Adolph Freiherr Knigge
Geschichte Peter Clausens
Adolph Freiherr Knigge

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Siebentes Capitel

Zurückkunft von der Reise. Hofcabalen. Gespräch darüber.

Es fällt mir eben noch zur rechten Zeit ein, daß ich Ihnen zu viel von unsrer Reise erzähle. Sie möchten nachher auf das ganze Werk nicht pränumerieren wollen, wenn ich fortführe, die besten Stellen aus meinem Journale voraus herzugeben. Also wollen wir das Ding dabey bewenden lassen und uns begnügen zu sagen, daß ich im Junius dieses Jahrs glücklich mit meinem Herrn in die Residenz zurückkam.

»Nun, mein lieber Peter!« sprach kurz nachher Reyerberg eines Abends zu mir, als wir in dem Zimmer meiner Frau beysammensaßen. »Ist es wohl erlaubt, Ihrer Excellenz einmal die Wahrheit zu sagen?«

»Warum nicht, mein guter Ludwig«, antwortete ich, »Du weißt, daß ich gern den Rath eines Freundes annehme.«

 

Reyerberg: »Das weiß ich nun wohl eben nicht, denn ich habe Dich doch oft sagen gehört: Man solle einem klugen Manne nie seine Fehler zeigen, sondern ihm so viel Selbsterkenntnis zutrauen, daß er sie unerinnert einsehn und zu verbessern suchen würde, wenn er das könnte.«

Ich: »Du verdrehest meine Worte. Wenn ich das gesagt habe, so war von Hauptfehlern die Rede, von herrschenden Leidenschaften, deren jeder Mensch einige hat; und da habe ich dann mit Recht, wie ich denke, behauptet, daß es unvernünftig seyn würde, einen Verständigen auf Dinge aufmerksam machen zu wollen, die er längst an sich selbst bemerkt haben und wohl unübersteigliche Hindernisse bey seinem Kampfe dagegen gefunden haben müßte, wenn er sich noch immer nicht davon hätte losmachen können. Aber bey kleinen Verirrungen, Unvorsichtigkeiten in der Aufführung und dergleichen, wer würde da nicht gern sich liebreich zurechtweisen lassen?«

Reyerberg: »Hast Du aber nicht auch oft gesagt: Man solle sich gänzlich enthalten, über die Handlungen eines weisen Mannes zu urtheilen? und wenn man ihn auch auf Einem Beine herumspringen sähe, indes andre Biedermänner auf zweyen einhergingen, so solle man doch schweigen und denken: Ey nun! Er wird schon wissen, was er thut.«

Ich: »Ich sehe, daß man sich in Acht nehmen muß, paradox scheinende Sätze in Deiner Gegenwart vorzutragen. Du schnappst alles auf, verstehst es halb, reißest mir die Scheide aus der Hand und meinst, Du hättest mir mein Schwert entwunden, das Du nun gegen mich selbst brauchen könntest.«

Reyerberg: »Wenn Du aus dem Tone redest, mein Lieber! so wollen wir davon abbrechen – Doch nein! Magst Du immerhin ein wenig ungehalten auf mich werden! Ich will es darauf wagen. Dein gutes Herz wird Dir schon einst zuflüstern, daß ich es wenigstens gut gemeint habe, sollte ich auch hie und da im Irrthum gewesen seyn – Also zur Sache!«

 

Und nun, meine lieben Leser! erlauben Sie mir, dies ganze Gespräch zwischen Reyerberg, meiner Frau und mir, soviel ich mich dessen noch erinnere, hier abzuschreiben. Da ich bald nachher die Wahrheit von allem erfuhr, was mir mein Freund damals sagte, so wenig ich es auch zu der Zeit glaubte, kann dieser Dialog besser wie meine trockne Erzählung dazu dienen, Sie von der Lage, darin ich mich befand, zu unterrichten.

 

Reyerberg: »Also zur Sache! Ohne ein Prophet zu seyn, kann ich Dir voraussagen, daß Du hier nicht lange mehr Dein Ministerwesen treiben wirst.«

Meine Frau und ich zugleich: »Nun! das klingt ja gefährlich.«

Reyerberg: »Es ist gewiß, und wäre es nicht also: desto schlimmer für Dich! Dann möchte ich nicht Ein Wort darüber verlieren. Kurz! Du bleibst entweder der redliche Peter, der Du bist, und dann wird man Dich bald fortzuschaffen wissen, oder Du gehst selbst zu Grunde, lassest Dich von dem Strome des Verderbnisses hinreißen.«

