Adolph Freiherr Knigge
Geschichte Peter Clausens
Adolph Freiherr Knigge

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Fünftes Capitel

Erneuerte alte Bekanntschaft.
Entdeckung dadurch. Fortsetzung des Manuscripts.
Abreise nach Holland.

»Es ist eine herrliche Sache um das Reisen, mein Herr Officier!« sagte ich, als wir am Hafen auf und nieder gingen, »und ich komme jetzt so dazu und weiß nicht wie.« »Übel genug!« antwortete der Kriegsmann, »daß wir hier nach Dänemark gerathen sind und wissen nicht wie! Ihr Herr Vater wird in großen Sorgen unsertwegen seyn.« »Das glaube ich schwerlich«, erwiderte ich mit Lächeln. (Er hörte es aber nicht, sondern fuhr fort) »Und was machen wir hier? Ich habe von jeher die Dänen nicht gut leiden können. Es ist nichts wie Körper an ihnen. Wir sind alle Erdenklöße, aber diese Menschen scheinen aus bloßer schwerer Thonerde zusammengesetzt zu seyn.«

Er machte noch einige solche unbillige Anmerkungen über diese Nation, als eben ein Mann, mit Büchern unter dem Arm, eilig durch die Quergasse gestrichen kam. »Das ist gewiß ein Franzose oder so ein Ding«, sagte mein Gefährte – Ich sah nun die Figur genauer an und meinte, ich müßte das Wesen schon irgendwo gesehn haben. Als er näher kam, durfte ich nicht länger zweifeln: »Ah cäreste Clausen! Wo gord ed?« rief er in gebrochenem Dänischen aus und fiel mir um den Hals. »Est-ce bien Vous, man ami? Nun! wer hätte denn denken sollen, daß wir uns hier in Dänemark antreffen würden? Und zu urtheilen nach meines alten Peters Ansehn und Anzuge, so muß es Ihnen, mein Freund! wohlgehn.« »Mein Herr!« sagte ich. »Zu dienen! So! So! Vielleicht sind Sie aber irre. Zwar heiße ich wirklich, wie Sie mich genannt haben; allein dürfte ich fragen, mit wem ich die Ehre habe« – »Ah mon chèr!« rief er aus. »Die Umstände verändern sich, und das Schicksal verändert die Menschen, mais ne Vous souvient-il plus du Sieur Lippeville? Par Dieu! pour moi, je Vous ai d'abord reconnu« – Ja! er war es leibhaftig. »Und wie, in aller Welt!« fragte ich, »kommen Sie denn hierher?« »Nun, das will ich Ihnen erzählen«, war seine Antwort. »Es hat mir nicht recht glücken wollen in meinem Vaterlande, und so bin ich endlich sogar Hofmeister bey einem teutschen Grafen geworden, mit dem ich auf Reisen ging. Der junge Mensch besaß hübsches Vermögen; aber, wie es dann geht, er verspielte alles, und zuletzt hatten wir Beyde nichts mehr; denn was mich betrifft, so verlor ich auch meine rente viagère durch einen unglücklichen Bankerott, den die Casse machte. Der junge Graf sah sich genöthigt, in kaiserliche Dienste als Officier zu treten. Nun war für mich weiter keine Ressource übrig, als von meinen geringen Talenten Partie zu ziehn. Ich war damals grade in Schleswig, wo ich meine Lage einem guten Manne entdeckte, der mir dann Adressen hierher gab. Es wollte aber anfangs nicht recht gehn. Ich mußte allerley Wege einschlagen. Endlich ergriff ich den Entschluß, der Jugend Unterricht im Französischen und Teutschen zu geben, und da finde ich nun als Sprachmeister mein ziemlich bequemes Auskommen. Ich habe eine Witwe geheyrathet, die einiges Vermögen hat, so daß ich nicht übermäßig viel Stunden zu übernehmen brauche. Aber freylich fällt mir oft mein ehemaliger Glanz ein. Doch wie kommen Sie, mein lieber Claus! denn hierher?« »Das ist«, antwortete ich ihm, »jetzt zu weitläufig zu erzählen. Nur Eine Bitte habe ich an Sie, und die besteht darin, daß Sie diesem Herrn Officier hier sagen mögen, wer ich bin und unter welchen Umständen Sie mich gekannt haben.«

