilen bis Mitternacht, reden, ohne daß ich gewahr wurde, daß ihm jemand geantwortet hätte. Da mir dies ein sonderbarer Umstand schien, erkundigte ich mich eines Tages bey Tisch nach den genauern Umständen dieses Geheimenraths und erfuhr dann durch einen Hofjunker, der eben auch an der Wirthstafel speisete, Folgendes:

»Der Herr von Erbschall ist ein herzlich guter Mann, hat aber die Schwachheit, immer allein reden zu wollen. Er hat eine kleine Anzahl Histörchen im Vorrathe, die er während seiner Kriegsdienstjahre gesammlet hat und welche alle sich damit anfangen: ›Als ich in Schlesien bey der Armee war, da hatte ich einen Wachtmeister, das war ein verfluchter Kerl‹ u. s. f. Dieser verfluchte Kerl, dieser Wachtmeister, hat dann so viel närrische Streiche in seinem Leben gemacht, daß man unter zwey Stunden nicht fertig wird, wenn der gute Geheimerath jemand in die Ecke klemmt, um ihn mit seinen Erzählungen in Transpiration zu setzen. Allein man kennt ihn, und wenn er bey Hof kömmt (Er ist seit drey Wochen als Fremder hier), so geht man ihm aus dem Wege oder sucht wenigstens den Rücken frey zu haben. Weil diese Zurückhaltung ihm nun einen unleidlichen Zwang auflegt, so erholt er sich des Abends, wenn er zu Hause kömmt, und fängt an, seinem Bedienten vorzuerzählen: ›Hört einmal Christian! dabey fällt mir ein, als ich noch in Schlesien bey der Armee‹ u. s. f. Der Geduldigste wird es müde, bey einem solchen Herrn Bedienter zu seyn und jeden Abend, stehendes Fußes, bis Mitternacht zu Boden erzählt zu werden. Also bleiben auch selten die Laquaien länger wie ein halbes Jahr bey ihm. Glücklicherweise aber hat er itzt einen stocktauben Menschen bekommen, der mit der größten Gleichgültigkeit jedes Histörchen anhört. Seit zwey Monaten ist er bey ihm in Diensten, und da der Geheimerath nichts weniger wie Antwort und Unterbrechung bey seinem Vortrage verlangt, so passen sich diese Leute sehr gut zusammen. Der Herr von Erbschall merkt gar nicht, daß sein Christian taub ist, und was er sonst seinem Reisecoffer erzählen müßte, erzählt er nun seinem ohrenfesten Bedienten.« – Was es für Menschen in der Welt gibt!

Von Kassel aus ging ich über Braunschweig. Eine Erinnerung an die Lebensart, die ich einst in dieser Stadt geführt hatte, wie meine Leser wissen, erregte allerley Empfindungen in meiner Seele. Ich sah wieder den Gasthof zum goldenen Engel, wo wir so manche Stunde bey nicht sehr edlen Beschäftigungen hingebracht hatten. Ich sah die Rose und noch mehr Gegenstände dieser Art und bekenne es, ich war in Verlegenheit, wenn ich mich selbst fragte: »Bist Du wohl jetzt besser, obgleich Deine gegenwärtigen Umstände Dich nicht nöthigen, so niederträchtig wie damals zu handeln?« Dann wußte ich nicht recht, was ich mir antworten sollte. Man handelt, so wahr ich Peter Claus heiße! mit einem gefüllten Beutel ganz anders wie mit einem leeren und raisonniert, wenn man allein sich selber überlassen ist, ganz anders, als wenn man in einer Gesellschaft liederlicher junger Leute herumschwärmt. Nun kamen wohl eigentlich die Jahre bey mir heran, wo man nicht mehr so leichtsinnig über die Folgen seiner Handlungen hinwegzudenken pflegt. Ich glaube auch, wenn ich damals auf einmal in irgendeinen ansehnlichen Posten wäre verpflanzt worden, wo, bey gutem Gehalte, die Augen der Leute auf mich geheftet gewesen wären, so hätte ich für einen gar angesehenen, artigen, bescheidnen Mann gelten können. Aber ich war durch meine sonderbare Lage, wie es schien, zum Abentheurer bestimmt, und da hat dann das Aventurierwesen etwas so Anziehendes, daß man mit dem Strome des Zufalls fortschwimmt, ohne weiter an die künftigen Zeiten zu denken. Daher verschwanden dann auch die ernsthaften Gedanken über mein ehemals in Braunschweig geführtes Leben, über Haudritzens Schicksal, über Reyerbergs und des Mannes im grauen Rocke, des Herrn Bricks, Begebenheiten und über meine Liebesintrigue mit der würdigen Contezza di Tondini bald aus meinem Gedächtnisse.