Meine Frau: »Für das Letztere hafte ich.«

Reyerberg: »So zuversichtlich, meine gnädige Frau?«

Meine Frau: »Sehr zuversichtlich.«

Ich: »Und das Erste beunruhigt mich wenig. Wenn ich, bey den treuesten Absichten, verkannt, gemißbraucht, mit Undanke belohnt werde, so soll es mich doch nie reuen, Gutes gewollt und Gutes gethan zu haben, so viel ich nämlich konnte.«

Reyerberg: »Ihr bringet mich aus meinem Concepte, Ihr Leutchen! Lasset mich ausreden, und fallet mir nicht in die Rede!«

Ich: »Nun! so laß denn einmal hören!«

Reyerberg: »Du hast schon herrlich die äußern Hofsitten angenommen, siehest immer freundlich, liebreich und süßlich aus; sagst den Leuten handgreifliche verbindliche Artigkeiten, die niemand für Ernst halten kann; kannst zur rechten Zeit zerstreuet scheinen, wenn Du etwas nicht hören, auf etwas nicht antworten willst; fragst sechserley in einem Odem fort und erwartest die Antworten nicht, damit ja nicht Dein Herz Antheil an etwas zu nehmen das Ansehn habe. Du sagst mit Kälte die wärmsten Verbindlichkeiten und mit Wärme die unbedeutendsten Kleinigkeiten. Du scheinst an Staatssachen zu denken, wenn Du überrechnest, wieviel Schüsseln auf dem Tische stehen, und machst Pläne zum Besten des Landes, wenn Du mit dem Papageyen der Dame Novanelle spielst. So weit wären wir also schon gekommen, und wenn Du ein junger Mensch und nicht mein alter geprüfter, redlicher, erfahrungsvoller Peter wärst, möchten wohl die gnädige Frau nicht so ganz gewiß behaupten dürfen, daß es nun gar nicht möglich wäre, am Ende durch lange Gewohnheit sich zu verstellen, den edeln, offnen Character einzubüßen und Geschmack daran zu finden, die Menschen am Narrenseile herumzuführen, auf ihre Unkosten zu lachen, damit sie nicht mit uns ihr Spielwerk treiben. Doch das hat nun freylich bey Dir keine Gefahr, und zwar aus zwey Ursachen: zuerst wegen Deiner wahrhaften Rechtschaffenheit und thätigen Tugendliebe, und dann, weil ich sehr überzeugt bin und gewiß weiß, daß man Dir eher den Stuhl rücken wird, ehe Du Zeit haben kannst, zu Grunde zu gehn.«

Ich: »Sollte man nicht meinen, Du seyest auf die Spur von einer fürchterlichen Verschwörung gegen mich gekommen?«

Reyerberg: »Alle Schelme stehen in einer ewigen großen Hauptverschwörung gegen die Bessern, und Diese sind noch von jeher das Opfer davon gewesen. Dazu kömmt, daß ich wie ein müßiger Zuschauer mehr sehe, wie Du gewahr werden kannst, und während Deiner Abwesenheit noch manches bemerkt habe, was mir sehr auffiel. Glaube mir, meine theure Excellenz! Du thust am besten, wenn Du bey Zeiten und mit Ehren den Kopf aus der Schlinge ziehst. Entsage der elenden Eitelkeit, hier als ein Sclave zu glänzen! Wirf Deinen blauen Hering zum Teufel! Ihr seyd ja reiche Leute. Kaufet Euch doch ein Landgut und lebet dort sorgenlos, glücklich, von niemand gekränkt! So wehe mir's thun würde, mich von Euch zu trennen, so muß ich Dir doch als ein Freund diesen Rath geben. Ich will mich dann schon hier durchschlagen, mein lieber Claus! Über die kleinen Gesträuche geht der Sturm hinweg.«

Ich: »Et saevius ventis agitatur ingens pinus – Ich weiß es wohl. Aber sieh nur, mein Bester! Gern will ich diesen Sturm aushalten in Betracht des vielfachen Guten, das ich hier zu wirken Gelegenheit habe.«

Reyerberg: »O mein Gott! als wenn Du nicht auf dem Lande zehnmal mehr zuverlässig sichers, individuelles Gutes thun könntest! Rechne doch einmal die Summe dessen, was Du hier nicht auszurichten vermagst, trotz Deiner Mühe, gegen das, was du wirklich thust! Rechne von diesem ab, was jeder andre Mittelmäßige, der an Deinem Platze stünde, auch vollbringen würde, da er jetzt vielleicht Böses oder gar nichts thut! Rechne ferner ab dasjenige, wovon die Wirkung noch ungewiß ist – Was bleibt übrig?«