Lippeville war sogleich bereit, meinem Gesuche zu willfahren. Wir Drey gingen zusammen in einen nahegelegenen Gasthof. Dort versicherte mein ehemaliger Herr den Officier, daß ich Peter Claus hieße, entholländerte mich also durch sein unverdächtiges Zeugnis. Es wurde alles aufgeklärt, ich erzählte die Veranlassung der Irrung, die Austauschung der Kleider, einen Theil meiner übrigen Schicksale und setzte freylich dadurch den Officier, der mich unzählige Male um Verzeyhung bat, in nicht geringe Verlegenheit.

Jetzt war es schwer, einen Entschluß zu fassen, was nun bey den Umständen zu thun seyn würde. Doch fiel endlich die Entscheidung dahin aus, daß ich die Güte haben möchte, mit nach Holland zu schiffen. Der Herr Vetter des Hauptmanns, der alte Herr van Haftendonk, dem zur Freundschaft er nach Hamburg gereiset sey, den Sohn aufzusuchen, werde freylich nicht wissen, ob er ihm danken solle oder nicht. Doch sey ja der Sohn, meiner Versicherung nach, auch nach Holland abgegangen – »Kurz! Wir müssen sehn, wie es geht, mein lieber Herr Claus«, sagte der Officier. »Auf jeden Fall wird Sie mein Vetter reichlich entschädigen, und Sie reisen ja ohnehin gern. Das Unglück ist nicht so groß, einer reichen Frau angetrauet zu werden, wenn Sie sie auch behalten müßten. Nur mit dem Kinde wäre es so ein Umstand – Doch was hilft es, vor der Zeit sich mit Grillen plagen? Nur so viel muß ich bitten, daß wir uns nicht länger wie einen Tag hier aufhalten. Wir können ja morgen die Hauptmerkwürdigkeiten der Stadt besehn, und indes wird auch unser Schiff wieder im Stande seyn abzufahren.«

 

Monsieur de Lippeville erboth sich, unser Cicerone zu seyn, hielt auch am folgenden Tage sein Wort und wies uns, was man Fremden zu zeigen pflegt. Allein ich würde es für Mißbrauch Ihrer Geduld halten, meine lieben Leser! wenn ich Sie hier mit einer Beschreibung von Kopenhagen ermüden wollte. Ich mag Ihnen lieber die Fortsetzung meines Brickischen Manuscripts abschreiben, wovon ich noch den Abend unsrer Ankunft ein Stück las, als mein Herr Hauptmann ausgegangen war, mit den Schiffern Abrede zu nehmen. Übrigens war ich mit diesem Manuscripte sehr geheim, steckte es weg, sobald der Officier wiederkam, und weil derselbe diesmal nicht lange ausblieb, so verzeyhen Sie gnädigst, wenn Sie in diesem Capitel nur ein kurzes Stück davon zu sehn bekommen!

Fortsetzung des Manuscripts

»Ich weiß wohl, meine werthesten Freunde! daß es Euch unglaublich vorkommen wird, wenn ich Euch erzähle, daß grade unter dem Pole ein so liebliches Clima herrscht, da es, nach der gemeinen Meinung, nirgends kälter seyn müßte wie da. Allein ich ersuche Euch, gewöhnt Euch, an keinem Dinge zu zweifeln, das Ihr nicht gesehn habt, und da ich gewiß der einzige Europäer bin, der bis dahin gedrungen ist, so glaubt mir vorerst – Es ist ein Glauben, der auf Eure Sittlichkeit keinen Einfluß hat. –