Es war übrigens sonderbar, daß Braunschweig grade der Ort seyn sollte, wo mir immer höchst unerwartete Begebenheiten aufstießen. Ich war wirklich diesmal nur auf ein paar Tage als ein Durchreisender hier, ging zuweilen durch die Gassen, besuchte die Kaffeehäuser, das Schauspiel und wollte schon eines Morgens weiterreisen, als ich des Abends vorher auf dem Burgplatze einen alten Bekannten aus Leipzig, auch von der Autorzunft, antraf. Es regnete stark. Er hatte einen seidenen Schirm, und ich trug meinen weißen Mantel. Wir schienen beyde gleich betroffen über diese unerwartete Zusammenkunft. »Nun, in aller Welt«, rief er aus, »wie treffen wir uns denn hier an?« Erläuterungen von beyden Seiten folgten hierauf, und dann war die Rede von unsern unsterblichen Schriften. Es regnete immer noch fort; aber wenn zwey Schriftsteller zusammen in ein gelehrtes Gespräch gerathen, dann mögen alle Elemente um sie her kämpfen! sie sind taub dafür. Bald hieß es: »Haben Sie mein letztes Schauspiel gelesen?« Bald: »Hören Sie einmal diese Idylle, welche ich kürzlich gemacht habe« u. s. f.

In dem Feuer unsres Gesprächs hatte ich nur obenhin bemerkt, daß nicht weit von uns, an der Burgkirche her, ein Mann ungeduldig auf und ab schritt. Er war ungefähr so gekleidet wie ich, und sooft er auf seinem Wege umkehrte und uns noch da stehn sah, sooft murmelte er etwas in den Bart. Dieses erinnerte ich mich nachher erst recht genau, als die Begebenheit vorbey war. Mein Dichterling hatte indes eine so große Menge neuer Sinngedichte bey sich, die er eins nach dem andern hervorzog und unter seinem Regenschirm, bey dem Schein einer Laterne am Musthofe, las (aber er wußte seine Werke auch ziemlich aus dem Gedächtnisse herzusagen), daß der Mann, von welchem ich eben geredet habe und der vermuthlich da allein seyn wollte, endlich die Geduld verlor und fortging. Er hatte kaum den Platz verlassen, als eine ältliche Dienstmagd von der Brücke her gelaufen kam, und wie sie mich da im Mantel stehn sah, mich vermuthlich für jenen Mann halten mochte, folglich grade auf mich zuging, sobald sie aber fand, daß ich nicht allein war, etwa zehn Schritte von mir stehnblieb und ein Zeichen durch Husten und Winken gab, daß ich doch kommen möchte. Mein Schriftsteller war eben in der Mitte einer Romanze, in welcher er die Mordgeschichte von einer Frau besang, die, nachdem ihr Mann sie übel behandelt und ins Grab hinein geärgert hatte, nach dem Tode, mit den Geistern von sechs andern Weibern, Alle auf Katzenseelen reitend, zurückkam, um ihrem gewesenen Gatten die Augen auszukratzen. Es war rührend zu hören, obgleich damals schon der Regen, wie ich es fühlen konnte, bis auf mein Camisol gedrungen war. Die Dichter haben, wie bekannt, eine große Verehrung für Liebeshändel. Als daher mein Freund sah, daß ein Frauenzimmer mir zuwinkte, brach er plötzlich, mitten in der interessantesten Stelle seiner Romanze, ab, steckte sein Manuscript bey sich und sagte leise zu mir: »Ich sehe, Sie haben bestellte Arbeit – Ich will Sie nicht stören – Gutes Glück, mein Freund! Morgen, ehe Sie abfahren, besuche ich Sie auf einen Augenblick und lese Ihnen den Rest vor« – Damit eilte er fort.

