Adolph Freiherr Knigge
Geschichte Peter Clausens
Adolph Freiherr Knigge

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Viertes Capitel

Fortsetzung. Der Fürst hat gute Entschlüsse.
Des Herrn Ministers von Clausbach Excellenz bekommen einen Orden
und gehen mit ›Serenissimo‹ auf Reisen.

»Das Gute wirkt langsam«, dachte ich, »und wie ist es möglich, daß ein Mensch, der von seiner ersten Jugend an, bey so fehlerhafter Erziehung, von Schmeichlern und bösen Buben umgeben, nichts wie schlechte Grundsätze eingesogen hat, bey dem endlich diese Grundsätze durch Gewohnheit in der Ausübung zum Bedürfnisse geworden sind, sich nun auf einmal so umschaffen ließe? Aber es wird schon mit der Zeit Wurzel fassen – Also nicht verzweifelt, mein lieber Peter!«

In der That bemerkte ich oft bey meinem Herrn unwillkürliche Aufwallungen, die mir viel Gutes versprachen. Einst, als ich mit ihm vor einem neuen Canzleygebäude, das wir aufführen ließen, vorbeyging, verweilte er und sah das Wappen, welches über dem Haupteingange stand, aufmerksam an. Endlich sagte er: »Ich wollte, daß die Vorfahren der Fürsten ihren Raubthieren statt Donnerkeilen und Schwertern Herzen und Waagschalen in die Klauen gegeben hätten.«

Ein andermal fanden wir bey einem Spaziergange einen kranken, lahmen Menschen, dem seine Krücke zerbrochen war, ohnmächtig vom Falle, hilflos vor der Thür eines herrschaftlichen Gartens liegen. Es regnete ein wenig, und wir hatten Überröcke an. Der Fürst warf seinen Mantel ab und bedeckte damit den Leidenden, indes er seinen Läufer fortschickte, Hilfe herbeyzuschaffen. Freylich würde jeder andre gute Mann, nach Verhältnis seines Vermögens, ebensoviel gethan haben; aber von einem Prinzen war das immer viel Menschlichkeit, auch erschien die Erzählung dieser That in mancher Zeitung.

Es wurde ferner ein großes Theil des unnützen Militairs abgedankt, damit dem Lande nicht so viel gesunde Arme entzogen würden, welche in der Residenz zweckloses Spielwerk trieben. Ja! der Fürst war einmal im Begriff, meinem Vorschlage zu folgen, die Kleidung der noch übrigen Regimenter natürlicher und bequemer einzurichten und über die Thorheit, geputzte Maschinen herumlaufen zu haben, hinauszugehn. Sie sollten nämlich Alle die Haare rund und kurz abgeschnitten tragen, welches sowohl wegen der Reinlichkeit als Geschwindigkeit beym Ankleiden bequem gewesen seyn würde. Sodann wollte man ihnen kleine Stiefel, lange Hosen, kurze Camisöler, Mäntel, runde Hüte, vorn mit einer Sonnenklappe und an den Seiten mit einem umlaufenden Kranze, geben, den man bey schlechtem Wetter hätte hinunter und über die Ohren ziehn können. Die Sache kam dennoch nicht zu Stande, sowie es überhaupt nicht an Leuten fehlte, die manche gute Zwecke durch eine lächerliche Wendung, welche sie der Sache gaben, oder auf andre Art vereitelten. Der Dame Novanelle aber muß ich das Zeugnis geben, daß sie mir zu Ausführung dergleichen edler Absichten behilflich war, wenn ich übrigens nur dafür sorgte, daß ihr Oeconomicum nicht bey solchen Reformen litt.

Allein das Haupthindernis bey allen guten Entwürfen war der nie dauerhaft auszulöschende Hang des Fürsten zur Pracht, zum Glanze und zu rauschenden Freuden, wobey ich dann zu meiner Schande bekennen muß, daß bey Unternehmungen, welche dahin abzielten, sobald ein Theil dieses Glanzes mit auf meine wertheste Person zurückfiel, ich nicht Stärke genug hatte, mich diesen Thorheiten zu widersetzen. So fiel es unter andern meinem Monarchen zu Anfang dieses 1784sten Jahrs, kurz nachher, als ich Minister geworden war, ein, einen Ritterorden zu stiften, wobey er behauptete, vorzüglich darauf Rücksicht zu nehmen, daß er wünschte, ich möchte ein öffentliches Zeichen seiner Freundschaft zu mir auf der Brust tragen. Ich weiß nicht, welcher tolle Dämon ihm den Gedanken eingegeben hatte, zu dem Zeichen dieses Ordens ein so sonderbares Medaillon zu wählen – Genug! es wurde der Orden vom blauen Hering errichtet, und ich war der Erste, der ihn bekam. Meine Frau pflegte in ihrer scherzhaften Laune zu sagen, sie begreife nicht, welche Analogie zwischen einem blauen Heringe und den Verdiensten eines Cammerpräsidenten wäre, oder wie ein eingesalzener Seefisch typus seyn könnte, das Verdienst eines Ministers zu bezeichnen.