Epicur behauptete, man könne nicht beweisen, daß die Sonne größer sey, wie sie unsern Augen schiene. Alte und neue Persifleurs fanden diesen Satz sehr dumm. Ich finde ihn nicht also. Wer weiß denn, ob dieselben Regeln der Meßkunst, die unsern groben Sinnen einen Körper in dieser oder jener Größe darstellen und ihn anders darstellen würden, wenn wir anders organisierte Sinne hätten, wer weiß, ob diese uns so heilig wahr scheinenden mathematischen Gesetze in andern Regionen anwendbar sind? Wer weiß, ob dort nicht ein Körper größer scheint, je weiter er entfernt ist? Ihr seht in einiger Entfernung einen Baum stehn. Ihr nennt das Entfernung und was dazwischen ist, Raum, weil Eure zwey groben Sinne, Gesicht und Gefühl, nicht eher anstoßen, sondern den Zwischenraum für Luft halten, bis zu diesem Baume. Aber wer sagt Euch, daß, wenn Ihr feinere Sinne hättet, Ihr nicht alles voll von Körpern und zwischen Euch und einem Baume eine solche Kette von materiellen Wesen finden würdet, daß ihr den Baum und Euch selbst nicht als zwey abgesonderte Stücke, sondern als ein zusammenhängendes Wesen ansehn müßtet? Wenn nun so viel Unsicherheit in der Erkenntnis der Dinge hier unten ist, mit welcher Gewißheit wollt Ihr von den fernen Wesen dort oben reden? Also gehet gnädig um mit Geistersehern und speculativen Köpfen! Bauet nicht Eure Glückseligkeit auf Dinge, die außer Eurer sinnlichen Empfänglichkeit sind, aber disputiert nicht weg, was Ihr nicht sehet oder fühlet.Cest une singulière tête que ce Monsieur Brick! Doch verdient, was er hier sagt, einige Aufmerksamkeit. Nach seinem Systeme wäre aller Begriff von Größe, Form, Gestalt, Farbe, Entfernung u. s. f. Täuschung. Die mathematischen Wahrheiten wären also, gegen die gemeine Meinung, von allen die unsichersten, die moralischen Gesetze hingegen unwandelbar, theils weil sie die Harmonie des ganzen Sichtbaren und Unsichtbaren befördern, theils weil das, was wir thun sollen, sich nur nach demjenigen bestimmen läßt, was wir kennen. Es könnten also eine Menge Dinge theoretisch wahr seyn, ohne daß wir sie einsähen; umgekehrt aber, practisch wahr für uns könnte nur das seyn, was für uns theoretisch begreifbar wäre. Ein weiser Mann wäre also Derjenige, der nichts fest behauptete, als was er klar einsähe, dennoch aber an nichts zweifelte, was er nicht einsähe, und der in seinen Handlungen nur nach dem Maßstabe seiner Erkenntnis consequent handelte; einen Schwärmer und Thoren müßte man Denjenigen nennen, der seine Handlungen nach möglichen Wahrheiten, die er nicht einsähe, bestimmte, einen Bösewicht aber nur Den, welcher wider seine Einsicht handelte.

Peter Clausens Anmerkung.

Doch ich entferne mich von meinem Zwecke. Genug! unter dem Pole hören die Gesetze der Natur, wie sie in den übrigen Erdgürteln herrschen, auf, und sobald man durch die Eisburg, welche diesen Pol von den andern Welttheilen absondert, hindurch ist, ruht ewiger Frühling, unbeschreiblich sanftes Clima auf den glücklichen Gefilden, die ich Euch beschreiben will. Vermuthlich wird es unter dem Nordpol ebenso seyn.

So ungewiß es auch war, welches mein Schicksal seyn, ob ich hier lebendige Wesen antreffen, ja! ob ich je wieder Geschöpfe meiner Art erblicken oder nicht vielleicht einsam eines traurigen Todes sterben würde, von keinem Freunde, der mir die Augen zudrücken könnte, mit einem Labetrunke erquickt, ohne Trost, ohne Pflege, ohne Schmerzenslindrung, so fiel mir doch ein solcher Gedanke gar nicht ein. Nur das einzige Gefühl, mich von den Gefahren der See errettet und Gottes schönen Erdboden, die herrlichsten, reichsten Gefilde vor mir ausgebreitet zu sehn, erfüllte meine Seele mit überströmender Wonne. Ich bemerkte keine Spur von Fleiß und Arbeit der Einwohner, kein Fahrzeug am weiten Ufer hinunter, keine Pflanzungen, keine Hütten, aber doch war rings umher das ganze Land, so weit ich sehn konnte, mit den schönsten Bäumen und Gewächsen bedeckt. Allein alle diese Erdproducte waren mir ihrer Gestalt nach völlig fremd, ja! ich erinnerte mich nicht einmal, in Tahiti einige derselben gesehn zu haben.