Ich war eben nicht böse darüber, daß, obgleich ich mir wohl bewußt war, daß das Frauenzimmer mich für einen Andern ansah, dieser Irrthum mich dennoch von dem beschwerlichen Vorleser befreyete. Allein, was noch mehr ist, ich gerieth auf den Einfall, mich für die gehabte Langeweile dadurch zu entschädigen, daß ich es versuchen wollte, dies Abentheuer weiter zu treiben. Daher verhüllte ich mein Gesicht in den Mantel und erwartete, was die Magd mir vortragen würde. Diese kam nun augenblicklich auf mich zu: »Ojemine! nehmen Sie es doch ja nicht übel, lieber Herr Löser!« sagte sie, »daß wir Sie so lange haben warten lassen! Meine Madam hat unmöglich eher abkommen können. Der Herr ist eben erst ausgegangen, wird aber auch nun vor Mitternacht nicht zu Hause kommen. Sie sind gewiß bis aufs Hemd naß. Aber es schadet nichts. Sie sollen Sich gleich ausziehn und unsres Herrn Schlafrock anthun, indes ich Ihre Kleider trocknen will.« Während sie so sprach und mich weiter nicht zu Worte kommen ließ, ging sie vor mir her, und ich folgte ihr.

Wir waren einige Straßen durchgegangen, als meine Führerin bey einem hübschen Hause stehnblieb, die Thür leise öffnete, mir dann einen Wink gab, daß ich folgen sollte, und als ich dies gethan, mich linker Hand in ein Kämmerchen hinten hinaus, im Erdgeschosse, führte, worauf sie die Thür hinter mir verschloß, nachdem sie mir zugeflüstert hatte: »Ich komme gleich wieder.« Ein paar Minuten nachher erschien sie wieder und sagte: »Hier ist der Schlafrock, ein Camisol und eine Mütze! Jetzt machen Sie Sich commode! Meine Madam wird gleich kommen und Licht bringen. Ich will vor der Hausthür Achtung geben.« »Nun, das geht gut, Peter!« sagte ich zu mir selber, als ich mich wieder allein befand. »Frisch an das Werk! Du bis naß, ziehe Dich herzhaft aus! Wirf Dich in diesen Schlafrock! Wenn auch die Schöne auf einen Andern wartet, was thut es? Der Andre ist nicht da, der Mann kömmt vor Mitternacht nicht wieder, und Du bist einmal hier – Frisch daran!« Hierauf warf ich meinen Mantel ab, zog meinen nassen Rock aus und griff im Dunkeln nach dem mir bestimmten Schlafrocke. Kaum hatte ich mich in des würdigen Ehegatten Nachtgeschirr geworfen, als die Thür der Kammer sich öffnete und eine schöne junge Frau mit einem Wachslichte in der Hand hereintrat. Sie wollte mit offnen Armen mir entgegeneilen, und ich kam ihr zuvor, als, sobald sie mein Gesicht erblickte, sie einen lauten Schrey that, den Leuchter fallen ließ, wieder zur Thür hinausfliehn wollte, aber über einen Stuhl, der hinter ihr stand, stolperte und auf die Erde fiel. Zu gleicher Zeit entstand draußen ein noch größerer Lärm. »Ihr wollt mich zum Narren haben«, rief eine Mannsstimme. »Ich habe über eine Stunde lang im Platzregen bey der Burgkirche gewartet, aber da war keine Catharine zu sehn noch zu hören.« »Um des Himmels Willen«, erwiderte die Magd. »Sind Sie der böse Feind, oder sind Sie zweymal in der Welt? Dort in der Kammer ist schon ein Herr, den ich« – »Was, ein Andrer«, schrie darauf die männliche Stimme. »Warte, Du Betrügerin!« – Und damit brach er mit Gewalt in das Kämmerlein, in welchem eben die Dame sich von der Erde aufgerafft hatte – Die Magd folgte, aber wir hatten kein Licht, und niemand hatte Lust, eins zu holen. Herr Löser nicht, weil er fürchtete, sein vermeinter Nebenbuhler möchte ihm entwischen, auch hätte er nicht leicht im Hause Licht schaffen können, und wir Andern hatten gute Gründe, um diese Geschichte nicht aufgeklärt sehn zu wollen. Es gab also ein lautes Gespräch durcheinander, in welchem Jeder seine Sache auf der besten Seite vorstellte (wie in einem Final-Quartetto am Ende eines Opera Buffa-Acts), als auf einmal ein fünfter Mann mit einer Laterne dazukam, der uns Allen nichts weniger wie willkommen war, und dieser fünfte Mann war, wie ich aus der zärtlichen Anrede merkte, mit welcher er uns empfing, niemand anders wie der theure Ehegemahl und Hausherr. Vermuthlich hatte er etwas zu Hause vergessen oder vielleicht auch seine Frau überraschen wollen – Kurz! er kam unerwartet, und als er in das Haus getreten war und wahrscheinlich sich hatte von einer fremden Magd leuchten lassen (denn es stand ein solches Geschöpf vor der Thür, als ich mich nachher empfohl), war ihm der heterodoxe Lärm im Hinterstübchen so verdächtig vorgekommen, daß er im Eifer seiner Begleiterin die Laterne aus der Hand genommen hatte, womit er dann zu uns eindrang.