Ich: »Ja! wenn man also calculieren will.«

Reyerberg: »Und glaube mir: Die Menschen, denen Du Wohlthaten erzeigst, verdanken es Dir wenig und lachen noch in ihrem Herzen und halten Dich für einen Pinsel, der das nicht merkt. Der Graf Löhfeld, den Du in den Dienst gebracht hast, ist der niederträchtigste Pursche, den ich kenne. Er spürt jedem Deiner Schritte nach, hat Dich auf der ganzen Reise beobachten müssen, ist des alten Mehlfelds Spion und des schwarzäugigen Fräuleins Buhler. Wie konntest Du auch dem Jungen trauen? Mann voll Menschenkenntnis! Wie konntest Du ihm trauen? Ich hatte kaum die ersten Aushängebogen von diesem Buben gesehn, als er hierher kam, da bemerkte ich schon eine Menge Druckfehler in seinem Herzen. Die Leute, welche durch Dich bey der Cammer sind angesetzt und befördert worden – Ich denke, mich wirst Du ausnehmen – sind Dir nicht treuer. Sie tragen den Mantel auf beyden Schultern. Heute sind sie Deine unterthänigen Knechte; laß aber morgen Deine Parthey schwächer werden, so suchen sie alles gegen Dich hervor, was Deinen Sturz beschleunigen kann, um einem neuen Wesir zu gefallen.«

Ich: »Da sagst Du mir nichts Neues. Glaubst Du denn wirklich, ich trauete diesen Leuten? Sey versichert, mein lieber Ludwig! daß ich so wenig auf Dankbarkeit rechne, daß es mir gar nicht anders einfällt, als gewiß zu erwarten, daß mich Jeder hintergehe. Allein das bekümmert mich sehr wenig. Die Menschen sind Narren; ich weiß es.«

Reyerberg: »Und Du lassest Dich also von Narren mißbrauchen?«

Ich: »Von meines Gleichen – Und doch nicht mißbrauchen – Jeder handelt in der Welt um sein Selbst willen, befördert sein idealisches Glück, seine Freude, wo er kann. Meine Neigung geht dahin, wohlzuthun. Dies ist mein Augenmerk, mein Interesse, meine Freude. Um die Personen ist mirs gar nicht zu thun. Wenn mich jemand betrügt, so lache ich herzlich und lasse ihn laufen. Wenn er dann Meiner bedarf, kömmt er wieder herangeschlichen, macht allerley lustige Entschuldigungen und Bemäntelungen über seine Undankbarkeit daher, und da thue ich, als glaubte ich das alles, und meine Frau seufzt oder weint über meine anscheinende Verblendung. Allein ich lasse mich nicht irremachen und höre alle Schmeicheleyen an, und Jener geht, freuet sich, daß er mich noch einmal angeführt hat, und ich diene ihm noch einmal, und wenn er Meiner entbehren kann, betrügt er mich auch noch einmal. Das ist denn ein gar herrlicher Spaß.«

Meine Frau: »Ja ja! so macht er es, und ich habe dann die Unruhe davon und möchte zuweilen toll werden, wenn ich sehe, wie er sich Jedem aufopfert, für Jeden arbeitet und von Jedem mit schändlichem Undanke belohnt, verkannt, verleumdet wird.«

Ich: »Pah! das geht nun nicht anders her.«

Reyerberg: »Und Du glaubst nicht, daß zuletzt Dein Herz entweder hart, wie der Rücken eines Postgauls, werden wird, wenn so jedermann darauf herumjuckert, oder daß auf einmal dies gefühlvolle Herz erwachen wird aus seiner Betäubung und dann doppelt bluten von den vielfachen harten Schlägen? Daß Du allen Glauben an Menschheit verlieren, in Dich selbst gekehrt, feindselig, zu keiner guten That mehr in Bewegung zu setzen seyn wirst?«

Ich: »Hat nichts auf sich.«

Reyerberg: »O! gewiß, mein Lieber! Und rechnest Du deine Gesundheit, die Du aufopferst, für nichts? Die Du aufopferst, um Geschäfte zu treiben, die jeder elende Tropf ebensogut versehn könnte?«

Ich: »So thue ich doch wenigstens das Böse nicht, das er hineinmischen würde.«

Reyerberg: »Das ist der Mühe werth! So mag dann ein Mann, der zum Feldmarschall geboren wurde, Musketier werden, wenn er glaubt, er würde im Felde stehnbleiben, wo vielleicht ein Andrer wegliefe.«