Nachdem ich eine Stunde lang freudetrunken diesen schönen Anblick genossen hatte, fing nagender Hunger an, sich bey mir zu melden. Schöne Früchte, von denen die Bäume vollhingen, schienen mich einzuladen, Erquickung bey ihnen zu suchen. Ich brach einige ab – Und ach! welch ein Geschmack! Ich fühlte neues Leben durch mein Wesen hingegossen. Eine Quelle, hell, lieblich und von Geschmack so süß, reichte mir den Trank dar. Vögel aller Art und kleine freundliche vierfüßige Thiere hüpften um mich herum und schienen mich gar nicht zu scheuen, sondern mich vielmehr als ihren ältern Bruder oder Beschützer zu betrachten. Ein kleines Thier, das viel Ähnlichkeit mit unserm Eichhörnchen hatte, kratzte mit seinem Pfötchen in der Erde und brachte endlich einige Wurzeln hervor, die es begierig verschlang. Mich wandelte die Lust an, diese Wurzeln auch zu versuchen; ich zog einige heraus und fand sie wohlschmeckend und sättigend. Nachdem ich nun also eine gar erquickende Mahlzeit gehalten hatte, ergriff der Schlaf meine müden Glieder. Eine grüne Aue, voll schöner duftender Kräuter, war mein Lager. Ich schlief ein und erwachte erst, nachdem ich vielleicht zwölf Stunden lang geschlafen haben mochte.

Sobald ich die Augen öffnete, sah ich mit Verwundrung zwey menschliche Geschöpfe neben mir stehn, die mich aufmerksam betrachteten und wahrscheinlich schon lange, während meines Schlafs, mich beobachtet hatten. Es war ein Mann und ein Weib, meiner Beurtheilung nach die höchsten Ideale von Schönheit, weiß von Haut, geschmückt mit langen gelben Haaren; schöne schlanke Glieder, die kein unnatürliches Gewand bedeckte, denn sie waren, bis auf einen Schurz noch, gänzlich bloß; Gestalt und Blicke voll Milde, Hoheit und Güte, von keiner ängstlichen noch sträflichen Leidenschaft verzerrt, durch keine Kränklichkeit erschlafft – Das strahlende Ebenbild des großen Schöpfers glänzend auf der heitern Stirne –

Gern bekenne ich es, ich konnte den Anblick so vieler edler Größe kaum ertragen. Ich raffte mich von meinem Lager auf und verneigte mich vor ihnen, indem ich zugleich ein Zeichen machte, welches so viel ausdrücken sollte, als daß ich sie um Schutz und Schonung bäte, daß ich unglücklich und ohne meinen Willen vom Meere hierhergetrieben wäre. Der junge Mann verstand mich, reichte mir die Hand und führte mich nebst seiner Frau leutselig mit sich fort. Unterwegens sprachen Beyde viel miteinander. Ich verstand wenig davon, doch hörte ich zu meiner größten Befremdung, daß es eine Art von hebräischer Mundart war. Ich hatte, als ich noch als SachwalterErster Theil, Seite 53. viel Processe für Juden führte, einige Unterweisung in dieser Sprache genommen, um Handlungsbücher und andre jüdische Documente verstehn zu können, aber freylich war mir theils viel davon wieder aus dem Gedächnisse gekommen, theils schien mir das, was diese Wilden redeten, eine viel reichere Sprache zu seyn wie das gewöhnliche Hebräische, so wie wir es itzt aus den Büchern des alten Testaments lernen – Doch, wie kann ich diese sanften, einfachen Naturmenschen Wilde nennen? Zehnmal richtiger verdienten wir verderbte, verwilderte Europäer den Namen.