Ich trug indessen nicht ohne heimlichen Kitzel meinen Stern und mein Band, obgleich Freund Ludwig sich des Lachens nicht enthalten konnte, als ich zum erstenmal damit erschien. Zugleich zeigte ich mich aber auch bey dieser Gelegenheit in einem ziemlich vortheilhaften Lichte, welchen Umstand ich meinen Lesern als ein treuer Geschichtschreiber auch nicht verschweigen will. Es war nämlich des Fürsten Absicht, den Präsidenten bey Ernennung der Ritter zu übergehn, denn Dieser war seit einiger Zeit noch mehr aus seiner Gunst verdrängt worden. Nun hätte ich, wenn ich der Rachsucht Gehör gegeben hätte, wohl nicht Ursache gehabt, mich des Herrn von Mehlfeld anzunehmen. Aber es ist doch süß, seine Widersacher in warme Freunde umzuschaffen oder, wenn das nicht angeht, sich wenigstens durch Wohlthaten an ihnen zu rächen. Ich habe zwar von jeher in mir einen kleinen Hang zu unedler Rachsucht gefühlt, allein zwey Dinge haben mich immer sogleich wieder entwaffnen und jede solche Aufwallung in mir ersticken können, nämlich: wenn entweder mein Beleidiger nur Einen ersten Schritt zur Versöhnung that oder wenn er unglücklich und verlassen war und meines Schutzes bedurfte – Dann litt ich nie, daß Andre seine unangenehme Lage zu seinem Schaden nützten. Er fand an mir immer einen Vertheydiger, und das war itzt der Fall mit meinem Feinde. Ich wirkte also dem Herrn Präsidenten von Mehlfeld bey dem Fürsten nicht ohne Mühe die Erhaltung des Ordens aus, und Jener erfuhr vielleicht nicht einmal, wem er dies zu danken hatte.

Während ich nun auf der höchsten Staffel nichtigen Glücks stand, hatte mein Herr den Gedanken gefaßt, eine Reise in fremde Länder zu machen. Er beschloß, mich mit sich zu nehmen, und außer mir waren noch der Oberschenk, ein leerer, windvoller Hofmann, sodann ein gewisser Cammerherr und Obristlieutenant von Reifenstrauch, ein gutes, unschädliches Geschöpf, und endlich ein junger Mensch, der Graf Löhfeld, den ich als Cammerjunker in den Dienst gebracht hatte und von dem wir hernach noch mehr hören werden, von der Gesellschaft. Ich hätte es leicht veranstalten können, daß man auch Reyerberg mitgenommen hätte; allein theils schien ihm selbst nicht sehr damit gedient zu seyn, denn er war des Reisens müde und unterwarf sich auch ungern dem Zwange, der im Gefolge eines Fürsten unvermeidlich ist, theils mochte ich nicht, daß man mir Schuld gäbe, ich packte, wie man es in der Hofsprache nennt, alle meine Creaturen mit auf. Auch war mir viel daran gelegen, während meiner Abwesenheit einen treuen Freund in der Cammer zurückzulassen, und der zugleich meiner lieben Gattin ein Gesellschafter und Rathgeber wäre.

Der Endzweck der Reise schien sehr nützlich. Der Fürst wollte die Einrichtungen in fremden Provinzen und Ländern kennenlernen, um daraus Kenntnisse für sich zu sammeln. Wir sollten erst durch einen großen Strich von Teutschland fahren, sodann nach Frankreich gehn und zuletzt durch den Elsaß und die Rheingegenden zurückkehren. Allein wer je Prinzen hat reisen gesehn, dem wird es nicht einfallen zu glauben, daß sie in der That mit der Innern Verfassung der Länder, welche sie durchstreifen, bekannt werden könnten. Wenn man in drey Kutschen durch die Städte und Dörfer hinrollt, sich den Namen irgendeines Grafen oder Edelmanns gibt, indes die Lakayen den Wirthen im Vertrauen sagen, ihr Herr sey der Fürst, Herzog oder König von . . ., welcher incognito reise, und sich dann ein Haufen müßiger, angaffender Menschen vor die Posthäuser drängt und den großen Herrn wie ein Wunderthier aller Orten verfolgt, so daß er nirgends unbekannt hinschleichen und ruhig beobachten kann; wenn man in den Hauptstädten nur die Cabinette, Galerien, Kirchen, Schauspielhäuser und Gärten durchrennt und wenn man Gesellschaften besucht, sich nicht unter diejenigen Stände mischt, die eigentlich noch National- oder Provinzialgepräge haben, sondern in den Circeln der Noblesse sich herumtreibt, die beynahe in einem Lande wie in dem andern aussehen – Wie sollte es da möglich seyn, Kenntnisse, wahre Kenntnisse von den innern Landesverfassungen einzusammeln? Überhaupt bin ich sehr davon zurückgekommen, mich auf die Nachrichten zu verlassen, welche Reisende aufzeichnen. Auf welche Art sollen diese die Wahrheit der Erzählungen prüfen, welche ihnen von den Einheimischen zukommen? Nicht immer haben sie das Glück, an unpartheyische Leute zu gerathen, und diese unpartheyischen Leute haben nicht immer die genauesten Kenntnisse, sind nicht immer feine Beobachter, können auch nicht beobachten, wenn sie nicht selbst in Staatsgeschäften verwickelt sind. Sind sie aber das, so bleiben sie selten unbefangen, sondern gehören entweder zu der herrschenden oder zu der gedrückten Parthey, deren es fast in jedem Lande gibt. Ist das Erstere, so werden sie für alle Schritte der Regierung eingenommen seyn; ist aber das Letztre, so hüte man sich noch mehr vor ihren Nachrichten. Fast aller Orten findet man eine solche Rotte von Malcontenten, die, weil sie eine hohe Meinung von sich haben, welche nicht immer den Ministern einleuchten will, sich gedrückt glauben, und weil sie unvorsichtig handeln und desfalls zuweilen auf die Finger geklopft werden, sich Kämpfer für die gute Sache nennen.

Dem sey nun, wie ihm wolle! Wir zogen mit dem festen Entschlüsse ab, hundertmal klüger zurück nach Hause zu kommen, wie wir ausgereiset wären, und verließen im März dieses Jahrs die Residenz.


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