Ich wußte nun wahrlich nicht, wie ich mich bey diesem Handel betragen sollte. Ludwig Reyerberg wäre stehngeblieben und hätte sich der armen Frau angenommen, aber Peter Claus war kein so gutherziger Narr. Ich hatte Gegenwart des Geistes genug, einzusehn, daß ich, in Betracht meines nächtlichen Anzugs, bey dieser Scene die gefährlichste Rolle spielen würde. Sobald daher die Laterne erschien, hatte ich mich weislich hinter ein Bette versteckt, das nahe bey der Thür stand, und als die beyden Herrn sich tapfer schimpften, indes Alle zugleich riefen, die Weiber aber heulten und baten, fuhr ich wie ein deus ex machina hinter dem Bette hervor, riß dem Manne die Laterne aus der Hand, und indem der gute Herr an nichts weniger dachte, als daß noch ein Kobold erscheinen würde, gerieth er in einen solchen Schrecken, daß er wie versteinert dastand und mir Zeit ließ, in seinem Schlafrocke zum Hause hinaus zu entwischen, denn glücklicherweise hatte er den Eingang nicht verschlossen.

Kaum war ich auf der Gasse, so lief ich, als wenn mir der Kopf brennte, bis ich meinen Gasthof erreichte, woselbst mich der Hausknecht, nicht ohne die größte Verwunderung, in meinem sonderbaren Aufzuge ankommen sah. Ich ließ mich aber hier auf keine Erläuterungen ein, sondern schlich auf mein Zimmer, wohin ich mir ein paar Scheiben Butterbrot und eine Flasche Wein bringen ließ. Wie ich nun so allein da saß, da wußte ich wahrlich nicht recht, ob die ganze Geschichte ein Traum oder eine wahre Begebenheit gewesen. Endlich konnte ich mich nicht enthalten, recht herzlich über den ganzen Vorfall zu lachen. Ich war einer derben Prügelsuppe von zwey Seiten glücklich entwischt, und wenn der rothe wollene Schlafrock mit gelben Streifen freylich nicht so viel werth war wie Mantel und Rock, so war doch der Spaß unschätzbar; auch überließ ich mich ganz meiner lustigen Laune und sah nur die lächerliche Seite von der Sache. Sooft mir bey meinem Abendbrote der Gedanke einfiel, was nun wohl weiter aus den Leuten geworden seyn und welche Verwirrung nach meiner Entweichung möchte geherrscht haben, so oft konnte ich mich nicht enthalten, laut auszulachen.

Dies war ein zu schöner Gegenstand zu einer Romanze, als daß ich nicht das ganze Histörchen hätte meinem Dichterlinge erzählen sollen, welcher des folgenden Morgens früh zu mir kam und mich mit seinen Versen bis auf den Postwagen hinauflas, worauf ich abfuhr und nach Hamburg zu eilte.


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