Meine Führer betrachteten meinen Anzug, der halb europäisch, halb tahitisch war, mit Mitleiden. Sie zeigten mit Fingern auf die vielfachen unnöthigen Stücke, aus denen er zusammengesetzt war, und überhaupt schienen sie mehr Bedauern wie Verwundrung zu empfinden, sooft sie ihre Augen auf mich hefteten – Nie ist mein europäischer Stolz so sehr gedemüthigt worden wie hier, da ich bemerkte, wie gering die Achtung war, mit welcher diese ungezierten Geschöpfe auf ein Männlein herabblickten, das zu einer Nation gehört, die sich rühmt, die Herrschaft des Erdbodens zu Wasser und zu Lande zu besitzen und alle übrigen Völker zu cultivieren, wenn sie sich die Freyheit nehmen darf, in bretternen Kästen sich von Wind und Wasser umhertreiben zu lassen, dann auf fremden Küsten einen Rosenkranz zu bethen oder eine Fahne mit einem Wappen aufzupflanzen, das dort niemand kennt, und unschuldige Geschöpfe ungestraft zu morden, wenn sie uns nicht erlauben wollen, was die Erde für Alle trägt, allein uns Einwohnern eines kleinen, unbeträchtlichen Erdfleckens zuzueignen, oder wenn sie nicht als unentbehrlich zu ihrer zeitlichen und ewigen Glückseligkeit ansehn wollen, was ein paar schiefe Köpfe erfunden und dann der übrigen Welt zu glauben aufgedrungen haben.

Wir kamen bald in ein reizendes Thal, in welchem weit umher eine Menge Hütten zerstreuet lagen – Ein herrlicher, lachender Anblick! Die Hütten waren äußerst einfach gebauet – Doch, was sage ich, gebauet? – gepflanzt, von den schönsten blüthevollen Bäumen, deren Zweige dicht ineinander geflochten und verwachsen waren. Vor den Eingängen dieser Hütten saßen alte Leute und erquickten sich an dem Anblicke der schönen Natur und an der Freude ihrer Kinder und Enkel, deren Einige fröhlich herumsprangen und sich mit allerley körperlichen Übungen ergötzten, indes kleinere Knaben und Mädchen im bunten Grase spielten – Gesundheit, Freude und Unschuld auf den Gesichtern Aller, mit Gottes Finger lesbar gezeichnet.

So wie wir nach und nach vor einigen Hütten vorbeygingen, kamen die Kinder herangesprungen, zupften mich verwundrungsvoll, nicht unbescheiden, an den Kleidern, sahen sich dann einander mit einer Art von Besorgnis an und machten Zeichen, als wenn sie mich für einen kranken, halbtoten Menschen hielten. Die Älteren aber redeten mit meinen Begleitern und kehrten dann, ohne übermäßige Neugier zu zeigen, zu ihren Spielen und Arbeiten zurück. Aber diese Arbeiten waren nicht saure Anstrengungen, im Schweiße des Angesichts unnütze Bedürfnisse zu schaffen – Nein! Einer bereitete seinem alten Vater ein kleines Mahl aus Früchten, die er von den reichen Bäumen abpflückte und, ohne den besten Saft am Feuer auszutrocknen, auf großen Blättern frisch dem Greise, der ihm dankbar entgegenlächelte, hinreichte. Ein Andrer bauete an seiner kleinen Wohnung, ein Dritter flocht sich einen Schurz.

Endlich näherten wir uns einer Hütte, an deren Eingang ein alter ehrwürdiger Greis mit seinem Weibe saß. Es waren die Eltern meines Führers und seiner Gattin. Freundlich nahm mich der Hausvater auf, und indes die jungen Leute ihm erzählten, auf welche Art sie zu meiner Gesellschaft gekommen wären, brachten mir die jüngern Kinder Obst, Wurzeln und, in großen Schalen von Nüssen, den ausgepreßten Saft einer Frucht, den köstlichsten, erquickendsten Trank, den ich jemals genossen habe.