Ich: »Deine Gleichnisse hinken. Dazu kömmt, ich bekenne es Dir, daß mein jetziger Glanz meine Eitelkeit kitzelt. Ich mag vor mein Leben gern gelobt werden.«

Reyerberg: »Aber ist es nicht noch einmal so süß, geliebt zu seyn?«

Ich: »Und bin ich das nicht? Habe ich nicht einen Freund an Dir, der mich mit der Menschheit aussöhnt? Habe ich nicht ein Weib, das mir jedes Ungemach des Lebens versüßt? Habe ich nicht einen Knaben, bey dessen Erziehung mir meine Erfahrungen zu Statten kommen?«

Reyerberg: »Und wirst Du nicht zuletzt auch uns nicht mehr trauen?«

Ich: »Daß ich es Euch grade heraus sage! Auch Euch würde ich nicht trauen, wenn ich nicht gewiß wüßte, daß Ihr weder Interesse noch Hang haben könntet, mich zu hintergehn.«

Meine Frau: »Böser Mann! Siehst Du? das ist schon wahrlich ein Anfang von Feindseligkeit.«

Reyerberg: »Es ist nicht so ernstlich damit gemeint; wir wissen es besser. Er ist in sein System verliebt und möchte gern, daß es aller Orten hinpaßte. Aber wie, wenn Du nun durch die Cabalen Deiner Feinde fortgetrieben würdest von hier, mit Schimpf, Verdruß und Undanke belohnt, und nun in einer viertel Stunde die ganze Frucht verlorner Mühe, verwendeter Gesundheit und verschwendeter schöner Jahre verloren ginge?«

Ich: »Das ist vorerst nicht zu befürchten. Der Fürst bedarf Meiner noch.«

Reyerberg: »Sollte er das immer einsehn? Du wirst es nicht merken, wenn das Ungewitter losbrechen will. Die Prinzen lernen früh, sich verstellen. Auch der dümmste Despot versteht diese Kunst, lernt sie an seinem Hofe. Und wenn es nun also käme – Ach! mein liebster Freund! wie würde mein Herz bluten! Und Du selbst müßtest dann gewiß Dir Vorwürfe machen, müßtest innigst betrauren die schönen entflohnen Stunden, in welchen Du in einem kleinen unbeneideten Wirkungscreise so viel Gutes hättest stiften können.«

Ich: »Wo in dieser Welt findest Du einen unbeneideten Wirkungscreis? Du vergissest in Deinem rednerischen Durchfalle, daß Du unmögliche Dinge forderst. Sage mir: wo findest Du ein Leben, das nicht durch den Neid der Menschen verbittert würde, wenn man sich dadurch irremachen lassen will?«

Reyerberg: »Bey dem stillen Landleben, da finde ich es. Wenn man unter dem Schutze der holden Mutter Natur seine einfache Kost, die uns Feld und Garten freundlich darbiethen, ohne Kummer und ohne Reue verzehrt, seinen Überfluß mit dem Armen brüderlich theilt, durch keine der unzähligen Leidenschaften in Fieber gebracht wird; wenn man in der Stille und unbemerkt seinem ehrlichen Nachbar mit Rath und That an die Hand geht, die Jugend zweckmäßig bildet, nicht cultiviert, den Körper durch Mäßigkeit, Ordnung und Bewegung gesund und stark erhält, den Schöpfer aller Dinge bey jeder aufgehenden Sonne dankbar preist und in seiner Seele erhebt; Arm in Arm an der Seite seines treuen Weibes die Fluren durchwandelt, die der liebe Gott so herrlich ausschmückt mit Reichthum und Schönheit aller Art; und dann, nach einem ruhigen Tage voll seligen Genusses, die matten Glieder aufsein Lager hinstreckt, die Augen schließt, seine Seele der Obhut des liebreichsten Wesens anvertrauet und dann in ungestörtem Schlafe neue Kräfte für den folgenden frohen Tag sammelt.«

Ich: »O! schweige, bester Ludwig! Gewiß will ich einst dies Glück schmecken. Aber noch kann ich nicht. Ich kann unmöglich, habe noch so manchen guten Vorsatz vorher auszuführen, habe so manches angefangen, was ich vollenden muß – Man soll ja nichts halb thun – Nur noch ein paar Jahre Geduld!«

Reyerberg: »So schlaf denn wohl, mein lieber Minister! Gutes Glück! Wir sprechen uns bald wieder.«

 

Er ging fort. Meine Frau saß tiefsinnig da.

»Wir wollen davon mit Ludwig nicht mehr reden«, sagte ich. »Er setzt uns nur allerley in den Kopf. Laß uns zu Bette gehn!«


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