Ich werde Euch nicht damit aufhalten, hier ein ordentliches Tagebuch von der obgleich kurzen Zeit fortzuführen, welche ich in diesen seligen Gefilden des Friedens zubrachte. Nur im Allgemeinen will ich Euch sagen, was ich dort gesehn und erfahren habe.

Es wird selten Nacht daselbst, und da ich mich nie recht in der dortigen Zeitrechnung habe finden können, kann ich nicht zuverlässig bestimmen, wie lange ich mich hier aufgehalten habe, aber so viel ist gewiß, daß es kein voller Monat gewesen ist. Und hierüber werdet ihr Euch nicht wundern, wenn ich fortfahre, Euch zu erzählen, wie sehr die dortige Lebensart gegen die unsrige absticht.

Es gelang mir in kurzer Zeit, mit Hilfe der geringen hebräischen Sprachkenntnis, die ich hatte, und ihrer natürlichen, über die Vorstellung einförmigen, laut redenden Pantomime fast alles zu verstehn, was mir die Einwohner von ihrer Geschichte, Sitte und Einrichtung erzählten. Ob diese Geschichte und Mythologie wahrhaft und echt oder nur, wie die mündlichen Überlieferungen mancher Völker, fromme Fabel gewesen, darüber gebührt mir nicht zu urtheilen. Ich kann nur erzählen, was ich gehört habe.

Sie glaubten nämlich, ihrer Tradition nach (denn von Schreibekunst sah ich auch nicht Eine Spur bey ihnen) unmittelbar von einem Sohne Adams abzustammen, der, als Verderbnis und Sünde unter den übrigen Kindern einriß, mit seiner Schwester, die sein Weib war, von einem Engel geleitet zu Lande hierherflüchtete. Wie das möglich gewesen, überlasse ich den klugen Naturkündigern auszuforschen, und ob etwa damals ein Theil des Meers Erde gewesen, nachher aber durch die Sündfluth überschwemmt worden, oder auf welche andre Art der Sohn Adams hierhergekommen. Genug, er gründete eine Colonie unverderbter Menschen, welche von der großen Überschwemmung verschont blieben, das patriarchalische Regiment, Reinigkeit der Sitten und den wahren Gottesdienst behielten, also sich der traurigen Verkündigung entzogen, die Gott auf den übrigen Theil des menschlichen Geschlechts, der Sünden wegen, legen mußte. Jeder Hausvater blieb König in seiner Familie und Priester vor Gott, dem sich nur der von Verderbnis und Laster freye Mensch, welcher das heilige Ebenbild nicht entweyhet hat, nähern darf. Zwar hatten sie die Unsterblichkeit verloren, aber doch nie Krankheit noch Gebrechen gelitten. Ein sanfter Schlaf nahm jeden zu einer bessern Sphäre Vorbereiteten nach einer langen Reyhe glücklich und sorgenlos verlebter Jahre aus der sichtbaren Welt hinweg. Indes war auf dieser Erde Studium und Anschaun der schönen Natur und Verfeinerung, Hinaufschwingen des geistigen Theils zu höhern Wesen, Umgang und Gemeinschaft mit Diesen die selige Beschäftigung der von allen übrigen Sorgen und Bedürfnissen freyen Menschen. Welchen reichen mannigfaltigen Genuß diese höhere Glückseligkeit, keinem Wechsel und keinem Ekel unterworfen, ihnen gewähren mußte, davon können freylich wir, mit unsern gröbern Sinnen, keinen Begriff haben. Aber ich sah es und fühlte es, was ich nie wiedererzählen kann, auf welcher Stufe von Erhabenheit diese Geschöpfe Gottes über mir standen, wie ihr Geist in die Zukunft hineinschauete und tiefe Blicke in mein innerstes verderbtes Wesen that, wie der Allgegenwärtige unmittelbar in und um ihnen war – Allein ich schweige – unwürdig – mißmüthig – zu seyn, was und wie ich bin –

Die einfache Kost von den Früchten der reichen Erde, welche keines künstlichen Salzes bedurfte, um fruchtbar zu werden, erhielt den gesunden, mit aller Schnellkraft und Stärke ausgerüsteteten Körper (das Meisterstück des höchsten Baumeisters) stets unzerrüttet. Sie aßen nie von dem Fleische ihrer Mitgeschöpfe. Ein kurzer, ruhiger Schlaf war hinreichend, den Gliedern neue Geschmeidigkeit zu geben; ein gelinder Regen und der süße Thau des schaffenden Himmels erhielt die wohlthätige, von keiner dürren Hitze getrennte noch von herbem Froste verschlossene Erde stets bereit, aus ihrer Fülle ihren Kindern gesunde Säfte darzureichen. – Welch ein Leben! – Keine Krankheiten – Kein Eigenthum – Kein Luxus –Keine Leidenschaften – Keine Fürsten – – Keine Pfaffen! –

Der Trieb der Fortpflanzung wurde nicht durch reizbare, widernatürliche Speisen gekitzelt, und der mäßige Ruf der Natur ließ, wenn er befriedigt war, keine mißklingende, matte Stimmung zurück.

Also hatte der Patriarch das Glück, seine Nachkommen bis in das vierte Glied um sich her sich ihrer Existenz freuen und ihren Schöpfer preisen zu sehn, den sie in harmonischen Gesängen, welche meinen Ohren so lieblich wie ein Sphärenklang vorkamen, erhoben.

Dieser glückliche Zustand aber würde nicht lange gedauert haben, wenn nicht der Allgewaltige nach der Sündfluth das Gleichgewicht der Erde verändert und um dieses geweyhete Paradies eine Burg von Eis gelegt hätte, welche seine frommen Kinder von einer andern Insel, welche ich leider! bald nachher auch sehn mußte, getrennt hätte.

Sie bedurften der geschriebnen Offenbarung nicht, doch wußten sie, was Gott für den übrigen tiefer gefallnen Theil der Menschen gethan hatte, und sie, die sich näher der größern Erlösung fühlten, nahmen innigen, liebevollen Antheil an dem Schicksale der Brüder, welche weiter vom Ziele waren.

Für mich war gar kein Bleibens hier in diesen seligen Wohnungen. Die Höhe zu erreichen, auf welcher jene edleren Wesen standen, dazu fühlte ich mich bald zu schwach. Von Jugend an im Verderbnisse aufgewachsen, von einem Heere unruhiger Leidenschaften bestürmt – Wie hätte ich da je den göttlichen Frieden finden können, wozu Körper, Seele und Geist in vollkommnen Einklange stimmen müssen?

An einem schönen heitern Abende rief mich ein alter Greis zu sich vor die Thür seiner Hütte, ergriff mich väterlich bey der Hand und sprach, theils in Worten, theils durch Zeichen also zu mir: ›Armer Fremdling! Ich sehe es, Du trauerst, weil Du nicht ganz bist, wie wir sind. Allein verzage nicht, guter Mensch! Einst in einer andern Welt wirst auch Du zu einer größern Stufe von Vollkommenheit gelangen, wenn Du hier Deine Bestimmung treu und fleißig erfüllst. In unsern Gefilden aber darfst Du nicht länger bleiben. So will es der weise Schöpfer, daß Du noch andre ferne Länder sehest und endlich in Deinem Vaterlande Deine irdische Hülle ablegest, daß Deine Gebeine gesammlet werden zu den Gebeinen Derer, die Du kanntest, und die von Deinem Stamme und Geschlechte sind. Genieße von dieser Frucht, und Du wirst in einen Schlummer fallen, und wenn Du erwachst, dann werden Deine Augen mehr sehn, wie Du erwartest.‹

Der ehrwürdige Mann gab mir eine röthliche Traube, die ich auf sein Geheiß verzehrte, und kaum hatte ich die letzte Beere genossen, als ein unwiderstehlicher Schlaf mich ergriff – Wie ich endlich aufwachte« –

 

So weit hatte ich in der Handschrift gelesen, als der Hauptmann wieder in die Thür trat, worauf ich dann sogleich meine Papiere zusammenpackte.


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